L 5 R 4046/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 3541/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4046/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.8.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1956 geborene Klägerin (GdB 50) hat keinen Beruf erlernt. Zuletzt war sie ab Februar 1998 als Montiererin in Heimarbeit versicherungspflichtig beschäftigt (Verwaltungsakte - VA - S. 107, 135: Zusammensetzen von Etuischachteln für Schmuck). Seit Januar 2002 bezog sie Krankengeld (VA S. 57), ab 11.7.2003 erhielt sie Arbeitslosengeld für 660 Tage.

Am 26.9.2002 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung (VA S. 17). Zur Begründung gab sie an, sie leide unter Morbus Crohn, einer Wirbelsäulenerkrankung und Depressionen. Die Beklagte zog Arztunterlagen bei (u. a. Operationsbericht der Stadtklinik B.-B. vom 19.2.2002 - VA S. 95 -, Entlassungsbericht der Rehaklinik K. vom 4.4.2002 über einen stationären Aufenthalt vom 11.2. bis 25.3.2002, VA S. 211: Arbeitsfähigkeit wieder in zwei Wochen nach Entlassung; Kreiskrankenhaus F., Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 16.12.2002, VA S. 253) und veranlasste die Begutachtung der Klägerin auf internistischem, orthopädischem, augenärztlichem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet während eines Aufenthalts in der klinischen Begutachtungsstation der LVA Baden-Württemberg vom 14.4. bis 16.4.2003.

Der Internist Dr. M. untersuchte die Klägerin, erhob einen Tagesablauf (VA S. 125) und diagnostizierte im Gutachten vom 13.6.2003 (VA S. 119) auf seinem Fachgebiet einen Morbus Crohn mit rezidivierenden Bauchschmerzen. Die Klägerin habe täglich auftretende Bauchschmerzen, vor allem bei Aufregung, angegeben; nach dem Stuhlgang würden die Schmerzen verschwinden. Dazu komme es etwa dreimal am Tag. Während des stationären Aufenthalts seien maximal fünf Stuhlentleerungen täglich ohne Blutbeimengung aufgetreten. Wegen der Darmerkrankung könne die Klägerin schwere körperliche Arbeit nicht mehr leisten. Leichte und mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (mit qualitativen Einschränkungen) sowie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Montiererin könne sie aber weiterhin vollschichtig verrichten.

Der Neurologe und Psychiater Dr. Sch. fand im Gutachten vom 18.4.2003 (VA S. 145) eine eher geringgradig bis bestenfalls situativ mittelgradig ausgeprägte Depressivität bei psychasthenischer Grundpersönlichkeit ohne Anhaltspunkte für eine endogen depressive Erkrankung. Das Leistungsvermögen sei dadurch nicht wesentlich gemindert. Die Klägerin könne körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten und wie bisher als Montiererin tätig sein.

Der Augenarzt Dr. Schu. diagnostizierte im Gutachten vom 16.4.2003 (VA S. 161) eine Konjunktivitis sicca sowie Hyper- und Presbyopie. Wesentliche funktionelle Beeinträchtigungen folgten daraus nicht. Auch Präzisionsarbeiten könnten mit geeigneter Brille ohne Einschränkung ausgeführt werden.

Der Orthopäde Dr. S. fand im Gutachten vom 2.6.2003 (VA S. 169) eine chronisch rezidivierende Lumbalgie mit schmerzhafter Funktionseinschränkung der LWS und Minderung der Belastbarkeit bei ausgeprägter praesacraler Osteochondrose, ohne Hinweise auf eine lumbale Wurzelirritation sowie initiale Coxarthrose ohne nennenswerte Funktionseinschränkung der Hüftgelenke. Unter qualitativen Einschränkungen (kein ganztägiges Stehen und Gehen, keine chronische Zwangshaltung mit häufigem Bücken und Rumpfverdrehungen) könne die Klägerin nach wie vor im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen vollschichtig arbeiten.

Mit Bescheid vom 26.6.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Hinweis auf die Ergebnisse der Begutachtung ab.

