L 18 B 676/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 536/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 676/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er seinen Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Zeit ab 1. Februar 2006 weiter verfolgt, ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung voraus, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Daran fehlt es indes.

Für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 10. April 2006 fehlt es schon deshalb an einem eiligen Regelungsbedürfnis (Anordnungsgrund) im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG für die begehrte gerichtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), weil ein Anordnungsgrund für den Zeitraum vor dem Eingang des Rechtsschutzantrages bei dem Sozialgericht (11. April 2006) in der Regel nicht besteht. Denn für in der Vergangenheit liegende Zeiträume können regelmäßig keine wesentlichen Nachteile mehr entstehen, die sich durch den Erlass der auf eine zukünftige Regelung gerichteten einstweiligen Anordnung noch abwenden ließen. Ein besonderer Nachholbedarf oder eine Fortwirkung der Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart ist weder dargetan noch im Übrigen ersichtlich.

Hinsichtlich der Zeit ab 11. April 2006 ist ein Anordnungsanspruch für die begehrte Regelungsanordnung nicht glaubhaft gemacht. Von einer Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ist jedenfalls derzeit nicht auszugehen. Denn er lebt im streitgegenständlichen Zeitraum in einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung bzw. in einer Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II in der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I, S. 1706; fortan: n. F.) mit E S (im Folgenden: S.) und damit in einer Bedarfsgemeinschaft (auch) mit deren Sohn C. Es ist deswegen nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB II ist. Insoweit kommt es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf an, dass S. ihm gegenüber zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtig ist. Vom Bestehen einer auf Dauer angelegten Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ist spätestens seit dem Umzug in die neue Wohnung im Mweg in P schon wegen des langen Zusammenlebens mit S. in einer Wohnung auszugehen (vgl. auch die seit dem 1. August 2006 geltenden Vermutungstatbestände in § 7 Abs. 3 a Nrn. 1 und 3 SGB II n. F.). Der Antragsteller hat bereits vom 1. Februar 2005 bis 31. Januar 2006 mit der S. in einer gemeinsam angemieteten Wohnung in der Zstraße in P zusammengelebt. Zum 1. Februar 2006 ist er zusammen mit S. in eine Wohnung im Mweg in P umgezogen. Die Tatsache, dass er seitdem formal Untermieter der S. ist, steht der Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw. Einstehenspartnerschaft nicht entgegen. Abgesehen davon, dass diese mietrechtliche Gestaltung nur in Reaktion auf die Gründe des Beschlusses des LSG Berlin-Brandenburg vom 4. Oktober 2005 - L 29 B 1042/05 AS ER - gewählt worden sein dürfte (vgl. die Stellungnahme des Antragstellers vom 21. Mai 2006 im hiesigen Verfahren), sprechen die Umstände des Auszuges aus der bisherigen Wohnung und des gemeinsamen Einzuges in die neue Wohnung deutlich für einen Willen der S., Verantwortung für den Antragsteller zu tragen und für ihn einzustehen. Denn anders lässt sich nicht erklären, dass die S. mit dem Antragsteller als Untermieter eine gemeinsame neue Wohnung bezogen hat, obwohl er in der alten Wohnung seinen Mietanteil schuldig geblieben ist und deswegen "die Zwangsräumung ins Haus stand" (Stellungnahme vom 21. Mai 2006).

Bei Annahme einer Bedarfsgemeinschaft mit S. und ihrem Sohn C ist eine Bedürftigkeit des Antragstellers schon deshalb nicht überwiegend wahrscheinlich, weil in Anbetracht des Arbeitsentgelts der S. aus ihrer nach wie vor bestehenden Beschäftigung im Klinikum E (vgl. die Verdienstbescheinigung für den Monat Januar 2005) davon auszugehen ist, dass nach einer entsprechenden Bereinigung gemäß den §§ 11 Abs. 2, 30 SGB II das einsetzbare Einkommen der Bedarfsgemeinschaft deren Bedarf übersteigt. Dabei kann dahinstehen, ob im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Leistungsfähigkeit des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft unterstellt werden kann, wenn dieser sich weigert, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen zu legen (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. März 2006 - L 29 B 107/05 AS ER -).

Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn für den Antragsteller entstehen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Unterkunft und das Existenzminimum des Antragstellers sind schon durch die mit S. getroffenen Vereinbarungen jedenfalls vorläufig gesichert.

Diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zu dem Beschluss vom 14. August 2006 - L 18 B 693/06 AS ER -, durch den die Antragsgegnerin verpflichtet worden war, dem Antragsteller für die Zeit vom 11. bis 31. Januar 2006 anteilige Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorläufig zu gewähren. Für den damals streitgegenständlichen Zeitraum galt, dass sich ohne gerichtliche Beweisaufnahme die Frage des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und S. nicht abschließend klären ließ. Deswegen war eine Folgenabwägung vorzunehmen, die damals zu Gunsten des Antragstellers ausgefallen war. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ab 1. Februar 2006 ist dagegen, wie ausgeführt, mit Rücksicht auf die Umstände des Wohnungswechsels und weil der Antragsteller und die S. seitdem mehr als ein Jahr zusammenleben, eine neue Sachlage eingetreten, die zu einer anderen Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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