L 6 U 2088/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 7038/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2088/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als Berufskrankheiten.

Der Kläger ist 1962 geboren. Nach dem Abitur besuchte er 1983/1984 die Freie Kunstschule S., nahm darauf eine Lehre zum Glasmaler auf, die er aber nach 6 Monaten abbrach. Von 1985 bis 1990 studierte er das Fach Kunsterziehung an der Akademie der Bildenden Künste in K., von 1990 bis 1992 Anglistik in F. und nach einem längeren Auslandsaufenthalt war er von 1993 bis 1995 Referendar für die Fächer Englisch und Kunst an einem Gymnasium. Das Referendariat ist noch nicht abgeschlossen. Seitdem ist der Kläger als Künstler auf dem Gebiet der Malerei und Musik sowie als Übersetzer tibetischer Texte und mit der Abfassung von Gedichten freischaffend tätig.

Im August 2003 wandte er sich an die Beklagte und teilte dieser mit, er habe sich ca. 1988 in der Akademie der Bildenden Künste K. eine Überempfindlichkeit gegen Lösungsmittel und andere Stoffe zugezogen und möchte deshalb auf Anraten des Gesundheitsamts eine Rente wegen einer Berufskrankheit beantragen.

Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen auf. In dem ihm übersandten Fragebogen führte der Kläger u.a. aus, eine erste exakte Diagnose sei 1989/1990 von einem tibetanischen Arzt gestellt worden. Eine zweite exakte Diagnose habe Dr. S. gestellt. Er habe auch auf dessen Anraten die Behandlung mit tibetanischer Medizin fortgesetzt. Die Beklagte zog weiter die Akten des Rentenversicherungsträgers bei, da der Kläger auch einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt hatte, der allerdings wegen fehlender Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt worden war (Bescheid vom 25. Februar 2003). Die Beklagte zog beim Arzt für Radiologie Dr. H. den Arztbrief über die beim Kläger durchgeführte SPECT-Untersuchung (Emissions-Tomographie) vom 29. Juli 2003 bei, die von Dr. S. zur Sicherung der Fragestellung, ob eine toxische Encephalopathie, Exposition gegenüber Lösungsmittel oder eine Perfusionsstörung vorliege, in Auftrag gegeben worden war. Sie zog u.a. auch die vom Staatlichen Gesundheitsamt S. gefertigten amtsärztlichen Stellungnahmen vom 30. Juli 2001 und 27. Mai 2003 bei (es bestehe aus organisch-körperlicher Sicht keine wesentliche Belastungs- und Funktionseinschränkung; es gebe keinen fassbaren Beleg für die vom Kläger behauptete Schädigung durch Umweltbelastungen; ein Leidensdruck dergestalt, dass der Kläger nach Hilfen und Therapien suche, bestehe nicht).

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD), Technischer Aufsichtsbeamter Dr. S. führte in Anwesenheit des Klägers und des Rektors der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste K. am 19. April 2004 einen Ortstermin durch (Schloss S., K.). Dieser führte zusammenfassend aus, dass selbst bei einer "worst-case-Betrachtung" die zulässigen Grenzwerte für die Belastung mit Lösemitteln nicht überschritten worden seien.

Die Unfallkasse Hessen, für die Zeit des Besuchs der Glasfachschule zuständiger Unfallversicherungsträger, führte in ihrer Stellungnahme vom 25. Mai 2004 aus, der Kläger sei in der Zeit vom 27. August 1984 bis 19. März 1985 Schüler der Glasfachschule gewesen. Aufgrund des großen zeitlichen Abstands von fast 20 Jahren sei eine exakte Ermittlung der Exposition nicht mehr möglich. Die Angaben erfolgten daher aufgrund von Erinnerungen des Schulleiters und ehemaligen Lehrers des Klägers sowie Rückschlüssen aus der derzeitigen Ausbildungssituation. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass eine schädigende Einwirkung durch Lösemittel nicht vorgelegen habe. Eine mögliche Belastung durch Blei und Cadmium müsse medizinisch abgeklärt werden.

Die Beklagte ließ den Kläger bei Prof. Dr. N., den er als Wunschgutachter angegeben hatte, arbeitsmedizinisch untersuchen. In seinem Gutachten vom 3. April 2005 führte dieser zusammenfassend aus, beim Kläger lägen umweltbezogene Gesundheitsbeschwerden bei Verdacht auf Somatisierungsstörung, rezidivierende Lumboischialgien und anamnestisch eine Neurodermitits vor. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine auffälligen Befunde gezeigt, insbesondere auch nicht bei der Lungenauskultation. Labortechnisch sei auch kein pathologischer Befund zu erheben gewesen. Objektive Befunde, die die vom Kläger vorgetragenen linksseitigen Sensibilitätsstörungen begründen könnten, hätten nicht erhoben werden können. Der Neurostatus habe weder Anhaltspunkte für eine zentrale Schädigung noch für eine Polyneuropathie, eine lösemittelbedingte Encephalopathie oder eine obstruktive Atemwegserkrankung ergeben. Dem Kläger sei zu einer stationären psychosomatischen Therapie geraten worden, die von ihm allerdings abgelehnt worden sei.

Der Kläger wandte sich gegen das Gutachten und die durchgeführten Untersuchungen in einem ausführlichen Schreiben.

