Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
101
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 101 AS 862/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin, welche laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 19 ff. Zweites Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) bezieht, begehrt einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen gemäß § 21 Abs. 5 SGB II aufgrund einer bei ihr bestehenden Unverträglichkeit gegenüber Laktose (Milchzucker).
Die Klägerin hatte bei dem Beklagten eine Bescheinigung ihrer Ärztin vom 9. Februar 2005 vorgelegt, nach der sie an einer "Laktoseintoleranz und rez. Urtikaria" leide und daher auf laktosefreie Kost angewiesen sei, sowie eine weitere Bescheinigung der C., hinsichtlich derer auf Bl. 10 der Akte des Verfahrens S 101 AS 862/06 ER verwiesen wird. Der Klägerin wurden vom Beklagten durch Bescheid vom 21. Oktober 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 4. November 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligt, ohne dass ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigt wurde.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2005 Widerspruch. Die Versagung des Mehrbedarfes sei rechtswidrig, sie habe erhebliche Mehrkosten für den Erwerb von laktosefreien Produkten. Diese seien etwa 100 bis 400 % teurer als gewöhnliche Lebensmittel. Hierzu zählten nicht nur Lebensmittel, sondern auch Medikamente und kosmetische Artikel des täglichen Bedarfs, wie etwa Zahnpasta. Da sie keine normalen Milchprodukte zu sich nehmen könne, sei es wichtig fehlende Stoffe wie Calcium auf andere Weise auszugleichen. Die Folge einer "normalen Ernährung" sei eine Körperreaktion, die wiederum mit "100 %iger Sicherheit eine Arbeitsunfähigkeit" zur Folge habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2006 zurück. Ein Mehrbedarf sei nicht zu bewilligen, da in den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und Private Fürsorge für das Krankheitsbild der Laktoseintoleranz kein Mehrbedarf anerkannt sei. Im Übrigen verwies der Beklagte auf eine gutachterliche Äußerung vom 12. August 2005 der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. med. S., welche bei der Agentur für Arbeit Berlin Süd beschäftigt ist. Hierin stellt Dipl. med. S. fest, dass ein Mehrbedarf nicht zu bewilligen sei, da laktosehaltigen Lebensmitteln eine ausreichende Zahl von laktosefreien gegenüber stehe. Lediglich bei Säuglingen, bei denen naturgemäß die Ernährung nicht angepasst werden könne, sei ein Mehrbedarf angezeigt.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage ihr Anliegen weiter. Sie verweist zunächst auf ihr Vorbringen im Widerspruchverfahren. Das Krankheitsbild der Laktoseintoleranz begründe nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sowie dem Begutachtungsleitfaden des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Der Aufwand für lactosefreie Kost sei mit dem für glutenfreie Kost zu vergleichen.
Die Klägerin hat eine Liste mit Lebensmitteln bei Gericht eingereicht, welche sie aufgrund ihrer Krankheit nicht zu sich nehmen kann, und welche Lebensmittel sie stattdessen erwirbt. Hinsichtlich dieser Liste wird auf Bl. 41 f. d. A. verwiesen.
Sie hatte zunächst schriftsätzlich beantragt, den Beklagten zur Gewährung des krankheitsbedingten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung seit Dezember 2004 zu verurteilen. Die Klägerin beantragt nunmehr unter Rücknahme des Antrags für den Zeitraum seit Dezember 2004, den Bescheid vom 21. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2006 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr einen Mehrbedarf von 117,22 EUR monatlich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die streitgegenständlichen Bescheide.
Das Gericht hat am 15. Februar 2006 telefonisch eine Auskunft der Ökotrophologin der Klinik C. – Frau F. - eingeholt, es wird insoweit auf den Vermerk vom selben Tag (Bl. 47 der Akte des Eilverfahrens) verwiesen, welcher den Beteiligten übermittelt worden ist.
Die Akte des Verfahrens S 101 AS 862/06 ER hat in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf diese sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Schreiben sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen zu Recht versagt.
Die Klägerin vermochte die Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II weder darzulegen, noch vermochte das Gericht aufgrund eigener Ermittlungen diese als gegeben sehen. Hiernach erhalten Hilfebedürftige, welche aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in entsprechender Höhe. Hierbei handelt es sich um eine gebundenen Anspruch, welcher nicht im Ermessen des Leistungsträgers steht. Sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen sind gerichtlich voll überprüfbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die krankheitsbedingt geänderte Ernährung zwingend zu (erheblichen) Mehrkosten führt.
Hinsichtlich der Beurteilung, ob dies der Fall ist, greifen die JobCenter – wie zuvor die Sozialämter – auf die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (2. Aufl. 1997) zurück. In den "Empfehlungen" finden sich keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Laktoseunverträglichkeit. Die Empfehlungen können zwar – bereits aufgrund möglicher Besonderheiten von Erkrankungen im Einzelfall – nicht als abschließende Aufzählung angesehen werden. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Laktoseunverträglichkeit um eine vergleichsweise weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit handelt. Zudem ist sie auch im "Rationalisierungsschema 1994 der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)", welches den Empfehlungen zugrunde liegt, erfasst (vgl. Anlage 3 der "Empfehlungen, S. 46). Eine Gleichstellung mit Unverträglichkeit gegenüber Gluten verbietet sich aus zweierlei Gründe: zum einen unterscheidet sich das Krankheitsbild erheblich, zum anderen ist Gluten als Bestandteil der einheimischen Getreidesorten in völlig anderen Produkten enthalten als Lactose.
Der Begutachtungsleitfaden der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe gibt ebenso wenig eine generelle Empfehlung für einen Mehrbedarf ab, sondern zählt die Lactoseintoleranz lediglich als "seltene" Erkrankung auf, welche im Einzelfall einen ernährungsbedingten Mehrbedarf erforderlich machen kann.
Aber auch auf den Einzelfall der Klägerin bezogen vermochte die Kammer keine zwingenden Mehrkosten für eine lactosefreie Kost zu erkennen. Die Klägerin leidet an einer Lactoseunverträglichkeit. Diese ist – wie sich aus dem Überweisungsschreiben der Klinik C. vom 13. Dezember 2004 (Bl. 10 der Akte S 101 AS 862/06 ER) ergibt, durch einen Lactasemangel bedingt. Sie äußert sich durch Meteorismus und Diarrhöen nach dem Verzehr von lactosehaltigen Lebensmitteln. Die bei ihr ebenfalls festgestellte Urtikaria steht nach dem Schreiben nicht in Zusammenhang mit der Lactoseunverträglichkeit, sondern "kann im Zusammenhang mit der medikamentös zur Zeit gut eingestellten Hyperthyreose stehen". Lactase ist ein körpereigenes Enzym, welches Laktose in die beiden Zuckerarten Galaktose und Glukose spaltet. In Westeuropa, Australien und Nordamerika leiden etwa 5 bis 15 %, in Asien und Afrika hingegen bis zu 90 % der erwachsenen Bevölkerung an Laktoseintoleranz infolge Lactasemangels (vgl. den Eintrag zu "Laktoseintoleranz" bei Wikipedia, Bl. 55 ff. d. A.).
Der Kammer ist bewusst, dass die Klägerin aufgrund ihres Lactasemangels in ihrer Lebensführung erheblich eingeschränkt ist und ihre Ernährungsgewohnheiten deutlich umstellen muss. Lactose ist zum einen in Milchprodukten enthalten, zum anderen wird sie zahlreichen Lebensmitteln, vor allem Fertiggerichten und Lebensmittelzubereitungen (nachträglich) beigefügt. Trotz der weiten Verbreitung von Lactose ist es nach der Überzeugung der Kammer jedoch ohne einen erheblichen finanziellen Mehraufwand und ohne gesundheitliche Einschränkungen möglich, sich lactosefrei zu ernähren. Denn nach §§ 3, 5, und dem Anhang 3 der Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (BGBl. I 1999, 2464 ff.) sind Milch, Milchprodukte und künstlich zugesetzte Lactose auf Fertigprodukten zu kennzeichnen. Die Klägerin muss so aufmerksam die Zutatenangaben von Produkten lesen und aus dem allgemeinen Warenangebot lactosefreie Lebensmittel herauszusuchen. Dieser Aufwand kann der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung ohnehin nicht abgenommen werden. Wenn sie dies tut, so wird sie etwa im Angebot von Brot, welches allein vier Posten der von ihr verfassten Liste ausmacht, eine ausreichende Auswahl an lactosefreien Produkten finden. Dem Vorsitzenden war es möglich, bei einem Lebensmittel-Discounter eine 500 gr. Packung Graubrot für 0,45 Euro zu erwerben. Gleiches gilt für Wurst und Nudeln, beides findet sich als laktosefreie Produkte im Angebot von Lebensmittel-Discountern.
