L 16 R 459/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 2142/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 459/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren gegen das Urteil des SG München vom 25.10.2005 (L 10 R 898/05) durch die Berufungsrücknahme am 21.06.2006 erledigt worden ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1949 geborene Klägerin richtete mit Schreiben vom 12.04.2004 eine Anfrage an die Beklagte, die sich zum einen auf die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bezog, und zum anderen bat sie um Mitteilung über die Höhe der ab 01.07.2009 zu erwartenden Rentenzahlung. Sie habe erfahren, dass für Frauen die Möglichkeit bestehe, ab dem vollendeten 60. Lebensjahr die volle Altersrente zu beziehen.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 20.07.2004 die Versicherungszeiten fest und erteilte eine Rentenauskunft.

Mit Schreiben vom 31.07.2004 erhob die Klägerin dagegen Widerspruch, da zum einen die Kinderziehungszeiten von 10 Jahren nicht berücksichtigt seien. Im Übrigen sei es nicht gerechtfertigt, die Altersgrenze auf das 65. Lebensjahr auszuweiten, denn es sei ihr zugesichert worden, die Altersrente vom vollendeten 60. Lebensjahr an in Anspruch nehmen zu können. Dieser Anspruch möge festgestellt werden, außerdem seien die Rechte aus dem Bescheid vom 10.07.1991 aufrecht zu erhalten

Die Beklagte teilte im Schreiben vom 06.09.2004 mit, dass sowohl Kindererziehungszeiten von jeweils einem Jahr als auch 10 Jahre Kinderberücksichtigungszeiten anerkannt seien. Die Wartezeit von 35 Jahren für langjährige Versicherte und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres seien erfüllt. Nach derzeitigem Rechtsstand könne die Rente mit vollendetem 60. Lebensjahr bei einem Rentenabschlag in Höhe von 18% in Anspruch genommen werden. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch damit erledigt sei.

Die Klägerin hielt den Widerspruch aufrecht, da die Rentenzahlung zu gering sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Kinderziehungszeiten seien zutreffend berücksichtigt worden, ebenso sei die Rentenberechnung entsprechend der Sach- und Rechtslage und sämtlicher zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung vorhandener anrechenbarer Versicherungszeiten zutreffend erfolgt.

Zur Begründung ihrer Klage am 22.12.2004 führte die Klägerin aus, sie berufe sich auf die Vertrauensschutzregelung, wonach Frauen mit vollendetem 60. Lebensjahr die Altersrente ungekürzt in Anspruch nehmen könnten. Im Übrigen sei es nicht angemessen, bei so vielen Jahren der Berufstätigkeit und Beitragszahlung eine Rente unter dem Sozialhilfesatz zu errechnen. Begehrt werde eine Rentenzahlung unter Berücksichtigung des Kaufkraftausgleichs. Es widerspreche außerdem dem Grundsatz der Gleichbehandlung, dass Elternzeiten nicht für drei Jahre bei der Rentenversicherung berücksichtigt würden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG München am 25.10.2005 beantragte die Klägerin die Gewährung der Altersrente nach § 237a SGB VI ab Vollendung des 60. Lebensjahres.

Mit Urteil vom 25.10.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es hielt die Klage für unzulässig, da sich das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nur mit rentenrechtlichen Zeiten beschäftigt habe, nicht aber mit einem förmlichen Rentenantrag und dessen Ablehnung. Das prozessuale Begehren der Klägerin auf Altersrente stelle eine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG dar, die gegenüber der regulären Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG nachrangig sei. Die Klägerin habe keinen Antrag auf Sozialleistung gestellt und könne auch nicht eine Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X begehren. Im Übrigen sei es dem Versicherungsträger völlig unmöglich, bereits mehrere Jahre vor Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen verbindlich über einen Rentenanspruch zu entscheiden. Die Klägerin könne einige Monate vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres den Antrag auf Altersrente stellen, über diesen müsse dann nach der aktuell gültigen Gesetzeslage entschieden werden.

Dagegen richtet sich die Berufung vom 20.12.2005. Zur Begründung trug die Klägerin vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht angenommen, es läge kein Rentenantrag vor, denn auch die Beklagte habe einen Bescheid und einen Widerspruchsbescheid erteilt. Es seien die Voraussetzungen für die Gewährung der ungekürzten bzw. vollen Altersrente ab dem vollendeten 60. Lebensjahr ab 01.07.2009 erfüllt. Die Feststellung der Beklagten sei deshalb erforderlich, da auch Beamte weit vor Eintritt in den Ruhestand eine Berechnung ihrer Versorgungsbezüge erhalten könnten. Es seien keine Gründe vorgetragen, die einem Rentenanspruch ab dem 60. Lebensjahr entgegenstehen.

Die Beklagte beantragte im Schriftsatz vom 07.03.2006, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Im Erörterungstermin vom 21.06.2006 erklärte die Klägerin nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die Rücknahme der Berufung.

Mit Schreiben vom 26.06.2006 teilte die Klägerin mit, die Klagerücknahme nicht gewollt zu haben; diese sei auch nicht mit Vollmacht erklärt worden. Sie sehe weiterhin eine Verletzung der Gleichbehandlung, da sie einen rechtmäßigen Anspruch auf die zu erwartende Rente habe. Im Protokoll sei ihr Ehemann zu Unrecht als Rechtsbeistand bezeichnet worden. Es sei in dieser mündlichen Verhandlung auch mehrfach darum gebeten worden, eine Frist für eine schriftliche Stellungnahme einzuräumen.

