Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2940/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1021/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen der Folgen einer als Berufskrankheit (BK) anerkannten obstruktiven Atemwegserkrankung (Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung [BKVO] - BK 4302).
Die am 1941 geborene Klägerin arbeitete ab 1970 bei der Firma K. S. GmbH & Co, zunächst als Montagearbeiterin für Endoskope. Sie kam dabei mit verschiedenen Mehrkomponentenklebern sowie Reinigungsmitteln (Spiritus, Aceton) in Kontakt. Absauganlagen wurden 1987 installiert. Vom 1. Juni 1991 bis zur Beendigung ihrer Arbeitstätigkeit im Oktober 1996 (mit anschließender Berentung als erwerbsunfähig) war die Klägerin in der Qualitäts- und Endkontrolle tätig.
Seit Mitte der 1980er-Jahre war die Klägerin in HNO-ärztlicher Behandlung. Diagnostiziert wurden vermehrte grippale Infekte mit Reizhusten und eine chronisch-rezidivierende Kehlkopfentzündung. Heute leidet die Klägerin außerdem an Herzrhythmusstörungen, Wirbelsäulenbeschwerden im Bereich der Lenden- und der Halswirbelsäule (nach wiederholtem Schleudertrauma infolge zweier Autounfälle) sowie Hüft- und Kniegelenksarthrosen.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 1994 und Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1996 anerkannte die Beklagte das Vorliegen einer BK 4302 ab 1. Juni 1991 (Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit); nicht anerkannt als Folgen der BK wurden die Reizzustände im Rachen- und Kehlkopfbereich sowie der Nase und Nasennebenhöhlen; die Gewährung einer Verletztenrente wurde abgelehnt. Grundlage waren die Gutachten von Dr. M. , Klinik für Berufskrankheiten B. R. , vom 12. November 1990 (Diagnose u. a.: chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung, verursacht durch chemisch-irritativ wirkende Substanzen [Kleber-Dämpfe]; Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] 20 v. H.; aber keine Aufgabe der schädigenden Tätigkeit), vom 28. Dezember 1991 und vom 28. Dezember 1992 (jeweils: nunmehr keine wesentliche Beeinträchtigung der Lungenfunktion mehr nachweisbar) sowie Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. , Chefarzt a. D. der Klinik für Berufskrankheiten (kein Nachweis einer Atemwegserkrankung der tieferen Atemwege mehr) und von Dr. T. (ebenso).
Die mit dem Ziel der Gewährung einer Rente bei dem Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage (S 8 U 434/96) wurde mit Urteil vom 27. November 1996 abgewiesen. Die hiergegen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 2 U 961/97) wurde nach Einholung eines Gutachtens bei Dr. S. (irritativ-toxische Schleimhautschädigung der unteren Atemwege durch chronische Schadstoffexposition, jetzt chronisch-hämorrhagitische Bronchitis mit latenter Obstruktion und wahrscheinlicher Folgeschädigung einer latenten pulmonalen Hypertonie) und auf der Grundlage einer von der Beklagten vorgelegten kritischen Stellungnahme von Dr. T. (keine obstruktive Erkrankung der tieferen Atemwege) mit Urteil vom 18. Februar 1998 zurückgewiesen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision (B 2 U 129/98 B) wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 5. August 1998 als unzulässig verworfen.
Am 14. März 2000 machte die Klägerin, gestützt auf Befundberichte des Internisten Dr. H. , eine erhebliche Verschlimmerung geltend. Die Beklagte lehnte aber mit Bescheid vom 25. Juli 2000 und Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 eine Rentengewährung ab.
Die Klägerin hat hiergegen am 21. November 2000 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben und insbesondere vorgetragen, sie sei auch während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle aus dem Nebenraum durch Löcher in der Wand eindringenden, gefährlichen toxischen Gasen und Dämpfen ausgesetzt gewesen.
Die Klägerin hat Stellungnahmen von Herrn Schw ..., Institut für Allgemeine Hygiene und Umwelthygiene der Universität T. (Diisocyanate, mit denen die Klägerin beruflich in Kontakt gekommen sei, seien Ursache des bei ihr diagnostizierten toxischen irritativen Asthma bronchiale) und von Dr. H. (bronchiale Hyperreagibilität persistiert nach Auslösung der Erkrankung; MdE nicht unter 40 v. H.) vorgelegt. Dr. H. und die Internistin Tr. haben als sachverständige Zeugen die von ihnen erhobenen Befunde mitgeteilt.
Das Sozialgericht hat Arbeitskollegen der Klägerin (Wilfried Schm., Karl-Heinz H. , Egon K. ) schriftlich sowie die Betriebsärztin Dr. J. schriftlich und mündlich als Zeugen zur Exposition der Klägerin gegenüber schädigenden Stoffen während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle gehört. Während der Zeuge Wilfried Schm., zugleich Ehemann der Klägerin, die Angaben der Klägerin bestätigt hat, sie sei durch Löcher in der Wand toxischen Gasen und Dämpfen (Formaldehyd) aus dem benachbarten sterilisierten Raum ausgesetzt gewesen, verneinten dies die Zeugen Dr. J., Karl-Heinz H. und Egon K ...
Prof. Dr. Ko. , ehemaliger Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz, hat in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 26. Juni 2002 mit Ergänzung vom 9. Dezember 2002 eine wesentliche Veränderung der Folgen der anerkannten BK 4302 verneint. Die Beschwerden der Klägerin, so hat er ausgeführt, lägen eher im Bereich eines starken Reizhustens, weniger einer Atemnot; es könne höchstens von einer leichten Verschlechterung der Lungenfunktion seit Beendigung der schädigenden Tätigkeit 1991 ausgegangen werden. Eine Exposition gegenüber Schadstoffmengen, die zu einer Verursachung oder Unterhaltung einer chronischen Bronchitis erforderlich seien, sei unwahrscheinlich.
