L 7 AS 6/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 53/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 6/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14/7b AS 36/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. April 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Der 1979 geborene Kläger beantragte am 03.01.2005 Arbeitslosengeld II. Vom 23.04.2001 bis 31.03.2004 hatte er Ethnologie an der Universität M. studiert. Seit Abbruch des Studiums studiert er seit dem Wintersemester 2004/05 an der Fachhochschule M. Bauingenieurwesen. Am 21.03.2005 meldete er sich rückwirkend zum 01.01.2005 in D. an. Nach dem vorgelegten Mietvertrag mietete der Kläger dort ein 14 qm großes Zimmer seit dem 01.01.2005 an. Die Miete beträgt insgesamt 270,00 EUR.

Mit Bescheid vom 22.10.2004 lehnte das Studentenwerk M. den Antrag des Klägers auf BAföG-Leistungen ab. Nach § 7 Abs.3 Satz 1 BAföG könne Ausbildungsförderung nicht bewilligt werden, da die bisherige Ausbildung am Ende des siebten Fachsemesters abgebrochen worden sei. Ein Fachwechsel aus unabweisbarem Grund liege nicht vor.

Mit Bescheid vom 31.01.2005 lehnte die Beklagte den Alg II-Antrag ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil der Kläger Auszubildender sei und diese Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig sei. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs.5 und 6 SGB II.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er verstehe nicht, weshalb er als Student (Bauingenieurwesen/FH) keine Leistungen nach dem SGB II erhalten könne (Regelstudienzeit acht Semester). Allein seine Vorlesungszeiten würden wöchentlich 36 Stunden betragen. Aus diesem Grund sei es ihm nicht möglich, eine Nebentätigkeit auszuüben. Er müsse mindestens 600,00 EUR monatlich verdienen, "um einigermaßen über die Runden zu kommen". Seine Ersparnisse seien aufgebraucht. Die Familienversicherung sei ihm gekündigt worden. Derzeit sei er als Student bei der AOK Bayern versichert mit einem monatlichen Beitrag von circa 54,00 EUR. Er bitte auch zu prüfen, ob ihm gegebenenfalls ein Darlehen gewährt werden könne, das er zurückzahlen werde, wenn er sein Studium beendet und eine Arbeit gefunden hätte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Insbesondere läge eine Härtefall nicht vor, weshalb auch eine Leistungsgewährung in Form eines Darlehens nicht möglich sei. Nachdem sich der Kläger nach dem Fachwechsel erst am Anfang seines Studiums befände, sei es ihm durchaus zuzumuten, die Ausbildung abzubrechen. Es seien keine außergewöhnlichen, schwerwiegenden Umstände erkennbar, die die Annahme einer besonderen Härte rechtfertigen würden. Eine Vielzahl von Studenten und Auszubildenden befänden sich in einer ähnlichen Lage wie der Kläger.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, es seien Leistungen zu gewähren, da bei ihm ein Härtefall vorläge. Er habe vorher nicht ernsthaft Ethnologie studiert und daneben in erheblichem Umfang gearbeitet. Dem entsprechend habe tatsächlich kein ernsthafter Studiengang vorgelegen, so dass insoweit auf Grund dessen, dass er daneben in großem Umfang gearbeitet habe, die Voraussetzungen für die Gewährung von BAföG weiterhin gegeben seien, so dass die Versagung der Leistungen bis zur Bewilligung der Leistungen von BAföG eine unzumutbare Härte darstellen würden. Bei den Leistungen nach dem SGB II, die als Darlehen gewährt würden, handle es sich um Beträge, die zur Existenzsicherung grundsätzlich als notwendig angesehen würden. Somit solle verhindert werden, dass ein Antragsteller obdachlos werde oder verhungere. Dem Alter nach sei er anspruchsberechtigt für Leis-tungen nach dem BAföG, da er unter 30 Jahre alt sei. Die Beklagte übernehme ohne weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit den geänderten Rahmenbedingungen die Auslegung zu § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Für diese Auslegung gebe es jedoch in den Gesetzesmaterialien keinen Anhaltspunkt. Auch der Wortlaut selbst der Norm gebe für eine entsprechende Auslegung des § 7 Abs.5 SGB II nichts her. Insgesamt werde die Auffassung vertreten, dass es für die Frage nach dem "Grunde nach" nicht auf die Art der Ausbildung, sondern auf die Person ankomme. Wenn, wie hier, das Studium ernsthaft, zielgerichtet und arbeitsmarktorientiert durchgeführt werde, dürften Leistungen in Form eines Darlehens nicht versagt werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.04.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen. § 7 Abs.5 SGB II bestimme, dass Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben und dass in besonderen Härtefällen Leis-tungen als Darlehen geleistet werden können. Die Vorschrift sei hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen wortgleich mit § 26 BSHG. Nach dem Wortlaut werde entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die Person, sondern auf die Förderungsfähigkeit der Ausbildung abgestellt. Das Studium des Klägers an der Fachhochschule sei nach § 2 Abs.1 BAföG eine förderungsfähige Ausbildung. Die Ablehnung von BAföG-Leistungen für den Kläger sei nach § 7 Abs.1 BAföG wegen des Abbruchs des begonnenen Studiums der Ethnologie und des Fachrichtungswechsels nach dem siebten Fachsemester und nicht wegen fehlender Förderungsfähigkeit der Ausbildung erfolgt. Nach ständiger Rechtsprechung zu § 26 BSHG sei maßgeblich auf die grundsätzliche Förderungsfähigkeit einer konkreten Ausbildung abzustellen und nicht darauf, ob der Student tatsächlich BAföG erhalte. An diesem Regelausschluss für grundsätzlich Anspruchsberechtigte halte § 7 Abs.5 SGB II fest. Die Förderung der Ausbildung solle danach nach wie vor im bisherigen Umfang außerhalb der Regelungen des SGB II und des SGB XII erfolgen. Die nahezu wortgleiche Übernahme der Vorschrift zeige, dass der Gesetzgeber keine Korrektur beabsichtigt habe. Ein besonderer Härtefall nach § 7 Abs.5 Satz 2 SGB II, auf Grund derer die Gewährung von Leistungen darlehensweise möglich wäre, läge nicht vor. Ein besonderer Härtefall sei nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu § 26 BSHG nur dann anzunehmen, wenn der Ausschluss der Leistung übermäßig hart, das heißt unzumutbar oder in hohem Maße unbillig sei, insbesondere wenn eine Sicherung des Lebensunterhaltes durch die Aufnahme einer Arbeit unzumutbar oder ein bestehender Anspruch auf BAföG noch nicht realisierbar sei. Der vom Gesetz gewollte Ausschluss von Sozialleistungen außerhalb des BAföG begründe dabei keinen Härtefall. Eine besondere Härte sei nur anzunehmen, wenn wegen besonderer Belastungen eine Sondersituation für den Betreffenden bestehe, die über die normale Belastung der Notwendigkeit, neben dem Studium Geld zu verdienen oder dieses zu unterbrechen, hinausgehe. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Er befinde sich im ersten Fachsemester und habe bereits früher seinen eigenen Angaben gemäß in erheblichem Umfang gearbeitet. Auf die Wohnung in D. sei er nicht angewiesen, da er über einen weiteren Wohnsitz in M. bei der für ihn Kindergeldberechtigten verfüge. Rechtsfehlerfrei habe die Beklagte eine darlehensweise Gewährung bis zum Abschluss des Regelstudiums nach dem achten Fachsemester abgelehnt, da die Unterbrechung eines Studiums oder die Erwerbstätigkeit neben dem Studium nur dann zu einem besonderen Härtefall führen könne, wenn der Studienabschluss kurz bevorstehe.

