L 7 B 90/06 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 35/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 90/06 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 30. März 2006 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Instanzen auf jeweils 4.000, 00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 30. März 2006 ist nicht begründet.

Das Sozialgericht Potsdam hat den am 8. Februar 2006 bei Gericht eingegangenen Antrag des seit dem 1. April 1999 als Facharzt für Hals- Nasen- Ohrenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung in Neuruppin zugelassenen Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über seine Honoraransprüche für das Quartal II/2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, und hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Nachvergütung für seine vertragsärztliche Tätigkeit im Quartal II/2005 in Höhe von 8.000,00 Euro zu gewähren, kann keinen Erfolg haben.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist für den hier streitbefangenen Zeitraum schlechthin ausgeschlossen, weil der Antragsteller sein Neubescheidungs- bzw. sein Leistungsbegehren ausschließlich auf das Abrechnungsquartal II/2005 beschränkt hat, also einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum. Durch die Versagung dieses Begehrens können keine wesentlichen Nachteile mehr entstehen, die durch den Erlass der auf eine zukünftige Regelung gerichteten einstweiligen Anordnung noch abwendet werden könnten. Der Antragsteller hat in dem Quartal II/2005 seine Praxis mit eigenen Mitteln betrieben, so dass er hierfür auf die begehrte Nachvergütung nicht mehr angewiesen ist. Soweit ihm diesbezüglich Nachteile entstanden sein sollten, könnten diese nur im Rahmen eines eventuellen Hauptsacheverfahrens beseitigt werden. Der Senat kann in diesem Zusammenhang offen lassen, ob die Antragsgegnerin überhaupt im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Neubescheidung verpflichtet werden könnte. Denn abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob es ein eiliges Regelungsbedürfnis für eine Neubescheidung gibt, wäre eine solche Anordnung nicht "vorläufig" und würde die Hauptsache vorwegnehmen, weil mit der Neubescheidung ein entsprechender Anspruch des Antragstellers (endgültig) erfüllt wäre und ein Hauptsacheverfahren mit der Neubescheidung erledigen würde.

Der Antragsteller hat darüber hinaus auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung § 920 Abs. 2 und § 294 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn sein Bestehen überwiegend wahrscheinlich ist (Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage 2004, § 294 RdNr. 2) Daran fehlt es hier.

Der Antragsteller trägt insoweit vor, dass der Honorarbescheid für das Quartal II/2005, der diesem zugrunde liegende Honorarverteilungsvertrag (HVV) der Antragsgegnerin sowie der am 1. April 2005 in Kraft getretene "Einheitliche Bewertungsmaßstab 2000plus" rechtswidrig seien. Der Senat muss zu den von dem Antragsteller in diesem Zusammenhang im Einzelnen aufgeworfenen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierigen Fragen, in dem hier vorliegenden summarischen vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend Stellung nehmen. Denn bei der Prüfung, ob normative Regelungen der Honorarverteilung nicht den Anforderungen des Artikels 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes genügen mit der Folge eines möglichen Anspruchs auf höheres Honorar zur Wahrung einer angemessenen Vergütung bzw. des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit, ist primär auf die generelle Situation der betroffenen Arztgruppe und nicht auf die Ertragssituation einer einzelnen vertragsärztlichen Praxis abzustellen. Es ist daher unerheblich, in welcher Höhe der einzelne Vertragsarzt Honoraransprüche erworben hat und ob seine Praxis einen ausreichenden Gewinn abwirft. Denn dies hängt nicht nur von der Höhe der insgesamt zur Verfügung stehenden Gesamtvergütung und der Ausgestaltung der normativen Regelungen über die Honorarverteilung ab, sondern wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die der Verantwortungssphäre des einzelnen Vertragsarztes zuzurechnen sind. Solche Umstände sind z. B. die Ausrichtung seiner Praxis, die Qualität seines Dienstleistungsangebotes, die Qualität seiner medizinischen Leistungen, aber auch strukturelle Faktoren, wie z. B. die Infrastruktur des Praxisstandortes (Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Parkplatzsituation), die Größe des Einzugsbereichs der Praxis, die Patientenstruktur (Verhältnis von Primärkassen- und Ersatzkassenpatienten und Privatpatienten) und nicht zuletzt die Konkurrenzsituation (BSG SozR 4-2500 § 72 Nr. 2 und BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 12, jeweils m. w. Nachw.).

