L 3 R 8/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
11 RA 459/99
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 8/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2004 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 22. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 1999 wird – soweit er nicht bereits durch Erklärung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2004 modifiziert worden ist – aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Kläger als Arbeitgeber an die Beklagte bestimmte Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen hat.

Die Beklagte führte im April 1998 gemäß § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1997 durch. Mit Bescheid vom 22. April 1998 stellte sie fest, dass für einige Mitarbeiter die Geringfügigkeitsgrenzen überschritten worden seien und für Aushilfskräfte keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Es sei gemäß § 28 f SGB IV ein Summenbeitragsbescheid zu erteilen, da der Kläger Aufzeichnungspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Der Bescheid könne insoweit später widerrufen werden, als nachträglich Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgeltes nachgewiesen werde.

Mit Bescheid vom 4. August 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus, die sich aus der Betriebsprüfung ergebende Beitragsnachforderung in Höhe von insgesamt 27.020,88 DM bleibe bestehen. Aus den Sachkonten und den Unterlagen über eine Nachversteuerung von Aushilfslöhnen gehe hervor, dass an verschiedene nicht namentlich aufgeführte Aushilfen Löhne gezahlt worden seien, und zwar

im Jahre 1994 in Höhe von 15.622,50 DM, im Jahre 1995 in Höhe von 8.838,00 DM, im Jahre 1996 in Höhe von 23.279,77 DM und im Jahre 1997 in Höhe von 8.208,43 DM.

Für diese Aushilfen seien keine Lohnkonten und Stundennachweise geführt und keine Nachweise über eine Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht aufbewahrt worden. Meldungen für diese Arbeitnehmer habe man nicht abgegeben.

Beschäftigte Arbeitnehmer unterlägen nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Arbeitsentgelts der Rentenversicherungspflicht. In der Krankenversicherung trete hingegen Versicherungspflicht nur ein, wenn die Betreffenden gegen Arbeitsentgelt beschäftigt würden. Versicherungspflichtig nach dem Arbeitsförderungsgesetz bzw. dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – seien gegen Entgelt Beschäftigte, soweit sie nicht unter bestimmten Voraussetzungen versicherungsfrei seien. Die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung erstrecke sich auf alle Personen, die Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung seien. Nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über die Durchführung der Beitragsüberwachung und die Auskunfts- und Vorlagepflichten (BÜVO) habe der Arbeitgeber Unterlagen, aus denen sich die für die Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht maßgebenden Angaben ergäben, zu den Lohnunterlagen zu nehmen. Erfülle er diese Pflicht – wie hier der Kläger – nicht, so sei ein Summenbeitragsbescheid zu erteilen.

Der Widerspruchsbescheid ist am 6. August 1999 zur Post gegeben worden. Am 3. September 1999 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Der Kläger hat vorgetragen, die für zwei bestimmte Mitarbeiter geforderten Beiträge seien nicht strittig. Allerdings hätte die Beklagte auf ansonsten angeblich gezahlte Löhne Sozialversicherungsabgaben nicht berechnen dürfen. Er sei in den fraglichen Jahren häufig im Ausland gewesen und habe anderen Personen die Betriebsführung übertragen. Dabei müsse es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein; er vermute auch, dass man ihm in strafrechtlich relevanter Weise habe schaden wollen. In den Sachkonten ersichtliche Aushilfskräfte seien tatsächlich für ihn nicht tätig gewesen. Es könne sich allenfalls um versicherungsfreie Studenten gehandelt haben, die Werbezettel für das von ihm betriebene Waschcenter verteilt hätten. Es sei schon fraglich, ob überhaupt Löhne geflossen seien. Er weise darauf hin, dass im Jahr 1997 in seinem Büro Überweisungsträger und Schecks gestohlen worden seien.

Der Kläger hat dem Sozialgericht zahlreiche Quittungen vorgelegt, die nach seiner Darstellung einen Teil der Lohnsumme betrafen und belegten, dass es sich bei den fraglichen Personen um versicherungsfrei Beschäftigte gehandelt habe.

Das Sozialgericht hat die Studentin K. V. als Zeugin vernommen. Die Beklagte hat aufgrund dieser Zeugenaussage sowie deswegen, weil der Kläger hinsichtlich zweier Beschäftigter ihre Forderung als unstreitig anerkannt hatte, ihre Gesamtforderung auf nunmehr noch 24.265,52 DM reduziert.

Mit Urteil vom 26. August 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, aufgrund der von der Beklagten durchgeführten Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass für vom Kläger geleistete Lohnzahlungen keine Meldenachweise zur Sozialversicherung, Stundennachweise oder andere Unterlagen über den versicherungsrechtlichen Status der damals Beschäftigten vorgelegen hätten. Die Beklagte sei daher zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Beschäftigungsverhältnissen grundsätzlich um versicherungspflichtige Beschäftigungen gehandelt habe (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV). Hierfür hätte der Kläger Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen. Die sich aus § 28 e SGB IV ergebende Zahlungspflicht habe er nicht erfüllt, so dass die Beklagte die Sozialversicherungsbeiträge habe nachfordern dürfen. Der Kläger wäre zur Zahlung nur dann nicht verpflichtet, wenn es sich, wie er angegeben habe, bei den Empfängern der Lohnzahlungen nicht um versicherungspflichtig Beschäftigte, sondern um versicherungsfrei tätige Personen gehandelt habe. Auf einen solchen Umstand berufe er sich ohne Erfolg, denn er sei seinen aus § 28 f SGB IV sich ergebenden Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten nicht nachgekommen. Dementsprechend habe die Beklagte auch einen so genannten Summenbescheid erlassen dürfen.

