Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 RJ 666/04
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 136/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.
Die 1923 in Polen geborene Klägerin ist die Witwe des 1921 ebenfalls in Polen geborenen, am XX.XXXXXXX 1984 verstorbenen A. H., der sich zeitweise auch A1 H1 nannte, um sich einen "arischen" Anschein zu geben (im Folgenden: Verstorbener). Die Ehe der beiden wurde am X.XXXXX 1941 im polnischen Lwow/Galizien (deutsch: Lemberg) geschlossen, das nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges russisch besetzt worden war. Die russische Besatzung wurde im Juli/August 1941 durch eine deutsche abgelöst.
Die Klägerin und der Verstorbene sind als Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz anerkannt. In einem ersten Entschädigungsverfahren hatte der Verstorbene u. a. mit eidesstattlicher Erklärung vom 17. Juli 1954 angegeben, dass er als Sohn jüdischer Eltern nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in das Ghetto Lemberg habe ziehen müssen. Nach einigen Tagen dort sei er von der Gestapo verhaftet und in das Gefängnis Lemberg-Wonskego eingeliefert worden. Er habe fortan tagsüber außerhalb des Gefängnisses als Automechaniker Zwangsarbeit leisten müssen. Anfang 1942 sei es ihm gelungen, unter Lebensgefahr zu fliehen und mit falschen Papieren nach dem ebenfalls von Deutschen besetzten Dnjepropetrowsk in Russland zu gelangen. Dort habe er im Heeres Kraft Park (HKP) gearbeitet, sei im Mai/Juni 1942 unter dem Verdacht, Jude zu sein, verhaftet und bis August 1943 ins Gefängnis gesteckt worden, von wo aus er im September 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht worden sei. Hier habe er bis zur Befreiung durch die amerikanischen Truppen Zwangsarbeiten verrichten müssen.
Im Oktober 1980 beantragte der Verstorbene bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, ihm die Beitragsnachentrichtung zu gestatten, was jene mit der Begründung ablehnte, dass der Kläger weder zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz noch zum deutschen Sprach- und Kulturkreis im Sinne des § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung gehöre. Im Rahmen dieses Antragsverfahrens hatte der Kläger zu seinem beruflichen Werdegang angegeben, von 1936 bis 1939 die Höhere Schule für Mechaniker besucht bzw. eine Schlosserlehre absolviert, im Anschluss kurze Zeit in diesem Beruf bei einer Privatfirma und von 1939 bis 1941 unter der russischen Besatzung im HKP Lemberg als Mechaniker gegen Entgelt gearbeitet zu haben. Dann sei er ins Ghetto gekommen und habe von 1942 bis 1943 für die deutschen Besatzer wiederum als Mechaniker im HKP gearbeitet, nunmehr in Gestalt unbezahlter Zwangsarbeit. Die Angaben waren für Zeiten bis 1940 im Wesentlichen von den Zeugen I. K. und J. M. bestätigt worden.
Im August 1987 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen. Die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, (im folgenden: Beklagte) erkannte zwar die Zugehörigkeit des Verstorbenen zum deutschen Sprach- und Kulturkreis an, lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass angesichts widersprüchlicher Angaben zu den Tätigkeiten des Verstorbenen keine Beschäftigungen vor Beginn der deutschen Besatzung glaubhaft gemacht seien, die als versicherungspflichtig in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen wären. Für Lehrlinge und Schüler von Berufsschulen habe nach den polnischen Sozialversicherungsgesetzen keine Versicherungspflicht bestanden. Auch für die Zeit ab Einmarsch der deutschen Truppen in Lemberg sei nicht von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, weil ab diesem Zeitpunkt Zwangsarbeit vorgelegen habe (Bescheid vom 3. August 1993, Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1994). Die daraufhin erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1996 abgewiesen (4 J 579/94), die dagegen gerichtete Berufung vom Landessozialgericht Hamburg mit Urteil vom 14. März 2000 zurückgewiesen (I JBf 21/97), jeweils im Wesentlichen mit der Begründung, dass aufgrund der widersprüchlichen Angaben im Renten- und Entschädigungsverfahren keine anzurechnenden Versicherungszeiten glaubhaft gemacht worden seien. Insbesondere sei die Ausübung einer abhängigen entgeltlichen Beschäftigung vor Beginn der deutschen Besatzung nicht überwiegend wahrscheinlich, in der Zeit danach habe der Verstorbene Zwangsarbeit verrichtet. Auf die Entscheidungen wird Bezug genommen.
