L 13 AL 2983/06 PKH-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 2983/06 PKH-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren L 13 AL 2980/06 wird abgelehnt.

Gründe:

Der zulässige Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt M. für das Berufungsverfahren L 13 AL 2980/06 ist unbegründet.

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Bejahung einer Erfolgsaussicht genügt eine Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei dürfen an die Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Bundesverfassungsgericht NJW-RR 2004, 993 und NJW-RR 2005, 500). Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das unter dem Aktenzeichen L 13 AL 2980/06 geführte Berufungsverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2004 erweist sich - nach der hier nur vorzunehmenden summarischen Prüfung - als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage des angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheids ist § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch unter anderem dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2; SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Das Außerachtlassen von Hinweisen in einem Merkblatt ist im allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand die Erläuterungen nicht verstanden hat (BSGE 44, 264, 273). § 330 Abs. 2 SGB III bestimmt unter anderem für den Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, dass der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts tritt damit an die Stelle der gemäß § 45 SGB X eigentlich vorgesehenen Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung.

Die Voraussetzungen für die Teilrücknahme liegen nach diesen Vorschriften vor. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die zurückgenommenen Bescheide teilweise rechtswidrig waren, weil dem Kläger in der Zeit vom 26. Juli 2002 bis zum 3. November 2003 ein höheres Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld gewährt wurde, als ihm zustand. Denn für die Ermittlung des Bemessungsentgelts war anstelle eines tatsächlich erzielbaren Arbeitseinkommens in Höhe von 16,- DM je Stunde versehentlich ein erzielbares Arbeitseinkommen von 16,- EUR je Stunde und damit bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden ein zu hohes wöchentliches Bemessungsentgelt zugrunde gelegt worden.

Der Kläger hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt diese Rechtswidrigkeit auch kennen müssen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Bevor der Kläger im Juli 2000 die Verbüßung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt R. antrat, hatte er zuletzt bis November 1998 als Arbeiter in einer Konditorei gearbeitet und im Jahr 1998 ein Bruttoarbeitsentgelt zwischen 2103,- DM und 2592,- DM monatlich erzielt. Von Januar 2000 bis 11. März 2000 bezog er Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 237,51 DM und anschließend bis zum 2. April 2000 Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 209,79 DM. Im Anschluss hieran war er in der Zeit vom 3. April 2000 bis zum 28. Juli 2000 als Produktionshelfer beschäftigt, wobei er bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 bis 40 Stunden im April einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 1.875,00 DM, im Mai 2000 in Höhe von 2.348,10 DM, im Juni 2000 in Höhe von 2.166,83 DM und zuletzt im Juli 2000 in Höhe von 1.913,63 DM erzielte. Nach seiner Haftentlassung erhielt der Kläger zunächst aufgrund des Bescheids vom 8. August 2002 vom 26. Juli 2002 bis zum 1. November 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 213,85 EUR. Danach bezog er vom 2. November 2002 bis zum 31. Dezember 2002 aufgrund des Bescheids der Beklagten vom 20.12.2002 Unterhaltsgeld in Höhe von 213,85 EUR wöchentlich und vom 01. Januar 2003 bis zum 2. November 2003 aufgrund der Bescheide vom 18. Januar 2003 und vom 3. Februar 2003 in Höhe von wöchentlich 212,38 EUR. Dem Kläger musste es sich vor dem Hintergrund seiner Einkommensverhältnisse vor Haftantritt aufdrängen, dass ihm nach der Haftentlassung weder ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 213,85 EUR (entspricht 418,25 DM), noch im Anschluss hieran ein wöchentliches Unterhaltsgeld in gleicher Höhe zustehen konnte. Denn dieser wöchentliche Betrag war fast um das Doppelte höher als das wöchentliche Arbeitslosengeld, das der Kläger Anfang des Jahres 2000 erhalten hatte, und kommt sogar dem Bruttoarbeitsentgelt nahe, welches der Kläger im April 2000 erzielt hat; es war höher als das Nettoentgelt aus den letzten Beschäftigungen.

Soweit der Kläger geltend macht, dass er schon aufgrund der Bezeichnung der ihm gewährten Leistung als Unterhaltsgeld habe davon ausgehen können, dass dies sein früheres Arbeitseinkommen in vollem Umfang ersetzen solle und dementsprechend auch höher sein müsse, als das Arbeitslosengeld, kann dies schon deshalb nicht überzeugen, weil er unmittelbar vor der Gewährung von Unterhaltsgeld in gleicher Höhe Arbeitslosengeld erhalten hat und bereits beim Bezug des Arbeitslosengeldes hätte erkennen müssen, dass dieses zu hoch war. Die ihm mit den zurückgenommenen Bescheiden übersandten Hinweise waren entgegen seinem Vorbringen auch nicht missverständlich. Sie ließen insbesondere den vom Kläger gezogenen Schluss, dass die Höhe des Bemessungsentgelts durch eine Rechtsverordnung allgemein auf 610,- EUR festgesetzt ist, nicht zu. Der Hinweis unter Nr. 4, auf den sich der Kläger bezieht, lautet: "4. Leistungsentgelt

Zu allen Bemessungsentgelten hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Rechtsverordnung die Leistungsentgelte bestimmt. Dazu hat es entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die bei Arbeitnehmern üblicherweise anfallenden Abzüge unter Berücksichtigung der maßgeblichen Lohnsteuerklasse ermittelt und vom Bemessungsentgelt abgezogen. Auf diese Weise ergeben sich die in der Rechtsverordnung enthaltenen Leistungsentgelte als rechnerische Nettoentgelte. Wegen teilweiser Pauschalierung der Abzüge stimmen diese nicht unbedingt mit Ihrem tatsächlichen Nettoentgelt überein.

