L 8 RA 103/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 7003/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 103/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als selbstständige Versicherungsvertreterin.

Die 1961 geborene Klägerin schloss mit Wirkung vom 01. August 1990 einen Agentenvertrag mit der S-Krankenversicherung a. G. , die mit weiteren Gesellschaften in Organisations- bzw. Arbeitsgemeinschaft steht (S-I-Gruppe). Gegenstand des Vertrages ist die Vermittlung von Versicherungsverträgen für die S und über die Signal für die mit ihr in Organisations- und Arbeitsgemeinschaft stehenden Gesellschaften. Nach den Vereinbarungen bestehen alle Rechte und Pflichten aus dem Agentenvertrag gegenüber der S. Nach dem Agentenvertrag ist sie mit Wirkung vom 01. August 1990 hauptberuflich als selbstständige Versicherungsvertreterin (im Sinne der §§ 84, 92 HGB) für die S tätig. Daneben ist sie seit dem 01. November 1995 bei der Firma M in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis versicherungspflichtig tätig.

Am 29. März 2001 beantragte die Klägerin die Befreiung von der Pflichtversicherung für Selbstständige bei einem Auftraggeber und legte dazu den Agentenvertrag mit der S, die Gewerbeanmeldung zum 01. August 1990, die Gehaltsabrechnung bei der M für Februar 2001 sowie Unterlagen über eine "Leibrentenversicherung auf ein Leben" ab 01. Dezember 1999 mit einer monatlichen Prämie von 505,- DM zum 01. Dezember 2000 vor. Ergänzend gab sie in dem diesbezüglichen Fragebogen an, dass sie aus der regelmäßig weniger als 15 Stunden wöchentlich ausgeübten Tätigkeit ein Arbeitseinkommen (Gewinn) von regelmäßig mehr als 630,-DM im Monat erziele und im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit keinen Arbeitnehmer beschäftige.

Den Antrag auf Befreiung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03. August 2001 ab und führte dazu aus, die Befreiung nach § 231 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) habe bis 30. Juni 2000 oder binnen eines Jahres nach dem Eintritt der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI beantragt werden müssen; der danach bis zum 30. Juni 2000 zu stellende Antrag sei erst am 29. März 2001 und damit zu spät gestellt worden. Der dagegen gerichtete Widerspruch, mit dem die Klägerin darauf verwies, sie habe erst zufällig im März 2001 Kenntnis erhalten, dass sie eventuell versicherungspflichtig wäre und umgehend den Antrag auf Befreiung gestellt, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2002). Zur Begründung verwies die Beklagte erneut unter Darlegung der Rechtslage auf die nicht fristgemäße Antragstellung.

Die dagegen gerichtete Klage vom 21. November 2002 hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 17. September 2003 abgewiesen und zur Begründung gemäß § 136 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Gegen das der Klägerin am 21. November 2003 zugestellte Urteil hat sich diese mit ihrer am 16. Dezember 2003 eingelegten Berufung gewandt, mit der sie weiterhin die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 231 Abs. 5 Nr. 3 SGB VI ab 01. Januar 1999 beansprucht. Die Voraussetzungen des § 231 Abs. 5 Nr. 3 SGB VI seien grundsätzlich erfüllt. Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin keine Kenntnis von der Notwendigkeit haben konnte, sich bei der Beklagten melden und einen Antrag auf Befreiung stellen zu müssen. Sie habe bereits Versicherungsbeiträge auf Grund ihres hauptberuflichen Angestelltenverhältnisses gezahlt und zum anderen sei die Versicherungspflicht für Teilselbstständige erst zum 01. Januar 1999 in Kraft getreten. Nach Kenntnis von einer möglichen Versicherungspflicht in weiterem Umfang habe sie sich umgehend bei der Beklagten gemeldet. Insofern liege allenfalls leichte Fahrlässigkeit vor. Aus dem Sinn und Zweck der §§ 2 Satz 1 Nr. 9 und 231 Abs. 5 SGB VI ergebe sich, dass eine Versicherungspflicht selbstständig Tätiger für solche Fälle gedacht sei, bei denen das Risiko einer Versorgungslücke bestehe, wenn sie wie quasi Angestellte anzusehen seien. Das sei vorliegend nicht der Fall, da die Klägerin aufgrund ihrer hauptberuflichen Tätigkeit bereits abgesichert sei.

Zum Anderen erscheine es notwendig, die Vorschrift des § 231 Abs. 5 SGB VI so auszulegen, dass die Frist für die Befreiung ab Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Nichtkenntnis der Versicherungspflicht beginne und nicht mit Beginn der Tätigkeit. Fristablauf ab Beginn der Tätigkeit führe in Fällen wie dem vorliegenden zu ungerechten Ergebnissen. Es stelle eine ungerechtfertigte Benachteiligung mit einer unverhältnismäßigen Belastung für die Klägerin dar, sofern sie an der Versicherungspflicht festgehalten werde, obwohl die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 231 Abs. 5 Nr. 3 SGB VI an sich vorlägen.

Laufe eine Frist unverschuldet zu Lasten des Betroffenen ab, ohne dass dieser die Möglichkeit habe, dagegen etwas zu unternehmen, stelle dies eine unverhältnismäßige Rechtsfolge da. In diesem Fall müssten die Grundsätze der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, des Vertrauensschutzes und von Treu und Glauben entsprechend angewandt werden. In einem vergleichbaren Fall habe das BSG (Urteil vom 11. Dezember 2002 – B 10 LW 14/01 R in SozR 3-5868 § 85 Nr. 8) bei der nachträglich festgestellten Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte zu Gunsten des Antragstellers entschieden. Insbesondere seien in den übergangsrechtlichen Fällen der Vertrauensschutz und das Informationsbedürfnis angesichts einer Vielzahl von Neuregelungen zu beachten. Der Klägerin könne eine Rechtsänderung ihres Zustandes nicht derart zum Nachteil gereichen, dass sie von der Befreiung der Pflichtversicherung nur aufgrund des Fristablaufes keinen Gebrauch machen könne. Die Klägerin habe ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis (Benachrichtigung der Signal Iduna sei erst am vom 15. März 2001 erfolgt) alle notwendigen Maßnahmen ergriffen. Der Gesetzgeber habe damit, dass er die Frist zur Befreiung nicht vor dem 30. Juni 2000 habe ablaufen lassen, zum Ausdruck gebracht, dass die Frist erst mit dem Status begründenden Verwaltungsakt der Feststellung einer Versicherungspflicht gegenüber dem Versicherten durch den Rentenversicherungsträger beginne. Eine andere Auslegung wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Zu denken sei nur an die Fälle, bei denen bei Betriebsprüfungen oder ähnliches für Jahre die Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI festgestellt würde, denen dann wegen Ablaufs der Jahresfrist die Möglichkeit zur Befreiung genommen wäre.

Eine rückwirkende Versicherungspflicht und die Beitragszahlungen für die Zukunft stellten für die Klägerin zudem eine unverhältnismäßige Härte dar. In Fällen wie dem geschilderten müssten nach einer Prüfung für Jahre Beiträge entrichtet werden, obwohl der Versicherte in anderer Weise gemäß § 231 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 o. 3 SGB VI Vorsorge getroffen habe.

Ergänzend trägt sie unter Hinweis auf ein Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2003 – L 1 RA 98/02 – vor, die Frist des § 231 Abs. 5 Nr. 3 SGB VI sei ohne Verschulden der Klägerin verstrichen, sodass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Aufgrund ihres Angestelltenverhältnisses sei ihr nicht vorzuwerfen, dass sie sich von der in den Medien besprochenen Versicherungspflicht für Selbstständige nicht betroffen gefühlt habe. Die Beklagte, der die selbstständige Tätigkeit der Klägerin bekannt gewesen sei, hätte vielmehr die Klägerin auf die neue, weitere Versicherungspflicht hinweisen müssen. Ein solcher Hinweis sei jedoch nicht erfolgt. Die Klägerin habe daher ihre Unkenntnis nicht verschuldet. Die Beklagte hätte daher Wiedereinsetzung gewähren müssen. Dies insbesondere auch deshalb, weil offensichtlich bei der fachkundigen Beklagten Unsicherheiten über den Ablauf der Frist bestanden hätten, denn sie habe in ihrem Schreiben vom 16. Oktober 2001 mitgeteilt, die Antragsfrist laufe erst zum 30. Juni 2001 ab. Eine entsprechend individualisierte Rechtsbeziehung wie im vom LSG entschiedenen Fall sei auch im vorliegenden Fall zwischen der Klägerin und der Beklagten gegeben, da die Klägerin bereits bei der Beklagten über ihren Arbeitgeber versichert gewesen sei. Wiedereinsetzung sei der Klägerin auch in Abwägung der beiderseitigen Interessen zu gewähren. Das individuelle Interesse sei hier höher zu bewerten, da die weitere Zahlungsverpflichtung der Klägerin diese deutlich belaste, ohne ihr hierfür jedoch Vorteile zu gewähren.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 03. August 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie ab dem 01. Januar 1999 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 231 Abs. 5 SGB VI zu befreien, hilfsweise Wiedereinsetzung wegen der versäumten Antragsfrist zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, dass der Sach- und Rechtslage entspreche. Die Klägerin habe den Befreiungsantrag nicht fristgerecht gestellt, sodass dem Antrag nicht zu entsprechen sei.

Zu dem von der Klägerin zur Stützung ihrer Auffassung angeführten Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen sei anzumerken, dass sich das dazu vor dem BSG anhängige Revisionsverfahren dadurch erledigt habe, dass der Kläger die Klage zurückgenommen habe (PM-Nr. 63/05 vom 28. November 2005). Im Zusammenhang mit dem In-Kraft-Treten des § 2 Satz 1 Nr. 9 und § 231 Abs. 5 SGB VI sei umfassend in allgemein zugänglichen Informationsquellen informiert worden; dass die Klägerin erst zu einem späteren Zeitpunkt von ihrer Auftraggeberin hierüber informiert worden sei, sei der Beklagten jedenfalls nicht zuzurechnen.

Aus dem bei der Beklagten existierenden Datenbestand sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Zeitraum zwischen August 1998 und 2001 um eine Beratung bei der Beklagten nachgesucht hätte. Hinweispflichten des Sozialversicherungsträgers ergäben sich nur dann, wenn aufgrund eines konkreten Sachverhaltes für den Sozialversicherungsträger nahe liege, dass hier ein Aufklärungs- bzw. Beratungsbedarf bestehe. Dies sei vorliegend unbestritten nicht der Fall gewesen.

Schließlich bestehe auch kein Erfordernis, die von der Klägerin angesprochene Rechtsprechung des BSG zur Alterssicherung der Landwirte auf die hier vorliegenden Sachverhalte zu übertragen. In dem entschiedenen Fall habe das BSG dem Betroffenen zwar eine sogenannte Überlegungsfrist auch nach Ablauf der eigentlich festgelegten Antragsfrist zugebilligt. Im Unterschied zum hier vorliegenden Sachverhalt sei dort die Antragsfrist jedoch zu einem gesetzlich genau festgelegten Datum abgelaufen. § 231 Abs. 5 SGB VI gehe aber davon aus, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht grundsätzlich innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Versicherungspflicht gestellt werden könne. Auf die Feststellung oder gar Kenntnis des Versicherten der Versicherungspflicht komme es dagegen nicht an. Aus der Formulierung, dass die Antragsfrist jedenfalls nicht vor dem 30. Juni 2000 ablaufe, sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den mit der Einführung des § 2 Satz 1 Nr. 9 nunmehr Versicherungspflichtigen auch eine ausreichende Überlegungszeit habe einräumen wollen. Für eine darüber hinausgehende Überlegungsfrist bestehe für die hier vorliegenden Fälle keinerlei praktisches Bedürfnis. Die Öffentlichkeit sei in den Jahren 1999/2000 auf die Änderung der Rechtslage für Selbstständige mit einem Auftraggeber hingewiesen worden. Sofern die Klägerin diese Informationen als für sich selbst nicht zutreffend eingestuft habe, sei dieser Irrtum ausschließlich ihr selbst zuzurechnen. Auch das &61506;SG habe in der angeführten Entscheidung ausgeführt, dass eine besondere Nachfrist dann nicht zustehe, wenn die verspätete Feststellung einer Versicherungspflicht von der Versicherten selbst verschuldet worden sei. Hiervon sei in Anbetracht der Vielzahl der veröffentlichten Informationen auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte (Versicherungsnr. 65 020661 H 519), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung als selbstständige Versicherungsvertreterin hat.

Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 231 Abs. 5 SGB VI. Nach dieser Vorschrift können sich Personen, die am 31. Dezember 1998 eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben, in der sie nicht versicherungspflichtig waren und danach gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig werden, unter bestimmten Voraussetzungen von dieser Versicherungspflicht befreien lassen. Diese Vorschrift bezieht sich damit auf die sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen sowie regelmäßig und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind und die auf Grund der gesetzlichen Neuregelung zum 01. Januar 1999 in dieser selbstständigen Tätigkeit erstmalig versicherungspflichtig werden. Diese Voraussetzungen sind ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Agentenvertrages zum 01. August 1990 und ihrer ergänzenden Angaben zu dem Befreiungsantrag gegeben. Da die Klägerin in ihrer selbstständigen Tätigkeit als Versicherungsvertreterin mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jahre 1990 nicht zu den Existenzgründern oder den in § 2 Satz 1 Nr. 1 – 8 SGB VI genannten Selbstständigen zählt, kommt für sie weder eine (zeitlich befristete) Befreiung nach § 6 Abs. 1 a SGB VI noch nach § 231 Abs. 6 SGB VI in Betracht, eine Befreiung ist mithin nur nach Maßgabe des § 231 Abs. 5 SGB VI möglich. Die Befreiung ist gemäß Satz 3 der Bestimmung binnen eines Jahres nach Eintritt der Versicherungspflicht zu beantragen; die Frist läuft nicht vor dem 30. Juni 2000 ab. Diese Frist hat die Klägerin mit ihrem am 29. März 2001 bei der Beklagten eingegangenen Antrag versäumt.

Die Versäumung der in § 231 Abs. 5 SGB VI genannten Antragsfrist bedingt jedoch nicht zwangsläufig eine ablehnende Entscheidung des Befreiungsantrags. Denkbar ist insofern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Klägerin ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies kann unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X nach § 27 Abs. 2 Satz 3 SGB X auch ohne Antrag geschehen.

Auch wenn bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob im Falle des § 231 Abs. 5 SGB VI Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs. 1 SGB X zulässig ist, so ist jedenfalls nicht fraglich, dass Wiedereinsetzung grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Rechts zulässig ist (BSG Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 – in BSG SozR 3-1300 § 27 Nr. 3 unter Hinweis auf BSG SozR 1300 § 27 Nr. 4). Unzulässig ist nach § 27 Abs. 5 SGB X die Wiedereinsetzung, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist oder sich aus Sinn und Zweck der jeweiligen Fristbestimmung ergibt. Ob in Auslegung des § 231 Abs. 5 SGB VI nach Sinn und Zweck der Vorschrift eine Anwendung der Wiedereinsetzung ausscheidet, kann im Ergebnis dahinstehen, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Denn die Unkenntnis von einer Rechtslage und vom Ablauf einer Frist lässt ihre Versäumung nicht als schuldlos erscheinen, wie sich aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen ergibt (BSG SozR 3-1300 § 27 Nr. 3; vgl. auch LSG für das Land Nordrhein Westfalen vom 09. September 2005 – L 13 R 19/05 in Breithaupt 2006, 392). Dafür, dass bei der Klägerin andere Gründe als ihre Unkenntnis von der Frist zu deren (unverschuldeten) Überschreiten geführt haben könnten, ergeben sich weder aus dem klägerischen Vorbringen noch aus dem Sachverhalt Anhaltspunkte.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem angeführten Urteil des BSG vom 11. Dezember 2002 (SozR 3-5868 § 85 Nr. 8). Die darin gewährte zusätzliche Überlegungsfrist wird aus dem Rechtsgedanken einer mit der Versicherungspflicht/Befreiung in Zusammenhang stehenden – und vorliegend fehlenden – Leistungen gewährenden Vorschrift gefolgert und soll insbesondere der Situation Rechnung tragen, dass die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 oder § 85 Abs. 3 b des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) rückwirkend festgestellt wird (vgl. BSG, Urteil vom 05. Oktober 2006 – B 10 LW 6/05 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, zitiert nach Juris) und hat damit eine andere tatsächliche und rechtliche Grundlage. Eine Übertragung auf den vorliegenden Fall erscheint schon von daher nicht möglich. Aber selbst wenn man die Gewährung einer zusätzlichen Überlegungsfrist im Falle des § 231 Abs. 5 SGB VI für möglich erachten wollte, bliebe zu beachten, dass diese nur eingeräumt werden kann, wenn die Frist ohne Verschulden versäumt worden ist (BSG, Urteile vom 11. Dezember 2002, aaO, und vom 05. Oktober 2006 aaO). Daran mangelt es jedoch, wie bereits im Rahmen der Wiedereinsetzung ausgeführt worden ist.

Eine noch fristgemäße Antragstellung lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unter Hinweis auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2003 (die zugrunde liegende Klage hat der Kläger im Revisionsverfahren B 12 RA 7/03 R zurückgenommen) annehmen. Dem Urteil des LSG lag die Annahme zugrunde, dass die Beklagte nach klägerischer Auffassung aufgrund eines früheren Auskunftsersuchens Kenntnis über die der dortigen (laufenden) freiwilligen Beitragsleistung zugrunde liegende selbstständige Tätigkeit hatte und es insofern dem Grundsatz von Treu und Glauben entspreche, dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren. Unabhängig davon, ob angesichts des zeitlichen Ablaufs in dem dort zu beurteilenden Sachverhalt die dargestellte Schlussfolgerung gerechtfertigt war, scheitert eine Übertragung jener Überlegungen auf den vorliegenden Fall jedenfalls daran, dass die Beklagte mit der Klägerin ausweislich des klägerischen Vorbringens und des Akteninhalts bezüglich der selbstständigen Tätigkeit in keinerlei Kontakt gestanden hatte. Die Klägerin macht selbst nicht einmal ansatzweise geltend, ihre Selbstständigkeit wäre im Rahmen einer Erörterung ihres Versicherungsverhältnisses auch nur am Rande erwähnt worden. Woher die Beklagte über die bloße Behauptung hinaus (Schreiben der Klägerin vom 28.04.2006) Kenntnis von der selbstständigen Tätigkeit hätte erlangt haben können, bleibt daher ohne Beleg.