Im April 2003 beantragte die Klägerin erneut eine Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen im Hinblick auf das mittlerweile in Kraft getretene ZRBG.
Die Beklagte lehnte den Antrag wiederum ab und verwies für die Zeit vor Beginn der deutschen Besetzung Lembergs auf die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1996 bzw. 14. März 2000. Insoweit hätte sich keine Änderung der Sach- und Rechtslage ergeben. Im Hinblick auf die Zeit ab Beginn der deutschen Besetzung führte die Beklagte aus, dass auch in Anwendung der Vorschriften des ZRBG keine anrechenbaren Versicherungszeiten festzustellen sein. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Verstorbene im Ghetto Lemberg eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss aufgenommen und entgeltlich im Sinne des ZRBG ausgeübt habe. Ausgehend von dessen Angaben, dass er im Ghetto von der Gestapo verhaftet und dann jeweils aus dem Gefängnis Lemberg-Wonskego zur Arbeit beim HKP verbracht worden sei, sei von unbezahlter Zwangsarbeit auszugehen (Bescheid vom 18. September 2003, Widerspruchsbescheid vom 19. April 2004).
Mit der dagegen am 21. Mai 2004 erhobenen Klage hat die Klägerin behauptet, der Verstorbene habe im Ghetto Lemberg bis 1942 als Automechaniker gearbeitet und dafür Barlohn sowie tägliche Mahlzeiten und weitere zusätzliche Lebensmittel erhalten. Es habe sich nicht um Zwangsarbeit gehandelt. Der Verstorbene habe zwischen verschiedenen Tätigkeiten wählen können und habe sich für die als Automechaniker entschieden, weil er dort besondere Vergünstigungen erhalten habe. Die Klägerin und der Verstorbene seien bei Gründung des Ghettos Lemberg gezwungen worden, mit anderen Ghettoinsassen im Theaterhaus zu leben. Nach einigen Tagen seien sie für kurze Zeit verhaftet und ausgefragt worden. Anschließend seien die meisten Gefangenen erschossen worden. Sie und ihr Ehemann seien am Leben geblieben und haben bis zu ihrer Flucht im Jahr 1942 weiter im Theater gewohnt. Die Arbeit als Mechaniker habe der Verstorbene durch den Judenrat erhalten. Die Werkstatträume haben außerhalb des Ghettos gelegen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2005, der Klägerin zugestellt am 6. Juli 2005, mit der Begründung abgewiesen, dass ein Witwenrentenanspruch nach § 46 Abs. 1 oder Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch nicht bestehe, weil der Verstorbene die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht erfüllt habe. Auf diese werden gemäß § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Weder die angegebenen Zeiten vor noch die Zeiten ab Beginn der deutschen Besatzung Lembergs kommen als Beitragszeiten in Betracht, was für den Zeitraum vor der Besetzung das Sozialgericht Hamburg und das Landessozialgericht Hamburg zutreffend ausgeführt haben. Eine Anerkennung der Zeiten ab Beginn der deutschen Besatzung ergebe sich auch nicht aus dem ZRBG. Für die Tätigkeit des Verstorbenen beim HKP seien weder Beiträge entrichtet worden noch gelten solche nach dem ZRBG als entrichtet, weil nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass der Verstorbene diese Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss aufgenommen und sie gegen Entgelt ausgeübt habe. Angesichts der früheren und zeitnahen Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren, insbesondere in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 17. Juli 1954, spreche mehr für die Ausübung einer Tätigkeit allein aufgrund obrigkeitlicher Zuweisung. Die Anrechnung einer Ersatzzeit wegen nationalsozialistischer Verfolgung nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit sei nicht möglich, weil dies voraussetze, dass mindestens ein Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sei.