Nachdem die Klägerin dagegen Widerspruch eingelegt hatte, holte die Beklagte die Stellungnahme des Dr. M. vom 25.7.2003 (VA S. 321) ein (keine Änderung der Leistungsbeurteilung). Mit Widerspruchsbescheid vom 18.9.2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 6.10.2003 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe. Das Sozialgericht holte Berichte behandelnder Ärzte ein und erhob auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Nervenarztes Dr. Dr. B. vom 8.6.2004 sowie (von Amts wegen) das internistisch-arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. Su. vom 5.7.2005.

Der Internist Dr. A. nahm an, die Leistungsfähigkeit der Klägerin werde maßgeblich durch ihre psychische Erkrankung beeinflusst; ohne Krankheitseinsicht und Behandlung sei eine Besserung kaum zu erwarten. Leichte Tätigkeiten könne die Klägerin täglich 4 bis 6 Stunden verrichten (Arztbericht vom 1.12.2003). Der Allgemeinarzt Dr. W. hielt die Klägerin wegen psychischer Erkrankung und ständig wechselnder Schmerzen für erwerbsunfähig (Arztbericht vom 5.12.2003). Der Neurologe und Psychiater Dr. Sa. führte aus, die Klagsamkeit der Klägerin habe sich ganz auf die nicht bewilligte Rente verlagert; aus seiner Sicht bestehe ein Desiderium. Aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin durchaus fähig, ihre langjährige Berufstätigkeit als Heimarbeiterin wieder auszuführen. Leichte Arbeiten könne sie mindestens 6 Stunden täglich verrichten (Arztbericht vom 9.12.2003). Zur gleichen Leistungseinschätzung gelangte der behandelnde Orthopäde Dr. G. (Arztbericht vom 28.1.2003). Der Allgemeinarzt Dr. W. führte am 29.11.2004 (SG-Akte S. 88) ergänzend aus, es liege eine stark wechselnde Stuhlfrequenz (sechs- bis zwanzigmal täglich) vor, weshalb sich die Klägerin zeitweise kaum aus dem Haus traue.

Dr. Dr. B. diagnostizierte auf seinem Fachgebiet (u.a.) ein ausgeprägtes chronifiziertes depressives Syndrom, das nur im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise im Sinne Kretschmers analysiert und erhellt werden könne, mit suizidalen Tendenzen und einer ausgeprägten Antriebsstörung. Eine vollschichtige Tätigkeit könne die Klägerin nicht mehr verrichten. Leichte Arbeiten könne sie höchstens 4 Stunden täglich leisten. Betriebsunübliche Pausen seien unerlässlich. Der jetzt festgestellte Krankheitszustand habe nach der vorgetragenen Anamnese seit Frühjahr 2001 bestanden. Der Einschätzung des Dr. Sch. in dessen Verwaltungsgutachten könne nicht gefolgt werden, da er die Depression nur als leicht- bis bestenfalls mittelgradig ausgeprägt angesehen habe, obwohl die Klägerin bei der Exploration angegeben habe, sie sei nichts mehr wert und das Beste für sie sei eine "Holzkiste".

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 22.9.2004 vor. Dieser verwies darauf, dass die im Verwaltungsverfahren getroffene Leistungsbeurteilung (u. a.) vom behandelnden Nervenarzt Dr. Sa. bestätigt worden sei. Die Diagnosen des Dr. Dr. B. seien auf Grund der Vorbefunde im Wesentlichen nicht nachvollziehbar. Neurologische Störungen hätten weder der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. Sa. noch die Ärzte der Rehaklinik Kandertal gefunden.

Dr. Su. diagnostizierte in seinem Gutachten einen Morbus Crohn nach operativer Teilentfernung des Dick- und Dünndarms, einen Zustand nach operativer Entfernung der Gallenblase im Januar 2002 sowie Hypertonie. Während des Rehabilitationsaufenthalts in der Klinik K. sei unter stationären Bedingungen eine Stuhlfrequenz von ein- bis zweimal täglich bei weitgehender Normalisierung des Stuhlganges nach Gabe von Quantalan festgestellt worden. Das widerspreche den Angaben der Klägerin, die über 6 bis 20 Stuhlgänge pro Tag seit mehr als 20 Jahren berichtet habe. Eine aktuelle Aktivität des Morbus Crohn liege angesichts des Blutbildes mit Sicherheit nicht vor. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt, eine Analinkontinenz auszuschließen. Der Ernährungszustand sei nicht beeinträchtigt; die Klägerin weise vielmehr starkes Übergewicht auf. Möglicherweise leide sie unter schwankender Stuhlfrequenz im Sinne eines Reizdarm-Syndroms. Unter qualitativen Einschränkungen könne die Klägerin leichte körperliche Arbeiten, bei Belastungsspitzen auch mittelschwere Arbeiten, im Gehen, Stehen oder Sitzen vollschichtig verrichten. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Etwa notwendige Toilettengänge könnten im Rahmen der so genannten Verteilzeiten erfolgen. Der derzeitige Gesundheitszustand bestehe mindestens seit dem Rentenantrag und habe sich seitdem nicht wesentlich verändert.

Das Sozialgericht befragte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 31.8.2005 insbesondere zu ihrem Tagesablauf (Sitzungsniederschrift SG-Akte S. 136) und wies die Klage mit Urteil vom 31.8.2005 ab. Zur Begründung führte es aus, die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht in rentenberechtigendem Maße gemindert. Sie sei insbesondere wegefähig und benötige auch keine betriebsunüblichen Pausen. Ihre Angaben, es komme täglich zu bis zu 20 Stuhlgängen, seien nicht objektiviert und widersprächen außerdem den Feststellungen der Verwaltungsgutachter und Reha-Ärzte sowie ihren eigenen Angaben; so habe sie bei der Begutachtung im Juni 2003 mitgeteilt, dreimal täglich Stuhlgang zu haben. Das Gutachten des Dr. Dr. B. sei nicht überzeugend und mit den Erkenntnissen der behandelnden Ärzte nicht vereinbar. Auch der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderte Tagesablauf spreche gegen eine ausgeprägte depressive Störung. So stehe sie um 5:30 Uhr auf und richtete das Vesper für einen ihrer Söhne; diese Tätigkeit wiederhole sie um 8:00 Uhr für den zweiten Sohn. Sodann werde im Laufe des Vormittags das Mittagessen für vier bis sechs Personen vorbereitet. Außerdem verrichte die Klägerin daneben leichte Haushaltsarbeiten, wie Abstauben und Staubsaugen. Nicht ersichtlich sei, aus welchen Gründen sie eine körperlich leichte und nervlich wenig belastende Arbeit nicht solle leisten können.

Auf das ihr am 22.9.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.9.2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor, wegen ihrer Morbus-Crohn-Erkrankung und ihrer Depressionen könne sie unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts nicht mehr arbeiten. Zuletzt sei sie auch im Rheumazentrum B.-B. behandelt worden, wo ein myofasziales Schmerzsyndrom bzw. Fibromyalgie diagnostiziert worden sei. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts sei insgesamt nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.8.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.6.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.9.2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.10.2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat den Bericht des Rheumazentrums B.-B. vom 19.9.2005 vorgelegt. Darin ist unter Wiedergabe der Anamnese ausgeführt, es hätten sich multiple druckschmerzhafte Sehnenansätze wie bei einer Fibromyalgie gefunden. Dabei handele es sich nicht um eine objektivierbare Krankheitsentität, sondern um einen nach phänomenologischen Kriterien erfassbaren Symptomkomplex; es werde ein multimodaler Behandlungsansatz empfohlen.

Der Senat hat die sachverständige Zeugenaussage des Orthopäden und Rheumatologen Dr. G. vom 23.1.2006 eingeholt und auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG das Gutachten des Dr. M. (Chefarzt der Abteilung Innere Medizin/Rheumatologie der F.klinik Bad B.) vom 17.8.2006 erhoben.

Dr. G. hat als Diagnosen ein LWS-Syndrom, Morbus Crohn, ein Fibromyalgiesyndrom sowie Somatisierungsstörungen mitgeteilt. Aus rein orthopädischer Sicht sei die Ausübung einer körperlich leichten Berufstätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nicht ausgeschlossen. Angesichts des komplexen Krankheitsbildes solle aber eine neurologisch-psychiatrische Beurteilung erfolgen. In einem an Dr. G. gerichteten Arztbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. Sa. ist ein etwas flacher Affekt, dysthym, subdepressiv, jedoch gut kompensiert, angegeben.

