L 14 R 464/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 641/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 464/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 6. Oktober 2005 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation.

Der 1957 in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1973 in Deutschland. Er war hier in verschiedenen Stellungen versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt zwischen 1977 und November 2001 als ungelernter Arbeiter in einer Metallfabrik (Galvanikbereich). Seitdem besteht Arbeitslosigkeit.

Vor allem wegen orthopädischer Beschwerden führte die Beklagte im Jahre 1995 sowie in der Zeit vom 15.02. bis 08.03.1999 stationäre Heilmaßnahmen durch (Entlassung laut letztem Heilverfahrensbericht vom 05.03.1999 als arbeitsfähig). Im Rahmen der Prüfung von berufsfördernden Maßnahmen hatte die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.1996 auch Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes (Einarbeitungszuschuss) bewilligt. Die Umschulung auf einen leichteren Arbeitsplatz beim bisherigen Arbeitgeber scheiterte seinerzeit.

Ein im Februar 2001 gestellter Rentenantrag des Klägers blieb erfolglos (ablehnender Bescheid der Beklagten vom 13.08.2001 nach internistischer Begutachtung durch Dr.K. , zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 27.11.2001; klageabweisendes Urteil vom 27.05.2003 nach orthopädischer Begutachtung durch Dr.H. vom 22.11.2002).

Den während des Klageverfahrens wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente gestellten streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 17.07.2002 lehnte die Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr.K. vom 14.07.2001 ("vorwiegend orthopädische und neurologische Beschwerden") mit Bescheid vom 29.07.2002 ab, die Voraussetzungen des § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht gegeben, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers bei Durchführung von Heilmaßnahmen in absehbarer Zeit nicht gebessert würde. Den unbegründet gebliebenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2003 zurück unter Bezugnahme auf das im vorangegangenen Klageverfahren wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit eingeholte Gutachten des Dr.H. , der die Frage nach Besserung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Heilmaßnahmen verneint habe.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) berief sich der Kläger auf eine ausgeprägte Innenohrschwerhörigkeit, Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden und chronische Schwindelzustände. Nach Beiziehung aktueller Befundberichte und Unterlagen der behandelnden Ärzte beauftragte das SG den Gutachter Dr.B. mit der Erstellung eines Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet. Dieser erhob aufgrund seiner Untersuchung beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen: "HWS-Syndrom bei beginnenden bandscheibenbedingten degenerativen Veränderungen, Schultereckgelenksarthrose rechts mit geringen Funktionsdefiziten, anamnestisch Überlastungsbeschwerden am rechten Handgelenk und Fingergelenksbeschwerden, Überlastungsbeschwerden am rechten Kniegelenk, anamnestisch wiederkehrende belastungsabhängige chronische Epicondylitis, mittelschweres obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, chronische Otitis, Reizmagen, depressiver Erschöpfungszustand". Der Gutachter vertrat die Auffassung, der Kläger könne zwar seine letzte (schwere) Tätigkeit als Metallarbeiter nicht mehr ausführen, wohl aber leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden täglich und mehr. Seine Erwerbsfähigkeit sei damit nicht erheblich gefährdet oder wesentlich gemindert. Zur Behandlung der bestehenden Gesundheitsstörungen seien ambulante Maßnahmen ausreichend, etwa Krankengymnastik oder physikalische Therapie für die Wirbelsäule und die rechte Schulter (Gutachten vom 31.05.2005).

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Orthopäde Dr.S. erhob in seinem Gutachten vom 03.04.2006 im Wesentlichen die gleichen Diagnosen wie Dr.B ... Anders als dieser vertrat er jedoch die Auffassung, der Kläger könne nur mehr zwei bis vier Stunden täglich leichte Arbeiten im Wechselrhythmus verrichten. Unabhängig davon verneinte auch er, dass die nach seiner Auffassung bereits bestehende Erwerbsminderung durch medizinische Maßnahmen zur Rehabilitation gebessert oder wiederhergestellt werden könne. Die bereits eingetretenen Gesundheitsstörungen könnten nicht beseitigt werden. Dementsprechend habe auch die frühere letzte Rehabilitationsmaßnahme nur vorübergehende Erleichterung gebracht. Die Wiedereingliederung des Klägers in das Erwerbsleben könne damit nicht erreicht werden. Einen während des Klageverfahrens am 21.09.2005 erneut gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2005 ebenfalls ab. Der Bescheid wurde laut Rechtsmittelbelehrung Gegenstand des Verfahrens.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 22.06.2006 ab. Es legte die Voraussetzungen der §§ 9 Abs.2, 10 Abs.1, 12 Abs.2 SGB VI für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Einzelnen dar und führte aus, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder bereits gemindert. Bezugspunkt hierfür sei der zuletzt ausgeübte Beruf in seiner gesamten beruflichen Bandbreite, also bei dem als ungelernten Arbeiter im Galvanikbereich tätig gewesenen Kläger der allgemeine Arbeitsmarkt. Nach dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Dr.B. bestünden beim Kläger zwar verschiedene, das Leistungsvermögen in qualitativer Hinsicht einschränkende Erkrankungen. Eine erhebliche Gefährdung oder wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei damit jedoch nicht verbunden. Die aufgeführten Erkrankungen seien durchgängig ohne gravierenden Befund. Sowohl bei dem diagnostizierten HWS-Syndrom, der Lumboischialgie sowie der Schultereckgelenksarthrose beständen nur geringe Funktionsdefizite; auch die Überlastungsbeschwerden am rechten Handgelenk, den Fingergelenken sowie dem linken Ellenbogen seien aktuell ohne pathologischen Befund, bezüglich des obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms habe durch eine Überdruckatemmaske eine deutliche Besserung der Tagesmüdigkeit erreicht werden können; die Schwerhörigkeit sei durch beiderseitige Hörgeräteversorgung ausgeglichen, bezüglich des Reizmagens bestehe unter medikamentöser Prophylaxe eine weitgehende Beschwerdefreiheit. Das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr.S. , in dem eine starke Minderung der Erwerbsfähigkeit angenommen, aber nicht begegründet werde, bezeichnete das SG als nicht überzeugend. Dies bleibe jedoch irrelevant, weil sich auch aus diesem Gutachten ein Anspruch auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitation nicht herleiten lasse. Auch dieser Gutachter lehne die Erforderlichkeit einer Rehabilitationsmaßnahme, wenn auch aus anderen Gründen, ab.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses Urteil und bringt vor, das SG habe das Gutachten des Dr.S. nicht hinreichend gewürdigt. Der Kläger sei infolge seiner gesundheitlichen Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar.

Er beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 22.06.2006 sowie des Bescheides vom 29.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 und des Bescheides vom 06.10.2005 zu verpflichten, ihm Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 11.09.2006 darauf hingewiesen, dass die Berufung keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Dieser verfolgt sein Begehren weiter und regt eine Entscheidung nach Aktenlage an. Die Beklagte schloss sich dem Antrag an.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Das angefochtene Ersturteil ist nicht zu beanstanden. Auch der Senat gelangt nach Überprüfung des Berufungsbegehrens zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch des Klägers auf Durchführung medizinischer Maßnahmen zur Rehabilitation nicht besteht.

Die in § 10 Abs.1 normierten Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen, die von den Gerichten uneingeschränkt überprüfbar sind (vgl. Niesel in KassKomm, SGB VI, § 13 Rdnr.4 f, 12), liegen nicht vor. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist nicht wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert, und es kann voraussichtlich nicht durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit gebessert bzw. eine wesentliche Verschlechterung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden. Erwerbsfähigkeit in diesem Sinne ist als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen Kenntnissen und seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Dabei ist auf den zuletzt ausgeübten Beruf unter Einbeziehung der Tätigkeiten der letzten Jahre abzustellen (BSG, SozR 2200 § 1237 a Nr.10). Entscheidend ist also nicht allein die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausformung, also im Fall des Klägers die eher schwere Tätigkeit eines Galvanikarbeiters, wie er sie beim letzten Arbeitgeber ausübte, wo eine Umsetzung auf leichtere Arbeiten zwar geprüft, aber nicht ermöglicht werden konnte.

Die Fähigkeit des Klägers, sich entsprechend seinen Kenntnissen und Fähigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Erwerbstätigkeit zu verschaffen, ist trotz der bei ihm teilweise seit langem vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und HNO-ärztlichem Gebiet auch nach Auffassung des Senats nicht erheblich gefährdet oder gemindert. Es können noch vollschichtig leichtere körperliche Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen vollschichtig bzw. mindestens sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden. Den anders lautenden gutachtlichen Ausführungen des Dr.S. , der - auch nach Auffassung des Senats - ohne nachvollziehbare Begründung eine zeitliche Leistungseinschränkung annahm, ist insoweit nicht zu folgen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger der Arbeitsmarkt aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschlossen wäre.

Entscheidend ist vorliegend aber letztlich, dass von allen Gutachtern, auch den vom Kläger benannten Gutachter Dr.S. , die Frage nach der Erforderlichkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme bzw. die Aussicht auf Besserung/Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durch medizinische Reha-Maßnahmen verneint wird. Unter diesen Umständen erscheint das dennoch angestrengte Berufungsverfahren völlig unverständlich.

Daher war die Berufung zurückzuweisen, darüberhinaus die vom SG übergegangene Klage gegen den während des Klageverfahrens ergangenen und Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid vom 06.10.2005 abzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Entscheidung konnte gemäß § 124 Abs.2 ergehen, da sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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