Mit ihrer am 3. August 2005 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, dass das Sozialgericht der Erklärung des Verstorbenen vom 17. Juli 1954 im Entschädigungsverfahren eine zu hohe Bedeutung beigemessen und sie zu weit zu ihrem Nachteil ausgelegt habe. Sie behauptet weiter, ihr verstorbener Ehemann sei nur für einige Tage verhaftet gewesen und habe danach wieder mit ihr im Theaterhaus im Ghetto gelebt. Die Tätigkeit als Automechaniker außerhalb des Ghettos sei ihm durch den Judenrat vermittelt worden. Die Klägerin nimmt Bezug auf den Inhalt der Akten ihres Verfahrens betreffend die Rente aus eigener Versicherung – früheres Az.: 4 J 152/96, jetzt: S 4 R 218/06 -, in dem eine etwaige Verhaftung und Zwangsarbeit ihres verstorbenen Ehemannes nicht den Vordergrund gestellt worden sei. Weiter wird Bezug genommen auf ein vom Sozialgericht in anderen Verfahren eingeholtes Gutachten des Prof. Dr. G. vom 9. September 2005 (Blatt 54 ff. Prozessakte) zur Arbeitssituation unter anderem im Ghetto Lemberg.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, führt ergänzend aus, dass das Gutachten des Prof. Dr. G. auf der dortigen Seite 13 unter Ziffer 11 sehr wohl ausführe, dass anfangs Arbeitskräfte gezielt eingefangen worden seien, und weist darauf hin, dass nach den Erkenntnissen des Internationalen Suchdienstes die Tätigkeiten beim HKP im Rahmen eines Zwangsarbeitslagers verrichtet worden seien, was sich aus dem Eintrag in der Datenbank des Karl-Ernst-Osthaus-Museums unter www.keom.de mit der Nummer 2808 (siehe Ausdruck auf Blatt 6 der Widerspruchsakte) ergebe. Nach alledem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschäftigung vom Verstorbenen freiwillig aufgenommen worden sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 30. August 2006 beigezogenen Akten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung der Bevollmächtigten auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes A. H ... Dieser hat die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt.
Der Senat nimmt zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren vermag keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen. Auch nach dem Vorbringen im Berufungsverfahren ist nicht glaubhaft gemacht, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin im Ghetto freiwillig eine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt hat. Es spricht viel mehr dafür, dass es sich um Zwangsarbeit handelte.
Für das Vorliegen von Zwangsarbeit spricht nicht nur die Erklärung, die der Verstorbene am 17. Juli 1954 im Entschädigungsverfahren abgab, wobei dieser Vortrag im Wesentlichen durch eidliche Erklärungen der L. M1 und des I1 Z., ebenfalls am 17. Juli 1954 bestätigt wurde.
In seinem eigenen Beitragnachentrichtungsverfahren führte der Verstorbene in dem Aufsatz zur Prüfung seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis aus, dass er von der Gestapo verhaftet worden sei und als Automechaniker "in Gestapo" gearbeitet habe. Er sei viele Male auf den Kopf geschlagen worden (Blatt 22 Rentenakte).
Unter dem 24. August 1983 gab er beim Notar A2 V. in New York eine eidesstattliche Erklärung dahingehend ab, dass er beim HKP schon für die Russen bezahlt gearbeitet habe, bevor er dort für die Deutschen unbezahlte Zwangsarbeit geleistet habe.
Im Widerspruchschreiben seiner damaligen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 11. Februar 1986 wurde ausgeführt, dass der Verstorbene mit seiner Familie im Ghetto Lemberg gelebt habe, von der Familie getrennt und dem Gefängnis Lemberg Wonskego zugeführt worden sei, von wo aus er als Automechaniker Zwangsarbeit habe leisten müssen.
Schließlich schilderte der Nervenarzt Dr. W., New York, in dem Gutachten vom 23. Dezember 1967, dass der Verstorbene Ende Juni 1941 ins Ghetto Lemberg "gefordert" worden sei, von wo er einige Monate später ins Zwangsarbeitslager gekommen sei, Straßen habe kehren, Schaufelarbeiten habe verrichten und andere schwere Arbeiten habe leisten müssen. Er sei ins Gestapo-Gefängnis gekommen, für ungefähr ein Jahr, und habe in der Garage als Automechaniker gearbeitet, wobei er oft geschlagen und herumgeschoben worden sei.
Die nach alledem bestehenden Unklarheiten hinsichtlich anspruchsbegründender Tatsachen gehen nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.
