L 20 R 60/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 548/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 60/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.01.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1943 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war nach seinen Angaben von 1961 bis 1964 als Gleisbauarbeiter, danach bis 1969 in der Landwirtschaft beschäftigt. Seit Oktober 1969 war er als Maschinenarbeiter/Einsteller bei der Firma Ö.Metall in B. versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 21.09.1998 bestand Arbeitsunfähigkeit.

Einen ersten Rentenantrag des Klägers vom 01.12.1999 hat die Beklagte mit Bescheid vom 27.01.2000 und Widerspruchsbescheid vom 07.06.2000 abgelehnt. Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass der Kläger bis dahin keinen Fachberuf ausgeübt hatte und hat sich auf eine Auskunft der Firma Ö.-Metall vom 17.04.2000 berufen. Die dagegen erhobene Klage hat der Kläger nach einer Begutachtung durch den Sozialmediziner Dr.G. am 06.10.2000 zurückgenommen.

Am 19.03.2002 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch den Sozialmediziner Dr.H. und den Chirurgen Dr.L. , die zu dem Ergebnis kamen, dass der Kläger zumindest leichte körperliche Arbeiten noch in Vollschicht verrichten könne. Die Frage der Einsetzbarkeit als Maschinenbediener/Einsteller wurde durch die genannten ärztlichen Sachverständigen unterschiedlich beurteilt: Während Dr. L. diese Tätigkeiten nicht mehr für zumutbar hielt, ging Dr.H. davon aus, dass der Kläger unter Beachtung von Funktionseinschränkungen auch als Maschinenarbeiter weiterhin einsetzbar sei; es müsste schweres Heben und Tragen vermieden werden. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 05.06.2002 ab, weil der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 06.08.2002 zurück. Der Kläger sei in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Er habe bis dahin keinen Fachberuf ausgeübt und sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 02.09.2002 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben und weiterhin die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung verlangt. Das SG hat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.N. und des Orthopäden Dr.B. zum Verfahren beigenommen und (erneut) den Sozialmediziner Dr.G. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat das Gutachten vom 08.01.2003 erstattet und folgende Diagnosen genannt: Chronisches degeneratives WS-Syndrom bei Zustand nach wiederholter lumbaler Bandscheiben-OP, beginnender Gelenkverschleiß, Diabetes mellitus Typ II, mit bereits manifestem diabetischen Spätsyndrom, kompensierter arterieller Bluthochdruck, Leberparenchymschaden. Insgesamt gesehen habe sich das Leistungsvermögen des Klägers seit der letzten Begutachtung zwar etwas verschlechtert, insbesondere als Folge der Zuckerkrankheit. Dennoch sei auch jetzt noch von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten allgemeiner Art auszugehen. Mit Urteil vom 08.01.2003 hat das SG die Klage - gerichtet auf Gewährung von Rente - abgewiesen. Es hat sich in der Leistungsbeurteilung den Ausführungen Dr.G. angeschlossen und den Kläger für fähig erachtet, noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Kläger sei nach seinem beruflichen Werdegang dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen und auf das gesamte Tätigkeitsfeld der Bundesrepublik Deutschland verweisbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 27.01.2003 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangt weiterhin die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund des Antrags vom 19.03.2002. Er hat einen Arztbrief der Neurologin Dr.B. vom 12.02.2003 vorgelegt. Mit Bescheid vom 26.02.2003 hat die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.02.2003 bewilligt (in Höhe von 624,65 EUR netto). Der Kläger hat eine weitere Auskunft der Firma Ö.-Metall vom 25.03.2003 vorgelegt, nach der er dort zuletzt Facharbeiterlohn bezogen habe nach der Lohngruppe VII des Tarifs der Metallindustrie. Er sei wegen seiner Berufserfahrung als Facharbeiter tätig gewesen. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass die beiden Auskünfte der Firma Ö.