L 6 SB 4894/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 3604/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4894/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. November 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch.

Der Kläger ist 1942 geboren und stellte erstmals im Januar 2001 Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, die er mit den Folgen einer Kniescheiben- sowie Hodenoperation begründete. Das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) zog den Entlassbericht aus dem Krankenhaus St. T. vom 5. Juni 2000 (Diagnosen: Hydrocele testis links, Prostataadenom II. Grades mit schwankenden PSA-Werten, bekannte Depressionen) sowie den Rehaentlassbericht vom 17. Januar 2001 (Diagnosen: Zustand nach osteosynthetischer Versorgung einer Patellafraktur rechts 7/00, Schulter-Arm-Syndrom, chronisch-degeneratives Lendenwirbelsäulen[LWS]-Syndrom, Adipositas) bei und stellte mit Bescheid vom 28. Februar 2001 fest, dass kein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 20 vorliege. Die Funktionsbehinderungen der Kniegelenke (Teil-GdB 10) und der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) rechtfertigten keinen Gesamt-GdB von wenigstens 20. Dem Widerspruch des Klägers half das VA mit Bescheid vom 1. August 2001 (Feststellung eines GdB von 20) teilweise ab. Der Kläger hielt an seinem weitergehenden Widerspruch unter Vorlage der Arztbriefe des Neurologen Dr. D. vom 15. November 1999 (chronisches Cervikobrachialsyndrom) und des Facharztes für Radiologische Diagnostik Dr. B. (vom 22. August 2001) fest. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2001 zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 11. Oktober 2001 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG), die er mit Problemen im Bereich der Schulter begründete (Rotatorenmanschette). Dieses befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin H. führte unter dem 7. Dezember 2001 aus, die Behinderungen des Klägers im Bereich der Schulter seien mittelgradig, ebenso die Gonalgien. Der Orthopäde M. führte unter dem 11. Dezember 2001 unter anderem aus, er schätze den GdB mit 30 ein. Das SG beauftragte daraufhin den Facharzt für Orthopädie Dr. C. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 1. August 2002 führte Dr. C. aus, die Wirbelsäule sei ohne Befund, den GdB im Bereich der linken Schulter veranschlage er mit 10, am rechten Knie mit 30 und führte zusammenfassend aus, dass ab Januar 2001 ein Gesamt-GdB von 20 anzunehmen gewesen sei, im Zeitpunkt der Untersuchung allerdings ein Gesamt-GdB von 30 bestehe, da sich die Arthrose im Kniescheibengelenk allmählich weiter entwickelt habe. Daraufhin unterbreitete der Beklagte ein Vergleichsangebot dergestalt, einen GdB von 30 ab 1. Juli 2002 anzuerkennen sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an.

Das SG befragte weiter den behandelnden Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. M ... Dieser führte unter dem 11. Februar 2003 aus, beim Kläger bestehe ein mäßiges Schlafapnoe-Syndrom. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellte der Arzt für Orthopädie Prof. Dr. W. unter dem 28. Mai 2003 (mit ergänzender Stellungnahme vom 1. Oktober 2003) ein orthopädisches Gutachten. Dieser diagnostizierte einen chronischen Reizzustand des rechten Kniegelenks mit Weichteilschwellung nach knöchern fest verheiltem Kniescheibenbruch, eine röntgenologisch nachweisbare Verformung der Kniescheiben mit kernspintomographisch nachgewiesenen Knorpelschäden an der Kniescheibengelenkfläche, Narben am rechten Knie, eine Abmagerung der Oberschenkelmuskulatur auf der rechten Seite, Krampfadern an beiden Beinen mit Unterschenkelödem und Residuen eines großen Blutergusses an der rechten Rumpfhälfte. Er führte aus, der Befund habe sich im Vergleich zur Untersuchung bei Dr. C. verbessert, er schlage einen GdB von 20 vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. November 2003 verurteilte das SG den Beklagten, einen GdB von 30 ab 1. Juli 2002 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festzustellen. Im Übrigen wies er die Klage ab.