Das Urteil ist dem Kläger am 20. Dezember 2004 zugestellt worden. Am 20. Januar 2005 hat er Berufung eingelegt.

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, er habe mit Ausnahme der Mitarbeiter S. und W., die mit der Überwachung seines Betriebs beauftragt gewesen seien, keine versicherungspflichtigen Aushilfen beschäftigt. Seine ehemaligen Büroangestellten S. B. und U. D. seien beauftragt gewesen, während seiner Auslandsaufenthalte die Verteilung von Werbezetteln durch versicherungsfreie Personen zu organisieren. Sie hätten sich von der studentischen Arbeitsvermittlung geeignete Personen nachweisen lassen sollen, was sie auch getan hätten. Er bestreite, dass verbuchte Vergütungen an Nichtstudentische Mitarbeiter gezahlt worden seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. April 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. August 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Das Gericht hat die vom Kläger benannte Zeugin S. B. informatorisch befragt (vgl. Vermerk vom 11. September 2006, Bl. 300 der Prozessakten). Nach deren Aussage, mit deren Verwertung sich sowohl der Kläger als auch die Beklagte einverstanden erklärt haben, waren die für den Betrieb des Klägers angeworbenen Hilfskräfte ausschließlich Studenten. Gelegentlich hätten auch reguläre Mitarbeiter des Waschsalons ausgeholfen, Werbezettel zu verteilen, nämlich die Mitarbeiter H., S., W. und F ...

Über die sich aus den vom Kläger vorgelegten Quittungen ergebenden Personen hat der Senat Ermittlungen angestellt. Soweit diese überhaupt noch ausfindig gemacht werden konnten, hat sich dabei ergeben, dass sie nach ihren Angaben entweder nie für den Kläger gearbeitet hatten (J. H1), sich an die Sache nicht erinnern können (B1 M.), dass sie den Vorgang nicht kennen (D1 S1) oder dass sie nur in sehr geringem Umfang tätig waren (E. M1). Auch hat sich nicht ergeben, dass die von den Aushilfskräften W., S., H. und F. zusätzlich übernommenen Aushilfstätigkeiten nennenswerten Umfang gehabt hätten.

Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist auch, soweit die Beklagte nicht ohnehin die angefochtenen Bescheide mittlerweile modifiziert hat, begründet.

Allerdings sprach zunächst vieles dafür, dass die Voraussetzungen zum Erlass eines so genannten Summenbescheides gemäß § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung im August 1999 gegeben gewesen waren, weil im Betrieb des Klägers die sich aus dem Gesetz ergebenden Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten möglicherweise nicht ernst genommen worden sind. Auf die von ihm im vorliegenden Gerichtsverfahren hervorgehobenen und erstmals im Prozess genannten tatsächlichen Gesichtspunkte (insbesondere, dass keine versicherungspflichtigen Aushilfen beschäftigt gewesen seien), wäre es daher nicht angekommen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2002, BSGE, Bd. 89, S. 158). Er hätte sein Begehren infolgedessen nur in einem speziellen Widerrufsverfahren nach § 28 f Abs. 2 Satz 5 SGB IV verfolgen können. Diese rechtliche Überlegung steht im vorliegenden Falle einem Erfolg der Klage jedoch nicht entgegen. Der Kläger hat nämlich geltend gemacht, dass im Summenbescheid berücksichtigte angeblich von ihm beschäftigte Personen nie für ihn tätig gewesen seien und dass in diesem Zusammenhang auch strafrechtliche Verfehlungen gegen ihn vorgekommen seien. Der Senat hält unter diesen Voraussetzungen einen Summenbeitragsbescheid nicht für zulässig, zumal seine Ermittlungen ergeben haben, dass, wie im Tatbestand ausgeführt, sich mehrere der betroffenen Personen an eine Tätigkeit für den Kläger nicht mehr erinnern können oder sogar angeben, tatsächlich nie für ihn gearbeitet zu haben (so J. H1 in seinem Schreiben vom 5. Mai 2005, Bl. 233 der Prozessakten). Im Falle des J. H1 kommt hinzu, dass sich seine Unterschrift im Schreiben an das Gericht vom 5. Mai 2005 so stark von der Unterschrift auf der dem Kläger zur Last gelegten Quittung unterscheidet, dass der Verdacht des Klägers, es seien möglicherweise Quittungen zu seinem Nachteil gefälscht worden, nicht abwegig ist.

Scheidet aber der Erlass eines Summenbescheides nach § 28 f SGB IV aus, so kann an dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen nicht vorbei gesehen werden, die für die ermittelten Personen durchweg ergeben haben, dass allenfalls eine geringfügige Beschäftigung vorgelegen hat, die nach den von der Beklagten im Widerspruchsbescheid zutreffend benannten Vorschriften eine Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung nicht begründet hätte. Im Zusammenhang mit den glaubhaften Ausführungen der Zeugin B., die versichert hat, die angeworbenen Hilfskräfte seien ausschließlich Studenten gewesen, steht daher zur Überzeugung des Senats fest, dass die ursprünglich als eine Beitragspflicht begründend vermuteten Sachverhalte sich so nicht zugetragen haben. Der Beitragsbescheid der Beklagten war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved