Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 2878/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 172/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. August 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat dem Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In diesem Rechtsstreit geht es um einen Regress bei den physikalisch-medizinischen Verordnungen im Quartal 4/99.
Die Klägerin nimmt als Allgemeinärztin in S. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Quartal 4/99 hatte sie 665 Behandlungsfälle, davon 328 Rentner (+ 73,1 %). Der Fallwert der Klägerin bei den kurativen Leistungen lag um 19,5 % unter dem Durchschnitt der Arztgruppe 800/1 (Allgemein-/praktische Ärzte mit bis zu 700 Fällen). Bei den Arzneimitteln lag die Klägerin um 20,3 % über dem Durchschnitt der Arztgruppe. Physikalisch-medizinische Leistungen hat sie in diesem Quartal für insgesamt 21.696,59 DM verordnet und lag damit fallbezogen um 154,1 % über dem Durchschnitt der Arztgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte. Dem stand bei der Leistungsruppe 09 (physikalisch-medizinische Leistungen) eine Durchschnittsunterschreitung um 99,3 % gegenüber.
Die Beigeladenen haben am 16.08.2000 die Wirtschaftlichkeitsprüfung der verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen unter Hinweis auf die oben genannte Überschreitung beantragt. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, sie habe früher eine dreimal so große Praxis gehabt. Seit ihrer standespolitischen Tätigkeit seien ihr nur noch die schweren Fälle verblieben. Jetzt habe sie nur mehr schwerkranke Patienten. Der Prüfungsausschuss verhängte in seiner Sitzung vom 13. Dezember 2000 (Bescheid vom 6. Februar 2001) einen 10 %-igen Regress bei den verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen. Zur Begründung führte er aus, gegenüber dem Vorquartal sei die gewichtete Überschreitung weiter angestiegen auf 154,1 %. Bei Durchsicht der Verordnungen fielen 10 Patienten auf (1,56 % der Gesamtfallzahl), die 41,6 % der Patienten ausmachen. Aufgrund der angegebenen Diagnosen handele es sich um schwerkranke Patienten, bei denen fast ausschließlich Krankengymnastik zum Teil auch auf neurologischer Grundlage, teilweise mit Hausbesuch verordnet worden sei. Auffallend sei, dass zum Teil 20 Anwendungen auf einem Rezept verordnet würden, teilweise auch eine sehr hohe Zahl von Einzeltherapien. Z.B. werde bei einer 86-jährigen Patientin 54-mal Krankengymnastik mit Hausbesuch verordnet, also einmal pro Werktag. Ob dies bei einer 86-jährigen Patientin mit Zustand nach rechtshirniger Massenblutung sinnvoll sei, sei dahingestellt. Auch unter Berücksichtigung der kostenintensiven 10 Patienten verbleibe immer noch eine gewichtete Überschreitung von 50,7 %, also im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses.
Die Klägerin hat dagegen Widerspruch eingelegt, den sie mit umfangreichem Schriftsatz begründet hat. Erneut macht sie geltend, dass sie außergewöhnlich viele ältere, multimorbide, schwer- und schwerstkranke Patienten betreue. Sie sei deshalb mit der Arztgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte in Bayern nicht vergleichbar. Der Rückgang der Verordnungen im Folgequartal sei nicht durch eine geänderte Verordnungsweise bedingt, sondern durch das Ableben einiger Patienten. Es sei selbstverständlich, dass sie bei einem solchen Patientengut ohne Bezug zum Honorar Tag und Nacht arbeite. Sie habe 33 Jahre unbescholten und pflichtbewusst ihren Beruf ausgeübt. Sie legte eine Bescheinigung ihres langjährigen früheren Praxisvertreters vor, der ausführte, die Patientenklientel bestehe aus außergewöhnlich vielen älteren multimorbiden schwer- und schwerstkranken Patienten. Außerdem legte die Klägerin eine Aufschlüsselung ihres Patientengutes vor, wobei bei jedem Patienten Name, Alter und Diagnose angegeben waren. Danach litten 12 % der Patienten unter Asthma, 23,6 % unter Gefäßerkrankungen, 13 % seien Diabetiker. 14,5 % bezeichnet die Klägerin als "Exoten". Operationen bei alten Patienten: 8 %, Nierenversagen: 6 %, Tumorpatienten: 13,5 %, Magen/Darm: 2,5 %, Rheuma: 2 %, Cerebralgeschädigte: 9 %. Mehrere Patienten seien doppelt erkrankt.
Der beklagte Beschwerdeausschuss hat in seiner Sitzung vom 11. Juli 2001 (Bescheid vom 12. September 2001) den Widerspruch zurückgewiesen. An der Sitzung hat die Klägerin persönlich teilgenommen und auf ihre kleine Fallzahl und den hohen Rentneranteil verwiesen. Zum Teil hätten Ärzte in der Umgebung bei der Behandlung versagt, zum Teil habe die Verordnung eine stationäre Aufnahme verhindern können. Bei Hausbesuchen könne schließlich nicht mit Heißluft erwärmt werden, weswegen Fango das Mittel der Wahl darstelle. Der Beklagte hat seine Entscheidung auf einen statistischen Fallkostenvergleich mit der Fachgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte in Bayern unter Zugrundelegung des arithmetischen Mittelwertes gestützt. Die Zusammensetzung des Patientengutes nach Mitgliedern, Familienangehörigen und Rentnern sei durch die Gewichtung berücksichtigt. Eine Einzelfallprüfung sei im Hinblick auf die Fallzahl und die Überschreitungswerte nicht durchgeführt worden. Die Verordnungskosten der Klägerin lägen bei 34,01 DM pro Fall, die der Vergleichsgruppe gewichtet bei 13,38 DM, was eine gewichtete Überschreitung von 145,1 % ergebe. Die Fallzahl sei hinreichend groß, um vereinzelte belastende Fälle kompensieren zu können. Im Übrigen sei eine unterdurchschnittliche Fallzahl keine Mehrkosten verursachende Praxisbesonderheit. Zu Recht hebe die Klägerin den Behandlungsschwerpunkt "Geriatrie" hervor. Sie habe einen um 66 % erhöhten Rentneranteil. Alte Patienten benötigten infolge ihrer häufigen Polymorbidität eine intensivere ärztliche Betreuung. Dies sei aber durch die gewichtete Vergleichsmethode bereits berücksichtigt. Von einem gegenüber der gewichteten Arztgruppe abweichenden Klientel sei nicht auszugehen. Die von der Klägerin geschilderten Diagnosen seien bei Hausärzten üblich. Von den 11 aufgelisteten AOK-Versicherten mit der Angabe "OP-, TEP- bzw. Prolaps-Patienten" hätten lediglich 3 eine physikalische Therapie verordnet bekommen, obwohl derartige Beschwerdebilder eine entsprechende Rezeptierung erwarten ließen. Die Behauptung, ausschließlich schwerkranke Patienten zu versorgen, sei mit den Durchschnittsunterschreitungen bei Besuchen und Sonderleistungen nicht in Einklang zu bringen. Gerade Krebspatienten brauchten eine besonders engmaschige hausärztliche Betreuung. im Hinblick auf besonders viele postoperative Patienten fehlten entsprechende Verbände. 15 verschiedene Parameter belegten ein sehr schmales Sonderleistungsspektrum. Zuweisungen durch umliegende Ärzte seien statistisch nicht auszumachen. Von einem besonderen Bekanntheitsgrad der Klägerin sei daher nicht auszugehen. Die zweifellos mühsam erarbeitete Darlegung des Patientengutes sei für eine Begründung des Widerspruches nur bedingt verwertbar. In erster Linie seien es wohl orthopädische und chirurgische Diagnosen, die einen Mehrbedarf bei den physikalischen Leistungen rechtfertigen könnten. Diabetespatienten oder Patienten mit Psychosen würden eher selten in Betracht kommen. Die Anzahl operierter Patienten einschließlich TEP und Prolaps sei nicht als überdurchschnittlich einzustufen. Rund die Hälfte der Rezepte wiesen Diagnosen wie "Lumboischialgie", "HWS-Syndrom" o.ä. aus. Dennoch könne nicht von einem besonders ausgeprägt orthopädischen Patientengut ausgegangen werden. Bei 3 besonders kostenintensiven Fällen habe der Beschwerdeausschuss die über 1.000,00 DM hinausgehenden Verordnungskosten als Praxisbesonderheit anerkannt (zusammen 1.320,90 DM bzw. 2,07 DM pro Fall) und diesen Betrag gut geschrieben. Ferner wurde die Unterschreitung bei den selbsterbrachten physikalischen Leistungen in Höhe von 1,47 DM pro Fall gut geschrieben. Auf dieser Grundlage errechnete der Ausschuss eine bereinigte Überschreitung von gewichtet 