Die 1923 in Polen geborene Klägerin ist die Witwe des 1921 ebenfalls in Polen geborenen, am XX.XXXXXXX 1984 verstorbenen A. H., der sich zeitweise auch A1 H1 nannte, um sich einen "arischen" Anschein zu geben (im Folgenden: Verstorbener). Die Ehe der beiden wurde am X.XXXXX 1941 im polnischen Lwow/Galizien (deutsch: Lemberg) geschlossen, das nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges russisch besetzt worden war. Die russische Besatzung wurde im Juli/August 1941 durch eine deutsche abgelöst.
Die Klägerin und der Verstorbene sind als Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz anerkannt. In einem ersten Entschädigungsverfahren hatte der Verstorbene u. a. mit eidesstattlicher Erklärung vom 17. Juli 1954 angegeben, dass er als Sohn jüdischer Eltern nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in das Ghetto Lemberg habe ziehen müssen. Nach einigen Tagen dort sei er von der Gestapo verhaftet und in das Gefängnis Lemberg-Wonskego eingeliefert worden. Er habe fortan tagsüber außerhalb des Gefängnisses als Automechaniker Zwangsarbeit leisten müssen. Anfang 1942 sei es ihm gelungen, unter Lebensgefahr zu fliehen und mit falschen Papieren nach dem ebenfalls von Deutschen besetzten Dnjepropetrowsk in Russland zu gelangen. Dort habe er im Heeres Kraft Park (HKP) gearbeitet, sei im Mai/Juni 1942 unter dem Verdacht, Jude zu sein, verhaftet und bis August 1943 ins Gefängnis gesteckt worden, von wo aus er im September 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht worden sei. Hier habe er bis zur Befreiung durch die amerikanischen Truppen Zwangsarbeiten verrichten müssen.
Im Oktober 1980 beantragte der Verstorbene bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, ihm die Beitragsnachentrichtung zu gestatten, was jene mit der Begründung ablehnte, dass der Kläger weder zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz noch zum deutschen Sprach- und Kulturkreis im Sinne des § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung gehöre. Im Rahmen dieses Antragsverfahrens hatte der Kläger zu seinem beruflichen Werdegang angegeben, von 1936 bis 1939 die Höhere Schule für Mechaniker besucht bzw. eine Schlosserlehre absolviert, im Anschluss kurze Zeit in diesem Beruf bei einer Privatfirma und von 1939 bis 1941 unter der russischen Besatzung im HKP Lemberg als Mechaniker gegen Entgelt gearbeitet zu haben. Dann sei er ins Ghetto gekommen und habe von 1942 bis 1943 für die deutschen Besatzer wiederum als Mechaniker im HKP gearbeitet, nunmehr in Gestalt unbezahlter Zwangsarbeit. Die Angaben waren für Zeiten bis 1940 im Wesentlichen von den Zeugen I. K. und J. M. bestätigt worden.
Im August 1987 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen. Die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, (im folgenden: Beklagte) erkannte zwar die Zugehörigkeit des Verstorbenen zum deutschen Sprach- und Kulturkreis an, lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass angesichts widersprüchlicher Angaben zu den Tätigkeiten des Verstorbenen keine Beschäftigungen vor Beginn der deutschen Besatzung glaubhaft gemacht seien, die als versicherungspflichtig in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen wären. Für Lehrlinge und Schüler von Berufsschulen habe nach den polnischen Sozialversicherungsgesetzen keine Versicherungspflicht bestanden. Auch für die Zeit ab Einmarsch der deutschen Truppen in Lemberg sei nicht von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, weil ab diesem Zeitpunkt Zwangsarbeit vorgelegen habe (Bescheid vom 3. August 1993, Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1994). Die daraufhin erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1996 abgewiesen (4 J 579/94), die dagegen gerichtete Berufung vom Landessozialgericht Hamburg mit Urteil vom 14. März 2000 zurückgewiesen (I JBf 21/97), jeweils im Wesentlichen mit der Begründung, dass aufgrund der widersprüchlichen Angaben im Renten- und Entschädigungsverfahren keine anzurechnenden Versicherungszeiten glaubhaft gemacht worden seien. Insbesondere sei die Ausübung einer abhängigen entgeltlichen Beschäftigung vor Beginn der deutschen Besatzung nicht überwiegend wahrscheinlich, in der Zeit danach habe der Verstorbene Zwangsarbeit verrichtet. Auf die Entscheidungen wird Bezug genommen.
