L 6 VX 4611/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 VX 2610/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VX 4611/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 31. August 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Zivildienstgesetz (ZDG).

Der Kläger ist 1977 geboren und leistete vom 1. September 1999 bis 31. Juli 2000 seinen Zivildienst beim Verein T., R. e.V., S ... Dabei handelt es sich um eine Schul- und Therapieeinrichtung für mehrfach behinderte Menschen. Dort verrichtete der Kläger allgemeine pflegerische Tätigkeiten.

Mit Antrag vom 26. Februar 2003 machte der Kläger geltend, er habe sich bei seiner Tätigkeit als Zivildienstleistender einen Bandscheibenschaden zugezogen. Als besonders belastend machte er geltend, dass er beim Begleiten der zu Betreuenden beinahe deren ganzes Körpergewicht in einer nach vorne gebückten Haltung habe abfangen müssen. Vor der Einberufung zum Zivildienst habe er schon unter einem Morbus Scheuermann gelitten, nicht jedoch unter dem zum Ende der Zivildienstzeit festgestellten Bandscheibenschaden. Dem Antrag war der Arztbrief des Arztes für Orthopädie Dr. M. vom 21. Juli 2000 beigefügt, in welchem als Diagnosen ein chronisches Cervikalsyndrom, eine chronische Lumbago, unklare Kniegelenksbeschwerden rechts nach Prellung sowie Senk-, Spreiz- und Knickfüße aufgeführt waren. Radiologisch wurde u.a. eine beginnende Chondrose L 4/5 aufgeführt. Außerdem äußerte Dr. M., dass "die schwere körperliche Arbeit (der Patient ist Pfleger) sicher verantwortlich für die rezidivierenden Wirbelsäulenbeschwerden" ist.

Das Versorgungsamt Stuttgart (VA) zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bei. Die Beschäftigungsstelle teilte unter dem 26. März 2003 mit, der Kläger habe morgens einen geistig behinderten Spastiker in der Kerzenwerkstatt betreut, ihm dabei die Hand geführt, ihn gefüttert und die Hygienepflege durchgeführt. Beim Heben aus und in den Rollstuhl sei immer eine zweite Person zur Stelle gewesen. Nachmittags habe der Kläger einem vergleichbar Behinderten beim Arbeiten am Webstuhl die Hand geführt und im Übrigen die gleiche Pflege wie vormittags verrichtet.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme lehnte das VA mit Bescheid vom 16. April 2003 den Antrag ab, da kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Bandscheibenschaden und den körperlichen Belastungen während des Zivildienstes bestehe. Ein so frühzeitiges Auftreten degenerativer Erkrankungen (Morbus Scheuermann 1996 festgestellt, zudem eine Skoliose der Wirbelsäule; im Juli 2000 eine beginnende Chondrose) sei ein eindeutiger Nachweis für ein anlagebedingtes und ohne äußere Einwirkungen entstandenes Wirbelsäulenleiden. Die Belastungen während des Zivildienstes seien nicht ausreichend, um ein solches Krankheitsbild zu verursachen.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, gestützt auf die Ausführungen von Dr. M ... Er führte weiter aus, dass er bei der Einstellungsuntersuchung voll einsatzfähig gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2003 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 16. Oktober 2003 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG). Zur Begründung führte er sinngemäß aus, der Beklagte habe sich über die Stellungnahme von Dr. M. hinweg gesetzt, ohne eigene medizinische Sachaufklärung betrieben zu haben. Er habe vor seinem Zivildienst eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer absolviert, könne die Tätigkeit nicht mehr ausüben. Jedenfalls hätten sich die vorbestehenden Erkrankungen durch die Belastungen des Zivildienstes verschlimmert.

Das SG zog von Dr. M. die ihm vorliegenden Röntgenbilder bei und befragte die behandelnden Ärzte des Klägers (Facharzt für innere Medizin Dr. L., Auskunft vom 19. Dezember 2003; Facharzt für Orthopädie Dr. S., Auskunft vom 19. Dezember 2003 [u.a. im April 2000 Diagnose eines Wirbelsäulensyndroms nach in der Jugend abgelaufenem Morbus Scheuermann]; Orthopäde Dr. T., Auskunft vom 18. Dezember 2003 [u.a. Behandlung 1992/1993 wegen einer "Wirbelsäulenunregelmäßigkeit"; radiologisch habe sich ein nicht ganz lotrechter Wirbelsäulenaufbau mit ganz geringer rechts/links gerichteter Seitabschwingung und leicht betonter Brustkyphose gefunden; die Deckplatten hätten zarte Unregelmäßigkeiten gezeigt, die Randleisten seien noch nicht ganz verknöchert gewesen]; Chirurg Dr. F., Auskunft vom 7. Januar 2004; Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B., Auskunft vom 15. Januar 2004; Radiologe Dr. F., Auskunft vom 21. Januar 2004 [u.a. 1995 wegen Rückenbeschwerden untersucht]; Allgemeinarzt/Psychotherapie Dr. S., Auskunft vom 23. Januar 2004 [u.a. 1992, 1993, 1994 Rückenschmerzen, November 1998 Rückenschmerzen nach Verdrehung, Februar 1999 Schmerzen mittlere Brustwirbelsäule]).