Mit Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Änderung des eine Rente ablehnenden Bescheids vom 25. Oktober 1994 bestehe nicht, da keine wesentliche Änderung vorliege. Die anerkannte BK 4302 bedinge keine MdE um 20 v. H. Nach der Versetzung der Klägerin in die Qualitätskontrolle im Juni 1991 sei die Atemwegserkrankung abgeheilt und keine erhebliche Beeinträchtigung der Lungenfunktion mehr nachweisbar gewesen. Auf Grund der Angaben der Zeugen und dem Gutachten von Prof. Dr. Ko. sei es auch unwahrscheinlich, dass die Klägerin ab Juni 1991 erheblichen atemwegsschädigenden Substanzen ausgesetzt gewesen sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Februar 2003 zugestellte Urteil am 17. März 2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre früheren Angaben. Die Angaben von Dr. J. seien unzutreffend; es hätten toxikologische Messungen der Atemluft an ihrem (aufgrund baulicher Veränderungen heute nicht mehr so vorhandenen) Arbeitsplatz in der Qualitätskontrolle durchgeführt werden müssen. Außerdem sei sehr wohl eine Einschränkung der Lungenfunktion nachweisbar.
Dr. H. hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten erstattet, wonach für das Asthma bronchiale der Klägerin eine MdE von 40 v. H. angemessen sei. Die körperliche Belastbarkeit sei erheblich eingeschränkt, auf Grund einer angegebenen erheblichen Überempfindlichkeit der Schleimhaut seien auch banale Tätigkeiten des täglichen Lebens beinahe unmöglich. Während der Therapie sei eine mäßige obstruktive Ventilationsstörung feststellbar, nach mehrwöchiger Unterbrechung der Medikation dann eine schon deutliche klinische Obstruktion.
Prof. Dr. R., Extraordinarius am Institut und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E.-N., hat in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten ausgeführt, dass eine relevante Exposition gegenüber schädigenden Stoffen, insbesondere eine Grenzwert überschreitende Konzentration von Formaldehyd, bei der Tätigkeit der Klägerin in der Qualitätskontrolle nach dem 1. Juni 1991 unwahrscheinlich sei. Der Krankheitsverlauf sei untypisch für eine Verschlimmerung einer berufsbedingten ob¬struktiven Atemwegserkrankung. Eine durch die Berufskrankheit bedingte MdE liege nicht vor. Die Anerkennung einer von der Klägerin vermuteten Multiple-Chemical-Sensitivity (MCS) könne beim derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht zur Anerkennung als BK empfohlen werden. Er hat trotz Einwendungen der Klägerin in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner gutachtlichen Einschätzung festgehalten.
Die Klägerin hat noch einen Befundbericht des Radiologen Dr. O. über eine Hirn-Szin¬ti¬gra¬phie vom 9. und 21. Oktober 1996 (verminderter Hirnfluss; eindeutig pathologisch; durch Klebedämpfe und Lösungsmittel möglich) vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der als Berufskrankheit anerkannten obstruktiven Atemwegserkrankung einer Rente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren, hilfsweise nach § 109 SGG ein toxikologisches Gutachten bei Prof. Dr. N., M., einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats, auch des früheren Verfahrens (Sozialgericht Reutlingen, S 8 U 434/96, Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 2 U 961/97) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 548 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Hinweise auf mehrerer Versicherungsfälle bestehen hier jedoch nicht.
Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539 , 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO), der in der Anlage eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehört nach Nr. 4302 der Anlage zur BKVO auch eine "durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktiven Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Das Vorliegen einer solchen BK 4302 ist bei der Klägerin anerkannt. Jedoch liegt keine MdE in rentenberechtigendem Grade vor.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Folgen der anerkannten BK 4302 liegen nicht in einem Umfang vor, die eine MdE um 20 v. H. begründen.
Eine BK 4302 ist eine Erkrankung der tieferen Atemwege (so auch das vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften [HVBG] herausgegebene Reichenhaller Merkblatt, April 2006, S. 29). Nicht Bestandteil der BK 4302 sind Beeinträchtigungen der oberen Atemwege, mögen diese auch, was Dr. M. und auch Dr. K. eingeräumt haben, einen beruflichen Zusammenhang aufweisen. Das gilt für die chronische Kehlkopfentzündung und die von Dr. S. diagnostizierte chronisch-hämorrhagitische Bronchitis, was bereits im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Februar 1998 (L 2 U 961/97) unter Bezugnahme auf die dort eingeholten Gutachten und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Oktober 1991 (L 3 U 137/80) ausführlich dargestellt worden ist. Der Senat sieht das genauso. Befunde der Rachenschleimhaut und Aussagen zu einem möglichen Zusammenhang mit Berufsstoffen, wie in dem von der Internistin T. vorgelegten Befundbericht der Pathologen Prof. Dr. F. vom 15. September 1993 enthalten, sind daher ohne Belang.
Abzustellen ist also allein auf die tieferen Atemwege. Maßgeblich ist hier die Zeit ab 1. Juni 1991, also nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit und Anerkennung der BK. Wesentliche Beeinträchtigungen der Lungenfunktion (tiefere Atemwege) sind in dieser Zeit weder in den Untersuchungen von Dr. M. noch von Dr. S. (so übereinstimmend Prof. Dr. Ko. und Prof. Dr. R.) und auch nicht von Prof. Dr. R. festgestellt worden. Die Gutachter, die sich im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren nach Aktenlage geäußert haben (Dr. K. , Dr. T. , Prof. Dr. Ko. ) sind zum gleichen Ergebnis gelangt. Danach ist lediglich von einer latenten Obstruktion auszugehen. Die von Dr. H. erhobenen Befunde während der Behandlung (vorgelegtes Schreiben an die Klägervertreter vom 25. April 2002) sowie in seinem Gutachten nach § 109 SGG (74% des Sollwerts, nach Therapiepause von über einem Monat 50% des Sollwerts) zeigen eine mäßige ob¬struktive Ventilationsstörung unter Medikation sowie eine erheblichere Ventilationsstörung ohne eine solche Medikation. Angesichts der abweichenden Messungen anderer Gutachter (zuletzt Prof. Dr. R.: 99,4 bzw. 99,6% des Sollwerts) bezweifelt der Senat die Richtigkeit dieser Ergebnisse und sieht sie nicht als nachgewiesen an. Die durch die Internistin T. mitgeteilten Befunde und Diagnosen - rezidivierende grippale und bronchiale Infekte mit Auswurf, Atemgeräuschen und Belastungskurzatmigkeit - sind unspezifisch und lassen keinen sicheren Bezug zu den tieferen Atemwegen erkennen. Eine Prüfung der Lungenfunktion war ihr mangels geeigneter Untersuchungsmittel nicht möglich.
