L 5 R 358/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 212/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 358/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 73/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Mai 2002 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. August 2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1945 geborene Kläger, der eine Lehre als Metzger begonnen, aber nicht abgeschlossen hat, war in diesem Berufsfeld bis Mai 1974 tätig, anschließend bis Mai 1986 Chemiearbeiter, dann bis Januar 1990 Pflasterer und vom 01.02.1990 bis 1993 Staplerfahrer. Nach Beendigung des Krankengeldbezugs erhielt er Leistungen der Arbeitsverwaltung, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen gekürzt ausbezahlt wurden.

Vom 01.03. bis 17.03.1993 wurde er wegen einer Halswirbelkörper-5-Fraktur und einer Dornfortsatzfraktur HWK 5 stationär behandelt. Anschließend wurde er bis 03.11.1993 vom MDK krankgeschrieben. Gemäß Rehabericht betreffend den Aufenthalt vom 26.01. bis 23.02.1994 wurde er sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Entlassung als arbeitsfähig bezeichnet.

Sein Rentenantrag vom 13.09.1994 wegen der Folgen des Halswirbelbruchs wurde von der Beklagten am 14.11.1994/Widerspruchsbescheid vom 23.02.1995 nach Einholung eines Gutachtens vom Orthopäden Dr.D. abgelehnt. Die Klage dagegen wurde am 27.02.1998 nach Einholung eines Gutachtens des Orthopäden Dr.F. und unter Berücksichtigung eines gem. § 109 SGG eingeholten Gutachtens des Dr.H. wegen Zumutbarkeit leichter Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen abgewiesen. Die Berufung dagegen nahm der Kläger am 25.01.2000 zurück. In dem Verfahren war am 13.11.1998 ein Gutachten von Dr.M. erstellt worden, in dem emotional instabile Persönlichkeitsstörungen, Dysthymie mit Somatisierung, chronische Insomnie und Alkoholmissbrauch beschrieben worden waren und das Leistungsvermögen als auf einfache, wenig qualifizierte und leichte Tätigkeiten beschränkt dargestellt worden war. Auch der gem. § 109 SGG am 23.08.1999 gehörte Dr.V. hatte wie Dr.M. ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht. Zum gleichen Ergebnis war der Orthopäde Dr.P. in seinem Gutachten gem. § 109 SGG vom 18.11.1999 gekommen. Aus orthopädischer Sicht hatte er leichte Tätigkeiten noch vollschichtig für zumutbar gehalten.

Nachdem der Kläger im Termin vom 25.01.2000 einen neuen Rentenantrag angekündigt hatte, veranlasste die Beklagte nach Eingang einer Beschwerde des Klägers über die Nichtberücksichtigung der bereits ab 04.08.1994 vom Krankenhaus A./Prof.B. festgestellten Invalidität, die vom MDK M. unterschlagen worden sei, eine förmliche Rentenantragstellung, die auf den Zeitpunkt der formlosen Antragstellung am 28.01.2000 bei der Stadt M. datiert ist.

Während des laufenden Rentenverfahrens beantragte der Kläger am 20.11.2000 die Wiedereinsetzung des Verfahrens vom 13.09.1994, die von der Beklagten mit Bescheid vom 27.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2003 abgelehnt wurde. Dagegen ist unter dem Az.: S 25 RJ 919/03 seit 22.05.2003 beim Sozialgericht München Klage anhängig.

Im Rahmen des Rentenantrags vom 28.01.2000 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten von drei Fachärzten untersucht. Im internistischen Gutachten Dr.S. vom 29.06.2000 wurde u.a. eine hypertensive Herzerkrankung und ein nutritiv-toxischer Leberschaden beschrieben. Leichte Tätigkeiten ohne Gefährdung, Nacht- und Wechselschicht, Zeitdruck und Publikumsverkehr seien vollschichtig zumutbar. Die Orthopädin Dr.C. stellte am 28.07.2000 ein chronisch-rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit, Gonarthrosen und Funktionsbehinderungen zweier Finger fest und hielt zusätzlich längere Zwangshaltung, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten und die Einwirkung von Kälte und Nässe für unzumutbar. Aus nervenärztlicher Sicht erstellte Dr.S. nach ambulanter Untersuchung am 28.08.2000 ein Gutachten. Seines Erachtens sind wegen der dissozialen Persönlichkeitsstörung und dem schädlichen Gebrauch von Alkohol lediglich Nacht- und Wechselschicht sowie Publikumsverkehr unzumutbar. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag am 06.09.2000 ab.

Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger Atteste der behandelnden Ärzte G. , S. und P. sowie zahlreiche medizinische Befunde vor. Nach Anhörung des Sozialmedizinischen Dienstes wies die Beklagte den Widerspruch am 29.01.2001 zurück.

Dagegen hat der Kläger unter Vorlage diverser Befundberichte Klage erhoben und vorgetragen, seit dem Halswirbelkörperbruch 1993 zu 100 % invalide zu sein. Auch für leichte Tätigkeiten werde keiner eingestellt, der einen Halswirbelbruch hatte. Das Gericht hat Befundberichte der Dres.G. , D. , S. und P. eingeholt. Unter anderem hat Dr.P. mitgeteilt, seit 2000 sei eine ständige Verschlechterung eingetreten, zusätzlich leide der Kläger unter einer schwersten Rhizarthrose am linken Daumen.

Im Auftrag des Gerichts hat der Orthopäde Dr.S. am 16.10.2001 nach ambulanter Untersuchung ein Gutachten erstellt. Er hat ein Zervikalsyndrom, einen posttraumatischen Bandscheibenschaden C5/C6, degenerative Bandscheibenschäden C6/C7 und C3/C4, eine Daumensattelgelenksarthrose an der linken Hand, degeneratives Lumbalsyndrom bei Bandscheibenschäden L4/L5 und L5/S1 sowie eine degenerative Innenmeniskopathie am rechten Knie festgestellt. Mittelschwere Tätigkeiten ohne häufiges Bücken und ohne Arbeit an Maschinen und am Fließband könnten noch acht Stunden täglich verrichtet werden. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges bestünden nicht.

Ein weiteres Gutachten ist am 21.12.2001 von dem Neurologen und Psychiater Dr.M. ebenfalls nach ambulanter Untersuchung erstellt worden. Dieser hat ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, eine Persönlichkeitsstörung mit teils emotional instabilen, teils querulatorischen Zügen sowie Alkoholmißbrauch festgestellt und als zusätzliche Leistungseinschränkung Arbeiten in Zwangshaltungen und über Kopf genannt.

Das Sozialgericht München hat die Klage am 16.05.2002 abgewiesen. Angesichts der Gutachten sei davon auszugehen, dass der Kläger noch leichte und einfache Tätigkeiten täglich acht Stunden verrichten könne. Berufsschutz genieße er nicht. Die Annahme des Klägers, zahlreiche Ärzte hätten über Jahre hinweg dramatische Befunde übersehen, weil sie etwa auf Geheiß der Beklagten von einem älteren Gutachten abschreiben, sei völlig lebensfremd.

Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Seit 1996 stehe ihm die Erwerbsminderungsrente zu. Im Hinblick auf den Medizinischen Dienst und den Entlassungsbericht der Reha-Klinik sei der erste Rentenantrag abgelehnt worden. Zum Zeitpunkt der Rehabilitation hätten noch 100%ige Invalidität vorgelegen und Reha gehe vor Rente. Um eine Korrektur des Entlassungsberichts der Reha-Klinik habe er sich bei der Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen bei der Bayerischen Landesärztekammer und der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Bayerischen Landesärztekammer bemüht. Er hat u.a. Auszüge eines Gutachtens der Unfallklinik M. vom November 1995 über eine 20%ige Invalidität vorgelegt. Vorgelegt worden ist auch ein Schreiben der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses N. vom 04.08.1994 über eine 100%ige Invalidität vom 24.02. bis 03.11.1993, die sich in der Folge bis 23.01.1994 auf 80 % und ab 24.01.1994 auf 60% reduzierte.

