L 10 AL 173/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AL 473/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 173/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.12.2005 wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger - im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit gemäß § 126 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - bzw. auf Arbeitslosengeld gemäß § 125 SGB III zusteht.

Der 1966 geborene Kläger ist seit dem 10.03.1997 gemäß § 64 Strafgesetzbuch (StGB) im Maßregelvollzug der Psychiatrischen Klinik L. untergebracht.

Im Anschluss an den Bezug von Unterhaltsgeld im Zeitraum vom 09.07.1998 bis 22.04.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 27.05.1999 mit Bescheid vom 01.06.1999 Anschluss-Unterhaltsgeld für die Zeit ab 23.04.1999. Nach Anhörung des Klägers mit Schriftsatz vom 11.06.1999 nahm die Beklagte mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16.06.1999 die Entscheidung vom 01.06.1999 über die Bewilligung von Anschluss-Unterhaltsgeld ab 28.04.1999 zurück. Dem Kläger sei der Freigängerstatus in medizinischer und psychiatrischer Hinsicht aberkannt worden. Er stehe daher dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung und habe keinen Leistungsanspruch. Die Erstattungsforderung betrage 2.071,82 DM. Den hiergegen vom Kläger am 16.07.1999 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999 als unbegründet zurück. Der Bewilligungsbescheid sei bereits bei Erlass des Verwaltungsaktes mit Bescheid vom 01.06.1999 rechtswidrig gewesen, weil dem Kläger der Freigängerstatus in medizinischer und psychiatrischer Hinsicht ab 28.04.1999 aberkannt worden sei.

Bereits am 10.06.1999 hatte der Kläger sinngemäß Leistungen nach § 125 SGB III bzw. nach § 126 SGB III beantragt. Mit weiterem Bescheid vom 16.06.1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen vom Kläger am 16.07.1999 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 14.10.1999 zurück. Nachdem der Kläger während des Bezugs von Arbeitslosengeld eine arbeitsunfähige Erkrankung nicht nachgewiesen habe und er nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 07.04.1998 noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausüben könne, sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.

Hiergegen legte der Kläger am 22.11.1999 beim Sozialgericht Würzburg (SG) (Az: S 7 AL 559/99) Klage ein. Auf Anregung des Gerichts erklärte der Kläger im Erörterungstermin vom 05.07.2000 den Rechtsstreit wegen Versäumung der Klagefrist für erledigt und stellte einen Antrag gemäß § 44 SGB X, den die Beklagte mit Bescheid vom 19.07.2000 ablehnte. Der Kläger habe keinen Freigängerstatus mehr besessen und deshalb der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden. Es könne keine Leistungsfortzahlung erfolgen, da der Kläger nicht während des Leistungsbezugs erkrankt sei. Ein Leistungsanspruch nach § 125 SGB III könne durch den Kläger ebenfalls nicht geltend gemacht werden. Aus dem vom Arbeitsamt veranlassten ärztlichen Gutachten gehe hervor, dass er dem Arbeitsamt vollschichtig zur Verfügung stehe. Den hiergegen vom Kläger am 20.08.2000 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2000 zurück.

Am 13.10.2000 hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.09.2000 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) eingelegt, die das SG mit Urteil vom 05.12.2005 abgewiesen hat. Soweit der Kläger im Klageverfahren die Ärzte und Verantwortlichen des Bezirkskrankenhauses L. als "Zeugen" benannt und den Entzug des Freigängerstatus sinngemäß als rechtwidrig bezeichnet habe, löse dies weder weitere Ermittlungspflichten aus noch könne dieses Vorbringen an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide irgendwelche Zweifel wecken. Wer in einer geschlossenen Abteilung eines Bezirkskrankenhauses untergebracht sei, ohne Freigänger zu sein, stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und sei damit nicht arbeitslos. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über den Freigängerstatus könne durch die Arbeitsverwaltung nicht überprüft werden. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt D., am 21.12.2005 zugestellt worden.