Der Senat schließt sich damit der Einschätzung von Dr. M. , Dr. K. , Dr. T. und Prof. Dr. Ko. an, die auch von Prof. Dr. R. bestätigt worden ist, wonach eine MdE um 20 v. H. nicht erreicht wird. Nicht gefolgt wird der Einschätzung von Dr. H. , der eine MdE um 40 v. H. angenommen hat. Schon die als nachgewiesen anzusehenden Befunde lassen dies nicht zu, wie auch die übrigen Gutachter zutreffend ausgeführt haben. Mit Prof. Dr. R. ist weiterhin zu kritisieren, dass es im Gutachten von Dr. H. an einer differenzierten und detaillierten Auseinandersetzung mit arbeitstechnischen und arbeitsanamnestischen Daten sowie dem Krankheitsverlauf der Klägerin fehlt. Auch im Hinblick auf das Reichenhaller Merkblatt, S. 37 ff. lässt sich eine MdE um 40 v. H. nicht begründen. Dr. H. übersieht bereits, dass für die MdE-Einschätzung auf die Funktionswerte unter Medikation abzustellen ist (vgl. Reichenhaller Merkblatt, S. 16). Wenn er auf die über "Jahre hinweg ... doch erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität" der Klägerin abstellt, fehlt es an einer notwendigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit die sonstigen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin, insbesondere auf kardiologischem und auf orthopädischem Fachgebiet, hierfür verantwortlich sind.
Zumindest ergänzend zu berücksichtigen ist, dass auch der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich ist. Bei der Klägerin besteht, worauf zuletzt auch Prof. Dr. R. hingewiesen hat, eine Disposition zu wiederkehrenden infektiösen akuten Entzündungen im Bereich der oberen, aber auch der tieferen Atemwege. Dies folgt insbesondere aus dem Krankheitsverlauf nach Juni 1991, der - so nachvollziehbar Prof. Dr. R. - mit seiner Progredienz bzw. Verschlimmerung gegen einen Einfluss von Berufsstoffen spricht. Die genannte Disposition ist geeignet, einen erheblichen Teil der heutigen Beschwerden der Klägerin zu erklären. Die Einwendungen der Klägerin gegen sein Gutachten hat Prof. Dr. R. mit überzeugenden Einwendungen zurückgewiesen. Insbesondere gilt, dass eine bronchiale Reagibilitätsprüfung, wie sie die Klägerin im Gutachten von Prof. Dr. R. vermisst, Gefährdungen für die Klägerin begründen würde und zudem keine bedeutsamen Aussagen zum Kausalzusammenhang zuließe. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass Prof. Dr. R. hierauf verzichtet hat. Dass die Klägerin zuletzt die Kompetenz von Prof. Dr. R. und die Vollständigkeit der ihm zur Verfügung stehenden gutachtlichen Untersuchungsmethoden für eine Erstattung von Gutachten über eine BK 4302 in Zweifel gezogen hat, verwundert vor dem Hintergrund, dass Prof. Dr. R. von ihr selbst als Gutachter nach § 109 SGG benannt worden ist.
Die Bewertung der Gutachter, denen der Senat folgt, kann auch nicht deswegen in Zweifel gezogen werden, weil die Klägerin nach Juni 1991 noch gefährdenden Berufsstoffen ausgesetzt war, die eine Verschlimmerung ihrer Atemwegsbeschwerden erklären könnten. Dass die Klägerin auch während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle chemisch-irritativen oder toxischen Dämpfen ausgesetzt war, haben die vom Sozialgericht gehörten Zeugen nicht übereinstimmend bestätigt. Der Senat kann es jedoch als wahr unterstellen, dass am Arbeitsplatz der Klägerin in der Qualitätskontrolle Gerüche aus dem benachbarten Sterilisierraum wahrnehmbar waren. Dieser Umstand sagt jedoch weder etwas über eine chemisch-irritative oder toxische Wirkung dieser Stoffe noch über deren Dosis aus. Der Zeugenbeweis ist auch untauglich, um hierauf entsprechende Feststellungen stützen zu können. Mit Prof. Dr. Ko. ist der Senat der Ansicht, dass auch bei Annahme einer nicht völligen Abdichtung zwischen den Räumen keine nennenswerte Schadstoffkonzentration im Arbeitsbereich der Klägerin bestand. Auch Prof. Dr. R. ist zu dieser Einschätzung gelangt. Er hat insbesondere ausgeführt, dass die Geruchsschwelle bei dem von der Klägerin als schädigenden Berufstoffen genannten Formaldehyd sehr niedrig liegt. Bei erheblichen Konzentrationen hätte sich ein leichtes Stechen in Augen, Nase und Rachen ergeben. Solches hat die Klägerin weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Da sich der Arbeitsplatz nach den eigenen Angaben der Klägerin vollständig verändert hat, kann aus heutigen Messungen von schädigenden Substanzen in der Atemluft nicht auf die Situation zur Zeit der Berufstätigkeit der Klägerin geschlossen werden. Jede weitere Annahme zu einer Belastung mit schädigenden Stoffen wäre spekulativ. Dies gilt auch für die vorgelegte Stellungnahme von Herrn Schw ... Aus dem Hirn-Szintigramm von Dr. O. vom 9. Oktober 1996 vermag der Senat keine Aussagen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen der Atemwege erkennen. Dr. O. hat zudem lediglich Ausführungen gemacht, die als eine ganz allgemeine, damit im konkreten Fall lediglich vage Vermutung ("möglich", "denkbar wäre auch") angesehen werden können; dies reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit nicht aus. Der Senat sieht daher keinen Ansatzpunkt für die Einholung eines toxikologischen Gutachtens und steht hierbei in Übereinstimmung mit Prof. Dr. R ...
