S 4 SB 247/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 SB 247/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung.

Bei dem am 00.00.1942 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25.03.2004 einen Gesamt-GdB von 100 sowie den Nachteilsausgleich einer erheblichen Gehbehinderung fest. Die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung lehnte er ab. Im Einzelnen wurden folgende Behinderungen festgestellt:

1. abgelaufener Hirninfarkt mit Halbseitenschwäche rechts, Sprachstörungen, hirnorganischem Psychosyndrom mit Hirnleistungseinschränkung (Einzel-GdB 80),

2. schlafbezogene Atemstörung (Einzel-GdB 20),

3. manisch-depressive Psychose (Einzel-GdB 20),

4. insulinpflichtiger Diabetes melitus (Einzel-GdB 40),

5. Herzinfarkt 11/03, koronare Herzkrankheit, aorto-koronare Bypass Operation, Aortenklappeninsuffizienz (Einzel-GdB 30),

6.kompensierte Niereninsuffizienz ...(Einzel-GdB 10).

Am 18.04.2005 beantragte der Kläger erneut die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Sein Gehvermögen hätte sich verschlechtert.

In dem beigezogenen Behandlungsbericht der Klinik B Q1 vom 03.03.2004 heißt es u.a., dass bei dem Kläger ein unsicheres Gangbild ohne Gehstütze oder andere Hilfsmittel bestünde. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.06.2005 die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ab. Die Auswirkungen der beim Kläger bestehenden Behinderungen seien funktionell nicht so schwerwiegend, dass sie die Fortbewegung beim Gehen aufs Schwerste einschränken würden.

Mit dem dagegen am 14.07.2005 erhobenen Widerspruch macht der Kläger geltend, dass er mit dem rechten Arm und der rechten Hand keine funktionellen Betätigungen mehr ausführen könne. Er hätte daher Probleme beim Ein- und Aussteigen aus dem PKW. Da die normalen Parklücken zu eng seien, sei er auf die Benutzung der breiteren Parklücken für außergewöhnlich Gehbehinderte angewiesen. Nach erneuter versorgungsärztlicher Untersuchung erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 18.10.2005 den Nachteilsausgleich "B" an. Der ansonsten aufrechterhaltene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung könne nur anerkannt werden bei Pesonen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen könnten. Hierzu gehöre der Kläger nicht.

Dagegen richtet sich die am 29.12.2005 vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhobene Klage. Wegen seiner Behinderung könne er nur aus seinem PKW aussteigen, wenn die Tür vollständig geöffnet sei. An normalen öffentlichen Parkplätzen könne er die Tür jedoch nicht weit genug öffnen; nur an speziellen Behindertenparkplätzen, bei denen die Parkbuchten entsprechend breiter seien, sei dies möglich.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2005 und unter Abänderung des Bescheides vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 zu verurteilen, den Nachteilsausgleich einer außer- gewöhnlichen Gehbehinderung anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleiches "aG" seien nicht nachgewiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes der Ärztin für Allgemeinmedizin, Frau Q2, und eines internistisch-kardiologischen Gutachtens des T. Auf den Bericht der Frau Q2 vom 12.12.2006 und das Gutachten des T vom 19.06.2006 wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat zu Recht die Feststellung des Nachteilsausgleiches einer außergewöhnlichen Gehbehinderung abgelehnt.

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellt der Beklagte neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG").

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung ist auf der Rückseite des Schwerbehindertenausweises das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender sraßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Nach Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 bis 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr. 11 der Straßenverkehrsverordnung sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die - auch aufgrund von Erkrankungen, - dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Zu der in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Gruppe von schwerbehinderten Menschen gehört der Kläger offensichtlich nicht.

Der Kläger ist der genannten Gruppe jedoch auch nicht gleichzustellen. Beim Nachteilsausgleich "aG" ist für eine Gleichstellung nach Abschnitt II Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr. 11 StVO erforderlich, dass der Schwerbehinderte auch unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kfz s nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung gehen kann. Der Betroffene muss in seiner Gehfähigkeit so stark eingeschränkt sein, dass die Zurücklegeung längerer Wegstrecken zu Fuss unzumutbar ist. Er muss jedoch nicht - wie etwa ein Querschnittsgelähmter - nahezu unfähig sein, sich fortzubewegen (vgl. Urteil des BSG vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R -). Wie der Sachverständige T in seinem Gutachten vom 19.06.2006 ausführt, ist der Kläger in seiner Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt. Aufgrund seiner Teilparese der rechten Extremität bewegt er sich mit Hilfe eines Gehstockes mit ausreichend raumgreifenden Schritten und ist in der Lage, nach eigenen Angaben noch 1 bis 2 km zu laufen. Die Fortbewegung ist zwar verlangsamt, jedoch im Vergleich zu nicht parethischen Personen nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt. Der Kläger hat diese Beurteilung auch nicht in Zweifel gezogen. Er macht vielmehr geltend, dass er aufgrund seiner Parese der rechten Körperhälfte normale öffentliche Parkplätze nicht nutzen kann, da bei den üblicherweise relativ engen Parkbuchten die Fahrertür nicht vollständig geöffnet werden kann. Wegen der Parese ist er jedoch auf eine vollständige Öffnung der Fahrertür angewiesen, um sein Fahrzeug verlassen zu können. Mit Urteil vom 03.02.1988 (9/9a Rvs 19/86 - SozR 3870 § 3 Nr. 28) hat das BSG bereits zu dieser Problematik Stellung genommen: Ein Schwerbehinderter mit dem Merkzeichen "G" im Schwerbehindertenausweis, dessen Gehfähigkeit nicht im gleichen Maße wie bei dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO beispielhaft aufgeführten - eng zu fassenden - Pesonenkreis eingschränkt ist, kann nicht deshalb als außergewöhnlich gehbehindert anerkannt werden, weil normale Parkplätze ihm das beim Ein- und Aussteigen aus seinem PKW erforderliche vollständige Öffnen der Wagentüre nicht oder nicht ungefährdet ermöglichen. Der Umfang der in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift enthaltenen Vergüntigungen verdeutlicht, dass nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu bestimmten Zielen straßenverkehrsrechtlich maßgeblich sei. Der Nachteilsausgleich solle allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweislich anfallende tatsächliche Wegstrecke so weit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen sei. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steige nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mit dieser Vermehrung der Parkflächen werden aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne. Auch hier sei bei einer an sich vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu bedenken, dass dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis wieder benachteiligt würde. Die erkennende Kammer schließt sich dieser Beurteilung an. Die Klage musste daher abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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