Hiergegen richtet sich die am 03.05.2006 beim Gericht eingegangene Berufung des Klägers. Sein Bevollmächtigter habe ihm das besagte Urteil nicht zugesandt bzw. es habe ihn niemals in der JVA K. erreicht. Erst als er es am 27.03.2006 vom Landessozialgericht direkt angefordert habe, habe er vom Inhalt des Urteils Kenntnis erlangt. Ihm sei das Urteil erst mit Schreiben vom 28.03.2006 übersandt worden. Eingegangen/ausgehändigt worden sei ihm das Urteil am 30.03.2006 (Donnerstag) in der JVA K ... Das Gericht hätte ihm direkt die Urteilsausfertigung zusenden sollen/müssen. Zudem werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine verspätete Einlegung des Rechtsmittels sei aus vorgenannten Gründen der Briefkastenleerung innerhalb der JVA K. ausgeschlossen und dürfe ihm nicht unterstellt werden. In "Freiheit" wäre dieser Brief, abgesendet am Freitag, den 28.04.2006, am Samstag, den 29.04.2006, beim Bayer. Landessozialgericht eingegangen. Jetzt, da erst wieder am 02.05.2006 die Briefe aus der JVA weiterbefördert werden, müsste sein Rechtsmittel der Berufung am 03.05.2006 eingegangen sein. Er stelle völlig in Abrede, dass er in einer geschlossenen Abteilung, vergleichbar mit einem Gefängnis, im Bezirkskrankenhaus untergebracht gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, 1) ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

2) das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.12.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2000 aufzuheben und

3) ihm unter Rücknahme des Bescheids vom 16.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.1999

Leistungen gemäß § 126 SGB III bzw. Leistungen im Wege der Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 125 SGB III auf seinen Antrag vom 10.06.1999 zu gewähren.

Demgegenüber beantragt die Beklagte,

1. die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialge richts Würzburg vom 05.12.2005 als unzulässig zu verwerfen, 2. gemäß § 193 SGG zu entscheiden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Die verfristete Berufung sei nicht zulässig. Nach den vorliegenden Unterlagen sei das Urteil des SG vom 05.12.2005 dem Bevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt D., am 21.12.2005 zugestellt worden und nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der Sache bindend geworden. Die Zustellung des Urteils an den Bevollmächtigten des Klägers wirke in gleicher Art für diesen verpflichtend.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten (Bände III und IV) sowie den Inhalt der beigezogenen Akten des SG (S 16 Al 473/00), des BayLSG (Az: L 10 AL 32/01; L 10 AL 33/01) und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht zulässig, denn der Kläger hat die Berufungseinlegungsfrist gemäß § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) versäumt. Ihm ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren.

Gemäß § 151 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftstelle einzulegen. Gemäß § 64 Abs 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tage nach der Eröffnung oder Verkündung. Nach § 64 Abs 2 Satz 1 SGG endet eine nach Tagen bestimmte Frist nach Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags, § 64 Abs 3 SGG. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung, Satz 1 SGG. Die §§ 174, 178 Abs 1 Nr 2 der Zivilprozessordnung sind entsprechend anzuwenden auf die nach § 73 Abs 6 Satz 3 und § 166 Abs 2 Satz 1 zur Prozessvertretung zugelassenen Personen, Satz 2 SGG.

Die Zustellung des Urteils des SG war an den Bevollmächtigten des Klägers gemäß § 73 Abs 3 Satz 1 SGG zu richten, denn Rechtsanwalt D. hatte dem SG mit Schriftsatz vom 12.02.2003 eine entsprechende Vollmacht übersandt.

Der Kläger hat die Berufungseinlegungsfrist versäumt, denn er hat die Berufung erst am 03.05.2006 und somit nicht innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG eingelegt.