Auch eine allergische Genese der obstruktiven Atemwegserkrankung (BK 4301) liegt nicht vor, wie dies bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 18. Februar 1998 (L 2 U 961/97) ausgeführt hat. Schon Dr. M. schloss eine allergische Genese im Gutachten vom 12. November 1990 aus. Schon damals, also als die Klägerin noch mit Montagearbeiten beschäftigt war, waren im Ergebnis negative allergologische Untersuchungen mit Prick- und Intracutantestungen durchgeführt worden, waren zirkulierende Antikörper vom IgE-Typ gegen Isocyanate nicht festgestellt worden. Dr. T. hat dieses Ergebnis auf Grund der in der Akte wiedergegebenen anamnestischen Angaben der Klägerin bestätigt und den Zusammenhang über die verwendeten Klebstoffe, damit auf einem chemisch-irritativen Weg begründet.
Die begehrte Rente kann auch nicht auf ein nach § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennendes MCS-Syndrom gestützt werden. Insoweit ist eine Prüfung schon deshalb verwehrt, weil hierzu - also zur Frage des Vorliegens einer "Quasi-BK" - die Beklagte noch keine Entscheidung getroffen, sondern ausschließlich eine Verschlimmerung der anerkannten BK 4302 geprüft hat. Eine "Quasi-BK" ist somit kein zulässiger Streitgegenstand. Unabhängig hiervon wäre diesem Begehren aber auch in der Sache kein Erfolg beschieden. Nach § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 551 Abs. 1 RVO/§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Das bedeutet, dass eine abgrenzbare (bestimmte) Personengruppe in Rede stehen muss, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt ist, wobei diese Einwirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten der jeweiligen Art zu verursachen. Es muss um "verordnungsreife" Berufskrankheiten gehen, die (nur) deshalb (noch) nicht gem. § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 1 SGB VII zu entschädigen sind, weil der Verordnungsgeber der BKV, der mit dem Erkenntnisfortschritt in der medizinischen Wissenschaft nicht Schritt halten kann, die regelmäßig in mehrjährigen Abständen novellierte BKV dem Stand der Wissenschaft (noch) nicht angepasst hat. Diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. nicht vor, was auch der einschlägigen Rechtsprechung der Landessozialgerichte (Senatsurteil vom 5. Februar 2003, L 10 U 138/02; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Februar 2004,L 4 U 43/03) entspricht.
Eine auf Grund § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennende und zu entschädigende Schädigung der oberen Atemwege durch Formaldehyd, wie von der Klägerin noch vorgebracht, scheidet auch deswegen aus, weil es am Nachweis einer entsprechenden Exposition fehlt, wie bereits dargestellt.
Die Einholung eines toxikologischen Gutachtens nach § 109 SGG bei Prof. Dr. N. wird abgelehnt.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Einer wiederholten Antragstellung muss jedoch nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand kann darin liegen, dass es sich bei den Ärzten jeweils um Spezialisten handelt, wobei jeder für sein Sachgebiet Stellung nehmen soll. Sind für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig, kann aber nicht pauschal vorgebracht werden, ein Vertreter der jeweils anderen Facharztgruppen verfüge über eine größere Sachkunde, vielmehr muss im Einzelfall dargetan werden, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall zusätzliche entscheidende Erkenntnisse vorbringen kann. Bei verwandten Fachrichtungen ist in der Regel kein Grund für ein weiteres Gutachten gegeben (Keller in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 109 Rdnr. 10b).
Hier soll Prof. Dr. N. , der Facharzt für Arbeitsmedizin und Internist mit Schwerpunkt Pneumologie ist, ein Gutachten erstatten, bei dem zumindest der Schwerpunkt die Toxikologie sein soll. Toxikologie ist Lehre von den Giften, das heißt die Lehre von den schädlichen Wirkungen chemischer Substanzen auf lebendige Organismen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 248. Aufl.). Sie ist keine eigenständige ärztliche Fachrichtung. Die Toxikologie ist jedoch Bestandteil der Ausbildung verschiedener ärztlicher Gebiete, Facharztausrichtungen und Schwerpunkte. Dies gilt etwa für die Gebiete Arbeitsmedizin (vgl. Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 15. März 2006, Sonderausgabe ÄBW 4/2006, S. 25) wie Hygiene und Umweltmedizin (Weiterbildungsordnung, a. a. O., S. 45), aber auch der Gebiete Haut- und Geschlechtskrankheiten, Öffentliches Gesundheitswesen, Pharmakologie, Rechtsmedizin und Betriebsmedizin (Weiterbildungsordnung, a. a. O., S. 43, 67, 70, 81, 89). Hier sind bereits Gutachten nach § 109 SGG durch Dr. H. , einem Internisten mit Schwerpunkt Lungen- und Bronchialheilkunde und Zusatzbezeichnung Allergologie, Umwelt- und Sportmedizin, und von Prof. Dr. R., einem Facharzt für Arbeitsmedizin mit Zusatzbezeichnung Umweltmedizin, erstattet worden. Damit sind die Fachrichtungen, für die Prof. Dr. N. steht, bereits erfasst. Dass er zu den hier maßgeblichen Fragestellungen - die schädliche Wirkung von Berufstoffen auf die Atemwege der Klägerin - zusätzliche entscheidende Erkenntnisse beitragen kann, ist nicht vorgetragen und für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen der Folgen einer als Berufskrankheit (BK) anerkannten obstruktiven Atemwegserkrankung (Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung [BKVO] - BK 4302).
