S 18 KR 1302/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 1302/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf einen chirurgischen Eingriff zur Behandlung der extremen Adipositas (hier: Magenbypass) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
2. Zum Prüfungsumfang der Krankenkassen und des Sozialgerichts, zur Reichweite der Einschätzungsprärogative des behandelnden Arztes sowie zur Bedeutung von Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften bei der Beurteilung, ob eine adipositaschirurgische Maßnahme vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist
3. Rechtskraft/Verfahrensfortgang: rechtskräftig
I. Die Bescheide vom 05.03.2004 und vom 24.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2004 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine chirurgische Behandlung zur Therapie der extremen Adipositas zu gewähren.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der bei ihr versicherten Klägerin einen chirurgischen Eingriff zur Gewichtsreduktion als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.

Die 1949 geborene Klägerin leidet an extremem Übergewicht, das unter Anderem von einem metabolischen Syndrom mit insulinpflichtigem Diabetes sowie von Verschleißerkrankungen der Kniegelenke und Wirbelsäulenbeschwerden begleitet ist.

Bereits im November 1998 hatte sich die Klägerin einer Magenbandoperation unterzogen; deren Kosten übernahm die Krankenkasse. Das Magenband musste jedoch nach wiederholten operationsbedürftigen Portinfektionen und Stomaverschlüssen am 30.06.2000 wieder entfernt werden.

Mit am 25.11.2003 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 22.11.2003 beantragte die Klägerin einen erneuten chirurgischen Eingriff zur Gewichtsreduktion. Sie begründete ihren Antrag mit der erneuten Gewichtszunahme nach Entfernung des Magenbandes, dem gewichtsbedingt angestiegenen Insulinbedarf, mit starken Rücken- und Knieschmerzen und aus dem Krankheitsbild resultierenden Depressionen sowie unter Hinweis auf die Besserung ihres Befindens nach der ersten Operation.

Die Beklagte holte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin ein:

- Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. N. teilte am 28.01.2004 mit, die Klägerin leide an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ IIb mit Sekundärversagen wegen hohen Insulinbedarfs bei peripherer Insulinresistenz und Neuropathie, an essentieller Hypertonie II. Grades, manifester Gicht, ausgeprägter Polyarthrose (besonders der Knie) und schwerer Tendopathie beider Kniegelenke, venöser Insuffizienz und Rechtsherzinsuffizienz bei Adipositas per magna. Der Krankheitsverlauf sei insgesamt progredient.

- Die Fachärztin für Orthopädie Dr. Na. berichtete am 20.01.2004 über eine beginnende Coxarthrose beidseits, ein chronisches lumbales Pseudoradikulärsyndrom mit ausgeprägten muskulären Dysbalancen bei Adipositas per magna. Die zunächst konservative Therapie habe bislang keinen anhaltenden Erfolg erbracht.

Eine Operation sei orthopädischerseits zu befürworten, um eine drastische Gewichtsreduktion zu erreichen, da die vom Haltungs- und Bewegungsapparat herrührenden Schmerzen sonst nicht wesentlich beeinflussbar seien.

- Dem gegenüber riet die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. unter dem 21.01.2004 von einer Operation ab. Sie diagnostizierte eine mittelgradige reaktive chronifizierte Depression, gepaart mit Schlafstörungen, die konservativ nervenärztlich und medikamentös behandelt würden. In Frage komme evtl. noch eine stationäre Therapie, wozu die Klägerin allerdings kaum zu bewegen sei, so dass die Compliance in Frage stehe. Hinsichtlich des Therapieerfolgs wies sie auf einen deutlichen Chronifizierungsprozess hin und stellte die Frage nach einem sekundären Krankheitsgewinn in den Raum. Die Klägerin verlagere ihr seelisches Grundproblem auf ihr Gewichtsproblem. Eine grundsätzlich die seelische Gesamtsituation verbessernde Wirkung sei von einer Operation nicht zu erwarten.

Die Beklagte ersuchte die Gutachterärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dipl.-Med. R. um eine Stellungnahme. Diese empfahl der Beklagten, zunächst Unterstützung bei einer konservativen Gewichtsreduktion zu leisten, welche insbesondere eine Ernährungsumstellung und ein Bewegungsprogramm umfassen müsse.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 05.03.2004 ab. Dabei stützte sie sich auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes, aus der sie den Schluss zog, eine Operation sei vor einer erfolgreichen Gewichtsreduktion nicht sinnvoll.

Mit Ihrem am 24.03.2004 bei der Beklagten eingegangenem Widerspruch vom 22.03.2004 wandte die Klägerin dagegen ein, wenn eine Gewichtsreduktion so einfach wäre, bräuchte sie keine Operation. Ihre Ernährung habe sie bereits 1991 und dann nochmals 2000 umgestellt und halte dies auch konsequent bei. Die hohen Insulindosen würden jedoch einer weiteren Umstellung entgegen stehen. Das Bewegungsprogramm könne sie schon seit einem Jahr nicht mehr durchführen, da sie schmerzbedingt kaum noch 100 m laufen könne; Physiotherapie habe nicht geholfen. Die erste Operation sei erfolgreich gewesen, habe zu Schmerzfreiheit und höherer Belastbarkeit geführt, der Medikamentenverbrauch habe sich extrem verringert. Zugleich stellte die Klägerin klar, dass sie nicht auf eine bestimmte Operationsmethode festgelegt sei.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung mit Untersuchung am 18.06.2004 durch den Gutachterarzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. K. Dieser vertrat die Auffassung, die Klägerin erfülle zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht die Voraussetzungen für eine Magenbandoperation. Die Ausschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten nach Entfernung des Magenbandes und eine ausreichende Motivation zu konsequenter und langfristiger Ernährungsumstellung habe nicht nachgewiesen werden können. Die extreme Gewichtszunahme nach Entfernung des Magenbandes wäre, wenn die Klägerin - wie sie behauptet - ihre bereits umgestellte Ernährung beibehalten hätte, nicht zu erklären. Intensive, ärztlich geführte Behandlungsmaßnahmen seien nach der Bandentfernung nicht belegbar. Die Psychiaterin habe wegen einer chronifizierten depressiven Erkrankung von der Operation abgeraten. Da durch die frühere Operation bereits eine Gewichtsabnahme nachgewiesen worden sei, sollte vor eine erneuten Indikationsstellung wenigstens eine einjährige konservative Behandlung nach definierten Qualitätskriterien stattgefunden haben.