Durch Urteil vom 31. August 2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der beim Kläger bestehende Bandscheibenschaden im Segment L 4/5 sei weder im Sinne der Entstehung noch der richtunggebenden Verschlimmerung durch die Belastungen während des Zivildienstes verursacht worden. Aufgrund der ärztlichen Auskünfte stehe fest, dass bereits vor Beginn des Zivildienstes ein in der Jugend abgelaufener Morbus Scheuermann und eine Skoliose diagnostiziert worden seien und wegen Wirbelsäulenbeschwerden Behandlungen stattgefunden hätten. Dr. M. habe die von ihm diagnostizierte Chondrose darüber hinaus nur als beginnend bezeichnet. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass die zeitlich kurze Belastung während des Zivildienstes geeignet sei, diese Chondrose hervorzurufen oder zu verschlimmern. Vielmehr liege nur ein zeitlicher Zusammenhang der Beschwerden mit dem Ende des Zivildienstes vor. Entsprechendes gelte für die Lumbalgien. Die akuten Beschwerden seien nur als vorübergehende Verschlimmerung anzusehen, die den anlagebedingten Krankheitsverlauf im Bereich der Wirbelsäule nicht wesentlich geändert habe. Nehme man zudem die für eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV geltenden Kriterien, dann sprächen auch Ausmaß und Dauer der Belastung gegen eine Verursachung oder Verschlimmerung der Beschwerden durch die Tätigkeiten während des Zivildienstes.

Gegen das ihm am 5. Oktober 2005 zugegangene Urteil hat der Kläger am 4. November 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe schwer gehoben und getragen und auch in extremer Rumpfbeugehaltung arbeiten müssen. Deshalb sei auch die Chondrose wesentlich durch die Belastungen des Zivildienstes verursacht oder jedenfalls richtunggebend verschlimmert.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 31. August 2005 sowie den Bescheid vom 16. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. September 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Anerkennung einer Chondrose als Zivildienstbeschädigung Beschädigtenversorgung nach dem ZDG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Eine Zivildienstbeschädigung ist nicht festzustellen.

Nach § 47 Abs. 1 ZDG erhält ein Dienstpflichtiger, der eine Zivildienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Zivildienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Dienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Zivildienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Zivildienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 47 Abs. 2 ZDG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 47 Abs. 7 Satz 1 ZDG).

Das Sozialgericht (SG) hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und umfassend dargestellt, warum die beim Kläger bestehende Chondrose nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auf die körperlichen Belastungen während des Zivildienstes, sondern auf ein anlagebedingtes Leiden zurückzuführen ist und weshalb diese Erkrankung daher weder im Sinne der Hervorrufung noch der Verschlimmerung als Zivildienstbeschädigung anerkannt werden kann. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren an und verweist deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7 und 8 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Soweit das SG zu den Kriterien für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) Ausführungen gemacht hat, weist der Senat nur ergänzend darauf hin - worauf es aber im vorliegenden Fall nicht entscheidend ankommt -, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 22. August 2000 (B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2) ausgeführt hat, dass es keinen medizinischen Erfahrungssatz des Inhalts gebe, wonach von einer langjährigen Belastung erst nach einer zehnjährigen, die Kriterien der Nr. 2108 der Anlage zur BKV erfüllenden Tätigkeit auszugehen sei; vielmehr könne auch ein kürzerer Zeitraum das Merkmal der Langjährigkeit erfüllen. Angesichts der Dauer des Zivildienstes des Klägers von nur 11 Monaten (und nicht wie das SG ausgeführt hat von 16 Monaten) ist jedoch bei weitem nicht von einer langjährigen Belastung auszugehen, da bereits der Wortlaut "langjährig" eine mehr als ein Jahr umfassende Tätigkeit verlangt, die beim Kläger aber nicht einmal erfüllt ist. Von der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Übrigen, d.h. das Heben und Tragen schwerer Lasten, ist darüber hinaus nicht auszugehen, nicht einmal dann, wenn man die vom Kläger geschilderten, von der Einsatzstelle aber nicht bestätigten, Belastungen berücksichtigt.

Somit könnte als einziges Kriterium, das für einen Zusammenhang der Beschwerden mit dem Zivildienst sprechen könnte, der Zeitpunkt ihres Auftretens bzw. der Zeitpunkt der Diagnose einer beginnenden Chondrose sprechen. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass zum einen erste Beschwerden im Wirbelsäulenbereich schon 1992 aktenkundig sind und dann fortlaufend in regelmäßigen Abständen dokumentiert werden, so dass allein der Zeitpunkt des Auftretens nicht ausschlaggebend für die Bejahung des Wahrscheinlichkeitszusammenhangs sein kann. Zum anderen ist, auch darauf hat das SG zutreffend verwiesen, der Zeitraum von 11 Monaten viel zu kurz, um auch bei bestehender schwerer körperlicher Belastung eine Chondrose zu verursachen oder eine anlagebedingte Chondrose richtunggebend zu verschlimmern.

Soweit der Kläger vorbringt, eine orthopädische Untersuchung könne jetzt zeigen, ob sich die Chondrose seit Ende des Zivildienstes verschlimmert habe oder gleich geblieben sei, wobei Letzteres dann die Kausalität der Belastungen des Zivildienstes für die Chondrose belege, konnte der Senat dieser Auffassung nicht näher treten. Denn allein diese Feststellung würde in Anbetracht der oben dargelegten Grundsätze bei weitem nicht genügen, um den durchaus komplexen Zusammenhang zwischen einer Chondrose und körperlich belastenden Tätigkeiten wahrscheinlich zu machen. Zu weiteren Ermittlungen bestand deshalb kein Anlass.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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