S 9 AS 127/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 127/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 13.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2006 verurteilt, den Klägern für den Leistungszeitraum vom 01.05.006 bis 31.07.2006 Kosten der Unterkunft (Grundmiete und Nebenkosten) in Höhe von monatlich 439,34 Euro zu bewilligen und abzüglich bereits gezahlter Beträge zu zahlen. 2.Die weitergehende Klage wird abgewiesen. 3.Die Beklagte trägt 5/6 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig sind die Kosten der Unterkunft (KdU) im Zeitraum 01.05. bis 31.07.2006.

Die Beklagte bewilligte der alleinerziehenden Klägerin zu 1) und ihren 2002 geborenen Kindern (Kläger zu 2) und 3)) für den o. a. Zeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem 2. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) und zwar monatlich: Regelsatz Klägerin 345,- Euro Regelsätze 2 Kinder 414,- Euro Mehrbedarf Alleinerziehung 124,- Euro Zwischensumme 883,- Euro Kosten der Unterkunft 390,- Euro Heizkosten 47,- Euro Zwischensumme 1.320,- Euro abzüglich Kindergeld 308,- Euro abzüglich Unterhaltszahlungen 398,- Euro Gesamtleistung Bescheid vom 13.04.2006 614,- Euro =========

Tatsächlich beträgt die Kaltmiete der Kläger 355,- Euro bei der Wohnungsgröße von 69 qm (= 5,14 Euro/qm), zuzüglich Nebenkostenvorauszahlung (kalt aber einschließlich Brauch- und Abwasser) 96,- Euro.

Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 12.07.2006). Die angemessene Miethöhe sei in der Vergangenheit immer wieder bestandskräftig mit 390,- Euro festgestellt worden. Die Beklagte orientiere sich an der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG), da zu deren Sätzen ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehe, insbesondere in der Stadt E. Danach liege die Obergrenze für einen 3-Personenhaushalt in der E. entsprechenden Mietstufe bei 390,- Euro.

Mit der hiergegen erhobenen Klage machen die Kläger höhere KdU geltend. Es sei nach der Rechtsprechung der Aachener SGB-II Kammern der Mietspiegel zugrunde zu legen und hiernach ein qm-Preis von 4,90 Euro netto kalt angemessen. Was auch im Falle der Kläger angemessen sei, da die konkrete Wohnung der Kläger am oberen Rand einer mittleren Wohnlage anzusiedeln sei. Bei einer unstreitigen Wohnungsgröße von 69 qm und 96,- Euro Nebenkosten (kalt) ergebe sich ein Mietzuschuss von 481,10 Euro.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2006 zu verurteilen, der Klägerin höhere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.05. bis 31.07.2006 zu bewilligen.

Die Beklage beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach der beigezogenen Nebenkostenabrechnung für 2005 vom 26.07.2006 waren in 2005 monatliche umlegungsfähige Nebenkosten ohne Heizkosten von 84,72 Euro entstanden, darin Kaltwasserverbrauchskosten 154,40 Euro (verbrauchsabhängig) Abwasserkosten 159,95 Euro (verbrauchsabhängig) Wassergrundpreis 40,09 Euro (nach qm berechnet) Ablese-/Zählerkosten 25,22 Euro (nach Wohneinheiten).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im wesentlichen begründet. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als den Kläger höhere, nämlich die tatsächlichen Wohnkosten zu zahlen sind, soweit sie nicht dem Regelsatz zuzuordnen sind.

Leistungen für Unterkunft (KdU) werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt, sofern sie angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Aufwendungen der Kläger für ihre Wohnung angemessen.

Zur Ermittlung der angemessenen Miethöhe ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf § 8 WoGG zurückzugreifen, wonach (bundesweit) lediglich zwischen 6 Kategorien von Gemeinden unterschieden wird. Das WoGG ist bei der Bestimmung der angemessenen KdU allenfalls subsidiär heranzuziehen (SG Aachen S 9 AS 48/06 Urteil vom 10.08.2006). Die vielfach gegen die Anwendung des WoGG vorgetragenen Bedenken (vgl. die Nachweise bei SG Aachen S 23 (15) AS 56/06 vom 23.10.2006) sind nach der lediglich vorliegenden Pressemitteilung des Bundessozialgerichts (BSG) insoweit höchstrichterlich bestätigt, als danach "nicht von vornherein und pauschal auf die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG" zurückgegriffen werden kann (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7 b AS 18/06 R). Die Bestimmung des angemessenen qm-Preises erfolgt vielmehr - wo vorhanden - unter Zuhilfenahme des örtlichen Mietspiegels, wobei auf einen Wohnungsstandard im unteren Marktsegment abzustellen ist (LSG NRW, Beschluss vom 24.08.2005, L 19 B 28/05 AS/ER; LSG NRW, Beschluss vom 09.10.2006, L 1 B 25/06 AS/ER).

