L 4 V 6/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
33 KO 38/96
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 V 6/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 2002 wird aufgehoben, soweit dem Kläger darin Mutwillenskosten auferlegt worden sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Kläger aufgrund eines Versorgungsleidens als erwerbsunfähig einzustufen ist.

Der im Jahre 1920 geborene Kläger ist anerkannter Kriegsbeschädigter nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Im Januar 1993 beantragte er bei der Beklagten eine Höherstufung seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von damals 80 v.H. Mit Bescheid vom 22. Juli 1993 lehnte die Beklagte es ab, den bisherigen Grad der MdE zu erhöhen und weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen. Desgleichen verweigerte die Beklagte am 19. September 1995 die Anerkennung einer Magenblutung als mittelbare Schädigungsfolge. Am 29. August 1996 erließ die Beklagte einen Widerspruchsbescheid, mit welchem sie den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. Juli 1993 zurückwies. In der Begründung heißt es, eine Änderung der Verhältnisse, die eine Entscheidung gemäß § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zugunsten des Klägers erforderten, sei nicht eingetreten. Hiergegen hat der Kläger am 9. September 1996 vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Im Januar 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ergänzend zu den bisherigen Versorgungsleiden arthrotische Veränderungen des linken Kniegelenkes als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm Versorgung nach einer entsprechend höheren MdE zu gewähren. Die Entstehung der Arthrose im linken Kniegelenk sei als Sekundärfolge der Verwundungsfolgen seines rechten Beines einzuordnen. Durch die Verwundungsfolgen am rechten Knie, insbesondere die dort bestehende Knieversteifung, habe das linke Knie seit vielen Jahren eine doppelte funktionelle Belastung zu erbringen, insbesondere beim Treppensteigen und beim Treppabgehen sowie beim Übergang vom Sitzen zum Stehen. Bei der Benutzung eines Personenkraftwagens sei er sowohl als Fahrer als auch als Beifahrer durch das versteifte rechte Knie erheblich behindert. Gleichzeitig werde jeweils das linke Knie durch Dreheinwirkung unter voller Körperbelastung einem für den Gelenkknorpel sehr unphysiologischen Mechanismus ausgesetzt. Durch diese Einwirkung sei das linke Knie größeren Verschleißfaktoren ausgesetzt gewesen als es vergleichsweise bei Oberschenkelamputierten der Fall sei.

Mit Bescheid vom 4. Juni 1997 lehnte die Beklagte es ab, Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk als Schädigungsfolgen anzuerkennen. In der Begründung heißt es, die anerkannte Kriegsbeschädigung des Klägers habe zu einer Versteifung des rechten Kniegelenkes geführt. Durchgehende Kniegelenksbeschwerden links, die als Brückensymptome gewertet werden könnten, seien nicht bekannt. Die Schädigung des linken Kniegelenkes sei überwiegend auf den biologischen Altersabbau von Gelenkknorpel und Knochen zurückzuführen. Deshalb lasse sich die Anerkennung eines Schadens an diesem Gelenk nicht fachgerecht als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG begründen.

Das Sozialgericht hat den Chirurgen Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seiner Stellungnahme vom 17. Dezember 2000 heißt es, degenerative Veränderungen im Bereich des nicht kriegsgeschädigten Stütz- und Bewegungsapparates sprächen dagegen, dass der Kniegelenkschaden links mit der Kriegsverletzung des Klägers im Zusammenhang stehe. Er, der Gutachter, halte die Entwicklung der linksseitigen medialen Gonarthrose für schicksalhaft und altersbedingt. Diese Einschätzung hat der Orthopäde Dr. Bucher geteilt, der vom Sozialgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung als Sachverständiger gehört worden ist.

Mit Urteil vom 18. April 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger sog. Mutwillenskosten in Höhe von 200,- EUR auferlegt.

Das Urteil ist dem Kläger am 5. August 2002 zugestellt worden. Am 5. September 2002 hat er Berufung eingelegt.