Gegen den ihm am 7. November 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. Dezember 2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, Prof. Dr. W. habe die bei ihm bestehende Schmerzproblematik nicht ausreichend berücksichtigt, ebenfalls nicht das Schlafapnoe-Syndrom.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. November 2003 sowie den Bescheid vom 28. Februar 2001 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 1. August 2001, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2001 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 ab Antragstellung festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen sowie das Vergleichsangebot.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG den Facharzt für Allgemeinmedizin H. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Unter dem 20. Juli 2004 hat er ausgeführt, beim Kläger bestehe unter Berücksichtigung einer Gonarthrose (Teil-GdB 30), der Beschwerden an der rechten Schulter (Teil-GdB 10) und dem Schlaf- apnoe-Syndrom (Teil-GdB 10) ein GdB von 30. Es ergäben sich keine Abweichungen von den Feststellungen der bisher gehörten Ärzte. Auf Vorhalt des Klägers hat er unter dem 15. November 2004 ausgeführt, er sei nach reiflicher Überlegung jetzt doch zur Erkenntnis gelangt, dass ein GdB von insgesamt 50 gerechtfertigt sei. Zwischenzeitlich sei es auch zu einem Bandscheibenprolaps L 4/5 gekommen, der am 4. Oktober 2004 operiert worden sei. Postoperativ sei es zu einer starken Fußheberschwäche gekommen. Diese Schädigung werde den Kläger auf Dauer erheblich behindern.

Ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG erstellte unter dem 29. März 2006 der Facharzt für Anästhesiologie Dr. H ... Dieser führte unter anderem aus, es habe sich eine deutliche Aggravation der Beschwerden beim Gehen sowie bei den geforderten Bewegungen gezeigt. Immer wieder sei es unvermittelt zu Aufstöhnen und demonstrativer Leidensmimik gekommen. Bei der Untersuchung der Wirbelsäule sei diese unter Stöhnen altersentsprechend beweglich gewesen, an der rechten unteren Extremität habe sich im Knie ein Streckdefizit gezeigt, das Knie sei jedoch reizlos und passiv weitgehend im Normbereich beweglich gewesen, links habe keine wesentliche Pathologie bestanden. Eine ausgeprägte Fußheberschwäche bestehe rechts. Die passive Beweglichkeit der oberen Extremitäten sei insbesondere links sehr schmerzhaft geschildert worden, es hätten deutliche Krepitationen im Gelenk bestanden, die grobe Kraft und Beweglichkeit sei ansonsten normal gewesen, jedoch größtenteils nur unter Angabe von Schmerzen. Zusammenfassend hat Dr. H. ausgeführt, es bestehe eine persistierende Lumboischialgie bei Zustand nach Bandscheibenvorfall 2004 sowie operativer Nukleotomie und Hemilaminektomie im November 2004, eine Peronäusläsion mit konsekutiver Fußheberschwäche sowie neuropathischen Schmerzen im Sinne von Kribbelparästhesien, eine posttraumatische Gonarthrose bei Zustand nach Patellafraktur rechts 2000, verbunden mit Schmerzen, die sich durch eine Tibiakopffraktur im November 2005 noch verstärkt hätten. Weiterhin bestünden degenerativ bedingte Schulterschmerzen. Es sei angesichts der langjährigen Leidensgeschichte auch von einem chronischen Schmerzsyndrom auszugehen. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung habe zu psychosomatischen Reaktionen und seelischen Veränderungen geführt. In schmerztherapeutischer Hinsicht sei von einem algogenen Psychosyndrom auszugehen, die geschilderten Beschwerden nur teilweise durch objektive Befunde zu erklären. Die Gehstrecke des Klägers betrage nach seinen eigenen Angaben nur noch etwa 100 m, worunter er leide. Durch seine Funktionseinschränkungen fühle sich der Kläger im täglichen Leben benachteiligt und wolle daher zumindest die Vorteile einer entsprechend anerkannten Behinderung in Form von Erleichterungen im Straßenverkehr erhalten. Dass ihm dies bisher verweigert worden sei, führe zu einer anhaltenden seelischen Belastung. Die Beschwerden durch die persistierenden Lumboischialgien in Kombination mit der Fußheberschwäche bedingten, dass sich der Kläger nur sehr langsam und unbeholfen fortbewegen könne. Längeres Stehen sei ihm unmöglich. Der Kläger könne sich nur unter Zuhilfenahme zweier Gehstöcke fortbewegen, was zu einer starken Belastung seiner Schultern führe. Für die Lumboischialgie/das Postnukleotomiesyndrom schlage er einen Teil-GdB von 20, für die Gonarthrose von 10, für die Peronäusläsion von 10, für die Omarthrose von 10 und die Chronifizierung von 20 sowie einen Gesamt-GdB von 50 vor. Seit der Feststellung des GdB von 30 habe der Kläger mit einem Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule und einem schweren Sturz im November 2005 zwei einschneidende Ereignisse vorzuweisen, die eine andere Bewertung des GdB rechtfertigten.