Im April 2003 beantragte die Klägerin erneut eine Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen im Hinblick auf das mittlerweile in Kraft getretene ZRBG.
Die Beklagte lehnte den Antrag wiederum ab und verwies für die Zeit vor Beginn der deutschen Besetzung Lembergs auf die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1996 bzw. 14. März 2000. Insoweit hätte sich keine Änderung der Sach- und Rechtslage ergeben. Im Hinblick auf die Zeit ab Beginn der deutschen Besetzung führte die Beklagte aus, dass auch in Anwendung der Vorschriften des ZRBG keine anrechenbaren Versicherungszeiten festzustellen sein. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Verstorbene im Ghetto Lemberg eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss aufgenommen und entgeltlich im Sinne des ZRBG ausgeübt habe. Ausgehend von dessen Angaben, dass er im Ghetto von der Gestapo verhaftet und dann jeweils aus dem Gefängnis Lemberg-Wonskego zur Arbeit beim HKP verbracht worden sei, sei von unbezahlter Zwangsarbeit auszugehen (Bescheid vom 18. September 2003, Widerspruchsbescheid vom 19. April 2004).
Mit der dagegen am 21. Mai 2004 erhobenen Klage hat die Klägerin behauptet, der Verstorbene habe im Ghetto Lemberg bis 1942 als Automechaniker gearbeitet und dafür Barlohn sowie tägliche Mahlzeiten und weitere zusätzliche Lebensmittel erhalten. Es habe sich nicht um Zwangsarbeit gehandelt. Der Verstorbene habe zwischen verschiedenen Tätigkeiten wählen können und habe sich für die als Automechaniker entschieden, weil er dort besondere Vergünstigungen erhalten habe. Die Klägerin und der Verstorbene seien bei Gründung des Ghettos Lemberg gezwungen worden, mit anderen Ghettoinsassen im Theaterhaus zu leben. Nach einigen Tagen seien sie für kurze Zeit verhaftet und ausgefragt worden. Anschließend seien die meisten Gefangenen erschossen worden. Sie und ihr Ehemann seien am Leben geblieben und haben bis zu ihrer Flucht im Jahr 1942 weiter im Theater gewohnt. Die Arbeit als Mechaniker habe der Verstorbene durch den Judenrat erhalten. Die Werkstatträume haben außerhalb des Ghettos gelegen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2005, der Klägerin zugestellt am 6. Juli 2005, mit der Begründung abgewiesen, dass ein Witwenrentenanspruch nach § 46 Abs. 1 oder Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch nicht bestehe, weil der Verstorbene die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht erfüllt habe. Auf diese werden gemäß § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Weder die angegebenen Zeiten vor noch die Zeiten ab Beginn der deutschen Besatzung Lembergs kommen als Beitragszeiten in Betracht, was für den Zeitraum vor der Besetzung das Sozialgericht Hamburg und das Landessozialgericht Hamburg zutreffend ausgeführt haben. Eine Anerkennung der Zeiten ab Beginn der deutschen Besatzung ergebe sich auch nicht aus dem ZRBG. Für die Tätigkeit des Verstorbenen beim HKP seien weder Beiträge entrichtet worden noch gelten solche nach dem ZRBG als entrichtet, weil nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass der Verstorbene diese Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss aufgenommen und sie gegen Entgelt ausgeübt habe. Angesichts der früheren und zeitnahen Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren, insbesondere in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 17. Juli 1954, spreche mehr für die Ausübung einer Tätigkeit allein aufgrund obrigkeitlicher Zuweisung. Die Anrechnung einer Ersatzzeit wegen nationalsozialistischer Verfolgung nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit sei nicht möglich, weil dies voraussetze, dass mindestens ein Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sei.