Hinsichtlich solcher Fertigprodukte bzw. Lebensmittelzubereitungen, denen nachträglich Lactose zugesetzt wurde, muss sie gegebenenfalls auf die eigene Zubereitung verwiesen werden. So kann sie ohne weiteres darauf verwiesen werden, Kuchen selbst aus Mehl und pflanzlichen Fetten zuzubereiten. Gewürze müssen keinesfalls als Gewürzmischung erworben und Soßenbinder kann jederzeit durch Speisestärke ersetzt werden, welche regelmäßig preisgünstiger sein wird und nichts als Mais- oder Kartoffelstärke enthält. Gleiches gilt für Speiseöl, bei dem im Übrigen in den seltensten Fällen Laktose zugesetzt sein dürfte, und Margarine.
Für die Milchprodukte wird sich zwar häufig nicht ohne weiteres ein (preiswerter) Ersatz finden lassen. Der Klägerin kann es aber ohne weiteres zugemutet werden, auf gewisse Produkte wie Schokopudding oder Schokobrotaufstrich, aber auch auf andere Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung muss nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren kann, Ersatzprodukte erwerben kann. Gegebenenfalls muss die Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Dies ist jedoch durch die Krankheit bedingt, nicht durch den versagten Mehrbedarf. Die Gewährung eines Mehrbedarfs ist erst dann angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohen oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung steht.
Im Übrigen hat die Kammer erhebliche Zweifel an den von der Klägerin angegebene Mengen der Milchprodukte, die sie wöchentlich bzw. monatlich verzehrt. So hat die Klägerin neben vier Litern Milch in der Woche noch einen Liter Schoko/Vanille-Milch pro Woche und zwei 3er Packs Trinkmilch (pro Monat) aufgeführt. Ferner verzehrt sie nach ihrer Liste pro Woche: 2 x 250 gr "Minus-L-Speisequark", zweimal Pudding (4x125 gr), zweimal "Joghurt Soja" (4x125 gr) sowie einen Becher MinusL Joghurt (500 gr) und zwei Becher MinusL Joghurt (150 gr), mithin 2,3 kg Joghurt und Pudding, hinzukommen noch 600 ml Schlagsahne pro Woche.
Dass der Klägerin durch den Verzicht auf Milchprodukte lebensnotwendige Nahrungsstoffe entgehen, ist nicht zu sehen. Dies haben sowohl die Ärztin der Beklagten, Frau S., als auch die Ökotrophologin der Klinik C. Frau F. bestätigt. Nur hinsichtlich Calciums könnte ein Mangel bei der Klägerin entstehen. Soweit sie diesen nicht durch den Verzehr anderer calciumhaltiger Lebensmittel ausgleichen kann, kann die Klägerin sich auch laktosefreie Milch kaufen. Diese gibt es erheblich günstiger, als sie es angegeben hat, nämlich für 0,79 EUR pro Liter (und nicht 1,29 EUR), so dass die Klägerin (bei einem Mehrpreis von etwa 0,30 bis 0,40 EUR pro Liter) für etwa drei bis vier Euro immer noch zwei Liter Milch pro Woche erwerben kann. Hierbei handelt es sich – auch an einer sparsamen Haushaltsführung gemessen - um keinen erheblichen Mehrbetrag. Im Übrigen können etwa 90 % der Menschen asiatischer Herkunft Laktose nicht verdauen und verzichten demzufolge weitestgehend auf Milchprodukte ohne an Mangelerscheinungen zu leiden; gleiches gilt für Veganer, welche aus Überzeugung keine tierischen Produkte zu sich nehmen.
Entgegen der Aufforderung vom 30. Juni 2006 hat die Klägerin nicht die Markennamen sowohl der zu ersetzenden Lebensmittel wie der Diätprodukte mitgeteilt, so dass insoweit ihre Aufstellung teilweise nicht nachvollzogen werden konnte. Dies gilt insbesondere für diejenigen Produkten wie Speiseöl oder Vollkornbrot, denen gewöhnlich keine Laktose zugesetzt ist.
Vor diesem Hintergrund besteht für das Gericht kein Anlass nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten zur Aufklärung des Sachverhaltes einzuholen, da sämtliche tatsächlichen Fragen hinreichend geklärt sind.
Nach alledem vermochte die Kammer keinen zwingenden krankheitsbedingten Mehrbedarf festzustellen, die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin, welche laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 19 ff. Zweites Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) bezieht, begehrt einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen gemäß § 21 Abs. 5 SGB II aufgrund einer bei ihr bestehenden Unverträglichkeit gegenüber Laktose (Milchzucker).
Die Klägerin hatte bei dem Beklagten eine Bescheinigung ihrer Ärztin vom 9. Februar 2005 vorgelegt, nach der sie an einer "Laktoseintoleranz und rez. Urtikaria" leide und daher auf laktosefreie Kost angewiesen sei, sowie eine weitere Bescheinigung der C., hinsichtlich derer auf Bl. 10 der Akte des Verfahrens S 101 AS 862/06 ER verwiesen wird. Der Klägerin wurden vom Beklagten durch Bescheid vom 21. Oktober 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 4. November 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligt, ohne dass ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigt wurde.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2005 Widerspruch. Die Versagung des Mehrbedarfes sei rechtswidrig, sie habe erhebliche Mehrkosten für den Erwerb von laktosefreien Produkten. Diese seien etwa 100 bis 400 % teurer als gewöhnliche Lebensmittel. Hierzu zählten nicht nur Lebensmittel, sondern auch Medikamente und kosmetische Artikel des täglichen Bedarfs, wie etwa Zahnpasta. Da sie keine normalen Milchprodukte zu sich nehmen könne, sei es wichtig fehlende Stoffe wie Calcium auf andere Weise auszugleichen. Die Folge einer "normalen Ernährung" sei eine Körperreaktion, die wiederum mit "100 %iger Sicherheit eine Arbeitsunfähigkeit" zur Folge habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2006 zurück. Ein Mehrbedarf sei nicht zu bewilligen, da in den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und Private Fürsorge für das Krankheitsbild der Laktoseintoleranz kein Mehrbedarf anerkannt sei. Im Übrigen verwies der Beklagte auf eine gutachterliche Äußerung vom 12. August 2005 der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. med. S., welche bei der Agentur für Arbeit Berlin Süd beschäftigt ist. Hierin stellt Dipl. med. S. fest, dass ein Mehrbedarf nicht zu bewilligen sei, da laktosehaltigen Lebensmitteln eine ausreichende Zahl von laktosefreien gegenüber stehe. Lediglich bei Säuglingen, bei denen naturgemäß die Ernährung nicht angepasst werden könne, sei ein Mehrbedarf angezeigt.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage ihr Anliegen weiter. Sie verweist zunächst auf ihr Vorbringen im Widerspruchverfahren. Das Krankheitsbild der Laktoseintoleranz begründe nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sowie dem Begutachtungsleitfaden des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Der Aufwand für lactosefreie Kost sei mit dem für glutenfreie Kost zu vergleichen.
Die Klägerin hat eine Liste mit Lebensmitteln bei Gericht eingereicht, welche sie aufgrund ihrer Krankheit nicht zu sich nehmen kann, und welche Lebensmittel sie stattdessen erwirbt. Hinsichtlich dieser Liste wird auf Bl. 41 f. d. A. verwiesen.
Sie hatte zunächst schriftsätzlich beantragt, den Beklagten zur Gewährung des krankheitsbedingten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung seit Dezember 2004 zu verurteilen. Die Klägerin beantragt nunmehr unter Rücknahme des Antrags für den Zeitraum seit Dezember 2004, den Bescheid vom 21. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2006 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr einen Mehrbedarf von 117,22 EUR monatlich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die streitgegenständlichen Bescheide.
Das Gericht hat am 15. Februar 2006 telefonisch eine Auskunft der Ökotrophologin der Klinik C. – Frau F. - eingeholt, es wird insoweit auf den Vermerk vom selben Tag (Bl. 47 der Akte des Eilverfahrens) verwiesen, welcher den Beteiligten übermittelt worden ist.
Die Akte des Verfahrens S 101 AS 862/06 ER hat in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf diese sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Schreiben sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen zu Recht versagt.
Die Klägerin vermochte die Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II weder darzulegen, noch vermochte das Gericht aufgrund eigener Ermittlungen diese als gegeben sehen. Hiernach erhalten Hilfebedürftige, welche aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in entsprechender Höhe. Hierbei handelt es sich um eine gebundenen Anspruch, welcher nicht im Ermessen des Leistungsträgers steht. Sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen sind gerichtlich voll überprüfbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die krankheitsbedingt geänderte Ernährung zwingend zu (erheblichen) Mehrkosten führt.