Dr. M. hat ausgeführt, die Klägerin habe (u. a.) über eine Stuhlfrequenz von 20/täglich berichtet und über Schlafprobleme und Schmerzen geklagt. Aus ihren Angaben im Rahmen der Fibromyalgie-Diagnostik lasse sich ein ausgeprägtes Aggravationsverhalten ableiten. Es würden extreme Beeinträchtigungen im Alltagsleben mitgeteilt; die Klägerin habe die Schmerzstärke bei der Analogskala viel stärker angegeben als bei der Auswertung des Schmerzfragebogens auf verschiedene Körperregionen. Auch bei Müdigkeit würden sehr ausgeprägte Einschränkungen angegeben, ebenso extreme Aufgeregtheit und Depressivität. Bei der internistischen Untersuchung habe sich ein altersbezogen unauffälliger Allgemeinzustand, ein guter Ernährungszustand und ein normaler Kräftezustand gezeigt. Die Klägerin habe mäßig depressiv gewirkt. Die Muskulatur sei normal kräftig ausgeprägt ohne Anhaltspunkte für Atrophie. Insgesamt sei eine deutliche Aggravationsneigung erkennbar geworden. Auch im Rahmen der Konsistenzprüfung hätten sich durchaus Differenzen beim An- und Auskleiden, das relativ zügig geschehen sei, zu den angegebenen Einschränkungen im Alltagsleben oder etwa zur Fähigkeit, den Nackengriff komplett auszuführen, ergeben.

In formaler Hinsicht seien die Klassifikationskriterien der amerikanischen Rheumatologiegesellschaft zur Klassifikation einer Fibromyalgie eindeutig erfüllt. Auch die vegetativen und funktionellen Symptome im Sinne der Begleitkriterien seien in sehr ausgeprägtem Ausmaß vorhanden, was zusätzlich die Diagnose der Fibromyalgie stütze. Eine wesentliche neurologische Symptomatik sei nicht erkennbar. Zur psychiatrischen Problematik könne lediglich ausgesagt werden, dass eine depressive Entwicklung bestehe im Rahmen der chronischen Schmerzerkrankung und auch im Rahmen des Morbus Crohn. Die Haupterkrankungen lägen ansonsten auf dem Fachgebiet der inneren Medizin sowie auf dem Fachgebiet der Schmerztherapie bzw. der internistischen Rheumatologie. Hinsichtlich des Morbus Crohn und der angegebenen Stuhlfrequenz sei erstaunlich, dass eine medikamentöse Therapie derzeit nicht durchgeführt werde. Auch ein angegebenes Asthma bronchiale werde nicht behandelt; bei der Untersuchung sei auch keine Asthmasymptomatik gefunden worden. Letztendlich bestehe aus Sicht der kombinierten Fachgebiete, der speziellen Schmerztherapie und der internistischen Rheumatologie eine chronische Schmerzerkrankung, die einer klassischen somatisch betonten Form einer Fibromyalgie entspreche. Es handele sich sicherlich nicht um eine bloße Krankheitsvorstellung, wenngleich eine gewisse Aggravationsneigung vorhanden sein dürfte bzw. doch eine Aggravationstendenz vorliege. Demgegenüber würde er, der Gutachter, ein Simulationsverhalten im engeren Sinne nicht erkennen wollen. Allerdings sei im Rahmen der Aggravationsneigung nicht auszuschließen, dass die Symptomatik während der Untersuchungssituation akzentuiert dargestellt werde; sie sei sicherlich auch außerhalb der Untersuchungssituation aber zumindest teilweise vorhanden.

Die therapeutischen Optionen im medikamentösen und nicht medikamentösen Bereich seien in keinster Weise ausgeschöpft. Auch eine Schmerzmedikation, die bei Morbus Crohn durchaus erlaubt sei, werde nicht durchgeführt. Der Morbus Crohn werde ebenfalls nicht spezifisch behandelt, was sehr ungewöhnlich sei angesichts des angegebenen Leidensdrucks durch die Stuhlfrequenz. Hier wäre eine medikamentöse Abhilfe wohl möglich. Auch im nicht medikamentösen Bereich bestünden erhebliche Defizite bei den Behandlungsmöglichkeiten, vor allem hinsichtlich der Schmerzsymptomatik. Ebenso sei eine Reha-Maßnahme in einer auf Fibromyalgie spezialisierten Klinik nicht durchgeführt worden. Insoweit sei es sehr wahrscheinlich, dass innerhalb eines halben Jahres die Symptomatik doch teilweise überwunden werden könne. Man würde der Klägerin doch abverlangen wollen, dass sie durch medikamentöse und nicht medikamentöse Therapien ihre Situation verbessere; auch eine Fitnessverbesserung durch Krankengymnastik könne man verlangen. Die dauerhafte Gewährung einer Rente werde demgegenüber eher kontraproduktiv sein, da möglicherweise Störungen aufrechterhalten blieben und ein Antrieb zur Verbesserung der Situation fehle.