Unter Verweis auf dieses Gutachten bestätigte die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2004 ihre frühere ablehnende Entscheidung vom 05.03.2004.

Dem trat die Klägerin in ihrem am 12.07.2004 bei der Beklagten eingegangenem weiteren Widerspruchsschreiben vom 09.07.2004 mit der Behauptung entgegen, ihr Gewicht könne nicht durch eine Verringerung der Nahrungszufuhr reduziert werden. Entgegen den Äußerungen des Gutachterarztes bei der Untersuchung seien zudem die eingeschränkte Gehfähigkeit und ihr Übergewicht im Zusammenhang zu betrachten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2004 zurück. Die beantragte Operation müsse, da es sich um eine mittelbare Therapie an einem nicht erkrankten Organ handele, als ultima ratio indiziert sein, wobei die Patienten eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen müssten. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Hiergegen richtet sich die am 18.11.2004 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 09.11.2004. Eine Operation erst nach erfolgter Gewichtsreduktion, wie von der Beklagten im Ausgangsbescheid gefordert, sei absurd. Die Beklagte bewerte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Leistungspflicht der Krankenkassen hinsichtlich der operativen Therapie der extremen Adipositas falsch. Außerdem habe die Beklagte die Prüfung ihrer Leistungspflicht zu Unrecht auf eine erneute Magenbandoperation beschränkt.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 05.03.2004 und 24.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Durchführung einer Operation zur Gewichtsreduktion zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht die konservativen Therapiemöglichkeiten als noch nicht ausgeschöpft an.

Das Gericht hat nochmals einen Befundbericht bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. eingeholt. Diese berichtet auf Grund der Vorstellung am 03.03.2005, die Motivation der Klägerin, abnehmen zu wollen und das Essverhalten zu ändern, überzeuge. Sie empfehle, die Motivation zur Änderung des Essverhaltens noch über ca. 1 Jahr hinweg zu überprüfen und eine psychotherapeutische Mitbehandlung bzw. Vorbereitung.

Die Bevollmächtigten der Klägerin reichten daraufhin ein zur Vorlage bei der Krankenkasse angefertigtes Schreiben des Chefarztes der Chirurgischen und Unfallchirurgischen Abteilung des Krankenhauses Sachsenhausen, Frankfurt/M., Prof. Dr. W., vom 25.04.2005 zu den Akten. Darin spricht sich jener auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 04.04.2005 für eine baldige laparoskopische Magen-Bypass-Operation (laparoskopischer Roux-en-Y-Magenbypass) zur Gewichtsreduktion aus. Beim gegenwärtigen BMI von 59,1 kg/m2 bestehe die Gefahr, dass die Klägerin bei weiterer Gewichtszunahme nicht mehr operiert werden könne.

Die hausärztliche Internistin Dr. N. bestätigte in einem weiteren Befundbericht vom 04.07.2005 als Diagnosen unter anderem eine Adipositas per magna, Diabetes mellitus mit hohem Insulinbedarf und peripherer Insulinresistenz, ein metabolisches Syndrom und Polyarthrose mit starker Bewegungs- und Laufbehinderung. Die konservativen Behandlungsversuche seien erfolglos ausgeschöpft. Die erforderlichen hohen Insulindosen in Folge der peripheren Insulinresistenz stünden einer Gewichtsabnahme wegen der dadurch induzierten Blutzuckerabsenkung mit Hungergefühl entgegen. deshalb bedürfe es auch nach einem Eingriff strenger hausärztlicher und psychotherapeutischer Überwachung. Die frühere Magenbandoperation habe indessen gezeigt, dass eine deutliche Besserung der diabetischen Stoffwechsellage möglich sei. Hinsichtlich der interdisziplinär gegenläufigen Empfehlungen über den zeitlichen Rahmen der Indikationsstellung aus chirurgischer Sicht einerseits und aus psychiatrischer Sicht andererseits sah sich die Ärztin zu einer Stellungnahme außer Stande.

Das Gericht hat daraufhin ein Internistisches Gutachten bei Prof. Dr. J. sowie ein psychotherapeutisch-psychosomatisches Zusatzgutachten bei Dr. S. eingeholt.