Die am 1941 geborene Klägerin arbeitete ab 1970 bei der Firma K. S. GmbH & Co, zunächst als Montagearbeiterin für Endoskope. Sie kam dabei mit verschiedenen Mehrkomponentenklebern sowie Reinigungsmitteln (Spiritus, Aceton) in Kontakt. Absauganlagen wurden 1987 installiert. Vom 1. Juni 1991 bis zur Beendigung ihrer Arbeitstätigkeit im Oktober 1996 (mit anschließender Berentung als erwerbsunfähig) war die Klägerin in der Qualitäts- und Endkontrolle tätig.
Seit Mitte der 1980er-Jahre war die Klägerin in HNO-ärztlicher Behandlung. Diagnostiziert wurden vermehrte grippale Infekte mit Reizhusten und eine chronisch-rezidivierende Kehlkopfentzündung. Heute leidet die Klägerin außerdem an Herzrhythmusstörungen, Wirbelsäulenbeschwerden im Bereich der Lenden- und der Halswirbelsäule (nach wiederholtem Schleudertrauma infolge zweier Autounfälle) sowie Hüft- und Kniegelenksarthrosen.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 1994 und Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1996 anerkannte die Beklagte das Vorliegen einer BK 4302 ab 1. Juni 1991 (Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit); nicht anerkannt als Folgen der BK wurden die Reizzustände im Rachen- und Kehlkopfbereich sowie der Nase und Nasennebenhöhlen; die Gewährung einer Verletztenrente wurde abgelehnt. Grundlage waren die Gutachten von Dr. M. , Klinik für Berufskrankheiten B. R. , vom 12. November 1990 (Diagnose u. a.: chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung, verursacht durch chemisch-irritativ wirkende Substanzen [Kleber-Dämpfe]; Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] 20 v. H.; aber keine Aufgabe der schädigenden Tätigkeit), vom 28. Dezember 1991 und vom 28. Dezember 1992 (jeweils: nunmehr keine wesentliche Beeinträchtigung der Lungenfunktion mehr nachweisbar) sowie Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. , Chefarzt a. D. der Klinik für Berufskrankheiten (kein Nachweis einer Atemwegserkrankung der tieferen Atemwege mehr) und von Dr. T. (ebenso).
Die mit dem Ziel der Gewährung einer Rente bei dem Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage (S 8 U 434/96) wurde mit Urteil vom 27. November 1996 abgewiesen. Die hiergegen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 2 U 961/97) wurde nach Einholung eines Gutachtens bei Dr. S. (irritativ-toxische Schleimhautschädigung der unteren Atemwege durch chronische Schadstoffexposition, jetzt chronisch-hämorrhagitische Bronchitis mit latenter Obstruktion und wahrscheinlicher Folgeschädigung einer latenten pulmonalen Hypertonie) und auf der Grundlage einer von der Beklagten vorgelegten kritischen Stellungnahme von Dr. T. (keine obstruktive Erkrankung der tieferen Atemwege) mit Urteil vom 18. Februar 1998 zurückgewiesen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision (B 2 U 129/98 B) wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 5. August 1998 als unzulässig verworfen.
Am 14. März 2000 machte die Klägerin, gestützt auf Befundberichte des Internisten Dr. H. , eine erhebliche Verschlimmerung geltend. Die Beklagte lehnte aber mit Bescheid vom 25. Juli 2000 und Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000 eine Rentengewährung ab.
Die Klägerin hat hiergegen am 21. November 2000 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben und insbesondere vorgetragen, sie sei auch während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle aus dem Nebenraum durch Löcher in der Wand eindringenden, gefährlichen toxischen Gasen und Dämpfen ausgesetzt gewesen.
Die Klägerin hat Stellungnahmen von Herrn Schw ..., Institut für Allgemeine Hygiene und Umwelthygiene der Universität T. (Diisocyanate, mit denen die Klägerin beruflich in Kontakt gekommen sei, seien Ursache des bei ihr diagnostizierten toxischen irritativen Asthma bronchiale) und von Dr. H. (bronchiale Hyperreagibilität persistiert nach Auslösung der Erkrankung; MdE nicht unter 40 v. H.) vorgelegt. Dr. H. und die Internistin Tr. haben als sachverständige Zeugen die von ihnen erhobenen Befunde mitgeteilt.
Das Sozialgericht hat Arbeitskollegen der Klägerin (Wilfried Schm., Karl-Heinz H. , Egon K. ) schriftlich sowie die Betriebsärztin Dr. J. schriftlich und mündlich als Zeugen zur Exposition der Klägerin gegenüber schädigenden Stoffen während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle gehört. Während der Zeuge Wilfried Schm., zugleich Ehemann der Klägerin, die Angaben der Klägerin bestätigt hat, sie sei durch Löcher in der Wand toxischen Gasen und Dämpfen (Formaldehyd) aus dem benachbarten sterilisierten Raum ausgesetzt gewesen, verneinten dies die Zeugen Dr. J., Karl-Heinz H. und Egon K ...
Prof. Dr. Ko. , ehemaliger Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz, hat in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 26. Juni 2002 mit Ergänzung vom 9. Dezember 2002 eine wesentliche Veränderung der Folgen der anerkannten BK 4302 verneint. Die Beschwerden der Klägerin, so hat er ausgeführt, lägen eher im Bereich eines starken Reizhustens, weniger einer Atemnot; es könne höchstens von einer leichten Verschlechterung der Lungenfunktion seit Beendigung der schädigenden Tätigkeit 1991 ausgegangen werden. Eine Exposition gegenüber Schadstoffmengen, die zu einer Verursachung oder Unterhaltung einer chronischen Bronchitis erforderlich seien, sei unwahrscheinlich.
