S 26 R 301/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 301/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 1/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der am 00.00.1923 in S bei H1 in Polen geborene Kläger ist Jude und Verfolgter des Nazi-Regimes und lebt seit 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit. Er beantragte am 30.12.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Dabei gab er an, zwar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben; er habe aber von November 1940 bis März 1943 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Warschau außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als Arbeiter verrichtet; er habe Reinigungsarbeiten in einem Fabrikgebäude ausgeführt. Er habe dabei 10 Stunden täglich gearbeitet. Er sei bei der Arbeit und auf dem Weg von und zur Arbeit von Polizisten bewacht worden. Die Arbeit sei freiwillig durch eigene Bemühungen zustande gekommen. Bekommen habe er dafür größere Lebensmittelportionen und polnische Zloty. Der Betrag des Barlohns sei nicht mehr erinnerlich (Bl. 33 der Verwaltungsakte der Beklagten). Im März 1943 sei er aus dem Ghetto geflüchtet, habe sich versteckt und später auch unter Verwendung "arischer Papiere" illegal gelebt. Im Januar 1945 sei er von den Sowjets befreit worden. 1946 habe er geheiratet und sei 1948 direkt nach Israel ausgewandert (Bl. 19 der Verwaltungsakte). Die Beklagte zog die BEG-Vorgänge des Wiedergutmachungsamtes Saarburg bei.