Am 08.05.2003 hat der Kläger einen neuerlichen Rentenantrag gestellt, der von der Beklagten am 06.08.2003 abgelehnt worden ist. Die Beklagte hatte wegen des von Dr.B. geäußerten Verdachts auf ein zerebrales Anfallsleiden eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Psychiater Dr.E. veranlasst, der den Kläger am 21.07.2003 untersucht hat. Dieser hat den Verdacht auf kurzzeitigen dissoziativen Stupor (Differenzialdiagnose: fokale Anfälle) geäußert, als Diagnose Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Zügen, impulsiver Typus und den wiederholten schädlichen Gebrauch von Alkohol genannt und höhere Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit und Flexibilität ausgeschlossen. Eine vom Ablauf her gut strukturierte Tätigkeit müsste der Kläger unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen weiterhin in einem Umfang von mehr als sechs Stunden täglich verrichten können. Im Auftrag des Gerichts hat der Neurologe und Psychiater Dr.S. am 24.08.2004 nach ambulanter Untersuchung ein Gutachten erstellt. Er hat aus neurologischer Sicht nicht einmal ein leichtgradiges Halswirbelsäulen- oder Lendenwirbelsäulensyndrom festgestellt und eine relevante psychische Störung ausgeschlossen. Im Vordergrund hat er ein Somatisierungssyndrom als Ausdruck eines Rentenbegehrens auf dem Boden einer opportunitätsquerulatorischen Entwicklung gesehen. Leichte und zeitweise auch mittelschwere Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Überkopfarbeit, zu ebener Erde in wechselnder Körperhaltung seien acht Stunden täglich zumutbar.

Nach der Übersendung des Gutachtens am 13.09.2004 hat der Kläger am 28.09.2004 eingewandt, Dr.S. habe ihn bereits vor vier Jahren untersucht und sei befangen. Der Sachverständige habe auch wieder von Vorgutachten abgeschrieben. Gleichzeitig hat er ein Attest des Dr.G. vom 27.09.2004 vorgelegt, wonach sich über die Jahre trotz vielfacher ambulanter Therapien eine Verschlechterungstendenz feststellen lasse.

Auf Antrag des Klägers ist Dr.S. , Nervenarzt und Psychotherapeut, mit einem Gutachtensauftrag betraut worden. Der Sachverständige hat die Akten am 01.02.2006 zurückgegeben, nachdem der Kläger den Termin vom 03.02.2006 schriftlich und mündlich abgesagt hatte.

Nach Eingang eines Befundberichts des Orthopäden Dr.R. vom 13.03.2006 über eine fortgeschrittene Gonarthrose rechts neben einem Wirbelsäulensyndrom hat das Gericht dem Kläger am 13.04.2006 mitgeteilt, dass ein orthopädisches Gutachten notwendig sei und um Mitteilung der Untersuchungsbereitschaft gebeten; andernfalls erfolge eine Begutachtung nach Aktenlage. Am 30.05.2006 ist Dr.G. , Orthopäde, zum Sachverständige ernannt und gebeten worden, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen, falls der Kläger den Termin unentschuldigt nicht wahrnehme. Der Sachverständige hat mitgeteilt, der Kläger sei zweimal nicht zum Termin erschienen und habe schließlich angegeben, kein Interesse zu haben.

Im orthopädischen Gutachten nach Aktenlage vom 22.08.2006 hat der Sachverständige folgende Gesundheitsstörungen aufgelistet:

- leicht- bis mittelgradiges Halswirbelsäulensyndrom ohne nach weisbare neurologische Störungen, - mittelschweres Lendenwirbelsäulensyndrom ohne erkennbare neu rologische Ausfallserscheinungen, - medial betonte Gonarthrose ohne wesentliche Einschränkungen, - Daumensattelgelenksarthrose links mit Einschränkung dauerhaft kraftvoller Tätigkeiten, - chronische Epikondylopathia radialis humeri linksseitig.

Er hat leichte Tätigkeiten ohne fixierte Kopfposition, häufiges Bücken, Zwangshaltung, Akkord, Einwirkung von Zugluft, idealerweise im Wechselrhythmus zu ebener Erde für vollschichtig zumutbar gehalten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit hat er nicht gesehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.05.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2001 sowie des Bescheides vom 06.08.2003 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München, der erledigten Prozessakten des Sozialgerichts München sowie des Bayer. Landessozialgerichts und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist allein ein Anspruch auf Rente wegen der im Januar 2000 und Mai 2003 erfolgten Antragstellungen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2003, der beim Sozialgericht München Gegenstand eines dortigen Klageverfahrens ist, ist nicht gem. § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Er betrifft einen möglichen Rentenanspruch ab Antragstellung am 13.09.1994 trotz der Bestandskraft des Bescheids vom 14.11.1994.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.05.2002 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2001 sowie der Bescheid vom 06.08.2003, der gem. §§ 153 Abs.1, 96 Abs.1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens wurde. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung.