Der Beklagte hat die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 12. Mai 2005 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, der Teil-GdB von 20 für die Wirbelsäule sei angesichts einer altersentsprechend freien Beweglichkeit nicht nachvollziehbar. Bei passiv freien Hüftgelenken seien die unteren Extremitäten passiv weitgehend im Normbereich beweglich. Für die Fußheberschwäche sei der Teil-GdB von 10 nachvollziehbar, entsprechendes gelte für den Teil-GdB von 20 für die Funktionseinschränkungen des Kniegelenks und von 10 für das Schultergelenk. Die "Chronifizierung" sei nicht gesondert zu bewerten, sondern in den Teilbehinderungen bereits enthalten. Insgesamt sei daher nach wie vor von einem GdB von 30 unter Annahme einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit auszugehen.

In seiner gemäß § 109 SGG abgegebenen gutachtlichen Rückäußerung vom 4. Juli 2006 hat Dr. H. ausgeführt, wenn sich auch nach der Bandscheibenoperation vom November 2004 keine radikuläre Symptomatik habe nachweisen lassen, so liege trotzdem eine erhebliche schmerzbedingte Bewegungseinschränkung vor. Auch die Folgen der schweren Verletzung des rechten Beines im November 2005 seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er sehe nach wie vor einen GdB von 50 als gerechtfertigt an.

Die Berichterstatterin des Verfahrens hat den Sach- und Streitstand am 22. August 2005 mit den Beteiligten erörtert. Auf die Sitzungsniederschrift vom gleichen Tag wird inhaltlich Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat mit der Zustimmung der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet. Ein höherer GdB als 30 ist nicht festzustellen.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).

Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).

Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers ein GdB von 30 festzustellen.

Nach den AP 2004 Nr. 26.5 S. 117 ff sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem Teil-GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Dr. H. hat bei seiner Untersuchung eine im Wesentlichen altersentsprechend bewegliche Wirbelsäule diagnostiziert. Das Schober-Zeichen von 10/15 und der Finger-Boden-Abstand von nur 15 cm sprechen für eine nur geringe Einschränkung der Beweglichkeit von Brustwirbelsäule und LWS. Deshalb ist von allenfalls geringfügigen funktionellen Auswirkungen auszugehen. Diese Beurteilung wird letztlich auch durch den Umstand bestätigt, dass der Arzt H. in seinem Gutachten Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers nicht einmal erwähnte.