Prof. Dr. J. diagnostizierte bei der Untersuchung und Befragung der Klägerin am 07.12.2005 unter Anderem eine Adipositas per magna, einen als entgleist anzusehenden Typ 2-Diabetes mit Hinweisen auf eine Polyneuropathie und Nephropathie, Arthrose beider Knie und einen gut eingestellten Bluthochdruck. Eine Besserung der Gesundheitsstörungen und Linderung der Beschwerden sei durch eine stationäre chirurgische Behandlung denkbar. Absolute Kontraindikationen bestünden nicht. Aus der erheblichen Gewichtsreduktion nach Anlage des Magenbandes lasse sich auf gute Erfolgsaussichten einer erneuten chirurgischen Therapie, die eine dauerhaften Betreuung mit Ernährungsumstellung erfordere, schließen. Die alternativen Behandlungsmöglichkeiten der diätetischen Therapie, der - wegen des Diabetes nicht verordneten - medikamentösen Therapie sowie der Bewegungs- und Psychotherapie seien ausgeschöpft. Es sei nachgewiesen, dass eine Gewichtsreduktion mit diesen Verfahren nicht erzielbar sei. Eine Ernährungsberatung habe nur zu einer begrenzten Gewichtsabnahme geführt. Sportliche Aktivitäten seien wegen der eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit nicht möglich. Unter Berücksichtigung der Anamnesen und der jetzigen Situation sei ein Eingriff gerechtfertigt. Im Gegensatz zu den Gutachterärzten des Medizinischen Dienstes gehe er davon aus, dass die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft seien; im Hinblick auf das psychotherapeutisch-psychosomatische Zusatzgutachten gelte das auch für die psychotherapeutische Behandlung. Den Feststellungen von Dr. med. N. und Prof. Dr. med. W. schließe er sich dagegen im Ergebnis an.

In seinem auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 28.02.2006 angefertigten psychotherapeutisch-psychosomatischen Zusatzgutachten kommt Dr. med. S. zu dem Schluss, die Klägerin leide an einer sekundär-reaktiven depressiv-dysphorischen Verstimmung ohne Hinweise auf eine psychosomatische Genese. Weder Essverhalten noch Depressivität seien neurosenpsychologisch erklärbar. Die Depressivität sei als Reaktion auf die hohe negative Stigmatisierung und die aus der Adipositas resultierenden Einschränkungen situationsangemessen und nicht neurotisch begründet. Eine Psychotherapie könne keine kurative Behandlungsoption sein, was freilich eine begleitende Psychotherapie zur Unterstützung anderer, auch chirurgischer, Behandlungsmaßnahmen nicht ausschließe. Die - als Versuch zur Therapiemotivation zu interpretierende - anfänglich ablehnende Haltung der behandelnden Nervenärztin Dr. K. sei mit der inzwischen aufgegebenen Konversionshypothese hinfällig. Die Untersuchung im Rahmen der Begutachtung bestätige diese geänderte Einschätzung.

Die Beklagte hält ihren Antrag auf Klageabweisung mit der Begründung aufrecht, die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Sie nimmt Bezug auf eine Stellungnahme des Gutachterarztes des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. M. vom 15.05.2006. Dieser äußert darin, die von Prof. Dr. W. abgegebene Prognose einer 70- bis 75-prozentigen Gewichtsreduktion erscheine kühn und könne nicht von vorn herein unterstützt werden. Mit, auch tödlichen, Komplikationen müsse auch bei einem zweiten Eingriff gerechnet werden, zumal das enorme Körpergewicht eine relative Kontraindikation begründe. Angesichts der Gewichtssteigerung in den Jahren 2000 bis 2004 nach Entfernung des Magenbypasses stelle sich die Frage, warum die Klägerin nicht schon früher aktiv etwas gegen die Gewichtszunahme unternommen habe. Der Gutachter sehe hier einen Ansatzpunkt für eine Psychotherapie. Von einer ausgeschöpften ambulanten Behandlungsmöglichkeit könne nicht gesprochen werden. Zudem stelle sich die Frage, wie bei einer Gewichtsreduzierung mit der notwendigen Insulinreduzierung umgegangen werde, "welche zu Zeit negiert wird, wenn Gewichtsreduzierung auf konservativem Weg eintreten sollte".

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann über den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil nach der gutachtlichen Aufklärung des Sachverhalts die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art mehr aufweist und die Beteiligten auf Anfrage keine Gründe vorgetragen haben, die einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegen stehen würden.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf eine chirurgische Adipositasbehandlung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage von § 11 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und Krankenhausbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Der massiven Adipositas der Klägerin kommt wegen der damit verbundenen funktionellen Einschränkungen Krankheitswert im Sinne dieser Vorschriften zu. Es handelt sich nicht schlechthin um ein bloßes Übergewicht, sondern um ein wesentliches Element und den Ausdruck eines komplexen Krankheitsgeschehens. Dieses äußert sich funktionell in der schweren Ausprägung des Diabetes mellitus, namentlich der maßgeblich von der Körperfettmasse mit beeinflussten Insulinresistenz mit hohem Insulinbedarf und den neuropathischen Krankheitsfolgen, in der Wechselwirkung mit den sonstigen unter dem Begriff des metabolischen Syndroms zusammengefassten Stoffwechselstörungen sowie der im Zusammenwirken mit arthrotischen Veränderungen durch das Übergewicht bedingten Immobilität der Klägerin.

