L 16 R 771/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 R 205/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 771/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Altersrente.

Der am 1924 in Rumänien geborene Kläger ist jüdischer Abstammung. Er lebt seit August 1951 in Israel und gehört zum Personenkreis der vom Nationalsozialismus Verfolgten im Sinne von § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Die Vormerkung von Beitragszeiten in Rumänien vom 01. November 1938 bis zum 30. Juli 1951 nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes (FRG) hatte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Mai 1996 abgelehnt.

Im Juli 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20. Juni 2002 (BGBl. I S. 2074) und trug zur Begründung vor, er habe in Transnistrien im Ghetto O von "Ende 1941" bis Juli 1942 (Reinigungsarbeiter), im Ghetto M von Juli 1942 bis November 1942 (Arbeiter bei Eindämmarbeiten am Fluss Dnjestr) sowie von Januar 1943 bis "Anfang 1944" erneut im Ghetto O (Reinigungsarbeiten) gearbeitet und als Gegenleistung Lebensmittel und Arbeitskleidung erhalten. Die Arbeit sei durch den Judenrat der Ghettos vermittelt worden.

Mit Bescheid vom 08. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mangels Erfüllung der allgemeinen Wartezeit ab. Die geltend gemachten Ghetto-Zeiten könnten nicht berücksichtigt werden, weil es sich bei Transnistrien nicht um ein in das Deutsche Reich eingegliedertes bzw. vom Deutschen Reich besetztes Gebiet gehandelt habe.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Regelaltersrente für die Zeit ab dem 01. Juni 1997 unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten von "Ende 1941" bis Juli 1942, von Juli 1942 bis November 1942 sowie von Januar 1943 bis "Anfang 1944" gerichtete Klage mit Urteil vom 11. Mai 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Regelaltersrente nach § 35 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI), weil die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt sei. Der Kläger habe keine in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Auch fiktive Beitragszeiten nach dem ZRBG seien nicht zu berücksichtigen. Ungeachtet dessen, ob das ZRBG überhaupt auf Ghettos in Transnistrien anwendbar sei, fehle es bereits an der Glaubhaftmachung eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses. Der Kläger habe selbst vorgetragen, für die von ihm in den Ghettos geleisteten Arbeiten Lebensmittel und Arbeitskleidung erhalten zu haben. Diese Leistungen erfüllten nicht die Voraussetzungen der Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG. Auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde Bezug genommen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 07. Oktober 2004 – B 13 RJ 59/03 R – veröffentlicht in juris).

Mit seiner – nicht begründeten – Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 08. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab 01. Juli 1997 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (VA-Nr. 150 937), die Verwaltungsakte der Beklagte und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Regelaltersrente nach § 35 SGB VI für die Zeit ab 01. Juli 1997 (vgl. zum frühesten Rentenbeginn § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG); die im Klageantrag bezeichneten Zeiten sind nicht als Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen und der Kläger erfüllt damit nicht die erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren.

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie – wie der Kläger – das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist die Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente, wobei auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten und mit Ersatzzeiten angerechnet werden (vgl. § 51 Abs. 1, Abs. 4 SGB VI). Ungeachtet dessen, ob bei dem Kläger Ersatzzeiten im Sinne von § 250 SGB VI berücksichtigungsfähig wären, kann er allein mit diesen Ersatzzeiten die allgemeine Wartezeit nicht erfüllen. Denn es bedarf hierzu nach § 250 Abs. 1 SGB VI der Versicherteneigenschaft, mithin der wirksamen Entrichtung mindestens eines Beitrages vor Beginn der Rente (vgl. BSG, Urteil vom 07. Oktober 2004 – B 13 RJ 59/03 R = SozR 4-5050 § 15 Nr. 1 mit weiteren Nachweisen).

Vorliegend käme die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit allein mit den vom Kläger geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten in dem im Klageantrag bezeichneten Umfang in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass die geltend gemachten Zeiten als Ghetto-Beitragszeiten im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 ZRBG berücksichtigungsfähig wären. Derartige Ghetto-Beitragszeiten sind auch als Nicht-Bundesgebiets-Beitragszeiten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG in das Ausland zahlbar; die genannte Vorschrift hebt die in § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vorgesehene Auslandszahlungssperre für den besonderen Personenkreis der Verfolgten des Nationalsozialismus auf, die unter den Bedingungen eines Ghettos beschäftigt waren (vgl. BSG, Urteil vom 03. Mai 2005 – B 13 RJ 34/04 R – veröffentlicht in juris). Im Übrigen hat der Kläger nämlich weder Bundesgebiets-Beitragszeiten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) noch Reichsgebiets-Beitragzeiten (vgl. § 254d Abs. 1 Nrn. 5 – 7 SGB VI) zurückgelegt und dies auch nicht behauptet. Eine Berücksichtigung der streitigen Zeiten gemäß den §§ 15, 16 FRG scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte eine entsprechende Vormerkung mit Bescheid vom 20. Mai 1996 abgelehnt hatte. Dieser Bescheid ist nach einem für den Kläger erfolglosen Klage- und Berufungsverfahren (SG Berlin S 8 An 5694/96 - LSG Berlin L 17 RA 75/98) in Bestandskraft erwachsen und damit für die Beteiligten und auch das Gericht bindend (vgl. § 77 SGG).

Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen von Ghetto-Beitragszeiten des Klägers in den geltend gemachten Zeiträumen sind nach dem Gesamtergebnis des Verfahren nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. § 1 Abs. 2 ZRBG i. V. mit § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG –) feststellbar. Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Das Gesetz knüpft damit erkennbar an die von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Dies ergibt sich auch aus der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/8583, S. 1, 6; 14/8602, S. 1, 5), wonach dieses Gesetz ausdrücklich in Reaktion auf die Rechtsprechung des BSG und in Akzeptanz dieser Rechtsprechung verabschiedet worden ist, um die daraus resultierenden Rentenansprüche ins Ausland zahlbar zu machen (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 = BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; BSG, Urteil vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 R = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; BSG, Urteil vom 23. August 2001 – B 13 RJ 59/00 R = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17). Nach den im ZRBG getroffenen Regelungen reicht es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht aus, wenn überhaupt ein irgendwie geartetes und sei es noch so geringes Entgelt gezahlt worden war. Vielmehr muss neben der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung ein Entgelt mindestens in der Höhe gezahlt worden sein, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung hätte begründen können (vgl. BSG, Urteil vom 07. Oktober 2004 – B 13 RJ 59/03 R –). In diesem Zusammenhang kann auch ein Entgelt, das – wie hier - aus freiem Unterhalt in Gestalt von Lebensmitteln und teilweise der Gewährung von Arbeitskleidung bestand, nicht zur Annahme einer entgeltlichen Beschäftigung führen. Das Entgelt muss vielmehr eine Mindesthöhe erreichen, um überhaupt als solches Versicherungspflicht begründen zu können, und darf nicht nur in der bloßen Gewährung von "freiem Unterhalt" bestehen (vgl. BSG aaO). Letzteres war aber nach dem Vorbringen des Klägers bei den von ihm geltend gemachten Beschäftigungen der Fall, und zwar sowohl im Ghetto O als auch im Ghetto M. Denn er erhielt als Gegenleistung für seine Beschäftigungen in den in Rede stehenden Ghettos nur Lebensmittel und teilweise Arbeitskleidung, aber eben kein so genanntes Ghettogeld, das innerhalb des Ghettos frei einsetzbar gewesen wäre und über das der Kläger hätte frei verfügen können (vgl. hierzu ausdrücklich BSG aaO). Soweit der Kläger vorbringt, im Ghetto O von Januar 1943 bis "Anfang" 1944 auch Lebensmittel für zu Hause erhalten zu haben, liegt hierin allenfalls eine "Entlohnung", die zur minimalen Überlebenssicherung geeignet war, die aber kein erforderliches, d. h. angemessenes, Mindestentgelt für die geleistete Arbeit darstellte (vgl. BSG aaO).

Da es bereits an der Entgeltlichkeit der von dem Kläger behaupteten Beschäftigungen in den Ghettos O und M fehlte, kann dahinstehen, ob diese Beschäftigungen Ausfluss von auf dem freien Willensentschluss des Klägers beruhenden zweiseitigen und auf den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Entgelt) gerichteten Vereinbarungen waren. Allein die Ausübung von Arbeitseinsätzen im Ghetto reicht hierfür indes ebenso wenig aus wie die Vermittlung dieser Arbeitseinsätze durch den jüdischen Ältestenrat der Ghettos. Hierbei ist anzumerken, dass der Kläger im Entschädigungsverfahren nach dem BEG entgegen dem Vorbringen im hiesigen Klage- und Berufungsverfahren noch angegeben hatte, im Oktober 1941 über M und K nach O zwangsdeportiert worden zu sein, und zwar bis zum Rücktransport "Ende Dezember 1943" nach Rumänien (eidesstattliche Erklärung des Klägers vom 10. Oktober 1960; eidesstattliche Erklärung des A S vom 26. September 1960). Vorliegend gab der Kläger demgegenüber an, sich von "Ende 1941" bis zum Juli 1942 und dann erst wieder von Januar 1943 bis "Anfang 1944" im Ghetto O aufgehalten zu haben, während er von Juli 1942 bis November 1942 im Ghetto M habe arbeiten müssen.

Da eine entgeltliche Beschäftigung des Klägers in den Ghettos O bzw. M mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht feststellbar war, bedarf es keiner Klärung der Frage, ob Transnistrien ein Gebiet war, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZRBG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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