127,7 %, die auch noch im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege und ein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten beweise. Nach dem 10 %-igen Regress sei eine um die Praxisbesonderheiten bereinigte Überschreitung von 102,3 % belassen worden, die ebenfalls noch deutlich im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege. Ferner führt der Ausschuss aus, nach der Überprüfung der vorliegenden Rezepte würden die meisten Massagen mit Fango vorgewärmt. Die deutlich kostengünstigere Form der Heißluft finde sich kaum. Es treffe nicht zu, dass die meisten Patienten in häuslicher Umgebung behandelt würden. Vielmehr finde der überwiegende Teil der Massagen in den Praxen der Leistungserbringer statt. Im Durchschnitt enthalte jedes dritte Rezept den Auftrag zu mehr als 6 Anwendungen. Nach den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien sollten grundsätzlich nicht mehr als 6 Behandlungen auf einem Rezept verordnet werden. Lediglich in Ausnahmefällen erlaubten schwerwiegende Erkrankungen längere Verordnungsserien. Solche Ausnahmesituationen lägen nach der Auffassung des Ausschusses bei Diagnosen wie "Lumboischialgie", "Thorakalsyndrom" oder "HWS-Syndrom" nicht vor. Einsparungen wären auch möglich, wenn die Klägerin die Verordnung von Bädern kritisch überdenke.
Die Klägerin hat dagegen Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und zur Begründung umfangreiche Unterlagen vorgelegt, insbesondere auch Schriftsätze und Stellungnahmen, die sich auf das Quartal 4/00 bezogen und angeblich dazu geführt haben, dass der Prüfungsausschuss für dieses Quartal keine Kürzung verhängt hat. Erneut hat sie durch Kollegen bestätigen lassen, dass sie ein Patientenklientel mit außerordentlich vielen multimorbiden, schwer- und schwerstkranken Patienten habe. In der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2003 hat das fachkundig besetzte SG laut Protokoll einen Abgleich zwischen den in der nunmehr eingereichten Patientenliste zum Quartal 4/99 eingetragenen Diagnosen und den auf den Rezepten angegebenen hergestellt. Dabei sei aufgefallen, dass die auf der Patientenliste genannten Diagnosen deutlich umfangreicher waren als die Diagnosen auf den Rezepten. Der Vertreter der Beigeladenen zu 1) hat ebenfalls laut Sitzungsprotokoll darauf hingewiesen, dass sich der Verordnungsfallwert der Klägerin pro Patient ab der ersten Prüfentscheidung im Februar 2001 gedrittelt habe, von 34,00 DM auf rund 10,00 DM pro Fall.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. August 2003 abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, der statistische Vergleich der Klägerin mit den Allgemein-/praktischen Ärzten mit bis zu 700 Behandlungsfällen sei rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Spezialvergleich sei nicht geboten gewesen. Mit einer Überschreitung von 154,1 % befinde sich die Klägerin im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Praxisbesonderheiten bzw. Einsparungen lägen bis auf die vom Beklagten anerkannten nicht vor. Wegen der gewichteten Überschreitung habe das überalterte Patientengut nicht besonders berücksichtigt werden müssen. Die von der Klägerin geltend gemachte Häufung schwerwiegender Krankheitsbilder führe nicht zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Die Diagnosen seien die üblichen Diagnosen bei Allgemein-/praktischen Ärzten. Die dazu eingereichten Patientenlisten hätten insoweit keine besondere Aussagekraft. Nur orthopädische Beschwerdebilder oder Beschwerdebilder nach Operationen/orthopädischen Eingriffen ließen einen Bedarf von medizinisch-physikalischen Leistungen vermuten. In den vorgelegten Listen seien jedoch nur 53 bzw. 14 Patienten mit derartigen Beschwerdebildern