Eine einheitliche Rechtsprechung der Kammern des Sozialgerichts Aachen zu der Frage, wie aus dem örtlichen Mietspiegel der angemessene Mietpreis zu ermitteln ist, hat sich entgegen der vom Kläger-Bevollmächtigen zum Ausdruck gebrachten Hoffnung bisher nicht entwickelt. Die 11. Kammer (Urteil vom 24.10.2006, S 11 AS 51/06) legt den Mittelwert des für eine Wohnung in mittlerer Wohnlage und mit einfacher Ausstattung ermittelten Preissegments zu Grunde, wie es sich unter Berücksichtigung des Baujahres der konkret bewohnten Wohnung ergibt. Da die von den Klägern bewohnte Wohnung 1964 erbaut wurde, wäre dies im konkreten Fall das Preissegment von 3,30 bis 3,70 Euro pro Quadartmeter, demnach ein Quadratmeterpreis von 3,50 Euro. Die 23. Kammer stellt auf den Mindestquadratmeterpreis für eine Wohnung mittlerer Ausstattung in mittlerer Wohnlage ab, den sie zum Zwecke der Ermittlung des unteren Preissegments um 30 % der Differenz zum höchsten Quadratmeterpreis erhöht (Urteil vom 23.10.2006, S 23 (15) AS 56/06). Hieraus ergäbe sich im vorliegenden Fall eine Preisspanne von 3,70 bis 6,30 Euro und ein Quadratmeterpreis von 4,57 Euro. Die erkennende Kammer verfährt in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10.08.2006, S 9 AS 48/06) wie folgt:

Die Kammer geht davon aus, dass Fürsorgeberechtigte sich bei der Auswahl einer angemessenen Wohnung am unteren Preissegment zu orientieren haben. Als Vergleichsmaßstab zieht die Kammer deshalb Wohnungen mittlerer Wohnlage heran, die nicht zu den allerneuesten Wohnungen im Bestand zählen. Aus der so ermittelten Preisspanne (1993 bis 1997, 4,60 bis 5,80 Euro) sind Wohnungen, die sich in den unteren 30 % des Preisrahmens bewegen (also bis 4,96 Euro) noch als angemessen anzusehen; dies gilt auch (entgegen SG Aachen 11. Kammer aaO) soweit die Hilfebedürftigen eine ältere Wohnung bewohnen, denn bei einem eventuellen Umzug wären sie nicht verpflichtet, eine billigere Wohnung anzumieten.

Multipliziert mit den grundsätzlich für Dreipersonenhaushalte als angemessen anzusehenden 75 qm - die angemessene Quadratmeterzahl ist zur Ermittlung des angemessenen Mietpreises abstrakt zu bestimmen (vgl. z. B. SG Aachen S 23 (15) AS 56/06, Urteil vom 23.10.2006; insoweit offenbar bestätigt durch BSG, aaO., nur in Pressemitteilung vorliegend) - ergäbe sich somit eine angemessene Grundmiete bis 372,- Euro. Mit 355,- Euro liegt die Miete der Kläger damit im angemessenen Rahmen.

Zusätzlich sind die Nebenkosten zu berücksichtigen, auf die die Kläger im streitigen Zeitraum einen Abschlag von 96,- Euro gezahlt haben. Dieser ist allerdings nicht in voller Höhe berücksichtigungsfähig.

Neben der reinen Miete sind zwar auch die Betriebskosten mit in Ansatz zu bringen, die der Vermieter von Gesetzes wegen gegenüber seinen Mietern in Ansatz bringen darf; dies sind gemäß § 556 Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Betriebskostenverordnung vom 25.11.2003 die laufenden öffentlichen Lasten des Grundstücks (insbesondere die Grundsteuer), die Gebühren für Wasserzähler und Wassermengenregler, die Kosten der Entwässerung des Grundstücks, Kosten eines Aufzugs, Kosten der Straßenreinigung und Müllabfuhr, Kosten der Beleuchtung gemeinsam genutzter Anlagen, Kosten der Reinigung des Schornsteins und der Messung der Heizungsanlage durch den Schornsteinfeger, Kosten der Beseitigung der Abwässer und Fäkalien, Kosten einer Gemeinschaftsantennenanlage, Wartungskosten von Heizungsanlagen oder Abwasserhebeanlagen, sowie die Kosten der Gartenpflege und eines Hauswartes (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31.03.2006, L 7 AS 343/05 ER). Nicht zu den notwendigen Betriebskosten gehören die Kosten des Wasserverbrauchs und der Warmwasserbereitung. Denn aus der Systematik des SGB II ergibt sich, dass der Bezug von Wasser für die Ernährung und Körperpflege sowie die Reinigung von Wäsche mit den Regelsatzleistungen abgegolten ist (LSG Niedersachsen-Bremen, aaO. mwN.). In den den Klägern in Rechnung gestellten Nebenkosten sind aber Brauchwasserkosten enthalten, die ausweislich der Abrechnung für 2005 seinerzeit 154,50 Euro jährlich ausmachten, was einem Betrag von 13,24 Euro monatlich entspricht. Ausgehend von den abgerechneten Gesamtnebenkosten von 84,72 Euro im Monat ergaben sich also für 2005 nach Abzug der Brauchwasserkosten berücksichtigungsfähige Nebenkosten von 71,84 Euro monatlich. Diesen Betrag hat die Kammer im Hinblick auf den von den Klägern zu zahlenden höheren Abschlag von 96,- Euro und mögliche Kostensteigerungen in 2006 um 12,50 Euro erhöht, sodass die berücksichtigungsfähigen - mit der Jahresendabrechnung 2006 zu verrechenden - Nebenkosten demnach im streitigen Zeitraum 84,34 Euro betrugen.

Die Kläger haben demnach Anspruch auf KdU in Höhe von 439,34 Euro. Zu einer Beanstandung der zwischen den Beteiligten unstreitigen Heizkosten gibt der Sachverhalt keinen Anlass. Rechtsfehler bei der Berechnung der Regel- und Bedarfssätze, die im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis der Kläger und den gestellten Antrag nach Auffassung der Kammer allerdings auch nicht Streitgegenstand waren, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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