Hinsichtlich der Beurteilung, ob dies der Fall ist, greifen die JobCenter – wie zuvor die Sozialämter – auf die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (2. Aufl. 1997) zurück. In den "Empfehlungen" finden sich keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Laktoseunverträglichkeit. Die Empfehlungen können zwar – bereits aufgrund möglicher Besonderheiten von Erkrankungen im Einzelfall – nicht als abschließende Aufzählung angesehen werden. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Laktoseunverträglichkeit um eine vergleichsweise weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit handelt. Zudem ist sie auch im "Rationalisierungsschema 1994 der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)", welches den Empfehlungen zugrunde liegt, erfasst (vgl. Anlage 3 der "Empfehlungen, S. 46). Eine Gleichstellung mit Unverträglichkeit gegenüber Gluten verbietet sich aus zweierlei Gründe: zum einen unterscheidet sich das Krankheitsbild erheblich, zum anderen ist Gluten als Bestandteil der einheimischen Getreidesorten in völlig anderen Produkten enthalten als Lactose.
Der Begutachtungsleitfaden der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe gibt ebenso wenig eine generelle Empfehlung für einen Mehrbedarf ab, sondern zählt die Lactoseintoleranz lediglich als "seltene" Erkrankung auf, welche im Einzelfall einen ernährungsbedingten Mehrbedarf erforderlich machen kann.
Aber auch auf den Einzelfall der Klägerin bezogen vermochte die Kammer keine zwingenden Mehrkosten für eine lactosefreie Kost zu erkennen. Die Klägerin leidet an einer Lactoseunverträglichkeit. Diese ist – wie sich aus dem Überweisungsschreiben der Klinik C. vom 13. Dezember 2004 (Bl. 10 der Akte S 101 AS 862/06 ER) ergibt, durch einen Lactasemangel bedingt. Sie äußert sich durch Meteorismus und Diarrhöen nach dem Verzehr von lactosehaltigen Lebensmitteln. Die bei ihr ebenfalls festgestellte Urtikaria steht nach dem Schreiben nicht in Zusammenhang mit der Lactoseunverträglichkeit, sondern "kann im Zusammenhang mit der medikamentös zur Zeit gut eingestellten Hyperthyreose stehen". Lactase ist ein körpereigenes Enzym, welches Laktose in die beiden Zuckerarten Galaktose und Glukose spaltet. In Westeuropa, Australien und Nordamerika leiden etwa 5 bis 15 %, in Asien und Afrika hingegen bis zu 90 % der erwachsenen Bevölkerung an Laktoseintoleranz infolge Lactasemangels (vgl. den Eintrag zu "Laktoseintoleranz" bei Wikipedia, Bl. 55 ff. d. A.).
Der Kammer ist bewusst, dass die Klägerin aufgrund ihres Lactasemangels in ihrer Lebensführung erheblich eingeschränkt ist und ihre Ernährungsgewohnheiten deutlich umstellen muss. Lactose ist zum einen in Milchprodukten enthalten, zum anderen wird sie zahlreichen Lebensmitteln, vor allem Fertiggerichten und Lebensmittelzubereitungen (nachträglich) beigefügt. Trotz der weiten Verbreitung von Lactose ist es nach der Überzeugung der Kammer jedoch ohne einen erheblichen finanziellen Mehraufwand und ohne gesundheitliche Einschränkungen möglich, sich lactosefrei zu ernähren. Denn nach §§ 3, 5, und dem Anhang 3 der Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (BGBl. I 1999, 2464 ff.) sind Milch, Milchprodukte und künstlich zugesetzte Lactose auf Fertigprodukten zu kennzeichnen. Die Klägerin muss so aufmerksam die Zutatenangaben von Produkten lesen und aus dem allgemeinen Warenangebot lactosefreie Lebensmittel herauszusuchen. Dieser Aufwand kann der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung ohnehin nicht abgenommen werden. Wenn sie dies tut, so wird sie etwa im Angebot von Brot, welches allein vier Posten der von ihr verfassten Liste ausmacht, eine ausreichende Auswahl an lactosefreien Produkten finden. Dem Vorsitzenden war es möglich, bei einem Lebensmittel-Discounter eine 500 gr. Packung Graubrot für 0,45 Euro zu erwerben. Gleiches gilt für Wurst und Nudeln, beides findet sich als laktosefreie Produkte im Angebot von Lebensmittel-Discountern.