Zur Begründung der Berufung führt der Kläger aus, er wolle schnell und zeitnah sein Studium abschließen. Das Studium sei sehr verschult und der Stundenplan sehr straff. Es bleibe ihm keine Zeit, in zumutbarer Weise einer Beschäftigung nachzugehen. Die Semesterferien würden voraussichtlich stets mit Praktika gefüllt sein. Das SG habe nicht hinreichend geprüft, ob aufgrund der erstinstanzlichen Angaben ein Härtefall gegeben sei, der eine darlehensweise Gewährung rechtfertige. Hierbei handle es sich um eine Ermessenentscheidung, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sei. Hier hätte die Behörde angesichts der Unterschiede in Bezug auf das abgebrochene und das neu begonnene Studium, nach pflichtgemäßem Ermessen ein Darlehen gewähren müssen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 14.04.2005 sowie des Bescheides vom 31.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld II als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen ab Januar 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass es keine Besonderheit sei, dass Auszubildende durch das Studium bzw. eine betriebliche Berufsausbildung einen Berufsabschluss erreichen würden. Auch wenn durch eine abgeschlossene Ausbildung die Chancen der dauerhaften beruflichen Eingliederung unzweifelhaft höher seien, als bei ungelernten Arbeitskräften, sei es vom Gesetzgeber gewollt, dass Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG bzw. der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig sei, keine Leistungen nach dem SGB II erhalten könnten. Aufgrund der derzeitigen und vorausschauenden Betrachtung der Arbeitsmarktlage könne auch nicht garantiert werden, dass bei Abschluss des Studiums des Bauingenieurwesens die Hilfebedürftigkeit dauerhaft beendet werde. Dies werde auch dadurch belegt, dass derzeit nicht in unerheblichem Umfang Personen mit diesem Berufsabschluss arbeitslos gemeldet seien.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zu Recht hat das SG München mit Gerichtsbescheid vom 14.04.2005 die Klage abgewiesen, da der Bescheid vom 31.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 der Sach- und Rechtslage entspricht. Denn dem Kläger steht Alg II nicht zu.