Die Berücksichtigung der generellen Situation einer Arztgruppe schließt zugleich aus, dass ein Anspruch auf höhere Vergütung mit Erfolg nur für einen kurzen Zeitraum oder für beliebig herausgegriffene Quartale geltend gemacht werden kann. Zur Erfassung der generellen Lage ist die Gesamtsituation der betroffenen Arztgruppe über einen längeren Zeitraum, in der Regel über mindestens vier Quartale, zu betrachten. Dementsprechend kann ein Anspruch auf höhere Vergütung nicht auf eine schlechte Ertragslage in nur einem Quartal gegründet werden, sondern die Zuerkennung eines höheren Honorars kommt erst dann in Betracht, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes oder zumindest in Teilbereichen gefährdet wird (BSG SozR §-2500 § 72 Nr. 2).

An diesen Grundsätzen gemessen hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf Neubescheidung noch einen Anspruch auf eine Nachvergütung für das Quartal II/2005 in Höhe von 8000,00 EUR glaubhaft gemacht. Sein Vorbringen erschöpft sich in der Darstellung einer für ihn ungünstigen Honorarentwicklung. Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Antragsteller dargelegten Honorarrückgänge für seine Arztgruppe kennzeichnend sind und dass durch diese Honorarsituation sogar die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung auf dem Gebiet der Arztgruppe des Antragstellers im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin gefährdet ist, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch sind solche nach Aktenlage ersichtlich. Ermittlungen des Senats hierzu sind daher vor diesem Hintergrund weder angezeigt noch geboten, weil sich der Senat in der Feststellung des Sachverhalts im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in Fällen wie dem Vorliegenden auf die Verwertung präsenter Beweismittel beschränken kann.

Soweit der Kläger allerdings vorträgt, dass sein "vertragsärztliches Honorar vom Quartal II/2002 zum Quartal II/2005 um ca. 8.000,00 Euro eingebrochen" sei, hat die Antragsgegnerin zu Recht auf den Fallzahlrückgang des Antragstellers von 1.361 Fällen im Quartal II/2002 zu 884 Behandlungsfällen im Quartal II/2005 hingewiesen. Diesem Fallzahlrückgang um 35,05% entspricht der Rückgang der Honorare des Antragstellers von 36.562, 36 EUR im Quartal II/2002 auf 27.859, 42 EUR im Quartal II/2005, also mithin um 23, 8%. Soweit der Antragsteller in seinem Antragsschriftsatz vom 8. Februar 2006 vorgetragen hat, dass der durchschnittliche Punktwert seiner Behandlungsfälle von 30, 39 EUR im Quartal I/2004 auf 23, 70 EUR im hier streitbefangenen Quartal zurückgegangen sei, hat er nach Erörterung des Sachverhalts schriftsätzlich einen Fallwert für das Quartal II/2005 von 30, 58 EUR (inkl. Sonderzahlungen) eingeräumt. Die Antragsgegnerin hat diesen Wert mit 31,52 EUR berechnet. Der Senat kann offen lassen, welcher Wert zutreffend ist. Jedenfalls zeigt dies, dass ein wesentlicher Grund für die Honorarrückgänge des Antragstellers in den rückläufigen Fallzahlen zu finden ist, zumal der Fallwert des Antragstellers nach den Angaben der Antraggegnerin im Quartal II/2002 26, 86 EUR betrug, also unter dem Fallwert im hier streitbefangenen Quartal lag.

Vor dem Hintergrund dieses Fallzahlrückgangs ist es auch unverständlich, dass der Antragsteller beanstandet, dass der Honorarverteilungsvertrag der Antragsgegnerin der jedem Arzt einzuräumenden Möglichkeit, die Zahl seiner vergüteten Behandlungsfälle mindestens bis zur durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe zu steigern, um dadurch eine höhere Vergütung zu erzielen, nicht hinreichend gerecht werde. Soweit der Antragsteller die im HVV der Antragsgegnerin normierten Regelungen hinsichtlich der Fallzahlsteigerungen von Praxen in der Aufbauphase als ungenügend beanstandet, kann offen bleiben, ob ein solches Regelungsdefizit vorliegt. Denn hieraus kann sich keine Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers ergeben. Das Bundessozialgericht hat insoweit für Arztpraxen in der Aufbauphase einen Zeitraum von wenigstens drei Jahren für erforderlich erachtet, in denen diese von Mengenzuwachsbegrenzungsregelungen ausgenommen werden müssen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 18). Der Antragsteller ist aber bereits seit dem 1. April 1999, also mithin im hier streitbefangenen Quartal im siebten Jahr als Vertragsarzt tätig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes. Der Senat geht hierbei von zunächst 8.000,00 EUR aus und setzt in Anlehnung an seine ständige Rechtssprechung wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Hälfte dieses Betrages als Gegenstandswert fest.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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