erfasst. Die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichte Patientenliste über physikalisch-medizinische Leistungen im Quartal 4/99 habe den Prüfgremien nicht vorgelegen und deshalb von diesen auch nicht berücksichtigt werden können. Im Übrigen seien die auf der Patientenliste dargelegten Diagnosen deutlich umfangreicher als die auf den Rezepten vermerkten. Die Behauptung, in der Praxis sei eine Häufung von schwerwiegenden Krankheitsbildern vorhanden, sei nicht schlüssig. Gerade bei schwerkranken Patienten müssten verstärkt Hausbesuche und Sonderleistungen erbracht werden. Das sei nicht geschehen. Auch die Tatsache, dass die Verordnungen nach Bekanntwerden der ersten Prüfentscheidung auf 10,00 DM zurückgegangen seien, verdeutliche, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, bei vermutlich nahezu gleichem Patientengut die Verordnungsweise dem Wirtschaftlichkeitsgebot anzupassen. Daran änderten die vorgelegten Bescheinigungen von zwei Kollegen nichts. Auffällig sei im Übrigen, dass diese im Wortlaut fast identisch seien. Sie seien nicht geeignet, die Auffassung des Beschwerdeausschusses zu widerlegen. Im Übrigen habe sich die fachkundig besetzte Kammer bei Durchsicht der Abrechnungsunterlagen von der Richtigkeit der Beurteilung des Beschwerdeausschusses überzeugt. Bei der Durchsicht seien Verordnungsserien in großem Umfang gerade bei Diagnosen wie Lumboischialgie, HWS-Syndrom aufgefallen. Derartige Erkrankungen erforderten eine kontinuierliche Überwachung des Heilungsprozesses. Bei Durchsicht der Rezepte werde eine gewisse Polypragmasie bestätigt. Der Regress sei mit 10 % der Höhe nach nicht zu beanstanden. Es werde eine Restüberschreitung von 102,3 % belassen.
Gegen das am 6. November 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 2003 beim SG Berufung eingelegt, die jedoch nicht begründet wurde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München sowie des Bescheides vom 12. September 2001 zu verurteilen, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 6. Februar 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2), 3) und 7) beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Akten des Beklagten, des SG mit dem Az.: S 38 KA 2878/01 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 KA 172/03 vor, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, weil diese darauf mit der Ladung schriftlich hingewiesen wurde (§ 110 Abs.1 in Verbindung mit § 153 Abs.1 SGG). Das persönliche Erscheinen der Klägerin (§ 111 Abs.1 SGG) war nicht angeordnet. Zwar hat die Klägerin kurz vor der Sitzung telefonisch mitgeteilt, dass sie den Termin wegen der Beerdigung ihres Schwagers nicht wahrnehmen könne, hat aber nicht auf einer Vertagung des Termins bestanden. Es bestand deshalb keine Notwendigkeit, den auf Antrag der Klägerin nicht vor dem Jahr 2006 terminierten und danach zweimal verschobenen Termin erneut abzusetzen.
Nachdem die Berufung trotz wiederholter Fristverlängerung von der Klägerin nicht begründet wurde und das Urteil des SG rechtlich und nach Auffassung des fachkundig besetzten Senats auch aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden ist, weist der Senat die Berufung aus den im Urteil genannten Gründen als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs.2 SGG). Er weist darauf hin, dass es sich in Anbetracht der Verordnungshöhe um einen durchaus maßvollen Regress handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 und 4 SGG in der vor dem 2. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 116 Nr.24 S.116 f).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
II. Die Klägerin hat dem Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In diesem Rechtsstreit geht es um einen Regress bei den physikalisch-medizinischen Verordnungen im Quartal 4/99.