Mit Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Änderung des eine Rente ablehnenden Bescheids vom 25. Oktober 1994 bestehe nicht, da keine wesentliche Änderung vorliege. Die anerkannte BK 4302 bedinge keine MdE um 20 v. H. Nach der Versetzung der Klägerin in die Qualitätskontrolle im Juni 1991 sei die Atemwegserkrankung abgeheilt und keine erhebliche Beeinträchtigung der Lungenfunktion mehr nachweisbar gewesen. Auf Grund der Angaben der Zeugen und dem Gutachten von Prof. Dr. Ko. sei es auch unwahrscheinlich, dass die Klägerin ab Juni 1991 erheblichen atemwegsschädigenden Substanzen ausgesetzt gewesen sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Februar 2003 zugestellte Urteil am 17. März 2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre früheren Angaben. Die Angaben von Dr. J. seien unzutreffend; es hätten toxikologische Messungen der Atemluft an ihrem (aufgrund baulicher Veränderungen heute nicht mehr so vorhandenen) Arbeitsplatz in der Qualitätskontrolle durchgeführt werden müssen. Außerdem sei sehr wohl eine Einschränkung der Lungenfunktion nachweisbar.
Dr. H. hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten erstattet, wonach für das Asthma bronchiale der Klägerin eine MdE von 40 v. H. angemessen sei. Die körperliche Belastbarkeit sei erheblich eingeschränkt, auf Grund einer angegebenen erheblichen Überempfindlichkeit der Schleimhaut seien auch banale Tätigkeiten des täglichen Lebens beinahe unmöglich. Während der Therapie sei eine mäßige obstruktive Ventilationsstörung feststellbar, nach mehrwöchiger Unterbrechung der Medikation dann eine schon deutliche klinische Obstruktion.
Prof. Dr. R., Extraordinarius am Institut und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E.-N., hat in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten ausgeführt, dass eine relevante Exposition gegenüber schädigenden Stoffen, insbesondere eine Grenzwert überschreitende Konzentration von Formaldehyd, bei der Tätigkeit der Klägerin in der Qualitätskontrolle nach dem 1. Juni 1991 unwahrscheinlich sei. Der Krankheitsverlauf sei untypisch für eine Verschlimmerung einer berufsbedingten ob¬struktiven Atemwegserkrankung. Eine durch die Berufskrankheit bedingte MdE liege nicht vor. Die Anerkennung einer von der Klägerin vermuteten Multiple-Chemical-Sensitivity (MCS) könne beim derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht zur Anerkennung als BK empfohlen werden. Er hat trotz Einwendungen der Klägerin in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner gutachtlichen Einschätzung festgehalten.
Die Klägerin hat noch einen Befundbericht des Radiologen Dr. O. über eine Hirn-Szin¬ti¬gra¬phie vom 9. und 21. Oktober 1996 (verminderter Hirnfluss; eindeutig pathologisch; durch Klebedämpfe und Lösungsmittel möglich) vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der als Berufskrankheit anerkannten obstruktiven Atemwegserkrankung einer Rente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren, hilfsweise nach § 109 SGG ein toxikologisches Gutachten bei Prof. Dr. N., M., einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats, auch des früheren Verfahrens (Sozialgericht Reutlingen, S 8 U 434/96, Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 2 U 961/97) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 548 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Hinweise auf mehrerer Versicherungsfälle bestehen hier jedoch nicht.
Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539 , 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO), der in der Anlage eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehört nach Nr. 4302 der Anlage zur BKVO auch eine "durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktiven Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Das Vorliegen einer solchen BK 4302 ist bei der Klägerin anerkannt. Jedoch liegt keine MdE in rentenberechtigendem Grade vor.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Folgen der anerkannten BK 4302 liegen nicht in einem Umfang vor, die eine MdE um 20 v. H. begründen.
Eine BK 4302 ist eine Erkrankung der tieferen Atemwege (so auch das vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften [HVBG] herausgegebene Reichenhaller Merkblatt, April 2006, S. 29). Nicht Bestandteil der BK 4302 sind Beeinträchtigungen der oberen Atemwege, mögen diese auch, was Dr. M. und auch Dr. K. eingeräumt haben, einen beruflichen Zusammenhang aufweisen. Das gilt für die chronische Kehlkopfentzündung und die von Dr. S. diagnostizierte chronisch-hämorrhagitische Bronchitis, was bereits im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Februar 1998 (L 2 U 961/97) unter Bezugnahme auf die dort eingeholten Gutachten und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Oktober 1991 (L 3 U 137/80) ausführlich dargestellt worden ist. Der Senat sieht das genauso. Befunde der Rachenschleimhaut und Aussagen zu einem möglichen Zusammenhang mit Berufsstoffen, wie in dem von der Internistin T. vorgelegten Befundbericht der Pathologen Prof. Dr. F. vom 15. September 1993 enthalten, sind daher ohne Belang.
Abzustellen ist also allein auf die tieferen Atemwege. Maßgeblich ist hier die Zeit ab 1. Juni 1991, also nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit und Anerkennung der BK. Wesentliche Beeinträchtigungen der Lungenfunktion (tiefere Atemwege) sind in dieser Zeit weder in den Untersuchungen von Dr. M. noch von Dr. S. (so übereinstimmend Prof. Dr. Ko. und Prof. Dr. R.) und auch nicht von Prof. Dr. R. festgestellt worden. Die Gutachter, die sich im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren nach Aktenlage geäußert haben (Dr. K. , Dr. T. , Prof. Dr. Ko. ) sind zum gleichen Ergebnis gelangt. Danach ist lediglich von einer latenten Obstruktion auszugehen. Die von Dr. H. erhobenen Befunde während der Behandlung (vorgelegtes Schreiben an die Klägervertreter vom 25. April 2002) sowie in seinem Gutachten nach § 109 SGG (74% des Sollwerts, nach Therapiepause von über einem Monat 50% des Sollwerts) zeigen eine mäßige ob¬struktive Ventilationsstörung unter Medikation sowie eine erheblichere Ventilationsstörung ohne eine solche Medikation. Angesichts der abweichenden Messungen anderer Gutachter (zuletzt Prof. Dr. R.: 99,4 bzw. 99,6% des Sollwerts) bezweifelt der Senat die Richtigkeit dieser Ergebnisse und sieht sie nicht als nachgewiesen an. Die durch die Internistin T. mitgeteilten Befunde und Diagnosen - rezidivierende grippale und bronchiale Infekte mit Auswurf, Atemgeräuschen und Belastungskurzatmigkeit - sind unspezifisch und lassen keinen sicheren Bezug zu den tieferen Atemwegen erkennen. Eine Prüfung der Lungenfunktion war ihr mangels geeigneter Untersuchungsmittel nicht möglich.