Nach § 7 Abs.5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach § 7 Abs.1 Satz 2 SGB II können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden.

Durch § 7 Abs.5 SGB II wurden die Regelungen des (früheren) § 26 BSHG bzw. des (neuen) § 22 SGB XII übernommen. Ebenso wie in § 26 BSHG und § 22 SGB XII kommt es nur darauf an, dass die Ausbildung dem Grunde nach gefördert werden kann, auch wenn der Betroffene konkret (aus den unterschiedlichsten Gründen etwa wie hier wegen eines Fachrichtungswechsels gemäß § 7 Abs.3 BAföG) keinen Anspruch auf BAföG hat. Entsprechend der Rechtsprechung zu dem früheren § 26 BSHG soll die Förderung der Ausbildung nach wie vor im bisherigen Umfang außerhalb des SGB II und des SGB XII erfolgen. Insgesamt hat der Gesetzgeber durch die nahezu wortgleiche Übernahme der Vorschrift keine Korrektur vorgenommen. Nach der Rechtsprechung zu § 26 BSHG ist maßgeblich auf die grundsätzliche Förderungsfähigkeit einer konkreten Ausbildung abzustellen und nicht darauf, ob der Student tatsächlich BAföG erhält (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.05.1993 - FEVS 44, 138; BVerwGE 71, 12, 14,; 91, 254, 255, 94, 224).

Hier liegt auch kein besonderer Härtefall nach § 7 Abs.5 Satz 2 SGB II vor. Abs.5 Satz 2 entspricht auf der Tatbestandseite § 26 Abs.1 Satz 2 BSHG, nach dem ebenfalls in besonderen Härtefällen Sozialhilfe als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden konnte. Im Grundsatz geht es darum, ob hier jeweils lediglich auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist, mit der Folge, dass eine unzumutbare Härte oder Unbilligkeit nur unter Abstellen auf die konkreten Einzelumstände zu beurteilen wäre. So ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass eine Härte im Sinne des § 26 Abs.1 Satz 2 BSHG nur vorliege, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgingen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen wurde. Demgegenüber wurde vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg (Urteil vom 26.06.2002 - 4 LB 35/02 - FEVS 54, 379) die Notwendigkeit einer typisierten Betrachtungsweise hervorgehoben, nach der in besonderen Fallgruppen regelmäßig von einem Härtefall ausgegangen werden könne. Denkbare Fallgestaltungen waren danach - die Verlängerung der Dauer der Ausbildung wegen der Geburt und Erziehung eines Kindes über die Förderungsdauer hinaus, ein extrem niedriger, den Grundbedarf nicht deckender BAföG-Satz, zu lange Studien- oder Ausbildungsdauer wegen Krankheit, Behinderung etc. - und der Student sich in einer Examensphase oder kurz vor Beendigung der Ausbildung befunden hat. Ein derartiger Sachverhalt ist hier jedoch nicht vorliegend. Zwar ist zu berücksichtigen, dass Abs.5 Nr.2 und § 22 Abs.1 Satz 2 SGB XII nur auf der Tatbestandseite identische Regelungen enthalten, die Rechtsfolgen im SGB XII aber insofern großzügiger sind, als auch die Gewährung einer Beihilfe in Betracht kommt. Demgegenüber können Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Abs.5 Satz 2 SGB II bei Vorliegen eines Härtefalls nur als Darlehen erbracht werden. Insgesamt stellt dies somit zwar eine deutliche Verschlechterung der Rechtslage für die Studenten und Auszubildenden bei Vorliegen eines Härtefalls dar, der Gesetzgeber hat sich aber zu dieser Regelung entschlossen. Hinzu kommt, dass sich der Kläger im ersten Fachsemester befindet und auch bereits früher seinen eigenen Angaben gemäß in erheblichem Umfang gearbeitet hat. Auf die Wohnung in D. ist er nicht angewiesen. Widersprüchlich ist von daher sein Vorbringen, dass in D. lediglich sein zweiter Wohnsitz sein solle, wohingegen er im weiteren Verfahrensverlauf angab, dass nunmehr D. sein erster Wohnsitz sei. Letztlich kann es aber darauf nicht ankommen, weil nach § 36 Satz 1 SGB II entscheidend ist, wo der Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Somit war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 14.04.2005 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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