Die Klägerin nimmt als Allgemeinärztin in S. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Quartal 4/99 hatte sie 665 Behandlungsfälle, davon 328 Rentner (+ 73,1 %). Der Fallwert der Klägerin bei den kurativen Leistungen lag um 19,5 % unter dem Durchschnitt der Arztgruppe 800/1 (Allgemein-/praktische Ärzte mit bis zu 700 Fällen). Bei den Arzneimitteln lag die Klägerin um 20,3 % über dem Durchschnitt der Arztgruppe. Physikalisch-medizinische Leistungen hat sie in diesem Quartal für insgesamt 21.696,59 DM verordnet und lag damit fallbezogen um 154,1 % über dem Durchschnitt der Arztgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte. Dem stand bei der Leistungsruppe 09 (physikalisch-medizinische Leistungen) eine Durchschnittsunterschreitung um 99,3 % gegenüber.
Die Beigeladenen haben am 16.08.2000 die Wirtschaftlichkeitsprüfung der verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen unter Hinweis auf die oben genannte Überschreitung beantragt. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, sie habe früher eine dreimal so große Praxis gehabt. Seit ihrer standespolitischen Tätigkeit seien ihr nur noch die schweren Fälle verblieben. Jetzt habe sie nur mehr schwerkranke Patienten. Der Prüfungsausschuss verhängte in seiner Sitzung vom 13. Dezember 2000 (Bescheid vom 6. Februar 2001) einen 10 %-igen Regress bei den verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen. Zur Begründung führte er aus, gegenüber dem Vorquartal sei die gewichtete Überschreitung weiter angestiegen auf 154,1 %. Bei Durchsicht der Verordnungen fielen 10 Patienten auf (1,56 % der Gesamtfallzahl), die 41,6 % der Patienten ausmachen. Aufgrund der angegebenen Diagnosen handele es sich um schwerkranke Patienten, bei denen fast ausschließlich Krankengymnastik zum Teil auch auf neurologischer Grundlage, teilweise mit Hausbesuch verordnet worden sei. Auffallend sei, dass zum Teil 20 Anwendungen auf einem Rezept verordnet würden, teilweise auch eine sehr hohe Zahl von Einzeltherapien. Z.B. werde bei einer 86-jährigen Patientin 54-mal Krankengymnastik mit Hausbesuch verordnet, also einmal pro Werktag. Ob dies bei einer 86-jährigen Patientin mit Zustand nach rechtshirniger Massenblutung sinnvoll sei, sei dahingestellt. Auch unter Berücksichtigung der kostenintensiven 10 Patienten verbleibe immer noch eine gewichtete Überschreitung von 50,7 %, also im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses.
Die Klägerin hat dagegen Widerspruch eingelegt, den sie mit umfangreichem Schriftsatz begründet hat. Erneut macht sie geltend, dass sie außergewöhnlich viele ältere, multimorbide, schwer- und schwerstkranke Patienten betreue. Sie sei deshalb mit der Arztgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte in Bayern nicht vergleichbar. Der Rückgang der Verordnungen im Folgequartal sei nicht durch eine geänderte Verordnungsweise bedingt, sondern durch das Ableben einiger Patienten. Es sei selbstverständlich, dass sie bei einem solchen Patientengut ohne Bezug zum Honorar Tag und Nacht arbeite. Sie habe 33 Jahre unbescholten und pflichtbewusst ihren Beruf ausgeübt. Sie legte eine Bescheinigung ihres langjährigen früheren Praxisvertreters vor, der ausführte, die Patientenklientel bestehe aus außergewöhnlich vielen älteren multimorbiden schwer- und schwerstkranken Patienten. Außerdem legte die Klägerin eine Aufschlüsselung ihres Patientengutes vor, wobei bei jedem Patienten Name, Alter und Diagnose angegeben waren. Danach litten 12 % der Patienten unter Asthma, 23,6 % unter Gefäßerkrankungen, 13 % seien Diabetiker. 14,5 % bezeichnet die Klägerin als "Exoten". Operationen bei alten Patienten: 8 %, Nierenversagen: 6 %, Tumorpatienten: 13,5 %, Magen/Darm: 2,5 %, Rheuma: 2 %, Cerebralgeschädigte: 9 %. Mehrere Patienten seien doppelt erkrankt.