Nachdem die Beklagte zunächst die Rente wegen schon mangelnder Mitwirkung mit Bescheid vom 19.07.2004 abgelehnt hatte, lehnte sie – nach Nachholung der Mitwirkung – mit dem Bescheid vom 02.08.2004 nun die Gewährung einer Rente auch aus materiell-rechtlichen Gründen ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr sei nach den eigenen Schilderungen des Klägers im Rentenantrag von seinen Arbeitseinsätzen dies jeweils als Zwangsarbeit anzusehen gewesen, die nach dem ZRBG nicht anerkannt werden könne. Denn der Kläger selbst habe angegeben, auf dem Weg von und zur Arbeit und auch während der Arbeit außerhalb des Ghettos durch Polizisten bewacht worden zu sein. Dies sei ein ganz typisches Merkmal für ein in der Regel nicht entlohntes Zwangsarbeitsverhältnis. Es könne deshalb nicht von einer von hoheitlichem Zwang unberührten Arbeit die Rede sein.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 13.08.2004 Widerspruch ein, der nicht begründet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil die angefochtenen Bescheide nach Aktenlage mangels näherer Begründung nicht zu beanstanden seien.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 09.06.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung macht er geltend, für seine Tätigkeit als Reinigungsarbeiter in einem Fabrikgebäude bei einer Firma T (einem Großbetrieb in Warschau mit Schneiderwerkstätten, Kürschnereibetrieben und anderen) habe ein Lohnanspruch bestanden, der durch Auszahlung des Arbeitsentgeltes an den Judenrat mit für den Arbeitgeber befreiender Wirkung auch erfüllt worden sei. Unter Berücksichtigung der historischen tatsächlichen Gegebenheiten einerseits und des Gesetzeszwecks des ZRBG andererseits sei davon auszugehen, dass seine Tätigkeit im Ghetto Warschau im Sinne des Gesetzes auch "aus eigenem Willensentschluss" zustande gekommen sei. Einer Beschäftigung nachzugehen auch für noch so wenig Bezüge sei die Realisation auf die im Ghetto vorgefundenen Lebensverhältnisse, geprägt von großem Mangel an Nahrungsmitteln und Textilien und geprägt von erniedrigenden engen Wohnverhältnissen, bei Angst und Furcht vor Gewaltexzessen und Deportationen in Vernichtungslager. Dies habe ihn wie viele Ghettoinsassen mobilisiert, eine Tätigkeit aufzunehmen. Diese Arbeit sei auch keine Zwangsarbeit gewesen. Die Beschäftigung sei auch gegen Entgelt ausgeübt worden, im Sinne des ZRBG. Bei der Gesetzesauslegung sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass die in einem freien Beschäftigungsverhältnis vermittelten Juden im Generalgouvernement zumindest einen Rechtsanspruch auf Arbeitsentgelt und Sozialversicherung gehabt hätte, nach diversen Richtlinien und Verordnungen. Dies habe das Bundessozialgericht in der bekannten Entscheidung vom 07.10.2004 nicht diskutiert und berücksichtigt. Der rechtlich bestehende Entgeltanspruch führe hier dazu, dass er nach §§ 14, 21 WGSVG so gestellt werden müsse, als hätte er Lohn erhalten. Irrelevant sei auch, an wen der Lohn bzw. das Entgelt ausgezahlt wurde bzw. wem der Anspruch zugestanden hätte. Die Auszahlung von Lohn bzw. auch nur Nettolohn an den Judenrat, mit befreiender Wirkung für den Arbeitgeber, erfülle auch den Entgeltbegriff im Sinne des ZRBG. Auch die Höhe des Entgelts oder Entgelts-Anspruches sei für die Auslegung nicht von entscheidender Bedeutung. Deshalb reiche erst recht auch ein Anspruch in Höhe von nur 80 % des Lohnes eines Polen für Juden. Wenn das Entgelt die tatsächlichen minimalen Lebensbedürfnisse gleichwohl nur zu ca. 24 % gedeckt hätte, dann liege diese Unterdeckung aber nur 6 %-Punkte unter der Unterdeckung für Polen. Selbst die nicht jüdische polnische Bevölkerung habe unter sehr schlechten Ernährungsverhältnissen gelitten und gehungert und nicht mehr arbeiten können und wollen. Dies sei auch bestätigt worden für Warschau, wo die Leute vor Hunger auf der Straße umgefallen seien. Die Angaben im Rentenverfahren korrespondierten auch mit den bereits früher im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben. Seine Angaben würden auch bestätigt durch die nun im Klageverfahren eingereichten schriftlichen Erklärungen von G1 und M. In diesen heißt es: "Den Antragsteller ... habe ich im November 1940 im Ghetto Warschau kennen gelernt. Er hatte sich freiwillig zur Arbeit gestellt und wurde zu Reinigungsarbeiten im Fabrikgebäude der Firma T eingeteilt. Er war dort täglich 10 Stunden beschäftigt und erhielt als Lohn größere Lebensmittelrationen und polnische Zloty. Die Arbeit fiel ihm sehr schwer und er war sehr oft krank, aber aus Angst vor einer Verschickung in ein Vernichtungslager, meldete er sich täglich zur Arbeit. Zudem wurde er während seiner Arbeit noch beschimpft und misshandelt ..." bzw. "Den Antragsteller ... habe ich im November 1940 im Ghetto Warschau kennen gelernt. Er und sein Vater haben sich selbst um Arbeit bemüht und wurden zu Arbeiten in der Tfabrik eingeteilt, wo sie 10 Stunden täglich arbeiteten. Trotzdem die Arbeit sehr schwer war, stellte sich Herr G2 täglich zur Arbeit. Auch wenn er krank war, war er bei der Arbeit anwesend, aus Angst ansonsten in ein Vernichtungslager verschickt zu werden. Für seine Arbeit erhielt er größere Lebensmittelrationen und polnische Zloty. Herr G2 war abgemagert, litt an Hunger, Kälte und Nässe und wurde oft misshandelt. Er hat alles auf sich genommen, um sein Leben zu retten. Anfang des Jahres 1943 habe ich Herrn G2 aus den Augen verloren ...".

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

1.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 02.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2005 zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihm anlässlich des Aufenthalts im Ghetto Warschau von November 1940 bis März 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung ggf. noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen, 2.hilfsweise, sein persönliches Erscheinen im Termin zur mündlichen Verhandlung anzuordnen, 3.weiter hilfsweise, H2 als Sachverständigen für die Klärung der Fragen zu Tätigkeiten im Ghetto Warschau zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des bekannten Urteils des BSG vom 07.10.2004 sei hier von schon nicht ausreichendem auch beitragspflichtigem Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, auch nicht ein Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltcharakter. Allein ein Anspruch auf Entgelt reiche nach dem Wortlaut des ZRBG nicht aus, vielmehr nur tatsächliche Entgeltzahlung. Der eigene Vortrag des Klägers schon in dem Rentenantrag lasse die Annahme eines aus freiem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisses nicht zu. Auch wenn im Generalgouvernement Beschäftigungsverhältnisse theoretisch möglich gewesen seien, bleibe immer der jeweilige Einzelfall zu prüfen. Für eine vom Kläger zwangsweise ausgeübte Tätigkeit sprächen die aus dem Rentenverfahren stammenden Angaben wie insbesondere die Bewachung auch bei der Arbeit. Auch aus den zur Klagebegründung vorgelegten Erklärungen der Zeugen ergebe sich, dass es sich bei den Arbeitsverrichtungen um sehr schwere Arbeiten gehandelt hatte und der Kläger dabei auch beschimpft und misshandelt worden sei. Was das Entgelt angehe, lasse der eigene Vortrag des Klägers – Höhe der erhaltenen Zloty nicht erinnerlich – nicht zu, von einem Entgelt auszugehen.