Soweit Einschränkungen der Schulterbeweglichkeit links zu beurteilen sind, ist diesen mit einem Teil-GdB von 10 ebenfalls ausreichend Rechnung getragen. Nach den AP Nr. 26.5 S. 119 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel), wenn der Arm nur um 120° zu erheben ist und entsprechende Einschränkungen der Dreh- und Spreizfähigkeit vorliegen, mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Erst dann, wenn der Arm nur um 90° zu erheben ist (mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit), ist ein Teil-GdB von 20 zu rechtfertigen. Übereinstimmend mit der vä Stellungnahme und der Beurteilung durch Dr. H. und dem Arzt H. sieht der Senat die bestehenden Beschwerden und die von Dr. H. beschriebenen funktionellen Einschränkungen (Abduktion beider Arme bis zur Horizontalen möglich, Schürzengriff unvollständig, passive Beweglichkeit nach Angaben des Klägers links sehr schmerzhaft bei deutlicher Krepitation im Gelenk, normaler grober Kraft und ansonsten uneingeschränkter Beweglichkeit) mit einem Teil-GdB von 10 als zutreffend bewertet an.

Bei einem Kniescheibenbruch sind nach den AP Nr. 26.5 S. 126 nur dann Teil-GdB-Werte zu bestimmen, wenn der Bruch nicht knöchern verheilt ist, wofür im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte bestehen. Deshalb sind allein die beim Kläger bestehenden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk für die GdB-Bewertung maßgeblich. Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) bei einseitiger Einschränkung sind mit einem Teil-GdB von 0 – 10, bei beidseitiger Einschränkung mit einem Teil-GdB von 10 – 20 zu bewerten. Bewegungseinschränkungen mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90) bei einseitig eingeschränkter Beweglichkeit rechtfertigen einen Teil-GdB von 20, beidseitig eingeschränkte Beweglichkeit einen Teil-GdB von 40. Erst Bewegungseinschränkungen stärkeren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-30-90) können - bei einseitiger Einschränkung - einen Teil-GdB von 30 und bei beidseitig eingeschränkter Beweglichkeit von 50 rechtfertigen. Berücksichtigt man die Untersuchungsergebnisse von Dr. H., ist von einer nur einseitig eingeschränkten Beweglichkeit maximal mittleren Grades auszugehen, die einen Teil-GdB von 20 noch rechtfertigen kann. Bei freier Hüftgelenksbeweglichkeit konnte rechts ein Streckdefizit im rechten Bein festgestellt werden, das Knie, wenn auch berührungsempfindlich beschrieben, war objektiv reizlos und passiv weitgehend im Normbereich beweglich. Links war der Befund unpathologisch. Dies ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Prof. Dr. W. in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar, der gegenüber der Untersuchung durch Dr. C. eine deutlich verbesserte Kniegelenksbeweglichkeit feststellen konnte und für die bestehenden Behinderungen ebenfalls nur einen Teil-GdB von 20 vorgeschlagen hat. Ein höherer Teil-GdB ist daher nicht zu rechtfertigen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von Dr. H. berichteten kompletten Unterschenkelfraktur rechts vom November 2005. Eine Fragmentverschiebung ist nämlich nicht aufgetreten. Es liegen deshalb keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Fraktur dauerhafte Funktionseinschränkungen zur Folge gehabt hat.

Die Teillähmung des Nervus peronaeus communis ist mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Nach den AP Nr. 26.5 S. 128 rechtfertigen vollständige Nervenausfälle in diesem Bereich einen Teil-GdB von 30. Teilausfälle der genannten Nerven sind aber entsprechend geringer zu bewerten, so dass die bestehenden - geringfügigen - funktionellen Einschränkungen insoweit mit einem Teil-GdB von 10 angemessen beurteilt sind.

Ist damit von Seiten der Wirbelsäule von einem Teil-GdB von 20, des rechten Knies ebenfalls von 20, der Schulter und des Nervus peronaeus von je 10 auszugehen, liegen keine Anhaltspunke dafür vor, dass ein Gesamt-GdB von mehr als 30 festzustellen ist.