Der beklagte Beschwerdeausschuss hat in seiner Sitzung vom 11. Juli 2001 (Bescheid vom 12. September 2001) den Widerspruch zurückgewiesen. An der Sitzung hat die Klägerin persönlich teilgenommen und auf ihre kleine Fallzahl und den hohen Rentneranteil verwiesen. Zum Teil hätten Ärzte in der Umgebung bei der Behandlung versagt, zum Teil habe die Verordnung eine stationäre Aufnahme verhindern können. Bei Hausbesuchen könne schließlich nicht mit Heißluft erwärmt werden, weswegen Fango das Mittel der Wahl darstelle. Der Beklagte hat seine Entscheidung auf einen statistischen Fallkostenvergleich mit der Fachgruppe der Allgemein-/praktischen Ärzte in Bayern unter Zugrundelegung des arithmetischen Mittelwertes gestützt. Die Zusammensetzung des Patientengutes nach Mitgliedern, Familienangehörigen und Rentnern sei durch die Gewichtung berücksichtigt. Eine Einzelfallprüfung sei im Hinblick auf die Fallzahl und die Überschreitungswerte nicht durchgeführt worden. Die Verordnungskosten der Klägerin lägen bei 34,01 DM pro Fall, die der Vergleichsgruppe gewichtet bei 13,38 DM, was eine gewichtete Überschreitung von 145,1 % ergebe. Die Fallzahl sei hinreichend groß, um vereinzelte belastende Fälle kompensieren zu können. Im Übrigen sei eine unterdurchschnittliche Fallzahl keine Mehrkosten verursachende Praxisbesonderheit. Zu Recht hebe die Klägerin den Behandlungsschwerpunkt "Geriatrie" hervor. Sie habe einen um 66 % erhöhten Rentneranteil. Alte Patienten benötigten infolge ihrer häufigen Polymorbidität eine intensivere ärztliche Betreuung. Dies sei aber durch die gewichtete Vergleichsmethode bereits berücksichtigt. Von einem gegenüber der gewichteten Arztgruppe abweichenden Klientel sei nicht auszugehen. Die von der Klägerin geschilderten Diagnosen seien bei Hausärzten üblich. Von den 11 aufgelisteten AOK-Versicherten mit der Angabe "OP-, TEP- bzw. Prolaps-Patienten" hätten lediglich 3 eine physikalische Therapie verordnet bekommen, obwohl derartige Beschwerdebilder eine entsprechende Rezeptierung erwarten ließen. Die Behauptung, ausschließlich schwerkranke Patienten zu versorgen, sei mit den Durchschnittsunterschreitungen bei Besuchen und Sonderleistungen nicht in Einklang zu bringen. Gerade Krebspatienten brauchten eine besonders engmaschige hausärztliche Betreuung. im Hinblick auf besonders viele postoperative Patienten fehlten entsprechende Verbände. 15 verschiedene Parameter belegten ein sehr schmales Sonderleistungsspektrum. Zuweisungen durch umliegende Ärzte seien statistisch nicht auszumachen. Von einem besonderen Bekanntheitsgrad der Klägerin sei daher nicht auszugehen. Die zweifellos mühsam erarbeitete Darlegung des Patientengutes sei für eine Begründung des Widerspruches nur bedingt verwertbar. In erster Linie seien es wohl orthopädische und chirurgische Diagnosen, die einen Mehrbedarf bei den physikalischen Leistungen rechtfertigen könnten. Diabetespatienten oder Patienten mit Psychosen würden eher selten in Betracht kommen. Die Anzahl operierter Patienten einschließlich TEP und Prolaps sei nicht als überdurchschnittlich einzustufen. Rund die Hälfte der Rezepte wiesen Diagnosen wie "Lumboischialgie", "HWS-Syndrom" o.