In der Rechtssprechung ist anerkannt, dass bei starkem Übergewicht eine Behandlung der Adipositas mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen, wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinalen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartigen Neubildungen, besteht. Eine Therapieindikation besteht erst recht, wenn im konkreten Fall bereits Folgeerkrankungen aufgetreten sind, wie dies die behandelnden Ärzte bei der Klägerin festgestellt haben. Erfordert die Adipositas nach diesen medizinischen Maßstäben eine ärztliche Behandlung, so belegt das zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne, welche einen Anspruch auf Krankenbehandlung als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung auslöst (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.02.2003, Az. B 1 KR 1/02 R). Die Leistungspflicht der Krankenversicherung für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit kann nicht mit der Erwägung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten des Patienten und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich ist. Es trifft zwar zu, dass die operative Veränderung des Magens keine kausale Behandlung darstellt, sondern die Ernährungsstörung lediglich indirekt beeinflussen soll. Eine solche mittelbare Therapie wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mit umfasst, wenn sie die in § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat die Rechtsprechung diesen Grundsatz allerdings eingeschränkt: Wird durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie es beispielsweise bei der Applikation eines Magenbandes geschieht, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 06.10.1999, Az. B 1 KR 13/97 R).

Eine Leistungsgewährung durch die Krankenkasse lässt sich darüber hinaus regelmäßig nicht rechtfertigen, wenn der operative Eingriff zur Behandlung einer psychischen Störung dienen soll. Darum geht es hier jedoch nicht. Die Überwindung der - reaktiven - Depressivität der Klägerin ist zwar als mittelbare Folge des angestrebten Therapieerfolgs erwünscht, stellt jedoch nicht das primäre Therapieziel dar.

Wenn eine chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nach alledem auch nicht von vornherein als Kassenleistung ausscheidet, so ist doch im Einzelfall zu prüfen, ob bei dem jeweiligen Patienten die Indikation für eine solche Therapie gegeben ist. Da das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, ist zunächst zu prüfen, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen - namentlich diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie - notwendig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Sodann muss untersucht werden, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben sind. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 19.02.2003, Az. B 1 KR 1/02 R, in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach den Leitlinien der Fachgesellschaften und einschlägigen Literaturbeiträgen namentlich die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht kommt, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (unter Anderem: Body-Mass-Index &61619; 40 kg/m2 oder &61619; 35 kg/m2, erhebliche Begleiterkrankungen, Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten, tolerables Operationsrisiko, ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung, Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung).

Die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten sind nach diesen Maßstäben erfüllt. Auf Grund der vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten ist erwiesen, dass eine medizinische Indikation für eine chirurgische Adipositasbehandlung gegeben ist. Eine chirurgische Behandlung ist als notwendig und wirtschaftlich anzusehen. Die konservativen, ambulanten, nicht invasiven Behandlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft. Die beantragte Behandlung ist darüber hinaus sowohl ausreichend als auch zweckmäßig. Als ultima ratio ist sie unter Abwägung der Schwere der Adipositas und der damit verbundenen Begleit- und Folgeerkrankungen, der mit Rücksicht auf den weiteren Krankheitsverlauf und das steigende Risiko der Inoperabilität gegebenen Dringlichkeit eines Eingriffs, den Risiken und den zu erwartende Erfolgsaussichten des beantragten Eingriffs sowie den zu erwartenden (Folge-)kosten, welche mit der Vornahme einer chirurgischen Therapie einerseits oder dem weiteren Verzicht darauf andererseits verbunden sind, gerechtfertigt.

Nach den Feststellungen der vom Gericht bestellten Sachverständigen ist eine diätetische Therapie mit Ernährungsberatung und Reduzierung der Nahrungszufuhr bereits seit Jahren umgesetzt worden, ohne jedoch allein eine nachhaltige Gewichtsreduktion bewirken zu können. Die Durchführung einer Bewegungstherapie scheitert an der gewichts- und arthrosebedingten Immobilität der Klägerin, die ihrerseits einen maßgeblichen Anlass für die beantragte Operation darstellt. Eine medikamentöse Therapie ist von den verantwortlichen Ärzten im Hinblick auf den Diabetes mellitus als Option ausgeschlossen worden (eine speziell für Diabetiker zu erwägende Arzneimitteltherapie mit einem Endocannabinoidrezeptor-Blocker hat die Zulassungsreife im Inland bislang noch nicht erlangt und kann als Behandlungsalternative deshalb nicht berücksichtigt werden). Eine Psychotherapie ist als kurative Behandlung medizinisch nicht angezeigt, nicht notwendig und nicht Erfolg versprechend. Absolute Kontraindikationen gegen eine Operation haben die Sachverständigen ausgeschlossen. Im Hinblick auf die Ergebnisse der früheren Magenbypassoperation ist Prognose für eine erneute Gewichtsreduktion günstig und rechtfertigt unter Abwägung mit der nichtoperativen Verlaufsprognose die damit verbundenen Risiken und Belastungen.

Die Ausführungen der Sachverständigen sind in sich schlüssig, nachvollziehbar, beantworten die Fragen des Gerichts erschöpfend und widerspruchsfrei und setzen sich fundiert mit den bereits vorliegenden Befundberichten und den Gutachten und Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes auseinander. Das Gericht macht sich die gutachtlichen Feststellungen deshalb zu eigen.

Dem gegenüber hat die Beklagte keine nachvollziehbaren Einwände vorgetragen, welche die Einschätzung der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erschüttern vermögen. Die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vom 15.05.2006 stellt sich in Gegenüberstellung mit den eingeholten Gutachten als unsubstantiiert und teilweise unverständlich dar. Eine konkrete Fragestellung seitens der Beklagten liegt der Stellungnahme, wie der Prüfarzt ausdrücklich bemerkt, nicht zu Grunde. Die Ausführungen verdrehen oder entstellen teilweise offenkundig die Feststellungen der Gerichtssachverständigen. Gutachtliche Qualität kommt ihnen nicht zu.