Aber auch unter Berücksichtigung der beim Kläger bestehenden Schmerzproblematik ist eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Zwar hat Dr. H. wegen einer "Chronifizierung" einen weiteren Teil-GdB von 20 vorgeschlagen. Dem kann sich der Senat jedoch nicht anschließen. Wie in der vä Stellungnahme zutreffend ausgeführt ist, sehen die Anhaltspunkte weder ein solches Krankheitsbild noch einen "Zuschlag" für den Fall der Chronifizierung eines Leidens vor (zumal sich Dr. H. nicht dazu geäußert hat, welche Erkrankung er als chronifiziert betrachtet wissen möchte). Geht man allerdings davon aus, dass Dr. H. weniger eine abstrakte Chronifizierung, sondern vielmehr die Schmerzproblematik mit einem eigenen Teil-GdB von 20 bewertet wissen wollte, dann ist auch dieser Schluss nach den erhobenen Befunden nicht nachvollziehbar. Dr. H. hat in der Beschreibung der Begutachtungssituation, des Verhaltens des Klägers (sowohl bei den anamnestischen Schilderungen als auch bei der Untersuchung) deutlich gemacht, dass beim Kläger ein erhebliches Aggravationsverhalten vorliegt, das von dem Wunsch getrieben wird, die Vorteile des Schwerbehindertenstatus für sich - zum Ausgleich vermeintlicher oder tatsächlicher Ungerechtigkeiten im Laufe des Lebens - in Anspruch nehmen zu können. Dass Dr. H. trotzdem unter dem 4. Juli 2006 die Meinung vertreten hat, den Angaben des Klägers, er leide unter unerträglichen Schmerzen, sei Glauben zu schenken, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Allein hat der geschilderte Wunsch des Klägers bzw. dieser Antrieb noch keinen Krankheitswert und deshalb per se auch keine Auswirkungen auf die Feststellung des GdB. Wesentlich dafür sind tatsächlich die durch eine psychische oder eine Schmerzerkrankung bedingten funktionellen und sozial-interaktiven Einschränkungen. Nach den AP Nr. 26.3 S. 48 sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Teil-GdB von 0-20 zu bewerten, erst stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert oder somatoforme Störungen, mit einem Teil-GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Allerdings sind keine Befunde aktenkundig, die beim Kläger die Annahme einer auch funktionell bedeutsamen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die über einen Teil-GdB-Wert von maximal 10 hinausgehen könnte, rechtfertigen könnten. Der Kläger ist in keiner regelmäßigen schmerztherapeutischen Behandlung, was angesichts der geklagten Beschwerden - sollten diese tatsächlich bestehen und einen Leidensdruck erzeugen - aber zu erwarten wäre. Es ist des Weiteren nicht aktenkundig, dass der Kläger beispielsweise auf die dauernde Einnahme von Schmerzmedikamenten angewiesen ist oder diese tatsächlich einnimmt.

Das vom Arzt H. berichtete Schlafapnoe-Syndrom ist nicht durch eine Untersuchung in einem Schlaflabor nachgewiesen (vgl. insoweit auch die sachverständige Zeugenaussage von Dr. M. gegenüber dem SG), so dass insoweit ein Teil-GdB nicht festgestellt werden kann (AP Nr. 26.8 Seite 70). Nur ergänzend ist daher darauf hinzuweisen, dass selbst ein mäßiges Schlafapnoe-Syndrom, als welches die beim Kläger beschriebenen Symptome von Dr. M. gedeutet worden sind, nach den AP maximal einen Teil-GdB von 0-10 rechtfertigen kann, wenn keine Notwendigkeit zu einer nasalen Überdruckbeatmung besteht, wovon hier auszugehen ist, und damit auf die Höhe des Gesamt-GdB ohne Einfluss wäre.

Soweit der Kläger möglicherweise die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen oder Vorteilen bei der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs für sich in Anspruch nehmen will (Merkzeichen "G" und "aG") liegen hierüber keine durch das Gericht zu überprüfenden Verwaltungsentscheidungen vor.

Unter Berücksichtigung dessen ist der Gesamt-GdB mit 30 zutreffend festgestellt worden, die angefochtenen Entscheidungen sind nicht zu beanstanden.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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