Die Berufungseinlegungsfrist begann gemäß § 64 Abs 1 SGG nämlich am 22.12.2005 zu laufen, denn das Urteil des SG wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 21.12.2005 zugestellt. Gemäß § 64 Abs 2 Satz 1, Abs 3 SGG endete die Berufungseinlegungsfrist am 23.01.2006 (= Montag) um 24.00 Uhr: Der 21.01.2006 war ein Samstag, so dass die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, d.h. am 23.01.2006, endete. Die Berufung ging jedoch erst am 03.05.2006 und damit verspätet ein.

Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren, denn der Wiedereinsetzungsantrag vom 03.05.2006 ist weder zulässig noch begründet.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 67 Abs 1 SGG. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, § 67 Abs 2 Satz 1 SGG. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen, Satz 3. Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat, § 67 Abs 4 Satz 1 SGG.

Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers vom 03.05.2006 ist schon nicht zulässig, denn der Kläger hat die versäumte Rechtshandlung, d.h. die Berufungseinlegung, nicht innerhalb der Antragsfrist gemäß § 67 Abs 2 Satz 1 SGG nachgeholt, § 67 Abs 2 Satz 3 SGG. Nach seinen eigenen Angaben im Schriftsatz vom 28.04.2006 wurde ihm das Urteil des SG vom 05.12.2005 am 30.03.2006 (= Donnerstag) in der JVA K. ausgehändigt, die Berufung ging jedoch erst am 03.05.2006 beim Gericht ein. Somit hat der Kläger die Monatfrist gemäß § 67 Abs 2 Satz 1 SGG versäumt. Diese endete am 02.05.2006 gemäß § 64 Abs 3 SGG, weil das Fristende am 30.04.2006 auf einen Sonntag fiel und der 01.05.2006 ein Feiertag war.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28.04.2006 vorträgt, er habe unter Berücksichtigung der JVA-internen Postausgangszeiten von Montag bis Freitag die Berufung fristgerecht eingelegt, begründet dies keinen Wiedereinsetzungsgrund gemäß § 67 SGG. Zwar kann auch bei Versäumung der Monatsfrist zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung gemäß § 67 Abs 2 Satz 3 SGG Wiedereinsetzung gewährt werden (s. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8.Auflage, Rdnr 11 zu § 67). Der Kläger war jedoch nicht ohne Verschulden im Sinne des § 67 Abs 1 SGG verhindert, die Monatsfrist einzuhalten. Nach seinem eigenen Vortrag war ihm nämlich bewusst, dass der Postauslauf in der JVA nur von Montag bis Freitag stattfand. Dennoch hat er die Berufungsschrift erst am Ende der Nachholungsfrist gemäß § 67 Abs 2 Satz 3 SGG, nämlich am 28.04.2006, in den Postauslauf der JVA gegeben. Damit hat der Kläger seine Sorgfaltspflicht, die vor Fristende erhöht war, verletzt (s. auch BSGE 72, 158). Er hätte nämlich darauf achten müssen, dass die Übermittlung der Berufungsschrift noch rechtzeitig und wirksam innerhalb der Frist erfolgt und sich ggf. in der JVA nach den Postauslaufzeiten erkundigen müssen. Dem Kläger ist somit schon wegen Unzulässigkeit des Antrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG nicht zu gewähren.

Darüber hinaus ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet, denn der Kläger muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der ihm das Urteil des SG nicht übermittelt hat, zurechnen lassen. Dies ist allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. § 73 Abs 4 iVm § 51 Abs 2, § 85 Abs 2 ZPO; BSG SozR § 67 Nr 2, 7, 16, 24) und verstößt nicht gegen Art 19 Abs 4 Grundgesetz - GG - (BVerfG 60, 253). Der Beteiligter, der sich vertreten lässt, soll in jeder Hinsicht so gestellt werden, als führe er den Rechtsstreit selbst. § 67 soll nicht einen Beteiligten vor seinem Rechtsanwalt schützen (BVerwG NVwZ 2000, 65).

Nach alledem war die Berufung gemäß § 151 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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