Die o. a. Rechtsverordnung berücksichtigt zur Bestimmung des Leistungsentgelts folgende Abzüge:

Bemessungsentgelt 610.00 EUR

Lohnsteuer — 113.55 EUR Solidaritätszuschlag — 6.24 EUR Kirchensteuer — 9,08 EUR Beitrag zur Krankenversicherung — 42,70 EUR Beitrag zur Pflegeversicherung — 5,19 EUR Beitrag zur Rentenversicherung — 59.48 EUR Beitrag zur Arbeitsförderung — 19.83 EUR (früher: Arbeitslosenversicherung) Leistungsentgelt = 353.93 EUR

Beachten Sie bitte, dass die o.a. Abzüge nur der Berechnung des Leistungsentgelts dienen; der Abzug der Kirchensteuer wird hier unabhängig von einer Konfessionszugehörigkeit berücksichtigt, da er bei der Mehrheit der Arbeitnehmer anfällt. Das Unterhaltsgeld selbst ist eine steuerfreie Entgeltersatzleistung, von der weder Lohn- noch Kirchensteuer abgeführt werden."

Aus diesem Hinweis ergibt sich entgegen des Vortrags des Klägers eindeutig, dass in der Rechtsverordnung lediglich das Leistungsentgelt und nicht das Bemessungsentgelt geregelt ist. Zudem konnte der Kläger diesem Hinweis auch entnehmen, dass das Leistungsentgelt in etwa seinem früheren wöchentlichen Einkommen nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben entsprechen müsste, jedoch tatsächlich wesentlich höher war. Hinzu kommt, dass unter Nr. 2 des Hinweises die Ermittlung des Bemessungsentgelts erklärt wird. Dort wird u.a. ausgeführt, dass in dem Fall, in dem der Versicherte innerhalb von drei Jahren vor Beginn seiner Teilnahme an der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme Arbeitslosengeld bezogen und danach keine neue Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt, grundsätzlich das für die bezogene Leistung maßgebliche Bemessungsentgelt auch für das Unterhaltsgeld übernommen wird.

Dem Kläger, dem bereits auffallen musste, dass ihm das Arbeitslosengeld in der gewährten Höhe nicht zustehen konnte, musste damit auch erkennen, dass das Unterhaltsgeld ebenfalls wesentlich zu hoch war. Einschränkungen der Urteils- und Kritikfähigkeit des Klägers sind nicht ersichtlich. Solche ergeben sich auch nicht aus unzureichenden Deutschkenntnissen. Denn zum einen musste der Kläger schon aufgrund der Höhe des ihm wöchentlich gewährten Betrags erkennen, dass der jeweilige Bewilligungsbescheid teilweise rechtswidrig ist; zum anderen hat er selbst geltend gemacht, sich mit den Hinweisen auseinandergesetzt, diesen jedoch entgegen des eindeutigen Wortlauts und Sinngehalts nicht entnommen zu haben, dass die Ermittlung des Leistungsentgelts, sondern ein allgemein feststehendes Bemessungsentgelt durch Rechtsverordnung geregelt sei. Hätte der Kläger die Hinweise insbesondere unter Nr. 2 und 4 gewissenhaft durchgelesen, hätte er auch aufgrund dieser Information von der teilweisen Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen ausgehen müssen. Der Ausübung von Ermessen bedurfte es nach § 330 Abs. 2 SGB III damit nicht und es bestand auch kein Raum für die Berücksichtigung eines Verschuldens des Arbeitsamts an der Teilrechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bescheide (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Juni 2001 B 7 AL 18/01 B - abgedruckt in Juris).

Der Bescheid wurde dem Kläger innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bekannt gegeben. Die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe des Bewilligungsbescheids ist ebenfalls gewahrt (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X).

Da somit die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld ab 26. Juli 2002 zu Recht erfolgt ist, hat der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 SGB X das für die Zeit vom 26. Juli 2002 bis 2. November 2003 gezahlte Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld in Höhe von 5.368,05 EUR zu erstatten. Die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Erstattungsforderung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat die dem Kläger zu Unrecht gewährten Leistungen korrekt berechnet. Dies ergibt sich aus der in der Verwaltungsakte enthaltenen Berechnung, in der die Beklagte das dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum zustehende Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld ausgehend von einem erzielbaren Arbeitseinkommen von 16,- DM (entspricht 8,18 EUR) je Stunde ermittelt hat. Anstelle des Bemessungsentgelts in Höhe von 610,- EUR ergab sich dabei ein Bemessungsentgelt in Höhe von 310,- EUR. Hieraus errechnet sich für die Zeit vom 26. Juli 2002 bis 31. Dezember 2002 ein wöchentlich zu gewährendes Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld in Höhe von 132,58 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 2. November 2003 in Höhe von 131,81 EUR. Gewährt wurde dem Kläger in der Zeit vom 26. Juli 2002 bis 31. Dezember 2002 ein wöchentliches Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld in Höhe von 213,85 EUR somit täglich 11,61 EUR zuviel - und für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 2. November 2003 in Höhe von 212,38 EUR - somit täglich 11,51 EUR zuviel -. Damit wurden für 159 Tage 11,61 EUR (= 1845,99 EUR) und für 306 Tage 11,51 EUR (= 3522,06 EUR) zuviel gezahlt. Dies entspricht der Rückforderung in Höhe von 5368,05 EUR (1845,99 EUR + 3522,06 EUR = 5368,05 EUR).

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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