Der Staatliche Gewerbearzt schlug keine Berufskrankheit (BK) zur Anerkennung vor.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2005 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Erkrankungen als BK, insbesondere nach Nr. 1317 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV), ab. Weder liege eine obstruktive Atemwegserkrankung noch das Krankheitsbild einer Enzephalopathie bzw. Polyneuropathie vor. Auch eine Anerkennung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII komme nicht in Betracht.

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2005 zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 9. November 2005 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) und brachte zur Begründung im Wesentlichen seine Einwände gegen das Gutachten von Prof. Dr. N. vor. Er übersandte umfangreiche Stellungnahmen und Auszüge aus Schriftverkehren. Durch Gerichtsbescheid vom 14. März 2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, es könne nicht beanstandet werden, dass sich die Beklagte auf das Gutachten von Prof. Dr. N. gestützt habe. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers. Mit Beschluss vom 14. März 2006 lehnte das SG auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ab, da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete.

Gegen den am 24. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger per Computerfax (ohne Unterschrift) beim SG am 27. März 2006 Berufung eingelegt und zugleich Beschwerde gegen den ablehnenden PKH-Beschluss erhoben. Dieser Beschwerde hat das SG nicht abgeholfen (Beschluss vom 10. April 2006) und sie dem Senat zur Entscheidung (L 6 U 2089/06 PKH-B) vorgelegt. Mit Beschluss vom 11. Mai 2006 hat der Senat die Beschwerde zurückgewiesen.

In der Sache wiederholt der Kläger das bisherige Vorbringen.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. März 2006 sowie den Bescheid vom 15. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Erkrankungen als Berufskrankheiten, insbesondere nach Nrn. 1317 und 4302 der Anlage zur BKV, hilfsweise wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, insbesondere liegt keine verfristete Einlegung vor (§ 151 SGG).

Dabei kann es offen bleiben, ob der per Computerfax dem SG übersandte, aber nicht mit einer eigenhändigen Unterschrift des Klägers versehene Schriftsatz vom 27. März 2006 den Zulässigkeitserfordernissen des § 151 SGG ("schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle") entspricht (vergleiche Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 151 Rn. 3). Denn jedenfalls wäre dem Kläger von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren, wollte man erst den Schriftsatz vom 29. April 2006 als ordnungsgemäß unterzeichnete Berufungsschrift ansehen. Der Kläger hat durch Computerfax vom 27. März 2006 gegenüber dem SG Berufung und zugleich Beschwerde eingelegt. Das SG hat den Kläger aber nicht darauf hingewiesen, dass das nicht unterschriebene Computerfax möglicherweise den Anforderungen an die zulässige Einlegung einer Berufung oder Beschwerde nicht genügt. Vielmehr hat es erst mit Bezugsschreiben vom 4. April 2006, bei Gericht eingegangen am 21. April 2006, diesen Schriftsatz mit Akten vorgelegt. Auf Hinweis des Gerichts vom 27. April 2006, dass das Computerfax keine Unterschrift trage und dies aber zur Fristwahrung erforderlich sein könne, hat der Kläger umgehend den unterschriebenen Schriftsatz vom 29. April 2006 übersandt, so dass die eventuell versäumte Rechtshandlung nachgeholt wäre.

Die danach zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Beim Kläger liegt keine BK oder eine wie eine BK anzuerkennende Erkrankung vor.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

In Nr. 1317 der Anlage zur BKV sind Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, in Nr. 4302 der Anlage zur BKV durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Erkrankungen erfasst.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Es muss sich also um Erkrankungen handeln, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; die Bundesregierung kann bestimmen, dass Krankheiten nur dann BKn sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Für die Gewährung einer Rente wegen einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Sowohl hinsichtlich der haftungsbegründenden als auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom 28.03.2003 B 2 U 33/03 R).

Vorliegend sprechen die aktenkundigen ärztlichen Befundberichte, Untersuchungsergebnisse und sonstigen ärztlichen Meinungsäußerungen, insbesondere auch das Ergebnis des Gutachtens von Prof. Dr. N. gegen das Vorliegen einer BK nach Nr. 1317 oder 4302 der Anlage zur BKV oder gar einer BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII, da weder eines der in der BKV aufgeführten Krankheitsbilder nachgewiesen ist, noch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die es rechtfertigen würden, das Krankheitsbild des Klägers wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen. Die Einwände des Klägers, die er bereits erstinstanzlich gegen das Gutachten von Prof. Dr. N. vorgebracht hat und sinngemäß auch im Berufungsverfahren wiederholt, vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

Daher kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich an der Akademie der Bildenden Künste in K. oder an einer anderen Arbeitsstelle zulässige Grenzwerte (nicht) eingehalten worden sind, d.h. ob bereits die haftungsbegründende Kausalität für die Anerkennung einer BK zu bejahen oder zu verneinen ist. Denn selbst wenn diese bejaht würde, also von einer ausreichenden Belastung auszugehen wäre, scheiterte die Anerkennung am fehlenden Krankheitsbild, jedenfalls aber daran, dass der Zusammenhang zwischen einer - insoweit unterstellten beruflichen Belastung - und dem beim Kläger bestehenden Krankheitsbild, das nach Meinung der befassten Ärzte auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet einzuordnen ist, nicht wahrscheinlich ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das beim Kläger auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet bestehende Krankheitsbild nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit verursacht ist, sodass unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Anerkennung der Erkrankung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGG möglich ist.

Anlass zu weiteren Ermittlungen, insbesondere auch auf arbeitstechnischem Fachgebiet, bestand daher nicht.

Daher war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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