L 1 SF 175/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 SF 175/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch der Klägerin, die Richterin am Sozialgericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Gemäß § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich:

Meinungsäußerungen eines Richters sprechen nicht gegen dessen Unvoreingenommenheit und Objektivität, zumal wenn deutlich wird, dass es sich um eine lediglich vorläufige Meinung handele. Solche Hinweise eines Richters liegen im Allgemeinen im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Diesen ist gewöhnlich daran gelegen, die Einstellung des Richters zu den für den Prozessausgang maßgeblichen rechtlichen Problemen zu erfahren. Auf diese Weise erhalten sie Gelegenheit, ihre eigene, von der des Richters abweichende Ansicht näher zu erläutern und dabei zusätzliche entscheidungserhebliche Gesichtspunkte stärker hervorzuheben. Eine verständige Partei wird diesem Verfahren den Vorzug geben vor einer eher passiven richterlichen Prozessleitung, welche die Beteiligten auf sich allein gestellt lässt (vgl. Bundesfinanzhof [BFH] Beschluss vom 25. 01.1996 –X B 130/95- zitiert nach Juris). Eine Besorgnis der Befangenheit kann sich allenfalls aus der Art und Weise ergeben, wie ein Richter seine Meinung vorträgt. Ein Grund kann bestehen, wenn der Richter in ungewöhnlicher, nach der Prozesslage nicht verständlicher Weise subjektive Gewissheit erkennen lässt, so dass die Beteiligten Anlass haben können zu befürchten, er sei ihren Argumenten gegenüber nicht mehr aufgeschlossen und habe sich seine Auffassung schon abschließend gebildet.

Nachvollziehbare Anhaltspunkte für die entsprechende Befürchtung der Antragstellerin ergeben sich aus dem von ihr beanstandeten richterlichen Schreiben vom 19. Oktober 2006 nicht. Es war vielmehr sinnvoll, die Antragstellerin im Einzelnen auf die Punke hinzuweisen, die aus der - erkennbar vorläufig geäußerten - Sicht der Richterin gegen die Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs bestehen, und ihr so Gelegenheit zu weiterem, gezielten Vortrag zur ermöglichen. Da das Schreiben der Antragstellerin vom 19. Oktober 2006 erst am 20. Oktober 2006 und also nach Absendung des Richterbriefs beim Sozialgericht eingegangen ist, ist der Vorwurf, die Richterin habe einseitig und parteilich ihr Vorbringen unberücksichtigt gelassen, haltlos. Die übrigen Vorwürfe der Antragstellerin betreffen die rechtliche Würdigung, die die Richterin aufgrund einer vorläufigen Einschätzung vorgenommen hat. Selbst wenn die Richterin objektiv fehlerhaft zu der von ihr geäußerten Auffassung gekommen sein sollte, folgt daraus nicht die Besorgnis der Befangenheit. Das Ablehnungsverfahren soll nicht gegen unrichtige Rechtsauffassungen eines Richters schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Für die sinngemäß geäußerte Auffassung, dass die Richterin nicht mehr in der Lage sei, sich aufgrund ggf. neuen Vorbringens und neuen Sachverhalts mit der Sache vorurteilsfrei auseinander zu setzen, finden sich nach alledem in dem beanstandeten Schreiben keinerlei Anhaltspunkte.

Entgegen der Auffassung des Antragstellerin lässt auch der zeitliche Ablauf des Verfahrens keinen nachvollziehbaren Schluss auf die von ihr aufgestellten Behauptungen zu, die Richterin wirke mit dem Antragsgegner in irgendeiner Weise zu ihren Lasten zusammen. Die Annahme, im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei eine Anhörung des Antragsgegners grundsätzlich nicht erforderlich oder gar unzulässig, ist unzutreffend (vgl. nur BVerfGE 65, 227, 233), so dass es aus Sicht eines verständigen Prozessbeteiligten selbstverständlich ist, dass – wegen der geltend gemachten Eilbedürftigkeit – eine "rege" Aktivität der Richterin (und ihres bis zum 13. Oktober 2006 tätig gewesenen Vertreters) gerichtet auf die Anhörung des Antragsgegners erkennbar geworden ist.

Die Teilnahme eines Richters an Seminaren und Tagungen zu aktuellen Rechtsfragen sowie seine Meinungsbekundungen dort sind schließlich ebenfalls nicht geeignet, seine Befangenheit zu belegen, auch nicht im Falle einer honorierten Teilnahme eines referierenden Richters in einem Fachseminar, dessen Veranstalter im vorliegenden Falle eine Fortbildungseinrichtung für die öffentliche Verwaltung ist (vgl. zur Teilnahme an Fachseminaren nur BGH Beschluss vom 13. Januar 2003 - XI ZR 322/01 - und Beschluss vom 14. Mai 2002 - XI ZR 322/01- jeweils zitiert nach Juris). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Richterin im Rahmen solcher Veranstaltung nicht die gebotene richterliche Zurückhaltung und Objektivität wahren würde. Ein Zusammenhang mit dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits muss ohnehin ausgeschlossen werden, da die Seminare erst im Mai und August nächsten Jahres stattfinden werden.

Da die Verantwortlichkeit für die Vollständigkeit der Leistungsakte des Antragsgegners nicht bei der abgelehnten Richterin liegt, kann der Vortrag der Antragstellerin vom 3. Dezember 2006 die Besorgnis der Befangenheit ebenfalls nicht begründen, ohne dass das Vorbringen, die Leistungsakte sei nicht vollständig, vom Senat zu überprüfen war.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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