Der Senat schließt sich damit der Einschätzung von Dr. M. , Dr. K. , Dr. T. und Prof. Dr. Ko. an, die auch von Prof. Dr. R. bestätigt worden ist, wonach eine MdE um 20 v. H. nicht erreicht wird. Nicht gefolgt wird der Einschätzung von Dr. H. , der eine MdE um 40 v. H. angenommen hat. Schon die als nachgewiesen anzusehenden Befunde lassen dies nicht zu, wie auch die übrigen Gutachter zutreffend ausgeführt haben. Mit Prof. Dr. R. ist weiterhin zu kritisieren, dass es im Gutachten von Dr. H. an einer differenzierten und detaillierten Auseinandersetzung mit arbeitstechnischen und arbeitsanamnestischen Daten sowie dem Krankheitsverlauf der Klägerin fehlt. Auch im Hinblick auf das Reichenhaller Merkblatt, S. 37 ff. lässt sich eine MdE um 40 v. H. nicht begründen. Dr. H. übersieht bereits, dass für die MdE-Einschätzung auf die Funktionswerte unter Medikation abzustellen ist (vgl. Reichenhaller Merkblatt, S. 16). Wenn er auf die über "Jahre hinweg ... doch erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität" der Klägerin abstellt, fehlt es an einer notwendigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit die sonstigen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin, insbesondere auf kardiologischem und auf orthopädischem Fachgebiet, hierfür verantwortlich sind.
Zumindest ergänzend zu berücksichtigen ist, dass auch der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich ist. Bei der Klägerin besteht, worauf zuletzt auch Prof. Dr. R. hingewiesen hat, eine Disposition zu wiederkehrenden infektiösen akuten Entzündungen im Bereich der oberen, aber auch der tieferen Atemwege. Dies folgt insbesondere aus dem Krankheitsverlauf nach Juni 1991, der - so nachvollziehbar Prof. Dr. R. - mit seiner Progredienz bzw. Verschlimmerung gegen einen Einfluss von Berufsstoffen spricht. Die genannte Disposition ist geeignet, einen erheblichen Teil der heutigen Beschwerden der Klägerin zu erklären. Die Einwendungen der Klägerin gegen sein Gutachten hat Prof. Dr. R. mit überzeugenden Einwendungen zurückgewiesen. Insbesondere gilt, dass eine bronchiale Reagibilitätsprüfung, wie sie die Klägerin im Gutachten von Prof. Dr. R. vermisst, Gefährdungen für die Klägerin begründen würde und zudem keine bedeutsamen Aussagen zum Kausalzusammenhang zuließe. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass Prof. Dr. R. hierauf verzichtet hat. Dass die Klägerin zuletzt die Kompetenz von Prof. Dr. R. und die Vollständigkeit der ihm zur Verfügung stehenden gutachtlichen Untersuchungsmethoden für eine Erstattung von Gutachten über eine BK 4302 in Zweifel gezogen hat, verwundert vor dem Hintergrund, dass Prof. Dr. R. von ihr selbst als Gutachter nach § 109 SGG benannt worden ist.
Die Bewertung der Gutachter, denen der Senat folgt, kann auch nicht deswegen in Zweifel gezogen werden, weil die Klägerin nach Juni 1991 noch gefährdenden Berufsstoffen ausgesetzt war, die eine Verschlimmerung ihrer Atemwegsbeschwerden erklären könnten. Dass die Klägerin auch während ihrer Tätigkeit in der Qualitätskontrolle chemisch-irritativen oder toxischen Dämpfen ausgesetzt war, haben die vom Sozialgericht gehörten Zeugen nicht übereinstimmend bestätigt. Der Senat kann es jedoch als wahr unterstellen, dass am Arbeitsplatz der Klägerin in der Qualitätskontrolle Gerüche aus dem benachbarten Sterilisierraum wahrnehmbar waren. Dieser Umstand sagt jedoch weder etwas über eine chemisch-irritative oder toxische Wirkung dieser Stoffe noch über deren Dosis aus. Der Zeugenbeweis ist auch untauglich, um hierauf entsprechende Feststellungen stützen zu können. Mit Prof. Dr. Ko. ist der Senat der Ansicht, dass auch bei Annahme einer nicht völligen Abdichtung zwischen den Räumen keine nennenswerte Schadstoffkonzentration im Arbeitsbereich der Klägerin bestand. Auch Prof. Dr. R. ist zu dieser Einschätzung gelangt. Er hat insbesondere ausgeführt, dass die Geruchsschwelle bei dem von der Klägerin als schädigenden Berufstoffen genannten Formaldehyd sehr niedrig liegt. Bei erheblichen Konzentrationen hätte sich ein leichtes Stechen in Augen, Nase und Rachen ergeben. Solches hat die Klägerin weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Da sich der Arbeitsplatz nach den eigenen Angaben der Klägerin vollständig verändert hat, kann aus heutigen Messungen von schädigenden Substanzen in der Atemluft nicht auf die Situation zur Zeit der Berufstätigkeit der Klägerin geschlossen werden. Jede weitere Annahme zu einer Belastung mit schädigenden Stoffen wäre spekulativ. Dies gilt auch für die vorgelegte Stellungnahme von Herrn Schw ... Aus dem Hirn-Szintigramm von Dr. O. vom 9. Oktober 1996 vermag der Senat keine Aussagen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen der Atemwege erkennen. Dr. O. hat zudem lediglich Ausführungen gemacht, die als eine ganz allgemeine, damit im konkreten Fall lediglich vage Vermutung ("möglich", "denkbar wäre auch") angesehen werden können; dies reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit nicht aus. Der Senat sieht daher keinen Ansatzpunkt für die Einholung eines toxikologischen Gutachtens und steht hierbei in Übereinstimmung mit Prof. Dr. R ...