Hinsichtlich solcher Fertigprodukte bzw. Lebensmittelzubereitungen, denen nachträglich Lactose zugesetzt wurde, muss sie gegebenenfalls auf die eigene Zubereitung verwiesen werden. So kann sie ohne weiteres darauf verwiesen werden, Kuchen selbst aus Mehl und pflanzlichen Fetten zuzubereiten. Gewürze müssen keinesfalls als Gewürzmischung erworben und Soßenbinder kann jederzeit durch Speisestärke ersetzt werden, welche regelmäßig preisgünstiger sein wird und nichts als Mais- oder Kartoffelstärke enthält. Gleiches gilt für Speiseöl, bei dem im Übrigen in den seltensten Fällen Laktose zugesetzt sein dürfte, und Margarine.
Für die Milchprodukte wird sich zwar häufig nicht ohne weiteres ein (preiswerter) Ersatz finden lassen. Der Klägerin kann es aber ohne weiteres zugemutet werden, auf gewisse Produkte wie Schokopudding oder Schokobrotaufstrich, aber auch auf andere Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung muss nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren kann, Ersatzprodukte erwerben kann. Gegebenenfalls muss die Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Dies ist jedoch durch die Krankheit bedingt, nicht durch den versagten Mehrbedarf. Die Gewährung eines Mehrbedarfs ist erst dann angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohen oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung steht.
Im Übrigen hat die Kammer erhebliche Zweifel an den von der Klägerin angegebene Mengen der Milchprodukte, die sie wöchentlich bzw. monatlich verzehrt. So hat die Klägerin neben vier Litern Milch in der Woche noch einen Liter Schoko/Vanille-Milch pro Woche und zwei 3er Packs Trinkmilch (pro Monat) aufgeführt. Ferner verzehrt sie nach ihrer Liste pro Woche: 2 x 250 gr "Minus-L-Speisequark", zweimal Pudding (4x125 gr), zweimal "Joghurt Soja" (4x125 gr) sowie einen Becher MinusL Joghurt (500 gr) und zwei Becher MinusL Joghurt (150 gr), mithin 2,3 kg Joghurt und Pudding, hinzukommen noch 600 ml Schlagsahne pro Woche.
Dass der Klägerin durch den Verzicht auf Milchprodukte lebensnotwendige Nahrungsstoffe entgehen, ist nicht zu sehen. Dies haben sowohl die Ärztin der Beklagten, Frau S., als auch die Ökotrophologin der Klinik C. Frau F. bestätigt. Nur hinsichtlich Calciums könnte ein Mangel bei der Klägerin entstehen. Soweit sie diesen nicht durch den Verzehr anderer calciumhaltiger Lebensmittel ausgleichen kann, kann die Klägerin sich auch laktosefreie Milch kaufen. Diese gibt es erheblich günstiger, als sie es angegeben hat, nämlich für 0,79 EUR pro Liter (und nicht 1,29 EUR), so dass die Klägerin (bei einem Mehrpreis von etwa 0,30 bis 0,40 EUR pro Liter) für etwa drei bis vier Euro immer noch zwei Liter Milch pro Woche erwerben kann. Hierbei handelt es sich – auch an einer sparsamen Haushaltsführung gemessen - um keinen erheblichen Mehrbetrag. Im Übrigen können etwa 90 % der Menschen asiatischer Herkunft Laktose nicht verdauen und verzichten demzufolge weitestgehend auf Milchprodukte ohne an Mangelerscheinungen zu leiden; gleiches gilt für Veganer, welche aus Überzeugung keine tierischen Produkte zu sich nehmen.
Entgegen der Aufforderung vom 30. Juni 2006 hat die Klägerin nicht die Markennamen sowohl der zu ersetzenden Lebensmittel wie der Diätprodukte mitgeteilt, so dass insoweit ihre Aufstellung teilweise nicht nachvollzogen werden konnte. Dies gilt insbesondere für diejenigen Produkten wie Speiseöl oder Vollkornbrot, denen gewöhnlich keine Laktose zugesetzt ist.
Vor diesem Hintergrund besteht für das Gericht kein Anlass nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten zur Aufklärung des Sachverhaltes einzuholen, da sämtliche tatsächlichen Fragen hinreichend geklärt sind.
Nach alledem vermochte die Kammer keinen zwingenden krankheitsbedingten Mehrbedarf festzustellen, die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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