ä. aus. Dennoch könne nicht von einem besonders ausgeprägt orthopädischen Patientengut ausgegangen werden. Bei 3 besonders kostenintensiven Fällen habe der Beschwerdeausschuss die über 1.000,00 DM hinausgehenden Verordnungskosten als Praxisbesonderheit anerkannt (zusammen 1.320,90 DM bzw. 2,07 DM pro Fall) und diesen Betrag gut geschrieben. Ferner wurde die Unterschreitung bei den selbsterbrachten physikalischen Leistungen in Höhe von 1,47 DM pro Fall gut geschrieben. Auf dieser Grundlage errechnete der Ausschuss eine bereinigte Überschreitung von gewichtet 127,7 %, die auch noch im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege und ein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten beweise. Nach dem 10 %-igen Regress sei eine um die Praxisbesonderheiten bereinigte Überschreitung von 102,3 % belassen worden, die ebenfalls noch deutlich im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege. Ferner führt der Ausschuss aus, nach der Überprüfung der vorliegenden Rezepte würden die meisten Massagen mit Fango vorgewärmt. Die deutlich kostengünstigere Form der Heißluft finde sich kaum. Es treffe nicht zu, dass die meisten Patienten in häuslicher Umgebung behandelt würden. Vielmehr finde der überwiegende Teil der Massagen in den Praxen der Leistungserbringer statt. Im Durchschnitt enthalte jedes dritte Rezept den Auftrag zu mehr als 6 Anwendungen. Nach den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien sollten grundsätzlich nicht mehr als 6 Behandlungen auf einem Rezept verordnet werden. Lediglich in Ausnahmefällen erlaubten schwerwiegende Erkrankungen längere Verordnungsserien. Solche Ausnahmesituationen lägen nach der Auffassung des Ausschusses bei Diagnosen wie "Lumboischialgie", "Thorakalsyndrom" oder "HWS-Syndrom" nicht vor. Einsparungen wären auch möglich, wenn die Klägerin die Verordnung von Bädern kritisch überdenke.
Die Klägerin hat dagegen Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und zur Begründung umfangreiche Unterlagen vorgelegt, insbesondere auch Schriftsätze und Stellungnahmen, die sich auf das Quartal 4/00 bezogen und angeblich dazu geführt haben, dass der Prüfungsausschuss für dieses Quartal keine Kürzung verhängt hat. Erneut hat sie durch Kollegen bestätigen lassen, dass sie ein Patientenklientel mit außerordentlich vielen multimorbiden, schwer- und schwerstkranken Patienten habe. In der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2003 hat das fachkundig besetzte SG laut Protokoll einen Abgleich zwischen den in der nunmehr eingereichten Patientenliste zum Quartal 4/99 eingetragenen Diagnosen und den auf den Rezepten angegebenen hergestellt. Dabei sei aufgefallen, dass die auf der Patientenliste genannten Diagnosen deutlich umfangreicher waren als die Diagnosen auf den Rezepten. Der Vertreter der Beigeladenen zu 1) hat ebenfalls laut Sitzungsprotokoll darauf hingewiesen, dass sich der Verordnungsfallwert der Klägerin pro Patient ab der ersten Prüfentscheidung im Februar 2001 gedrittelt habe, von 34,00 DM auf rund 10,00 DM pro Fall.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. August 2003 abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, der statistische Vergleich der Klägerin mit den Allgemein-/praktischen Ärzten mit bis zu 700 Behandlungsfällen sei rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Spezialvergleich sei nicht geboten gewesen. Mit einer Überschreitung von 154,1 % befinde sich die Klägerin im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Praxisbesonderheiten bzw. Einsparungen lägen bis auf die vom Beklagten anerkannten nicht vor. Wegen der gewichteten Überschreitung habe das überalterte Patientengut nicht besonders berücksichtigt werden müssen. Die von der Klägerin geltend gemachte Häufung schwerwiegender Krankheitsbilder führe nicht zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Die Diagnosen seien die üblichen Diagnosen bei Allgemein-/praktischen Ärzten. Die dazu eingereichten Patientenlisten hätten insoweit keine besondere Aussagekraft. Nur orthopädische Beschwerdebilder oder Beschwerdebilder nach Operationen/orthopädischen Eingriffen ließen einen Bedarf von medizinisch-physikalischen Leistungen vermuten. In den vorgelegten Listen seien jedoch nur 53 