Auch eine allergische Genese der obstruktiven Atemwegserkrankung (BK 4301) liegt nicht vor, wie dies bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 18. Februar 1998 (L 2 U 961/97) ausgeführt hat. Schon Dr. M. schloss eine allergische Genese im Gutachten vom 12. November 1990 aus. Schon damals, also als die Klägerin noch mit Montagearbeiten beschäftigt war, waren im Ergebnis negative allergologische Untersuchungen mit Prick- und Intracutantestungen durchgeführt worden, waren zirkulierende Antikörper vom IgE-Typ gegen Isocyanate nicht festgestellt worden. Dr. T. hat dieses Ergebnis auf Grund der in der Akte wiedergegebenen anamnestischen Angaben der Klägerin bestätigt und den Zusammenhang über die verwendeten Klebstoffe, damit auf einem chemisch-irritativen Weg begründet.
Die begehrte Rente kann auch nicht auf ein nach § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennendes MCS-Syndrom gestützt werden. Insoweit ist eine Prüfung schon deshalb verwehrt, weil hierzu - also zur Frage des Vorliegens einer "Quasi-BK" - die Beklagte noch keine Entscheidung getroffen, sondern ausschließlich eine Verschlimmerung der anerkannten BK 4302 geprüft hat. Eine "Quasi-BK" ist somit kein zulässiger Streitgegenstand. Unabhängig hiervon wäre diesem Begehren aber auch in der Sache kein Erfolg beschieden. Nach § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 551 Abs. 1 RVO/§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Das bedeutet, dass eine abgrenzbare (bestimmte) Personengruppe in Rede stehen muss, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt ist, wobei diese Einwirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten der jeweiligen Art zu verursachen. Es muss um "verordnungsreife" Berufskrankheiten gehen, die (nur) deshalb (noch) nicht gem. § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 1 SGB VII zu entschädigen sind, weil der Verordnungsgeber der BKV, der mit dem Erkenntnisfortschritt in der medizinischen Wissenschaft nicht Schritt halten kann, die regelmäßig in mehrjährigen Abständen novellierte BKV dem Stand der Wissenschaft (noch) nicht angepasst hat. Diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. nicht vor, was auch der einschlägigen Rechtsprechung der Landessozialgerichte (Senatsurteil vom 5. Februar 2003, L 10 U 138/02; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Februar 2004,L 4 U 43/03) entspricht.
Eine auf Grund § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennende und zu entschädigende Schädigung der oberen Atemwege durch Formaldehyd, wie von der Klägerin noch vorgebracht, scheidet auch deswegen aus, weil es am Nachweis einer entsprechenden Exposition fehlt, wie bereits dargestellt.
Die Einholung eines toxikologischen Gutachtens nach § 109 SGG bei Prof. Dr. N. wird abgelehnt.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Einer wiederholten Antragstellung muss jedoch nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand kann darin liegen, dass es sich bei den Ärzten jeweils um Spezialisten handelt, wobei jeder für sein Sachgebiet Stellung nehmen soll. Sind für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig, kann aber nicht pauschal vorgebracht werden, ein Vertreter der jeweils anderen Facharztgruppen verfüge über eine größere Sachkunde, vielmehr muss im Einzelfall dargetan werden, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall zusätzliche entscheidende Erkenntnisse vorbringen kann. Bei verwandten Fachrichtungen ist in der Regel kein Grund für ein weiteres Gutachten gegeben (Keller in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 109 Rdnr. 10b).
Hier soll Prof. Dr. N. , der Facharzt für Arbeitsmedizin und Internist mit Schwerpunkt Pneumologie ist, ein Gutachten erstatten, bei dem zumindest der Schwerpunkt die Toxikologie sein soll. Toxikologie ist Lehre von den Giften, das heißt die Lehre von den schädlichen Wirkungen chemischer Substanzen auf lebendige Organismen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 248. Aufl.). Sie ist keine eigenständige ärztliche Fachrichtung. Die Toxikologie ist jedoch Bestandteil der Ausbildung verschiedener ärztlicher Gebiete, Facharztausrichtungen und Schwerpunkte. Dies gilt etwa für die Gebiete Arbeitsmedizin (vgl. Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 15. März 2006, Sonderausgabe ÄBW 4/2006, S. 25) wie Hygiene und Umweltmedizin (Weiterbildungsordnung, a. a. O., S. 45), aber auch der Gebiete Haut- und Geschlechtskrankheiten, Öffentliches Gesundheitswesen, Pharmakologie, Rechtsmedizin und Betriebsmedizin (Weiterbildungsordnung, a. a. O., S. 43, 67, 70, 81, 89). Hier sind bereits Gutachten nach § 109 SGG durch Dr. H. , einem Internisten mit Schwerpunkt Lungen- und Bronchialheilkunde und Zusatzbezeichnung Allergologie, Umwelt- und Sportmedizin, und von Prof. Dr. R., einem Facharzt für Arbeitsmedizin mit Zusatzbezeichnung Umweltmedizin, erstattet worden. Damit sind die Fachrichtungen, für die Prof. Dr. N. steht, bereits erfasst. Dass er zu den hier maßgeblichen Fragestellungen - die schädliche Wirkung von Berufstoffen auf die Atemwege der Klägerin - zusätzliche entscheidende Erkenntnisse beitragen kann, ist nicht vorgetragen und für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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