Das Gericht beschränkt sich deshalb auf folgende Anmerkungen hierzu:

- Die vom Prüfarzt angezweifelte Prognose Prof. Dr. W.s über eine 70- bis 75-prozentige Reduktion des Übergewichts mittels Magenbypass, der sich der Sachverständige Prof. Dr. J. anschließt, deckt sich mit den Angaben in der Evidenzbasierten Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas, Version 2006, gemeinsam herausgegeben von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, der Deutsche Diabetes-Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Dort ist in Abschnitt 6.4.7 ausgeführt, der Verlust an exzessivem Körpergewicht betrage beim Magenbypass 62 bis 75 % (unter Hinweis auf die systematischen Übersichten und Metaanalysen bei Buchwald et al., JAMA 291 [2004] S. 1724 ff., sowie Maggard et al., Ann Intern Med 142 [2005] S. 547 ff.). Die diese Prognose pauschal in Zweifel ziehende Stellungnahme des Prüfarztes ist weder hinsichtlich der allgemeinen therapiebezogenen Aussagen fachlich fundiert noch in Bezug auf die konkreten Erfolgsaussichten der Klägerin auch nur ansatzweise substantiiert.

- Ebenso entzieht sich der pauschale Hinweis des Prüfarztes auf die vom Körpergewicht mit beeinflusste Komplikationsgefahr mangels fachlicher Substanz einer Würdigung. Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat dem Gutachtensauftrag gemäß die Chancen und Risiken einer Operation gegeneinander abgewogen und im Ergebnis den Eingriff für vertretbar erachtet. Es versteht sich von selbst, dass die Einschätzung des Risikos einer chirurgischen Adipositasbehandlung sich an dem von vorn herein erhöhten Komplikationsrisiko operativ behandlungsbedürftiger Adipositaspatienten orientiert. Demgegenüber lässt die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes eine auch nur andeutungsweise Gegenüberstellung, geschweige denn eine Gewichtung der Risiken eines Eingriffs mit den Risiken des Verzichts auf eine chirurgische Intervention und damit den notwendigen Mindestgehalt einer sachverständigen Gegenäußerung vermissen.

- In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass sich das Gericht auf die Klärung zu beschränken hat, ob die mittelbare Behandlung der Krankheit der Klägerin überhaupt vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist.

Dabei kommt den in den Leitlinien zur Prävention und Therapie der Adipositas erwähnten Indikationsvoraussetzungen für chirurgische Eingriffe nicht die Qualität von Rechtsnormen zur Konkretisierung der medizinischen Voraussetzungen für Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung zu, wie sie etwa den - für die Adipositaschirurgie keine Vorgaben enthaltenden - Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus nach § 137c SGB V. Die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der beantragten Behandlung im Vergleich mit weniger einschneidende Behandlungsalternativen kann in medizinischer Hinsicht nur unter Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfall beurteilt werden, die im Einzelfall auch ein Abgehen von am Regelfall orientierten Behandlungsschemata gebieten können (hier beispielsweise hinsichtlich des interdisziplinären Zielkonfliktes zwischen der erwünschten längerfristigen Beobachtung vor dem Eingriff aus psychiatrischer Sicht einerseits und der zur Minimierung des Inoperabilitätsrisikos gebotenen Eilbedürftigkeit aus chirurgisch-internistischer Sicht andererseits).

Bei diesem Abwägungsprozess, den auch der prüfärztliche Dienst nicht - wie hier - ignorieren darf, kommt den behandelnden Ärzten eine Einschätzungsprärogative mit einem innerhalb der Grenzen medizinischer Vertretbarkeit weder von der Krankenkasse noch vom Gericht überprüfbaren Beurteilungsspielraum zu.

Das bedeutet, dass die medizinische Einschätzung, ob die Klägerin sich bei dem Grunde nach gegebener Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im konkreten Behandlungszeitpunkt der als zweckmäßig erachteten Behandlung unterziehen kann oder ob dem bislang noch nicht erkannte oder nicht abschließend gewürdigte Gegenanzeigen entgegen stehen (z.B. die Gefahr peri- oder postoperativer Kreislauf- und Stoffwechselentgleisungen, diabetischer Wundheilungsstörungen u.s.w.), der fachlichen Verantwortung der behandelnden Ärzte obliegt. Diese haben dem Versicherten gegenüber für die Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflichten nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts einzustehen (vgl. § 76 Abs. 4 SGB V). Zudem trifft sie als Garant im Sinne von § 13 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) eine über die allgemeine Hilfspflicht hinaus gehende besondere Verpflichtung zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit seiner Patienten. Weder die Beklagte noch das Gericht sind aus diesem Grund befugt, im Hinblick auf die konkrete Behandlungsführung ihre eigene Einschätzung oder die Einschätzung der von ihnen eingeschalteten medizinischen Sachverständigen schlechthin an die Stelle der Einschätzung des in erster Linie verantwortlichen Arztes zu setzen; anderenfalls müssten sie bzw. die herangezogenen Ärzte in die mit der Übernahme der Behandlung einhergehende zivilrechtliche Haftung für die Einhaltung der dem behandelnden Arzt obliegenden Sorgfaltspflichten und in dessen strafrechtliche Garantenpflicht wie ein Leistungserbringer eintreten. Dies würde den ihnen nach dem Sozialgesetzbuch und dem Sozialgerichtsgesetz obliegenden Aufgabenrahmen übersteigen (vgl., dem Rechnung tragend, § 275 Abs. 5 Satz 2 SGB V).

Das gilt auch und insbesondere dann, wenn in Folge der ablehnenden Empfehlung des von der Beklagten beauftragten Prüfarztes die Erbringung eine bestimmte, zum Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung gehörende Behandlung unterbleibt. Beschränkt sich der Prüfarzt dabei nicht auf die Prüfung der Vertretbarkeit der Entscheidung des die Indikation stellenden Arztes, sondern entscheidet er aus eigener Kompetenz abschließend über das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen der Behandlung (zum Beispiel durch die Stellungnahme, bestimmte Indikationsvoraussetzungen seien "nicht nachgewiesen"), so kommt ihm in dem in Anspruch genommenen Prüfungsumfang auch die Verantwortung für die Folgen dieser Entscheidung zu. Es kann in einem solchen Fall nicht hingenommen werden, wenn der Prüfarzt einer unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls getroffenen ärztlichen Entscheidung entgegen tritt, ohne dass die der ärztlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Abwägung begründet nachgegangen wird. Denn im schlimmsten Fall kann das daraus resultierende Unterlassen einer gebotenen Behandlung eine Verletzung der Gesundheit des Versicherten zur Folge haben.

- Die prüfärztlich in den Raum gestellte Frage, warum die Klägerin angesichts der Gewichtssteigerung in den Jahren 2000 bis 2004, nicht schon früher aktiv etwas gegen die Gewichtszunahme unternommen habe, trägt zur Aufklärung nichts bei. Zu beurteilen sind sie Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenkasse zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Der Behandlungsanspruch kann nicht verwirkt werden. Den Rückschluss auf eine konkrete medizinische Gegenanzeige oder auf eine noch nicht ausgeschöpfte Erfolg versprechende Therapiealternative zieht der Prüfarzt selbst nicht. Dass bereits 1998 ein Magenband angelegt worden war, impliziert - eine Falschbehandlung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ausgeschlossen -, dass die Klägerin schon damals nicht in der Lage war, ihr Gewicht ohne chirurgisch unterstützende Maßnahmen zu reduzieren. Die Gewichtssteigerung, die sich ab dem Jahr 2000 der komplikationsbedingten Entfernung des Magenbandes anschloss, ist damit als Ausdruck des den beantragten Eingriff rechtfertigenden Krankheitsgeschehens anzusehen. Es muss der Klägerin vor diesem Hintergrund zu Recht als bloßer Zynismus erscheinen, wenn ihr genau diese Gewichtssteigerung als Leistungsausschlussgrund hinsichtlich einer erneuten Operation entgegen gehalten wird. Da die Vorhaltung des Prüfarztes sonst keinen sachlich-medizinischen Gehalt aufweist, der aus dem Fakt der Gewichtssteigerung nach Entfernung des Magenbandes auf konkrete, Erfolg versprechende und noch nicht ausgeschöpfte Behandlungsalternativen schließen ließe, kommt ihr für die Einschätzung der Anspruchsvoraussetzungen weiter keine Bedeutung zu.

- Die Äußerung, der Gutachter sehe einen Ansatzpunkt für eine Psychotherapie; von einer ausgeschöpften ambulanten Behandlungsmöglichkeit könne nicht gesprochen werden, beinhaltet eine offenkundige Falschdarstellung.

Richtig daran ist lediglich, dass die Klägerin von den generell in Betracht zu ziehenden Elementen einer komplexen Adipositastherapie eine gezielte Psychotherapie zur Behandlung eines auf neurotischer Grundlage gestörten Essverhaltens bislang nicht unternommen hat, obwohl diese Therapieoption ausdrücklich in den Leitlinien zur Prävention und Therapie der Adipositas erwähnt ist.

Dies schließt einen Behandlungsanspruch indessen nicht aus. Die operative Behandlung ist nicht wegen des Verzichts auf eine Psychotherapie als unnötig oder unwirtschaftlich anzusehen. Das wäre nur dann der Fall, wenn die vorrangig auszuschöpfenden Therapiealternativen ihrerseits im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sind. Dies trifft indessen in Bezug auf die psychotherapeutische Behandlung vor einer chirurgischen Adipositastherapie weder im Allgemeinen noch im besonderen Fall der Klägerin nicht zu.

Den Leitlinien zur Prävention und Therapie der Adipositas lässt sich ein zwingend auszuschöpfender Vorrang einer psychotherapeutischen Behandlung vor einem chirurgischen Eingriff bei einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Adipositastherapie nicht entnehmen. Die Leitlinien weisen vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass vor einer operativen Behandlung eine psychologische oder psychosomatische Therapie nicht prinzipiell erforderlich erscheint. Bei Patienten mit Verdacht auf Depression, Psychose, Suchterkrankung oder Essstörung wie z.B. Binge-Eating müsse ein Psychiater oder Psychotherapeut hinzugezogen werden. Erscheine eine Psychotherapie hinsichtlich einer Essstörung aussichtsreich, sei diese zunächst der operativen Therapie vorzuziehen. Essstörungen, insbesondere das Binge-Eating-Syndrom, stellten nicht grundsätzlich Kontraindikationen für adipositaschirurgische Maßnahmen dar (a.a.O. Abschnitt 6.4.7).

Im vorliegenden Fall erscheint eine Psychotherapie als Behandlungsalternative nicht aussichtsreich. Der gerichtlich bestellte Zusatzgutachter Dr. S. hat eine pychotherapeutisch behandelbare Erkrankung, die im Rahmen einer kurativen Adipositastherapie vorrangig anzugehen wäre, unmissverständlich ausgeschlossen. Diesen Schluss hat er an Hand der Ergebnisse der Befragung der Klägerin, der testpsychologischen Befunderhebungen und der Einschätzung im letzten Befundbericht der behandelnden Nervenärztin ausführlich und nachvollziehbar begründet. Zugleich hat er eine ausreichende postoperative Compliance der Klägerin prognostiziert. Für eine psychotherapeutische Behandlung lässt die Einschätzung des Sachverständigen allenfalls als die chirurgische Behandlung begleitende und postoperativ unterstützende Option Raum; diese stellt jedoch - auch nach den Therapieleitlinien der Fachgesellschaften - keine zwingende Voraussetzung für die Beurteilung der Indikationsvoraussetzungen dar und setzt im Übrigen den mit der Klage verfolgten Leistungsanspruch gerade voraus. Angesichts der klaren Aussage des Sachverständigen, eine Psychotherapie könne keine kurative Behandlungsoption sein, ist unverständlich, wie der Prüfarzt zu der Behauptung gelangen kann, der Sachverständige sehe noch einen Ansatzpunkt für eine Psychotherapie, so dass von einer ausgeschöpften ambulanten Behandlungsmöglichkeit nicht gesprochen werden kann.

- Die vom Prüfarzt aufgeworfenen Frage, wie bei einer Gewichtsreduzierung mit der notwendigen Insulinreduzierung umgegangen werde, ergibt wörtlich genommen keinen Sinn. Die Reduzierung des Insulinbedarfs stellt gerade eines der therapeutischen Ziele dar, die mit der operativ unterstützten Gewichtsreduktion durch Verminderung von Insulininhibitoren im Fettgewebe angestrebt werden. Die postoperative Anpassung der Insulindosis ist elementarer Bestandteil der ambulanten Nachsorge. Die stabile Einstellung der Blutzuckerwerte stellt sich angesichts des vom Sachverständigen als entgleist beschriebenen Diabetes mellitus im Falle des Erfolgs einer Operation jedenfalls als nicht weniger problematisch dar als beim weiteren Verzicht auf eine operativen Therapie. Die Erwägung des Prüfarztes, dass die Verringerung des Insulinbedarfs zur Zeit negiert werde, wenn die Gewichtsreduzierung auf konservativem Weg eintreten sollte, ist gegenstandslos, weil nach übereinstimmender Aussage der gerichtlich bestellten Sachverständigen und der behandelnden Ärzte keine begründete Aussicht auf eine wesentliche Gewichtsreduzierung auf konservativem Behandlungswege besteht.

- Soweit mit der Gegenäußerung sinngemäß die Befürchtung ausgedrückt werden soll, der bereits derzeit hohe Insulinbedarf werde auch postoperativ einer Ernährungsumstellung entgegen stehen, welche den angestrebten Gewichtsverlust erst bewirken soll, so sind diese durch nichts fachlich untermauerten Zweifel am Therapieerfolg nicht geeignet, die positive Therapieprognose des Sachverständigen zu erschüttern.

Die Fragestellung verkennt den therapeutischen Effekt der beantragten chirurgischen Intervention. Ziel der chirurgischen Therapie ist nicht schlechthin die Reduktion der aufgenommenen Nahrungsmenge in dem Umfang, in dem der Patient sie bei zumutbarer Willensanstrengung durch eine weitere Ernährungsumstellung schon ohne chirurgische Unterstützung einschränken könnte. Das Ziel der Operation besteht gerade darin, eine mit konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr beherrschbare Aufnahme von Nährstoffen auf ein physiologisch vertretbares Maß, das der Patient jedoch nur mit chirurgischer Hilfe einhalten kann, zu reduzieren. Gerade hierfür stehen die verschiedenen Operationstechniken zur Verfügung, die sich entweder auf eine (weitere) mengenmäßige Restriktion der aufgenommenen Nahrungsmenge beschränken oder, soweit das allein als nicht ausreichend oder sonst nicht angezeigt erscheint, zusätzlich die bei der Darmpassage absorbierte Nährstoffmenge verringern.

Die auch im vorliegenden Fall vom Sachverständigen Prof. Dr. J. erwartete weitere Nahrungsumstellung beruht dabei nicht allein auf der Beschränkung der Magenkapazität und dem dadurch erzeugten Sättigungsgefühl bis hin zu Unwohlsein nach der Nahrungsaufnahme. Die generelle Wirksamkeit adipositaschirurgischer Techniken beruht auch darauf, dass die Patienten die Beschränkung der Magenaufnahmekapazität im Allgemeinen gerade nicht durch häufigere Mahlzeiten oder durch Umstellung auf hochkalorische Nahrungsmittel kompensieren, sondern dass auch der Appetit gezügelt wird und sich die Kalorienzufuhr weiter reduziert, als dies ohne operative Unterstützung möglich wäre. Die appetitzügelnde Wirkung spielt besonders im Falle der Klägerin eine Rolle. Denn ihr wird eine weitere Nahrungsreduzierung aus eigener Kraft nicht zugemutet. Dabei sind sich Behandler und Sachverständiger darüber einig, dass hierfür gerade das unüberwindliche Hungergefühl ausschlaggebend ist, welches durch die der peripheren Insulinresistenz geschuldeten hohen Insulindosen induziert wird. Dass dieser Kreislauf durch eine Operation voraussichtlich durchbrochen werden kann, wie der Sachverständige Prof. Dr. med. J. bestätigt, ist für das Gericht nicht zweifelhaft. Denn adipositaschirurgische Maßnahmen, insbesondere aber die von Prof. Dr. W. empfohlene Magenbypass-Operation, beeinflussen zugleich direkt den Glukosestoffwechsel (vgl. zu den antidiabetischen Effekten Buchwald et al., Bariatric Surgery - A Systematic Review and Meta-Analysis, JAMA 291 [2004] S. 1724 ff., insbesondere S. 1729 sowie die Tabellen 5 und 6 auf S. 1731 f.). Diese Wirkungen treten unabhängig von der erst allmählich einsetzenden Gewichtsreduzierung ein, die sich ihrerseits erst in der Folge, z.B. durch Verminderung im Körperfett produzierter Hormone, auf den Glukosestoffwechsel positiv auswirkt.

Die bloße Infragestellung der gutachtlichen Feststellungen durch den Prüfarzt gibt keinen Anlass zu einer näheren Aufklärung der physiologischen Zusammenhänge, auf denen die vom Sachverständigen und den behandelnden Ärzten prognostizierten Therapieeffekte im Einzelnen beruhen. Als Ursache für die bereits vor Einsetzen einer Gewichtsreduktion feststellbaren Effekte auf Appetit und Glukosestoffwechsel werden insbesondere die Verminderung von Hormonen wie Ghrelin oder eine vermehrte Peptidausschüttung diskutiert (ausführlich zum Forschungsstand: Cummings et al., Gastric Bypass for Obesity, Mechanisms of Weight Loss an Diabetes Resolution, J Clin Endocrinol Metab, 89 [2004] Nr. 6 S. 2608 ff., insbes. S. 2610 ff. und S. 2612 f., mit weiteren Literaturnachweisen). Abschließende wissenschaftliche Erkenntnisse liegen hierzu noch nicht vor. Für die Beurteilung der Rechtslage sind diese Einzelheiten ohne Belang. Die prinzipielle Eignung adipositaschirurgischer Maßnahmen auch zur Behandlung von Diabetikern wird dadurch nicht in Frage gestellt. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. J. unterstützte günstige Therapieprognose, welche die beantragte Behandlung als ausreichend und zweckmäßig bestätigt, wird durch die Stellungnahme des Prüfarztes nicht erschüttert.

Der auf die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten nach gerichteten Klage ist deshalb stattzugeben. Die Leistungspflicht der Beklagten erstreckt sich dabei neben der stationären Krankenhausbehandlung auch auf die postoperative ambulante Versorgung und Langzeitbetreuung, ohne dass es insoweit einer gesonderten gerichtlichen Anordnung in der Entscheidungsformel bedarf, da diese Leistungen als notwendige ambulante Begleit- und Folgebehandlung in der Gesetzlichen Krankenversicherung dem vertragsärztlichen Sicherstellungsauftrag unterliegen.

Das Gericht sieht davon ab, die Beklagte zur Gewährung einer bestimmten Behandlung zu verurteilen oder die gerichtliche Entscheidung mit Auflagen zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs zu verbinden. Der Prüfungsumfang des Gerichts erstreckt sich nicht auf die speziellen medizinischen Voraussetzungen einer bestimmten adipositaschirurgischen Behandlungsmethode. Denn Gegenstand des Verfahrens ist nur die Klärung, ob die mittelbare Behandlung der Krankheit der Klägerin überhaupt vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist. Das Gesetz kennt im Bereich der hier allein in Frage kommenden vollstationären Versorgung keinen Genehmigungsvorbehalt für bestimmte Behandlungsmethoden. Vielmehr obliegt es allein den Krankenhausärzten, eine Bewertung der in Frage kommenden Behandlungsmethoden vorzunehmen und es steht ihnen im Rahmen der Therapiefreiheit zu, durch die Auswahl einer bestimmten Behandlungsmethode den vom Gesetz als Rahmenrecht ausgestalteten Leistungsanspruch des Versicherten in fachlich-medizinischer Hinsicht zu konkretisieren (vgl. § 137c SGB V; Bundessozialgericht, Urteil vom 19.02.2003, Az. B 1 KR 1/02 R, Urteil vom 09.06.1998, Az. B 1 KR 18/96 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, denn die Klage war anfänglich, d.h. bei Entstehung der außergerichtlichen Kostenlast, unbegründet. Angesichts der bei Einreichung der Klage noch nicht abgeschlossenen Diagnostik und Therapieevaluation, namentlich auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet, waren die Voraussetzungen, unter denen eine Operation als ultima ratio, ausreichend, notwendig zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen war, noch nicht erfüllt. Das in tatsächlicher Hinsicht inzwischen überholte sozialmedizinische Gutachten des Gutachterarztes des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. K. entsprach im Ergebnis dem damaligen diagnostischen Stand. Die für die Stattgabe der Klage maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen konnten erst im Ergebnis der vom Gericht veranlassten Gutachten bestätigt werden. Zwar erfüllt die Aufrechterhaltung des Klageabweisungsantrags der Beklagten nach Auswertung der eingeholten Sachverständigengutachten objektiv Tatbestand des Mutwillens, weil die der ablehnenden Stellungnahme der Beklagten zu Grunde gelegte Behauptung, die ambulanten, namentlich psychotherapeutischen Behandlungsalternativen seien nicht ausgeschöpft, evident den gutachtlichen Feststellungen widerspricht, ohne dass dem eine auch nur ansatzweise fachlich fundierte Begründung beigefügt wäre. Dieses nachträgliche Prozessverhalten der Beklagten konnte indessen für die Entstehung der Verfahrenskosten der Klägern, auf die sich die Kostenerstattung nach § 193 Abs. 1 SGG erstreckt, nicht mehr kausal werden.
Rechtskraft
Aus
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