Leichte körperliche Tätigkeiten könne die Klägerin verrichten. Allerdings sei sie derzeit auf Grund der massiven Schmerzsymptomatik und auch der Einschränkung durch die hohe Stuhlfrequenz nicht in der Lage, täglich 6 Stunden zu arbeiten. Das maximale Zeitfenster liege zwischen 3 bis unter 6 Stunden täglich. Begründet sei das durch die ausgeprägten schmerztherapeutischen Beeinträchtigungen, die zumindest teilweise glaubhaft seien, und die hohe Stuhlfrequenz. Allerdings sei klar darauf hinzuweisen, dass die therapeutischen Optionen in keiner Weise ausgeschöpft seien und es durchaus realistisch sei, innerhalb eines Jahres wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen zumindest für leichte körperliche Tätigkeiten zu erreichen. Besondere Pausen erschienen nicht erforderlich. Die Klägerin sei auch wegefähig. Insgesamt bestünden ganz erhebliche Behandlungsoptionen, sodass von einem erheblichen Verbesserungspotenzial auszugehen sei.

Die Beklagte hat abschließend die beratungsärztliche Stellungnahme des Internisten, Rheumatologen und Sozialmediziners Dr. L. vom 13.11.2006 vorgelegt. Darin heißt es, die Klägerin sei auf Grund ihrer Erkrankung sowohl auf der psychischen wie auf der körperlichen Ebene leichtgradig eingeschränkt. Eine Intensivierung der Behandlungsmaßnahmen sei möglich und zumutbar. Ein quantitativ leistungsmindernder Ausprägungsgrad der Gesundheitsstörungen liege nicht vor. Darüber hinaus wäre bei Therapieintensivierung mit einer rascheren Beschwerdelinderung zu rechnen, als von Dr. M. prognostiziert. Dessen Annahme eines quantitativ reduzierten Leistungsvermögens sei im Übrigen mit seinen zuvor erhobenen Befunden nicht vereinbar.

Die Klägerin hat zur Stellungnahme des Dr. L. abschließend vorgetragen und ihr bisheriges Vorbringen bekräftigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Urteil rechtsfehlerfrei dargelegt, nach welchen Vorschriften das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente nicht zusteht. Der Senat teilt auch die Beweiswürdigung des Sozialgerichts und nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist - insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen und das Ergebnis der im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen - auszuführen:

Bereits die im Verwaltungsverfahren erhobenen Gutachten der Dres Müller, Sch., Schu.und S. haben überzeugend ergeben, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht in rentenberechtigendem Maße gemindert ist. Bestätigt wurde dies im Kern durch die sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. Der Internist Dr. A. (Bericht vom 1.12.2003) nahm nämlich an, dass die Klägerin täglich 4 bis (jedenfalls) 6 Stunden leichte Arbeiten verrichten könne, wobei die Leistungsfähigkeit maßgeblich von psychischen Erkrankungen beeinflusst werde. Insoweit hielt der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. Sa. die Klägerin aber für imstande, sowohl ihre bisherige Tätigkeit als Heimarbeiterin wie leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu leisten (Bericht vom 9.12.2003). Zur gleichen Einschätzung gelangte der Orthopäde Dr. G. (Bericht vom 28.1.2003). Die abweichende Auffassung des Hausarztes Dr. W. (Berichte vom 5.12.2003 und 29.11.2004) kann demgegenüber nicht überzeugen. Zur profunden Beurteilung psychischer Erkrankungen verfügt er als Allgemeinarzt (im Unterschied zum Neurologen und Psychiater Dr. Sa.) nicht über die notwendige Sachkunde; außerdem hat er seiner Beurteilung ersichtlich allein die Behauptungen der Klägerin, namentlich zur hohen Stuhlfrequenz zu Grunde gelegt, die allerdings nicht glaubhaft sind. Aus den wesentlich gleichen Gründen ist das Sozialgericht zu Recht auch dem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten des Nervenarztes Dr. Dr. B. vom 8.6.2004 nicht gefolgt. Dieser hat seine Einschätzung ebenfalls auf die unkritisch übernommenen Angaben der Klägerin gestützt, was für eine fundierte und in einem Gerichtsverfahren brauchbare Begutachtung nicht ausreicht. So hat er etwa seine von der Beurteilung des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. und des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. Sa. abweichende Beurteilung hinsichtlich des depressiven Krankheitsbildes im Kern auf das Vorbringen der Klägerin gestützt, sie "sei nichts mehr wert" und das Beste für sie sei "eine Holzkiste". Dass Dr. Sa. eine Desiderium – ein Rentenbegehren – angenommen hatte, nahm Dr. Dr. B. demgegenüber ebenso wenig zur Kenntnis wie den Entlassungsbericht der Rehaklinik K. vom 4.4.2002, wo hinreichend gewichtige psychische Erkrankungen während eines stationären Aufenthalts nicht gefunden worden waren, und sah sich dadurch auch nicht dazu veranlasst, den Behauptungen der Klägerin mit der notwendigen kritischen Distanz gegenüber zu treten. Es fehlt jegliche nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den abweichenden Auffassungen der Vorgutachter. Dem gerichtlichen Gutachtensauftrag wird ein Gutachten dieser Art nicht gerecht; es trägt zur Erhellung des Sachverhalts so nichts wirklich Brauchbares bei. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. hat das in seiner zum Gutachten des Dr. Dr. B. abgegebenen beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.9.2004 letzendlich überzeugend bekräftigt. Außerdem belegt der vom Sozialgericht erhobene Tagesablauf der Klägerin, dass eine schwergradige Depression nicht vorliegen kann; das Sozialgericht hat das in seinem Urteil ebenfalls zutreffend dargelegt. Schließlich hat auch der Internist und Arbeitsmediziner Dr. Su. in seinem Gutachten vom 5.7.2005 eine rentenberechtigende Erwerbsminderung ausgeschlossen und dabei klar gestellt, dass der Morbus Crohn der Klägerin seinerzeit mit Sicherheit nicht aktiv gewesen sei, weshalb die Behauptungen der Klägerin zur Stuhlfrequenz (langjährig 6-20 Stuhlgänge täglich) schon aus diesem Grund bezweifelt werden müssten und diese außerdem ihren eigenen Angaben bei früheren Begutachtungen (Dr. M. vom 13.6.2003: 3 Stuhlgänge täglich) und den Erkenntnissen während des Aufenthalts in der Begutachtungsstation der LVA Baden-Württemberg (maximal 5 Stuhlgänge täglich) widersprachen.

Das Berufungsvorbringen der Klägerin ändert nichts. Auch mit Hilfe des nunmehr angeführten Fibromyalgie-Syndroms ist die begehrte Rente nicht zu erlangen. Erwerbsminderungsrente wird nicht für Diagnosen zuerkannt, sondern setzt eine nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften rentenberechtigende Minderung des Leistungsvermögens auf Grund funktioneller Einschränkungen voraus. Solche gibt es bei der Klägerin freilich (nach wie vor) nicht. Der behandelnde Orthopäde Dr. G., der nach seiner Facharztqualifikation für das Fachgebiet der Orthopädie und der Rheumatologie auch das Krankheitsbild des Fibromyalgie-Syndroms und daraus etwa folgende Leistungseinschränkungen kompetent beurteilen kann, hat die Klägerin in der vom Senat eingeholten sachverständigen Zeugenaussage vom 23.1.2006 für fähig erachtet, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten, was die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ausschließt.

Hinsichtlich etwaiger Leistungseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bleibt es ebenfalls dabei, dass eine rentenberechtigende Leistungsminderung nicht festzustellen ist. So hat der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. Sa. in einem an Dr. G. gerichteten Arztbrief lediglich über einen etwas flachen Affekt mit Dysthymia und subdepressiver Verstimmung, beides gut kompensiert, berichtet; eine hinreichend schwerwiegende und zu entsprechend weitgehenden Leistungseinschränkungen führende Erkrankung ist damit nicht beschrieben.

Eine solche kann der Senat auch dem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten des Dr. M. vom 17.8.2006 nicht entnehmen. Dem steht schon das vom Gutachter mehrfach betonte ausgeprägte und mit Befunden und Beobachtungen belegte Aggravationsverhalten der Klägerin entgegen. So hat sie extreme Beeinträchtigungen im Alltagsleben mitgeteilt und die Schmerzstärke bei der Analogskala viel stärker angegeben als bei der Auswertung des Schmerzfragebogens auf verschiedene Körperregionen. Demgegenüber hat sie nur den Eindruck mäßiger Depressivität vermittelt, verfügte über normal kräftig ausgeprägte Muskulatur ohne Anhaltspunkte für Atrophie und damit für Schonhaltungen. Auch im Rahmen der Konsistenzprüfung haben sich Differenzen beim (relativ zügigen) An- und Auskleiden zu den angegebenen Einschränkungen im Alltagsleben oder etwa zur Fähigkeit, den Nackengriff komplett auszuführen, ergeben. Auf der Grundlage dessen, können die Angaben der Klägerin nur eingeschränkt als Grundlage für eine Leistungseinschätzung herangezogen werden, zumal schon Dr. Sa. im Arztbericht vom 9.12.2003 ein Desiderium und damit ein (sachlich nicht gerechtfertigtes) Rentenbegehren mitgeteilt hatte. Insgesamt ergibt sich für den Senat das Bild einer Versicherten, die durch verfahrensorientiertes Vorbringen die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erwirken will. Unterstrichen wird das dadurch, dass nach den Erkenntnissen des Dr. M. die behaupteten schwerwiegenden Leiden der Klägerin letztendlich nicht therapiert werden, obgleich das möglich wäre. Wer wirklich und nicht nur vorgeblich unter den in Rede stehenden Erkrankungen und den damit einhergehenden Folgewirkungen leidet, will Heilung oder wenigstens Linderung erreichen, indem er um entsprechende ärztliche Hilfe nachsucht und sich um Genesung und Linderung auch selbst bemüht. Bei der Klägerin ist das offensichtlich nicht der Fall. Trotz der behaupteten hohen Stuhlfrequenz hat eine zur Abhilfe geeignete medikamentöse Therapie (jedenfalls bei der Begutachtung durch Dr. M.) nicht stattgefunden. Auch ein beim Gutachter angegebenes Asthma bronchiale wurde nicht behandelt. Insgesamt hat Dr. M. dezidiert die therapeutischen Optionen im medikamentösen und nicht medikamentösen Bereich für in keinster Weise ausgeschöpft erachtet, sowohl hinsichtlich des Morbus Crohn wie hinsichtlich geltend gemachter Schmerzen. Folgerichtig ist er damit zu der Annahme gelangt, dass (jedenfalls) innerhalb eines halben Jahres die Symptomatik doch teilweise überwunden werden könne, während die Rentengewährung eher kontraproduktiv wäre. Angesichts des von Dr. M. angenommenen erheblichen Verbesserungspotentials ist die in der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. L. vom 13.11.2006 geäußerte Auffassung überzeugend, dass bei entsprechender Therapie (auch) von einer rascheren Beschwerdelinderung auszugehen ist. Im Hinblick auf das offenkundige Fehlen eines zur Therapie motivierenden Leidensdrucks stimmt der Senat auch der Beurteilung des Dr. Lucas zu, wonach der von Dr. M. angenommenen – ohnehin nur zeitlich vorübergehenden – quantitativen Leistungsminderung nicht beigepflichtet werden kann. Der Gutachter widerspricht sich insoweit letztendlich selbst, als er hierfür auf die – wie dargelegt – auch aus seiner eigenen Sicht nicht überzeugende hohe Stuhlfrequenz und auf auch nur teilweise für glaubhaft erachtete Schmerzzustände beruft. Insgesamt bleibt es bei der Einschätzung der Vorgutachter, wonach eine rentenberechtigende Erwerbsminderung nicht festzustellen ist.

Das Sozialgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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