bzw. 14 Patienten mit derartigen Beschwerdebildern erfasst. Die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichte Patientenliste über physikalisch-medizinische Leistungen im Quartal 4/99 habe den Prüfgremien nicht vorgelegen und deshalb von diesen auch nicht berücksichtigt werden können. Im Übrigen seien die auf der Patientenliste dargelegten Diagnosen deutlich umfangreicher als die auf den Rezepten vermerkten. Die Behauptung, in der Praxis sei eine Häufung von schwerwiegenden Krankheitsbildern vorhanden, sei nicht schlüssig. Gerade bei schwerkranken Patienten müssten verstärkt Hausbesuche und Sonderleistungen erbracht werden. Das sei nicht geschehen. Auch die Tatsache, dass die Verordnungen nach Bekanntwerden der ersten Prüfentscheidung auf 10,00 DM zurückgegangen seien, verdeutliche, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, bei vermutlich nahezu gleichem Patientengut die Verordnungsweise dem Wirtschaftlichkeitsgebot anzupassen. Daran änderten die vorgelegten Bescheinigungen von zwei Kollegen nichts. Auffällig sei im Übrigen, dass diese im Wortlaut fast identisch seien. Sie seien nicht geeignet, die Auffassung des Beschwerdeausschusses zu widerlegen. Im Übrigen habe sich die fachkundig besetzte Kammer bei Durchsicht der Abrechnungsunterlagen von der Richtigkeit der Beurteilung des Beschwerdeausschusses überzeugt. Bei der Durchsicht seien Verordnungsserien in großem Umfang gerade bei Diagnosen wie Lumboischialgie, HWS-Syndrom aufgefallen. Derartige Erkrankungen erforderten eine kontinuierliche Überwachung des Heilungsprozesses. Bei Durchsicht der Rezepte werde eine gewisse Polypragmasie bestätigt. Der Regress sei mit 10 % der Höhe nach nicht zu beanstanden. Es werde eine Restüberschreitung von 102,3 % belassen.
Gegen das am 6. November 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 2003 beim SG Berufung eingelegt, die jedoch nicht begründet wurde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München sowie des Bescheides vom 12. September 2001 zu verurteilen, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 6. Februar 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2), 3) und 7) beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Akten des Beklagten, des SG mit dem Az.: S 38 KA 2878/01 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 KA 172/03 vor, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, weil diese darauf mit der Ladung schriftlich hingewiesen wurde (§ 110 Abs.1 in Verbindung mit § 153 Abs.1 SGG). Das persönliche Erscheinen der Klägerin (§ 111 Abs.1 SGG) war nicht angeordnet. Zwar hat die Klägerin kurz vor der Sitzung telefonisch mitgeteilt, dass sie den Termin wegen der Beerdigung ihres Schwagers nicht wahrnehmen könne, hat aber nicht auf einer Vertagung des Termins bestanden. Es bestand deshalb keine Notwendigkeit, den auf Antrag der Klägerin nicht vor dem Jahr 2006 terminierten und danach zweimal verschobenen Termin erneut abzusetzen.
Nachdem die Berufung trotz wiederholter Fristverlängerung von der Klägerin nicht begründet wurde und das Urteil des SG rechtlich und nach Auffassung des fachkundig besetzten Senats auch aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden ist, weist der Senat die Berufung aus den im Urteil genannten Gründen als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs.2 SGG). Er weist darauf hin, dass es sich in Anbetracht der Verordnungshöhe um einen durchaus maßvollen Regress handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 und 4 SGG in der vor dem 2. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 116 Nr.24 S.116 f).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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