Maßgebende Rechtsgrundlage für einen Rentenanspruch des Klägers ist entsprechend der Antragstellung am 28.01.2000 § 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 maßgebenden Fassung (§ 300 Abs.2 SGB VI). Danach sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder -einkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt; erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 Ziff.2 SGB VI a.F.). Der Kläger ist nach wie vor acht Stunden täglich leistungsfähig. Damit scheidet auch ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach neuem Recht (§ 43 SGB VI) aus, weil nunmehr bereits ein sechsstündiges Leistungsvermögen täglich Erwerbsminderung ausschließt.

Mit der Beurteilung der zeitlichen Leistungsfähigkeit stützt sich der Senat auf die ausführlichen und überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr.G. und Dr.S. , die die zahlreich vorhandenen und im Laufe des Verfahrens aktualisierten Vorbefunde sorgfältig gewürdigt und ihre Beurteilung schlüssig begründet haben. Dr.S. hat den Kläger ausführlich persönlich untersucht - eine Untersuchung durch Dr.G. hat der Kläger ohne Angabe von Gründen abgelehnt - und ihn in Übereinstimmung mit den im Klageverfahren zugezogenen Dres.S. und M. für in der Lage gehalten, einen 8-Stunden-Tag mit den üblichen Arbeitspausen zu bewältigen. Auch die im Verwaltungsverfahren gehörten Fachärzte S. , C. und S. , die den Kläger ebenfalls persönlich untersucht haben, haben keinen Zweifel daran geäußert, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch einsatzfähig ist. Damit ist das Ermittlungsergebnis des ersten Rentenverfahrens bestätigt worden, das zur Berufungsrücknahme am 25.01.2000 geführt hat, was im Hinblick auf die zahlreich eingeholten Gutachten (Dres. M. , V. , P. , F. und H.) konsequent war. Lediglich die behandelnden Ärzte S. und P. haben dem Kläger wiederholt Erwerbsunfähigkeit attestiert. Der Beweiswert dieser Bescheinigungen tritt jedoch hinter dem von unabhängigen Sachverständigen zurück.

Die Ablehnung des Dr.S. als Sachverständiger ist als verspätet zurückzuweisen. Ein Ablehnungsantrag nach § 406 Abs.2 ZPO ist vor der Anhörung des Sachverständigen, spätestens binnen zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses über seine Ernennung, anzubringen, später nur, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 118 Rz. 12m). Der Kläger macht geltend, der Sachverständige habe bereits früher ein Gutachten erstellt. Selbst wenn dem so wäre - aus den vorliegenden Akten ist ein entsprechendes Gutachten nicht zu entnehmen -, hätte der Kläger dies von Anfang an geltend machen können. Der Kläger hat jedoch erst nach Kenntnisnahme des Gutachtens seine Bedenken vorgetragen. Dies muss als verspätet zurückgewiesen werden.

