L 2 P 20/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 P 66/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 20/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Leistungen der Pflegeversicherung zustehen.

Der 1925 geborene Kläger beantragte am 5. Juni 2005 Leistungen der Pflegeversicherung und zwar als Kombination von Sach- und Geldleistungen bei häuslicher Pflege. Zuvor hatte er bereits entsprechende Anträge am 18. März 1998, 23. Februar 1999, 19. Mai 2000 und 8. Oktober 2003 ohne Erfolg gestellt.

Nach Hausbesuch am 19. August 2005 stellte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) im Gutachten vom 23. August 2005 fest, beim Kläger bestünden Herzbeschwerden nach Herzinfarkt 1998, ein Zustand nach Patellafraktur 1972, ein Zustand nach Schenkelhalsfraktur links mit nachfolgender Totalendoprothesen (TEP)-Versorgung der Hüfte im Juli 2003 infolge eines Verkehrsunfalls und eine inkomplette Harninkontinenz. Der Kläger lebe allein; Verwandte oder Bekannte, die ihn versorgen könnten, seien nicht vorhanden. Er versorge sich selbst. Hilfebedarf bestehe einmal pro Woche beim Baden. Umgerechnet auf den Tag seien hierfür drei Minuten für die Unterstützung erforderlich. Im Vordergrund stehe der hauswirtschaftliche Versorgungsbedarf.

Mit Bescheid vom 24. August 2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen der Pflegeversicherung ab, da keine erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliege. Es fehle schon an der Voraussetzung, dass im Bereich der Grundpflege für wenigstens zwei verschiedene Verrichtungen einmal täglich fremde Hilfe benötigt werde, die zudem mehr als 45 Minuten in Anspruch nehme.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, aus Altersgründen sei der Antrag berechtigt. Zudem könne nur ein aprobierter Arzt eine richtige Beurteilung abgeben und nicht eine Pflegekraft, wie sie der MDK beauftragt habe. Der um Stellungnahme gebetene MDK blieb am 20. September 2005 bei seiner Einschätzung des Hilfebedarfs. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg (SG) Klage erhoben. Der Hilfebedarf sei laienhaft und bürokratisch festgestellt worden. Bei ihm bestehe eine Multimorbidität. Das Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) habe einen Grad der Behinderung von 100 Prozent sowie eine außergewöhnliche Gehbehinderung festgestellt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. März 2006 hat der Kläger erklärt, er benötige nur beim Baden und zwar für das Ein- und Aussteigen in bzw. aus der Badewanne Hilfe und ansonsten bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.

Mit Urteil vom 15. März 2006 hat das SG die Klage mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger ab Juli 2001 Leistungen aus der Pflegeversicherung zu gewähren, abgewiesen. Es bestehe nicht einmal täglich für wenigstens zwei verschiedene Verrichtungen aus dem Bereich der Grundpflege Hilfebedarf. Dies habe der Kläger selbst bestätigt und stimme mit den Feststellungen des MDK überein.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Bei ihm handle es sich um eine multiple Morbidität. Er sei alleinstehend, schwer- beschädigt sowie herzkrank und erhalte keine ärztliche oder pflegerische Unterstützung. Es stünden ihm sogar Leistungen nach der Pflegestufe II zu.

Der Senat hat einen Befundbericht des Hausarztes Dr. W. eingeholt, der eine depressive Verstimmung bei zunehmender Demenz bescheinigte und Arztbriefe über Behandlungen des Klägers im Klinikum Neumarkt am 17. Dezember 2004, vom 11. Mai bis 13. Mai 2005 und am 26. Oktober 2005 vorlegte. Er übersandte auch Berichte der Kardiologen Dres. S. vom 26. September 2005, des Augenarztes Dr. R. vom 31. März 2006, des Kardiologen Dr. R. vom 11. August 2005 und der Internisten Dres. K. u.a. vom 10. November 2004. Der Senat hat die Akte des AVF R. beigezogen und den Arzt für Innere Medizin Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 11. September 2006 hat der Sachverständige ausgeführt, bei seinem Hausbesuch am 31. August 2006 habe er sich davon überzeugen können, dass der Kläger eher rüstig wirke und lediglich infolge der TEP-Versorgung der linken Hüfte beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus der Badewanne und beim Treppensteigen fremder Hilfe bedürfe. Ansonsten sei der Kläger weder im Gebrauch der Arme noch der Beine eingeschränkt. Inkontinenzerscheinungen träten nur zeitweise auf. Vom pflegerischen Standpunkt aus wäre Baden oder Duschen zweimal pro Woche erforderlich, was derzeit nicht geschehe. Hierfür würde der Kläger Hilfe auch beim Transfer benötigen, wofür insgesamt vier Minuten pro Tag einzusetzen wären. Zudem müsse der Kläger beim Treppensteigen morgens und abends vom Schlaf- in den Wohnbereich und umgekehrt zumindest beaufsichtigt werden. Hierfür sei ein Hilfebedarf von zehn Minuten anzusetzen. Insgesamt benötigte der Kläger pro Tag im Wochendurchschnitt 14 Minuten fremde Unterstützung. Für die hauswirtschaftliche Versorgung sei ein pauschaliert Zeitbedarf von 45 Minuten anzusetzen. Pflege erschwerende Umstände lägen nicht vor.