Mit ihrer am 3. August 2005 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, dass das Sozialgericht der Erklärung des Verstorbenen vom 17. Juli 1954 im Entschädigungsverfahren eine zu hohe Bedeutung beigemessen und sie zu weit zu ihrem Nachteil ausgelegt habe. Sie behauptet weiter, ihr verstorbener Ehemann sei nur für einige Tage verhaftet gewesen und habe danach wieder mit ihr im Theaterhaus im Ghetto gelebt. Die Tätigkeit als Automechaniker außerhalb des Ghettos sei ihm durch den Judenrat vermittelt worden. Die Klägerin nimmt Bezug auf den Inhalt der Akten ihres Verfahrens betreffend die Rente aus eigener Versicherung – früheres Az.: 4 J 152/96, jetzt: S 4 R 218/06 -, in dem eine etwaige Verhaftung und Zwangsarbeit ihres verstorbenen Ehemannes nicht den Vordergrund gestellt worden sei. Weiter wird Bezug genommen auf ein vom Sozialgericht in anderen Verfahren eingeholtes Gutachten des Prof. Dr. G. vom 9. September 2005 (Blatt 54 ff. Prozessakte) zur Arbeitssituation unter anderem im Ghetto Lemberg.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, führt ergänzend aus, dass das Gutachten des Prof. Dr. G. auf der dortigen Seite 13 unter Ziffer 11 sehr wohl ausführe, dass anfangs Arbeitskräfte gezielt eingefangen worden seien, und weist darauf hin, dass nach den Erkenntnissen des Internationalen Suchdienstes die Tätigkeiten beim HKP im Rahmen eines Zwangsarbeitslagers verrichtet worden seien, was sich aus dem Eintrag in der Datenbank des Karl-Ernst-Osthaus-Museums unter www.keom.de mit der Nummer 2808 (siehe Ausdruck auf Blatt 6 der Widerspruchsakte) ergebe. Nach alledem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschäftigung vom Verstorbenen freiwillig aufgenommen worden sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 30. August 2006 beigezogenen Akten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung der Bevollmächtigten auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes A. H ... Dieser hat die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt.
Der Senat nimmt zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren vermag keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen. Auch nach dem Vorbringen im Berufungsverfahren ist nicht glaubhaft gemacht, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin im Ghetto freiwillig eine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt hat. Es spricht viel mehr dafür, dass es sich um Zwangsarbeit handelte.
Für das Vorliegen von Zwangsarbeit spricht nicht nur die Erklärung, die der Verstorbene am 17. Juli 1954 im Entschädigungsverfahren abgab, wobei dieser Vortrag im Wesentlichen durch eidliche Erklärungen der L. M1 und des I1 Z., ebenfalls am 17. Juli 1954 bestätigt wurde.
In seinem eigenen Beitragnachentrichtungsverfahren führte der Verstorbene in dem Aufsatz zur Prüfung seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis aus, dass er von der Gestapo verhaftet worden sei und als Automechaniker "in Gestapo" gearbeitet habe. Er sei viele Male auf den Kopf geschlagen worden (Blatt 22 Rentenakte).
Unter dem 24. August 1983 gab er beim Notar A2 V. in New York eine eidesstattliche Erklärung dahingehend ab, dass er beim HKP schon für die Russen bezahlt gearbeitet habe, bevor er dort für die Deutschen unbezahlte Zwangsarbeit geleistet habe.
Im Widerspruchschreiben seiner damaligen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 11. Februar 1986 wurde ausgeführt, dass der Verstorbene mit seiner Familie im Ghetto Lemberg gelebt habe, von der Familie getrennt und dem Gefängnis Lemberg Wonskego zugeführt worden sei, von wo aus er als Automechaniker Zwangsarbeit habe leisten müssen.
Schließlich schilderte der Nervenarzt Dr. W., New York, in dem Gutachten vom 23. Dezember 1967, dass der Verstorbene Ende Juni 1941 ins Ghetto Lemberg "gefordert" worden sei, von wo er einige Monate später ins Zwangsarbeitslager gekommen sei, Straßen habe kehren, Schaufelarbeiten habe verrichten und andere schwere Arbeiten habe leisten müssen. Er sei ins Gestapo-Gefängnis gekommen, für ungefähr ein Jahr, und habe in der Garage als Automechaniker gearbeitet, wobei er oft geschlagen und herumgeschoben worden sei.
Die nach alledem bestehenden Unklarheiten hinsichtlich anspruchsbegründender Tatsachen gehen nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
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