Im Vordergrund des Beschwerdebildes wird vom Kläger wiederholt der Zustand nach dem 1993 erfolgten Halswirbelkörperbruch gesehen. Die vom Kläger ab 2000 aufgesuchten Neurologen haben lediglich eine depressive Neurose (Dr.D. am 23.03.2001) bzw. unklare Bewusstseinsbeeinträchtigungen beschrieben (Dr.Z. am 15.10.2003). Eine Vorstellung in einer neurologischen Klinik ist nicht erfolgt. Die radiologischen Befunde belegen degenerative und posttraumatische Veränderungen in den Segmenten HWK 4/5, HWK 5/6 und geringer HWK 6/7. Es liegen also kombiniert posttraumatische Veränderungen nach stattgehabten HWK 5-Bruch sowie degenerative Veränderungen vor. Eine ausgeprägte Fehlstatik ist durch die Fraktur nicht eingetreten. Abgesehen von einer leichten Reklinationseinschränkung war die Beweglichkeit der Halswirbelsäule weitgehend frei, ein auffallend erhöhter Muskeltonus war nie zu erheben. Radikuläre Ausfallserscheinungen im Sinn von Nervenwurzelkompressionszeichen mit sensiblen oder motorischen Störungen waren ebenfalls nicht festzustellen. Die von Dr.G. beschriebenen Beschwerden können daher nicht mit einer ausgeprägten Deformierung des fünften Halswirbels erklärt werden, wie er dies im Attest vom 27.09.2004 beispielsweise tut. Wenn der Kläger auf die Arbeitsunfähigkeit im Jahr 1993 und 1994 verweist, so sind diese Gutachten aus der damaligen Zeit für den Zustand ab dem Jahr 2000 ohne Aussagewert. Die damaligen Einschätzungen erfolgten im unmittelbaren Anschluss an das 1993 erlittene Trauma und sind nachvollziebar. Aus der Einschätzung der Unfallklinik M. von 1994 wird jedoch deutlich, dass die damals kurzfristig ausgesprochene 100%ige Invalidität nur für einen sehr kurzen Zeitraum galt.

Im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehen degenerative Veränderungen in den hauptbelasteten kaudalen Segmenten LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1. Eine Traumatisierung mit Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers konnte nicht objektiviert werden. Maßgeblich ist, dass sich während der Untersuchungszeiträume keine Muskelreizerscheinungen fanden und der Rückenstreckapparat normal tonisiert war. Nervenwurzelreiz- oder Kompressionserscheinungen konnten ebenfalls nicht erhoben werden, Sensorik und Motorik waren intakt.

Neben den Veränderungen an der Wirbelsäule waren Veränderungen am rechten Kniegelenk und an der linken oberen Extremität auffällig. Nach der stattgehabten Kniegelenksspiegelung im März 2005 mit Innenmeniskusteilentfernung und Knorpelglättung ist jedoch nach Aktenlage keine wesentliche funktionelle Einschränkung feststellbar. Insbesondere fand sich eine freie Beuge- und Streckfähigkeit, eine noch gerade Beinachse und keine chronische Reizergussbildung. Eine therapieresistene Epikondylitis humeri radialis und eine progrediente Daumensattelgelenksarthrose schränken die Grobgriffform bei häufigem kräftigen Zupacken glaubhaft ein.

Entgegen den Angaben des Psychiaters Dr.S. in seinem Befundbericht vom 15.02.2005 ist eine mittelgradige depressive Episode nicht nachgewiesen. Weder bei Dr.M. noch bei Dr.E. oder Dr.S. wirkte der Kläger in endogener oder in reaktiver Hinsicht depressiv. Er weist weder einen sozialen noch einen familiären Rückzug auf, seine Suizidalität wirkte nicht authentisch. Die Stimmungslage war allenfalls bei der Schilderung der aktuellen misslichen ökonomischen Situation geringgradig, dann aber eher ins Dystyme als ins Depressive abgesenkt. Auszuschließen war auch ein hirnorganisches Psychosyndrom als mögliche Folge einer alkoholtoxischen Schädigung. Nach dem klinischen Eindruck - die neuropsychologische Testung war mangels Mitarbeit nicht verwertbar - bot er eine ausreichende Mnestik im Lang- und Kurzzeitbereich, eine ungestörte Aufmerksamkeit, Konzentrationsvermögen und Auffassungsgabe. Er bot auch keine relevante Alkoholfolgekrankheiten wie eine alkoholtoxische Wesensänderung, z.B. im Sinne einer Depravation, die Entwicklung eines Morbus Korsakow oder eine Polyneuropathie.

Bei den vom Hausarzt beschriebenen absenceartigen Zuständen kann es sich um zerebrale Anfallsäquivalente handeln. Dagegen spricht das unauffällige EEG. Jedenfalls sind die für Sekunden andauernden Ausnahmezustände offensichtlich nicht im Straßenverkehr aufgetaucht. In Übereinstimmung mit dem Neurologen Dr.Z. ist die beschriebene Symptomatik anamnestisch nur schwer zu erfassen, weil kein neurologischer Anhalt besteht, der objektivierbar wäre. Daraus kann daher allenfalls eine qualitative Leistungseinschränkung abgeleitet werden.