Der Kläger hat hierzu eingewandt, bei Dr. H. handle sich nicht um einen Gutachter sondern um einen Schlechtachter, der seine soziale Situation missachtet habe. Aus finanziellen Gründen könne er keine Pflegekraft in Anspruch nehmen. Die AOK (gemeint ist wohl die AOK-Gesundheitskasse) verweigere ihm aus Kostenersparnisgründen eine angemessene Herzbehandlung.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 15. März 2006 und des Bescheids vom 24. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2005 zu verurteilen, ihm Leistungen wegen häuslicher Pflege mindestens nach der Stufe I ab Juli 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15. März 2006 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit schriftlicher Entscheidung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird gem. § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat im schriftlichen Verfahren gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege gem. §§ 37 Abs. 1 oder 38 des Elften Sozialgesetzbuchs (SGB XI). Der Anspruch auf Pflegegeld setzt voraus, dass der Antragsteller zum Personenkreis der Pflegebedürftigen gehört. Gem. § 14 Abs. 1 SGB XI ist pflegebedürftig, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung und im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. § 15 SGB XI regelt die Stufen der Pflegebedürftigkeit. Der Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit) sind Personen zuzuordnen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. braucht der Kläger nur für das zweimal wöchentliche Duschen und für das tägliche Treppensteigen innerhalb seines Hauses vom Schlaf- in den Wohnbereich und umgekehrt fremde Hilfe. Da das Duschen nicht täglich erforderlich ist, fehlt es bereits an einer der Voraussetzungen, nämlich dass Hilfebedarf für zwei Verrichtungen mindestens einmal täglich bestehen muss. Selbst wenn man das Treppensteigen am Morgen in den Wohnbereich hinunter und am Abend in umgekehrter Richtung als zweifache Verrichtungen pro Tag ansehen wollte, so würde der in § 15 Abs. 3 SGB XI festgelegte Umfang der Hilfe, nämlich für die Pflegestufe I von mindestens 90 Minuten, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen, nicht erreicht. Denn für die Hilfe beim Duschen sind jeweils zehn Minuten, also pro Woche 20 Minuten anzusetzen, was auf den Tag umgerechnet einem Hilfebedarf von drei Minuten entspricht. Hinzuzurechnen ist die Unterstützung durch eine Pflegeperson zweimal pro Woche beim Stehen i. V. m. dem Duschen. Hierfür schätzt der Sachverständige jeweils vier Minuten, also insgesamt pro Woche acht Minuten ein, das ist umgerechnet auf den Tag ca. eine Minute. Da das Schlafzimmer im ersten Stock des vom Kläger bewohnten Reihenhauses liegt und nur über eine enge Treppe mit 11 Stufen zu erreichen ist, wäre es wünschenswert, wenn dem Kläger morgens und abends beim Treppensteigen eine Pflegeperson zur Verfügung stünde. Wegen der TEP-Versorgung der linken Hüfte besteht eine Unsicherheit beim Treppen steigen. Die Pflegeperson sollte bereit stehen, um jederzeit eingreifen zu können. Ansonsten kann sich der Kläger selbstständig versorgen.

Dies bestätigen der MDK im Gutachten vom 23. August 2005 und letztendlich auch der Kläger selbst bei seiner Anhörung vor dem SG am 14. März 2006. Danach steht fest, dass der Kläger im Gebrauch von Armen und Händen überhaupt nicht und im Gebrauch der Beine nur insoweit eingeschränkt ist, als nach der TEP-Versorgung die Rotation des Hüftgelenks erheblich eingeschränkt ist. Dies hat zur Folge, dass ihm das Ein- und Aussteigen in und aus der Badewanne ohne Unterstützung nicht möglich ist. Beim Treppensteigen besteht eine Unsicherheit, so dass eine Beaufsichtigung im Sinne eines Bereitstehens zum jederzeitigen Eingreifen wünschenswert und damit auch notwendig wäre. Ansonsten kann der Kläger - mit Gehstock - flüssig gehen. Die Herzerkrankung hat bislang auch bei Belastung zu keinen Stenocardien geführt und ist ebenso wie die weiteren vom Kläger geschilderten Beschwerden, wie Verdauungsstörungen, zeitweise Inkontinenz, Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule und der Schulter links ohne Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit.

Damit soll nicht bestritten werden, dass beim Kläger ein vielschichtiges - vom ihm als Multimorbidität bezeichnetes - Krankheitsbild besteht und er auch auf Grund seines Alters der Unterstützung vor allem im Bereich der Hauswirtschaft bedarf. Ob eine Hilfe beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe erforderlich ist - wie der Kläger angibt - und eventuell als Leistung der Krankenversicherung zu erbringen wäre, war vom Senat nicht zu prüfen, denn ein täglicher Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten würde auch mit einer solchen Unterstützung nicht erreicht werden. Die soziale Situation des Klägers kann, anders als er meint, nicht herangezogen werden, wenngleich einzuräumen ist, dass im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ein erheblicher Hilfebedarf besteht. Hauswirtschaftliche Unterstützung kann erst dann Bedeutung für die Zuerkennung einer Pflegestufe gem. §§ 14,15 SGB XI gewinnen, wenn im Grundpflegebereich ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten täglich besteht. Dies trifft auf den Kläger nicht zu. Der von Dr. H. festgestellte Hilfebedarf von 14 Minuten täglich im Wochendurchschnitt ist für den Senat maßgebend.

Damit sind die Voraussetzungen für Leistungen wegen häuslicher Pflege gem. §§ 37 oder 38 SGB XI nicht erfüllt. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, Pflegegeld oder Kombinationsleistungen zu erbringen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15. März 2006 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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