Ein Anlass zu einer individuellen Information der Klägerin über die anstehende bzw. erfolgte Änderung der Rechtslage zur Versicherungspflicht von Selbstständigen bestand daher für die Beklagte nicht. Soweit die Klägerin eine zur individuellen Information verpflichtende individuelle Rechtsbeziehung daraus ableiten will, dass sie bei der Beklagten über ihren Arbeitgeber versichert gewesen sei, kann dies nur als abwegig bezeichnet werden, da sich daraus keinerlei Hinweise auf eine mögliche Betroffenheit ableiten lassen. Wollte man dies ernst nehmen, müsste man den Rentenversicherungsträger für verpflichtet halten, jedem bei ihm registrierten Versicherten (regelmäßig) Informationen über sämtliche (bevorstehenden) Rechtsänderungen zukommen zu lassen. Eine solche Verpflichtung sprengt jedoch den Rahmen einer angemessenen Verwaltungsarbeit; auch die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI setzt deshalb einen abgrenzbaren Personenkreis voraus (s. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 2 und 3).

An dieser Stelle ist ferner anzumerken, dass dem Befreiungsantrag auch nicht unter dem Gesichtspunkt des – von der Klägerin nicht ausdrücklich erwähnten – sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu entsprechen ist. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Klägerin (rechtzeitig) zwecks Beratung an die Beklagte gewandt hatte oder die Beklagte bei Befassung mit der Versicherungsangelegenheit der Klägerin zu einer sogenannten Spontanberatung über die Versicherungspflicht von Selbstständigen und die Befreiungsmöglichkeit verpflichtet gewesen wäre. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass aus der der Beklagten auferlegten und einen Herstellungsanspruch grundsätzlich nicht auslösenden allgemeinen Aufklärungspflicht ausnahmsweise ein entsprechender Anspruch resultiert. Denn es deutet nichts darauf hin, dass die allgemeine Aufklärung falsch war und die Klägerin dadurch von dem ihr sonst möglichen Antrag abgehalten worden ist.

Auch kann der Klägerin nicht gefolgt werden, soweit sie meint, die Fristbestimmung in § 231 Abs. 5 SGB VI sei so zu verstehen, dass sie auf den Zeitpunkt der Kenntnis vom Eintritt der Versicherungspflicht abstelle. Dass der Gesetzgeber gewollt habe oder verpflichtet sei, über den bei Gesetzesänderungen gegebenenfalls verfassungsrechtlich gebotenen übergangsrechtlich zu gewährenden Vertrauensschutz hinaus eine im Ergebnis zeitlich unbefristete Befreiungsmöglichkeit zu gewähren, ist nicht erkennbar und rechtlich nicht geboten. Auch der Hinweis der Klägerin auf die Belastung im Falle einer späteren Feststellung der Versicherungspflicht erfordert die von der Klägerin gewünschte Auslegung nicht. Den sich daraus ergebenden Belastungen hat der Gesetzgeber mit den Verjährungsvorschriften und der Möglichkeit der Einräumung von Zahlungserleichterungen Rechnung getragen. Der vorliegenden Fristenbestimmung kann daher nur eine (übliche) Übergangsvorschrift entnommen werden (so auch LSG Baden Württemberg, Urteil vom 07. Oktober 2003 – L 11 RA 2787/03 - , zitiert nach Juris), deren Versäumung nur in begrenztem Maß geheilt werden kann.

Schließlich ergibt sich aus der Betonung des Einzelfalles – hier gehe es abweichend von der üblichen Konstellation um die Beurteilung einer neben einer bereits verrichteten hauptberuflichen Beschäftigung ausgeübten selbstständigen Tätigkeit – keine Notwendigkeit, die Vorschrift abweichend von der dargestellten Auslegung anzuwenden. Denn der Gesetzgeber hat mit den §§ 5, 6 SGB VI hinreichend deutlich gemacht, unter welchen Voraussetzungen er ansonsten eine Beitragsleistung nicht verlangt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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