Das Gericht hat die Akte der Beklagten über die verstorbene Ehefrau des Klägers (G3) beigezogen, aus deren potenzieller Versicherung aus ihren auch streitigen Ghetto-Zeiten in Warschau (November 1940 bis Februar 1943) macht der Kläger Altersrentenansprüche seiner Ehefrau als Rechtsnachfolger in einem derzeit ruhenden Klageverfahren (S 00 R 000/00) geltend. Die verstorbene Ehefrau hatte gegenüber dem Wiedergutmachungsamtes in Saarburg und gegenüber der Claims Conference von Zwangsarbeiten gesprochen, die sie im Ghetto Warschau bis zu ihrer Flucht im Februar 1942 verrichtet habe, anlässlich Straßenreinigungsarbeiten und Arbeiten in einer Zuckerfabrik, und im Rentenverfahren angegeben, sie habe auch freiwillig für Lebensmittel elternlose Kinder betreut, damit diese nicht allein in den Straße starben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung, die ihr ordnungsgemäß zugestellt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere auch form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 09.07.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 02.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in dem Bescheid vom 02.08.2004, die die Ablehnungsgründe im Bescheid vom 09.07.2004 ersetzen, erklärt diesen Bescheid für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 02.08.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausgegangen werden kann.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat der Kläger aber nicht. Die Anwendbarkeit des ZRBG zu seinen Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, dass er keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.

I. Es fehlt schon an einem schlüssigen und glaubhaften Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen und auch regelmäßig entgeltlichen Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um überhaupt rentenrechtlich relevant zu sein (§ 1227 der 1940 bis 1943 geltenden Reichsversicherungsordnung, wonach Zuwendungen nur zur Unterhaltssicherung keine Versicherungspflicht begründet hatten). Hier kann angesichts des relativ spärlichen Vortrags in der Entschädigungsakte und im Rentenantrag unter Berücksichtigung der im Klageverfahren erst vorgelegten schriftlichen Zeugenerklärungen von Herrn G1 und Herrn M in der Gesamtschau nicht von einer aus freiem Willen aufgenommenen Beschäftigung gegen "Entgelt" ausgegangen werden. Wie die Beklagte zunächst zutreffend schon im Bescheid vom 02.08.2004 ausführt, spricht Bewachung des Klägers nicht nur auf dem Weg von und zur Arbeit sondern auch während der Arbeit selbst im Sinne eines äußert starken Indizes für nicht vom ZRBG erfasste Zwangsarbeiten; ein sich hier darstellendes Gesamtbild unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugen spricht auch für eine nicht wirklich freiwillige Arbeitsleistung nur unter Zwang und Drohung zur Ausbeutung der Arbeitskraft des Klägers, ohne dass er dafür mehr erhielt, als gerade zum Überleben das Allernotwendigste war. Zwar schildert Herr G1, der Kläger habe auch polnische Zloty erhalten, doch hat der Kläger selbst keine Erinnerung daran, wie viel dies überhaupt gewesen sein soll (so seine Angaben auf Bl. 33 der Verwaltungsakte). Einen nennenswerten Umfang können die erhaltenen Lebensmittelrationen und die eventuellen Geldzuwendungen aber nicht gehabt haben, denn nach den Angaben von Herrn M war der Kläger gleichwohl abgemagert, litt an Hunger und Kälte und Nässe und wurde oft bei der Arbeit außerdem noch beschimpft und misshandelt; obwohl dem Kläger die Arbeit sehr schwer fiel und er dabei auch oft krank war, führte er sie gleichwohl aus aus Angst vor einer Verschickung in ein Vernichtungslager, also auch dann, wenn er eigentlich gar nicht arbeitsfähig war. Letzeres hat auch Herr G1 bestätigt. Bei dieser Sachlage und dem sich daraus abzeichnenden Gesamtbild der Umstände, unter denen der Kläger damals lebte und arbeitete, kann eine wirklich freiwillige Beschäftigung im Sinne eines irgendwie dafür angemessenen Entgeltes im Sinne von § 1 Abs. 1 ZRBG hier nicht angenommen werden, zumal selbst zusätzliche und bessere Verpflegung allein nicht das Kriterium der Entgeltlichkeit erfüllt (vgl. auch Sozialgericht Hamburg Urteil vom 25.08.2006 – S 19 RJ 162/04 zur Würdigung von Angaben in Bezug auf die konkret geschilderten Lebens- und Arbeitsumstände der Betroffenen). Ein irgendwie geartetes Austauschverhältnis zwischen Arbeit und Entgelt kann hier also nicht angenommen werden, erst recht nicht im Sinne der den Beteiligten bekannten Entscheidung des BSG vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R. Hier wurde gerade unter Berücksichtigung der Erklärungen der beiden Zeugen praktisch nur vorgetragen, was nach der vorgenannten Entscheidung des BSG gegen einen Rentenanspruch des Klägers spricht.

II. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Lohn im Ghetto gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt wurde, nicht ein Anspruch darauf bestanden hätte oder auch Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist ein lex spezialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im Übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines evtl. zivilrechtlich geschuldeten angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte, wie bereits oben ausgeführt; auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW greift eine "Anspruchstheorie" nicht ein (LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 - L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 - L 3 R 43/05 und 169/05).

III. Es bedurfte auch nicht der Anhörung des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Termin zur mündlichen Verhandlung, um ihn zu seiner Ghettoarbeit anzuhören und zu befragen. Denn ihm bzw. seiner Bevollmächtigten ist im schriftlichen Verfahren schon rechtliches Gehör gewährt worden; im schriftlichen Verfahren bestand ausreichend Gelegenheit, die aus Sicht des Klägers maßgeblichen Tatsachen vorzutragen, und Beweismittel anzubieten. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger unter Zuhilfenahme seiner Bevollmächtigten nicht in der Lage war, zur Sachverhaltsaufklärung und schriftlichen Verfahren schon beizutragen. Im Übrigen ist eine Parteivernehmung als eigenständiges Beweismittel im sozialgerichtlichen Verfahren weder auf Antrag noch von Amts wegen zulässig (vgl. BSG Beschluss vom 18.02.2003 - B 11 AL 273/02 B und LSG NRW Urteil vom 27.01.2006 - L 4 RJ 126/04).

IV. Es war auch nicht dem weiteren Hilfsantrag zu entsprechen dahingehend, den Sachverständigen H2 zu den Umständen im Ghetto Warschau zu hören. Denn das Vorliegen einer auch entgeltlichen Beschäftigung des Klägers aus freiem Willensentschluss in Warschau ist schon nach seinen eigenen Angaben nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daran kann auch ein allgemein- historisches Gutachten bzw. die allgemeine Hörung eines bestimmten Gutachters nichts ändern, weil es immer auf die individuellen Umstände eines Verfolgten ankommt.

V. Im Übrigen wird klägerischerseits verkannt, dass das ZRBG oder auch "Ghetto-Gesetz" in der vorliegenden Form von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghettoinsassen geweckten und gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut dieses Gesetzes reicht eben nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen (vgl. BSG vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R und LSG NRW Urteil vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04).

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" zur Frage der Überarbeitung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (BT-Drucksache 10/1955 und 16/1785). Danach soll das ZRBG auch angesichts der extrem hohen Ablehnungsquote nicht geändert werden und auch die Bundesregierung geht davon aus, dass im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Kriterien wie Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit zwingende Voraussetzungen sind für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit; ansonsten würden der gesetzlichen Rentenversicherung Aufgaben zugewiesen, die keinerlei Bezug mehr zur Sozialversicherung hätten. Soweit und sofern Arbeiten erbracht worden seien, die letztlich als nicht vergütete bzw. unzureichend vergütete Zwangsarbeiten zu qualifizieren seien, bleibe es bei den bisherigen dafür vorgesehenen Leistungen nach anderen Entschädigungsgesetzen. Die Antwort der Bundesregierung war insofern jedoch hier für die Entscheidung der Kammer nicht weiter relevant, da schon nach den vorstehenden Ausführungen die Kriterien für die Anwendbarkeit des ZRBG in der Person des Klägers nicht gegeben waren.

VI. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal des Klägers, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht im Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch des Klägers zu entsprechen. Das ZRBG in seiner bisherigen Form gibt solches für den Kläger nicht her.

VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved