L 1 AL 36/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AL 197/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 36/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.06.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 26.12.2003 bis zum 24.10.2004.

Der am 00.00.1957 geborene, ledige Kläger ist gelernter Kfz-Mechaniker und war zuletzt vom 01.03.1982 bis 31.12.1999 versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss bezog er zunächst Arbeitslosengeld (Alg), dann bis zum 25.12.2003 Alhi. Zum 01.12.2003 verfügte er neben Kontoguthaben von 124,- EUR über eine seit dem 01.10.1979 bestehende Lebensversicherung, die zum 01.12.2003 bei einem bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Beitragsaufwand von 31.248,24 EUR einen Rückkaufswert einschließlich Überschussbeteiligung von 39.907,80 EUR hatte. Daher lehnte die Beklagte seinen Antrag auf Weitergewährung der Alhi ab (Bescheid vom 02.12.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2004). Der Kläger wurde in der Folgezeit darlehnsweise von seiner Mutter unterstützt. Zum 25.10.2004 nahm er erneut eine Beschäftigung auf. Erst im Anschluss löste er die Lebensversicherung auf, um den Rückzahlungsanspruch seiner Mutter befriedigen zu können. Im sozialgerichtlichen Verfahren auf Weitergewährung der Alhi über den 25.12.2003 hinaus (S 20 AL 9/04 SG Gelsenkirchen) schlossen die Beteiligten einen Unterwerfungsvergleich im Hinblick auf anhängige Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht, nach deren Abschluss die Beklagte die Gewährung von Alhi für den Streitzeitraum erneut ablehnte: Das verwertbare Vermögen des Klägers übersteige den ihm zustehenden Freibetrag von 18.400,- EUR (Bescheid vom 11.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2005).

Mit der zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage gegen diesen Bescheid hat der Kläger gerügt, die Beklagte habe die in seinem Fall gebotene und vom Bundessozialgericht geforderte individuelle Härtefallprüfung unterlassen. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung habe den Wert der geleisteten Zahlung deutlich unterschritten, wenn man eine durchschnittliche Verzinsung von 4 % zu Grunde lege.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2004 und unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2005 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 26.12.2003 bis zum 24.10.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie habe dem Kläger im Rahmen der allgemeinen Härtefallprüfung über den in § 1 Abs. 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung 2002 (AlhiV 2002) vorgesehenen Freibetrag von 200,- EUR je Lebensjahr hinaus in entsprechender Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einen weiteren Freibetrag von 200,- EUR je Lebensjahr zugebilligt und auf diese Weise einen Freibetrag von insgesamt 18.400,- EUR errechnet. Die besondere Härtefallprüfung habe kein anderes Ergebnis gerechtfertigt, da der Fall des Klägers nicht atypisch sei und keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Verwertung der Lebensversicherung unbillig gewesen wäre.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 02.06.2006): Der Kläger habe keinen Anspruch auf Alhi im Streitzeitraum, weil er mit Rücksicht auf die Lebensversicherung nicht bedürftig im Sinne von § 190 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 193 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung gewesen sei. Nach § 1 Abs. 1 AlhiV 2002 sei das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit sein Wert den Freibetrag überschreite. Dieser habe seit dem 01.01.2003 je vollendetem Lebensjahr 200,- EUR, im Falle des Klägers 9.200,- EUR betragen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV 2002). Die Verwertung der Lebensversicherung sei dabei auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002 gewesen, weil die vom Kläger eingezahlten Beträge durch einen Verkauf der Lebensversicherung nicht in nennenswertem Umfang entwertet worden wären. Das gelte selbst dann, wenn man mit dem Kläger die Verzinsung der eingezahlten Beträge berücksichtige. Beim Kläger habe auch kein besonderer Härtefall bestanden. Zwar sei insoweit in Ermangelung einer besonderen Regelung in der AlhiV 2002 im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Schutz des Altersvorsorgevermögens in entsprechender Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ein weiterer Grundfreibetrag von 200,- EUR je Lebensjahr zu gewähren. Dieser führe jedoch nur zu einem Gesamtfreibetrag von 18.400,- EUR und damit nicht zur Unverwertbarkeit der Lebensversicherung. Besondere Umstände des Einzelfalles rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Insbesondere könne ein Härtefall nicht bereits darin gesehen werden, dass der Kläger eine weitere Altersvorsorge wegen seines Lebensalters nicht mehr aufbauen könne.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen: Unwirtschaftlichkeit im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV liege vor, wenn der Zwang zur Verwertung der Lebensversicherung die eingezahlten Beiträge in einem nennenswerten Umfang entwerten würde, sodass ein normal und ökonomisch Handelnder diese Verwertung unterlassen würde. Diese Voraussetzung sei bei ihm erfüllt. Die Notwendigkeit zur Verwertung der Lebensversicherung verletze ihn überdies in seinem Grundrecht aus Art 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Durch die Entziehung der langjährig gewährten Alhi werde er gezwungen, sein Überleben durch Verwertung einer Eigentumsposition sicherzustellen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.06.2006 die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2004 und unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2005 ihm Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 26.12.2003 bis zum 24.10.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des SG und hält Art 14 Abs. 1 GG im Falle des Klägers nicht für verletzt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 21.11.2006 Bezug genommen, in und nach dem die Beteiligten auf die Absicht einer Entscheidung des Senates durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden sind. Die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten und die Vorprozessakte S 20 AL 9/04 SG Gelsenkirchen sind beigezogen worden.

II.

Der Senat entscheidet nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG, da die Berufsrichter die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Klage- und Berufungsbegehren des Klägers ist dahin auszulegen, dass er die Beklagte unter Aufhebung des mit der vorliegenden Klage angefochtenen Bescheides zur Rücknahme ihres Bescheides vom 02.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2004 gemäß § 44 Abs. 1Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und zur Gewährung von Alhi für die Zeit vom 26.12.2003 bis zum 24.10.2004 verpflichtet bzw. verurteilt wissen will. Hierauf besteht indessen kein Anspruch, wie das SG zutreffend entschieden hat. Der Bescheid vom 11.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2005, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, ihren Ablehnungsbescheid vom 02.12.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2004 zurückzunehmen, ist vielmehr rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alhi für die Zeit vom 26.12.2003 bis zum 24.10.2004, weil er wegen zu berücksichtigenden Vermögens in Gestalt einer Lebensversicherung nicht bedürftig im Sinne von § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III war. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht daher insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend und mit Blick auf das Berufungsvorbringen ist Folgendes auszuführen:

Wie das Bundessozialgericht bereits entschieden hat, ist die Verwertung einer Lebensversicherung nicht unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002, wenn der Rückkaufswert der Lebensversicherung einschließlich der Überschussbeteiligung über dem Wert der eingezahlten Beiträge liegt (BSG, Urteil v. 09.12.2004, B 7 AL 44/04 R, SozR 4-4300 § 193 Nr. 3; BSG, Urteil v. 20.10.2005, B 7a/7 AL 76/04 R, SozR 4-4300 § 193 Nr. 10). Das ist bei der Lebensversicherung des Klägers unzweifelhaft der Fall, wie das SG im Einzelnen dargelegt hat. Da der Kläger die Lebensversicherung im Streitzeitraum nicht verwertet hat, ist dabei auch während dieses Zeitraums zu keinem Zeitpunkt Bedürftigkeit eingetreten.

Eine besondere Härte folgt auch nicht aus besonderen Umständen des Einzelfalles: Die Lebensversicherung hat seit dem 01.10.1979 bestanden und ist daher nicht etwa kurz vor Eintritt des Leistungszeitraums aus Schonvermögen begründet worden. Die Erwerbsbiografie des Klägers weist vor der erstmaligen Arbeitslosigkeit nach dem 31.12.1999 zudem keine Besonderheiten und vor allem keine außergewöhnlichen Versorgungslücken auf. Vielmehr ist der Kläger im Anschluss an seine Berufsausbildung kontinuierlich versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die durch die Dauer der Arbeitslosigkeit entstandene Versorgungseinbuße führt demgegenüber nicht zu einer besonderen Härte. Vielmehr sind als Gründe für im Rahmen der Härtefallregelung zu berücksichtigende Lücken beim Aufbau einer Versorgungsanwartschaft nur solche Umstände zu berücksichtigen, die auf bestimmte, von der Rechtsordnung gebilligte Willensentscheidungen des Arbeitslosen zurückgehen und von solchem Gewicht sind, dass sie beispielsweise als Befreiungstatbestände in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt werden (vgl. § 231 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch). Die Arbeitslosigkeit des Klägers hat jedoch nicht auf seiner Willensentscheidung beruht und kann jedenfalls nicht als schützenswerte (berufliche) Disposition anerkannt werden. Hinsichtlich seiner Alterssicherung muss der Klägers sich daher auf den durch die Rentenversicherungspflicht während des Bezuges von Alg und Alhi sowie durch die gesetzlichen Freibeträge gewährleisteten Mindestschutz verweisen lassen. Familiäre Besonderheiten, die einen besonderen Härtefall begründen könnten, sind im Falle des ledigen Klägers ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgetragen worden.

Schließlich liegt keine verfassungswidrige Verletzung des Grundrechts aus Art 14 Abs. 1 GG darin, dass der Kläger aufgrund des gesetzlichen Regelungssystems gezwungen worden ist, seine Lebensversicherung aufzulösen. Art 14 Abs. 1 GG schützt nicht das Vermögen als solches, sondern setzt Beeinträchtigungen im Sinne einer Entziehung der Eigentumsposition oder einer rechtlichen Beschränkung der Nutzung, Verfügung oder Verwertung voraus. Zwar können auch indirekte Beeinträchtigungen von Eigentumspositionen von Art 14 Abs. 1 GG erfasst werden. Die Nichtgewährung einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung kann indessen nicht allein wegen des damit verbundenen Zwangs zur Verwertung von Eigentum und Vermögen dem Schutzbereich des Art 14 Abs. 1 GG unterstellt werden (BSG, Urteil v. 27.01.2005, B 7a/7 AL 34/04 R).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), da das Bundessozialgericht sämtliche durch den vorliegenden Fall aufgeworfenen Rechtsfragen - zum Teil mehrfach - in jüngster Zeit entschieden hat.
Rechtskraft
Aus
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