-Metall vom 17.04.2000 und vom 25.03.2003 widersprüchlich und nicht geeignet seien, Berufsschutz als Facharbeiter zu belegen. Der Kläger hat des Weiteren seine Versicherungsunterlagen für die Zeit ab 1970 vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung am 09.11.2005 wurde der Zeuge H. , derzeitiger Personalleiter bei der Firma Ö.-Metall, und in der mündlichen Verhandlung am 19.07.2006 die Zeugen H. und C. , Abteilungsleiter bei der Firma Ö.-Metall, zur zuletzt vom Kläger ausgeübten Berufstätigkeit einvernommen; wegen des Inhalts der Aussagen wird auf die Niederschriften Bezug genommen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.01.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2002 idF des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vom 01.04.2002 bis 31.01.2003 zu gewähren. Hilfsweise beantragt er die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie eines berufskundlichen Gutachtens zur Frage der Verweisbarkeit des Klägers.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten, die Prozessakten des SG Bayreuth und Auszüge aus der Personalakte des Klägers bei der Firma Ö.-Metall vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger auch nur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI (in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung) nicht zusteht. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung sonstiger Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Nach Auswertung des Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen Dr.G. vom 08.01.2003 hat das SG zutreffend und auch für den Senat überzeugend festgestellt, dass der Kläger bei den im Einzelnen beschriebenen Gesundheitsstörungen, vorwiegend des orthopädischen und internistischen Fachgebiets, noch in der Lage ist, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Vollschicht zu verrichten. Vermieden werden sollten übermäßige nervliche Belastung, Verrichtungen mit erhöhter Unfallgefährdung und stärkere Belastungen des Bewegungsapparates. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstelle waren nicht zu erkennen. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht berufsunfähig, denn er ist noch in der Lage, zumutbare Verweisungstätigkeiten zu verrichten. Wie das SG ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der "bisherige Beruf" des Klägers iS des § 240 Abs 2 SGB VI nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema nicht der eines Facharbeiters war und ihm deshalb ein qualifizierter Berufsschutz nicht zusteht. Der Kläger hat keine Berufsausbildung durchlaufen. Nach seiner Einlassung war er von 1961 an als Gleisbauarbeiter und landwirtschaftlicher Arbeiter beschäftigt und hat im Jahre 1969 bei der Firma Ö.-Metall eine Beschäftigung als Maschinenarbeiter und Einsteller aufgenommen. Der derzeitige Personalleiter bei dieser Firma, N. H. , hat als Zeuge ausgesagt, dass der Kläger nach den Personalunterlagen zwar als Facharbeiter im Jahre 1969 eingestellt worden ist und auch als Facharbeiter entlohnt worden ist; ab 1994 wurde der Kläger dann aber nicht mehr als Facharbeiter beschäftigt, sondern als Transportarbeiter und in weiteren Funktionen. Der Kläger erzielte aber weiterhin den selben Lohn wie zuvor. Über den Grund der Abstufung konnte der Zeuge keine konkreten Angaben machen. Der Zeuge hat weiter bekundet, dass die Angaben und Schlüsselzahlen in den Versicherungsnachweisen keinen Rückschluss auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zulassen. Der Zeuge H. H. war als Abteilungsleiter bei der Firma Ö.-Metall bis 1996 tätig gewesen und war ab 1993 Vorgesetzter des Klägers. Der Zeuge hat ausgesagt, dass der Kläger in der Hauptsache als Lackierer an Lackierautomaten und an Bedampfungsanlagen beschäftigt war. Der Kläger hat aber auch grundsätzlich alle anfallenden Arbeiten ausgeführt, auch die Wartung der Maschinen im üblichen Umfang mit anderen Kollegen zusammen. Eigenverantwortlich hat er die Maschinen allerdings nicht gewartet. Der Zeuge hat den Kläger nicht als Facharbeiter angesehen, sondern als angelernten Arbeiter. Soweit der Kläger als Einsteller gearbeitet hat, hat es sich um das Einstellen der Spritzpistolen an den Lackier- und Bedampfungsautomaten gehandelt. Diese Tätigkeit war nach der Auffassung des Zeugen nicht mit der eines Einstellers an Werkzeugmaschinen zu vergleichen, die üblicherweise von gelernten Facharbeitern ausgeübt wird.