Das diffuse Schmerzsyndrom hat keinen Krankheitswert. Der muskelkräftige, vitale, nicht wirklich hypochondrisch oder hysterieform veranlagte Kläger wirkt aus psychiatrischer Sicht nicht wirklich gesundheitsgestört. Die von ihm geschilderten stimmungslabilen und explosiven Züge wirkten aufgesetzt. Es ist daher von einer bewußtseinsnahen tendenziellen Fehlhaltung auszugehen, die willentlich beeinflussbar ist.

Wegen der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet kann der Kläger lediglich leichte, allenfalls zeitweise mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Er sollte keine Tätigkeiten mit fixierter Kopfposition (z.B. langdauernde Computertätigkeit) verrichten. Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Arbeiten in Zwangsstellungen bzw. gebückter Haltung sowie häufiges Heben und Tragen von mittelschweren Lasten von 10 bis 15 kg sind nicht zumutbar. Wegen der progredienten Kniegelenksarthrose sind lange Gehstrecken sowie langes Gehen nicht mehr zumutbar, ebensowenig das Besteigen von Leitern und Gerüsten. Auch scheiden Tätigkeiten im Akkord oder im Freien unter Einfluss von Zugluft und Nässe aus. Schließlich ist nachvollziehbar, dass der Kläger wegen der bereits im Verwaltungsverfahren festgestellten hypertensiven Herzerkrankung und des nutritiv toxischen Leberschadens keine Arbeiten mit Nacht- und Wechselschicht, Zeitdruck und Publikumsverkehr verrichten sollte.

Im Positiven kann der Kläger noch leichte und ruhige Arbeiten zu ebener Erde in temperierten Räumen verrichten. Mit diesem Restleistungsvermögen ist er in der Lage, eine Vielzahl von Tätigkeiten zu verrichten, wie sie üblicherweise von ungelernten Arbeitern gefordert werden. Trotz der Vielzahl der Leistungseinschränkungen ist von keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen im Sinne höchstrichterlicher Rechtsprechung auszugehen. Diese wäre nur in Betracht zu ziehen, wenn die Fähigkeit des Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt wäre. Der Ausschluss von Tätigkeiten, die im Akkord oder im Schichtdienst zu erbringen sind, zählt nicht zu den Einschränkungen, die die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit zur Folge haben (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996 in SozR 3-2600 § 44 Nr.8 mit Verweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr.117). Die übrigen beim Kläger vorliegenden Einschränkungen wie das Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltung, Bücken und häufiges Treppensteigen schränken das Feld leichter körperlicher Arbeiten nicht zusätzlich ein, weil diese bereits von dem Erfordernis "körperliche leichte Arbeit" erfasst werden. Schließlich fehlen auch Anhaltspunkte für eine krankheitsbedingt eingeschränkte Umstellungsfähigkeit. Angesichts uneingeschränkten Seh- und Hörvermögens und ausreichender Funktionsfähigkeit der Hände und Beine erscheinen daher Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienung von Maschinen, Aufsicht und Kontrolle, möglich. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erübrigt sich daher (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.1999 in NZS 2000 S.96).

Entscheidend ist, dass der Kläger trotz zahlreicher qualitativer Leistungseinschränkungen in der Lage ist, eine Vollzeittätigkeit unter den in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten. Inbesondere sind keine zusätzlichen Arbeitspausen notwendig. Der Kläger ist auch nicht gehindert, geeignete Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Die Befunde am Stütz- und Bewegungsapparat begründen keine so weitgehende Einschränkung des Gehvermögens, dass er nicht übliche Wegstrecken von mehr als 500 m zurücklegen könnte. Hierauf haben die orthopädischen Sachverständigen übereinstimmend hingewiesen.

Eine weitere Sachverhaltsaufklärung war nicht erforderlich und auch nicht möglich. Der Kläger hat die von Dr.G. angebotenen Untersuchungstermine trotz Aufklärung über die Folgen nicht wahrgenommen. Nach den Grundsätzen der Beweislast geht dies zu seinen Lasten.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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