Der Senat hat ein fachärztliches Gutachten des Orthopäden Dr. N. eingeholt. Dieser führt in seiner Stellungnahme vom 27. September 2004 aus, er halte eine Gesamt-MdE von 90 v.H. für angemessen. Die Anerkennung des 1996 mittels Implantation eines unicondylären medialen Schlittens operativ versorgten Verschleißleidens des linken Kniegelenkes als mittelbare Schädigungsfolge komme jedoch nicht in Betracht. Soweit der Kläger kausal auf eine schädigungsbedingte Überlastung des linken Kniegelenkes hinweise, sei eine solche nach der einschlägigen Literatur zu verneinen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Oktober 2005 bekräftigte und erläuterte der Sachverständige diese Auffassung.

Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2006, modifiziert durch Schriftsatz vom 5. Juli 2006, hat die Beklagte anerkannt, dass die MdE mit Wirkung vom 1. Januar 1993 90 v.H. betrage, und die Schädigungsfolgen teilweise neu bezeichnet. Gleichzeitig lehnte sie weiterhin die Kniegelenksveränderungen links und eine Magenblutung als Schädigungsfolgen anzuerkennen ab. Der Kläger hat dieses Anerkenntnis der Beklagten als Teilanerkenntnis angenommen.

Er beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 19. September 1995 (gemeint ist der Bescheid vom 22. Juli 1993) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1996 sowie des Bescheides vom 4. Juni 1997 zu verurteilen, dem Kläger wegen Beschädigung des linken Kniegelenkes als mittelbare Schädigungsfolge über das von der Beklagten gegebene Anerkenntnis hinaus Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % zu gewähren.

Des Weiteren beantragt der Kläger,

die Festsetzung von Mutwillenskosten im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen, soweit diese noch im Streit sind.

Die Sachakten der Beklagten, außerdem die dem Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten, die Krankenakten der E.-Klinik und der Universitätskliniken H.- S., ferner die Akten des sozialgerichtlichen Verfahrens 28 KO 253/84 haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht entscheidet gemäß § 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter.

Die form- und fristgerechte eingelegte und daher zulässige Berufung des Klägers hat in der Hauptsache keinen Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten nicht verlangen, dass diese ihm unter Aufhebung früherer versorgungsrechtlicher Entscheidungen (vgl. § 48 Abs. 1 SGB X) und über das von ihr abgegebene Anerkenntnis hinaus Versorgung wegen völliger Erwerbsunfähigkeit (vgl. § 31 Abs. 1 BVG) gewähre. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Kläger allein noch zur Begründung dieses Anspruchs geltend gemachte Schädigung des linken Kniegelenkes einen Anspruch auf Versorgung gemäß § 1 BVG als mittelbare Kriegsbeschädigung auslösen könnte; es fehlt an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs mit der Kriegsbeschädigung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt nur vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Daran fehlt es. Vielmehr haben alle gerichtlich gehörten Gutachter einen solchen Zusammenhang verneint. Insbesondere der Orthopäde Dr. N. hat unter Verwendung einschlägiger Literatur ausführlich dargestellt und begründet, dass nicht eine aus der Schädigung des rechten Beines und der rechten Hüfte des Klägers resultierende Überlastung des linkes Kniegelenkes zu der dort bestehenden Arthrose geführt haben dürfte, es sich vielmehr eher um ein schädigungsunabhängig und schicksalhaft aus innerer Ursache heraus ablaufendes Krankheitsbild handele. Dieser überzeugenden Sichtweise schließt sich der Senat an.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Soweit das Sozialgericht dem Kläger gemäß § 192 SGG Verschuldungskosten ("Mutwillenskosten") auferlegt hat, war die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils zu ändern. Die Auferlegung hätte hier vorausgesetzt (vgl. § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG), dass der Kläger den Rechtsstreit trotz Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung fortsetzte. Davon kann schon deswegen nicht gesprochen werden, weil die Beklagte während des Berufungsverfahrens aufgrund sachverständiger medizinischer Begutachtung dem ursprünglichen Begehren des Klägers durch Teilanerkenntnis in erheblichem Umfange entsprochen hat.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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