Im Schriftsatz vom 01.09.2006 beantragte sie, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu treffen. Im weiteren Schriftsatz vom 11.09.2006 beantragte sie Rente wegen Erwerbsminderung und legte eine Bescheinigung über den GdB von 30 v.H. vor.

Sinngemäß begehrt die Klägerin, festzustellen, dass das Verfahren L 16 R 898/05 nicht durch Rücknahme der Berufung beendet sei. Es sei durch Urteil festzustellen, dass Anspruch auf ungekürzte Rente ab dem 60. Lebensjahr bestehe.

Die Beklagte beantragt, festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch Rücknahme beendet sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts München und des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung war zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der Rechtsstreit ist jedoch durch die Rücknahme der Berufung erledigt. Aufgrund der übereinstimmenden Anträge der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Entscheidung über den mit Schriftsatz vom 11.09.2006 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Darüber wird die Beklagte noch eine Entscheidung treffen.

Die Klägerin hat im Erörterungstermin vom 21.06.2006 die Berufung zurückgenommen. Damit ist der Rechtsstreit gemäß § 156 SGG vollständig erledigt. Die Voraussetzungen für einen Widerruf bzw. eine Anfechtung der Rücknahme und die Fortführung des Berufungsverfahrens liegen nicht vor. Wenn die Klägerin nun erklärt, sie habe die Rücknahme nicht erklären wollen, so entspricht dies nicht dem aus dem Protokoll erkennbaren in dem Erörterungstermin geäußerten Willen der Klägerin, denn sie hat dort unmissverständlich die Rücknahme der Berufung erklärt. Diese Erklärung ist ihr ausweislich des Protokolls auch vorgelesen und von ihr genehmigt worden. Da sie selbst im Erörterungstermin anwesend war, ist es ohne Bedeutung für diese Erklärung, dass ihr Ehemann im Protokoll als Rechtsbeistand bezeichnet wurde. Denn nicht dieser, sondern die Klägerin selbst hat die Rücknahmeerklärung abgegeben, deshalb spielt auch die Frage einer Bevollmächtigung keine Rolle für die Entscheidung. Die Klägerin als Prozesspartei hat die Erklärung selbst abgegeben.

Die Niederschrift wurde von der Berichterstatterin und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnet (§ 163 ZPO). Das Protokoll wurde unter Beachtung aller Vorschriften (§ 122 SGG i.V.m. §§ 160, 162, 163 ZPO) erstellt und beweist somit die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 165 ZPO). Der Vermerk im Protokoll "vorgelesen und genehmigt" beweist, dass die protokollierte Erklärung abgegeben wurde. Deshalb ist nach § 165 Abs. 2 ZPO gegen seinen die Förmlichkeit betreffenden Inhalt nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Die Beweiskraft des Protokolls als öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 ZPO kann somit nur durch den Nachweis der Fälschung (§ 165 S. 2 ZPO) beseitigt werden.

Das durch die Rücknahme rechtskräftig beendete Verfahren kann auch nicht entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buches der ZPO (§ 179 SGG, §§ 578 bis 580 ZPO) wieder aufgenommen werden (vgl. BSG vom 24.04.1980 Az.: 9 RV 16/79). Hierunter fallen insbesondere die falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbevollmächtigten, eine Urkundenfälschung, ein falsches Zeugnis oder Gutachten von Zeugen oder Sachverständigen, die strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde. Dabei kommt eine Reihe der in den §§ 579, 580 ZPO genannten Wiederaufnahmegründe schon deshalb nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch Rücknahme beendet wurde.

Als Prozesshandlung kann die Rücknahme auch weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) angefochten werden (BSG Urteil vom 24.04.1980 Az.: 9 RV 16/79 m.w.N.). Es lassen sich auch aus dem Vorbringen der Klägerin keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sie sich bei Abgabe der Erklärung in einem Irrtum im Sinne des § 119 BGB befunden hat oder gar im Rahmen der Rücknahmeerklärung durch arglistige Täuschung oder Drohung im Sinne des § 123 BGB bestimmt worden ist. Da die Zurücknahme der Berufung den endgültigen Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs. 2 S. 1 SGG), ist eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig.

Zur Erläuterung für die Klägerin sei nochmals darauf hingewiesen, dass derzeit ein Anspruch auf Altersrente für Frauen nach § 237a SGB VI noch nicht zu realisieren ist, da die Klägerin die wesentliche Voraussetzung, nämlich die Vollendung des 60. Lebensjahres, nicht erfüllt. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid auch nur die bekannten Versicherungszeiten festgestellt und in der Rentenauskunft die Höhe der zu erwartenden Rente errechnet. Diese Entscheidungen der Beklagten sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden. Über den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht geänderten Antrag hat die Beklagte daher, wie das Sozialgericht auch vermerkt hat, nicht entschieden. Mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der gewünschte Anspruch der Klägerin daher nicht zu realisieren. Es besteht aber auch kein Anspruch auf eine Feststellungsklage, da die Klägerin derzeit die Voraussetzungen für die Altersrente nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung gemäß §§ 183 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hatte.

Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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