Der Zeuge A. C. ist derzeit als Projektleiter bei der Firma Ö.-Metall tätig. Er hat ausgesagt, dass der Kläger in seiner Abteilung hauptsächlich für die Wartung der Lackier- und Bedampfungsanlagen zuständig war. Nach Auffassung des Zeugen hat es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine Facharbeitertätigkeit gehandelt aufgrund seiner Kenntnisse und Verantwortung, wenn gleich es das Berufsbild eines Industrielackierers nicht gab und gibt. Bei der vom Kläger ausgeübten Wartung der Anlagen handelte es sich um die laufend anfallenden Arbeiten, um die Maschinen in Gang zu halten und auf die jeweils neuen Produkte einzustellen. Größere Wartungsarbeiten oder gar Reparaturen wurden von der Schlosserabteilung der Firma durchgeführt.

Aus den von der Firma Ö.-Metall übersandten Personalunterlagen ergibt sich, dass der Kläger zwar im Jahre 1969 als Einsteller mit Facharbeiterlohn eingestellt wurde, dass aber ab April 1994 eine Abstufung vom Facharbeiter zum Transportarbeiter erfolgt ist. Aus dem Schreiben der Firma vom 18.04.1994 an den Kläger geht hervor, dass dieser sich bereit erklärt hat, die Tätigkeit als Ablieferer in der Abteilung HV-Bedampfung zu übernehmen.

In der Zusammenschau der Zeugenaussagen in Verbindung mit den Personalunterlagen der Firma ist der Kläger allenfalls als angelernter Arbeiter des oberen Bereichs nach dem Mehrstufenschema anzusehen. Nach seiner Einstellung im Jahre 1969 bei der Firma Ö.-Metall und vorübergehender Beschäftigung wie ein Facharbeiter hat der Kläger im Jahre 1994 eine Abstufung zum Ablieferer (Transportarbeiter) und Wartungsarbeiter für kleinere Maschinen hingenommen. Dies ergibt sich für den Senat aus den Aussagen der Zeugen H. und H. sowie aus den Personalunterlagen; lediglich der Zeuge C. hat den Kläger als nicht näher bezeichneten Facharbeiter angesehen, wobei allerdings auch er eingeräumt hat, dass größere Wartungsarbeiten oder gar Reparaturen an Maschinen von der Schlosserabteilung der Firma durchgeführt wurden. Als angelernter Arbeiter allenfalls des oberen Bereichs ist der Kläger verweisbar auf ungelernte Tätigkeiten, die nicht von ganz untergeordneter Bedeutung sind. In Frage kommt für den Kläger beispielsweise eine Beschäftigung als einfacher Tagespförtner oder Pförtner an der Nebenpforte, worauf die Beklagte in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat. Die Tätigkeit des Pförtners verlangt nur leichte körperliche Anforderungen und kann im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen verrichtet werden. Übermäßige nervliche Belastungen, die der Kläger nach dem Gutachten von Dr.G. vermeiden soll, fallen dabei regelmäßig nicht an. Im Übrigen sind die Pförtnertätigkeiten in zahlreichen berufskundlichen Stellungnahmen der Arbeitsverwaltung beschrieben. Es bedarf hierzu keiner weiteren Ermittlungen wegen der gesundheitlichen und sozialen Zumutbarkeit solcher Tätigkeiten, etwa durch Einholung einer berufskundlichen Auskunft. Da die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers aufgrund der Begutachtung durch Dr.G. feststehen und da die Anforderungen an die Pförtnertätigkeiten allgemein aufgrund zahlreicher berufskundlicher Stellungnahmen als bekannt vorausgesetzt werden können, war den Hilfsanträgen des Klägers auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und eines berufskundlichen Gutachtens nicht zu entsprechen.

Der Kläger ist demnach nicht berufsunfähig. Er erfüllt noch weniger die strengeren Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.01.2003 war zurückzuweisen.

Dementsprechend haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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