L 1 R 566/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 R 523/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 566/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, für ihn Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz – AVItech – (Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG)]) und entsprechende Verdienste für die Zeit vom 1. Juni 1972 bis zum 30. Juni 1979 festzustellen.

Er ist 1934 geboren und darf seit dem 21. Juni 1972 die Berufsbezeichnung Ingenieurökonom führen. Er war vom 10. Februar 1969 bis zum 5. Februar 1978 als F und Ingenieur beim Centrum-Warenhaus am Alex -später VVW Centrum-Warenhaus-, vom 6. Februar 1978 bis zum 30. Juni 1978 als F bei der Investbauleitung der Kooperationsgemeinschaft ZU "Konsument" und VVW Centrum (Kooperationsgemeinschaft) und vom 1. Juli 1978 bis zum 30. Juni 1979 als F beim VEB Centrum-Invest tätig.

Der Kläger beantragte im Juli 2003 die Anerkennung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Mit Bescheid vom 15. März 2004 stellte die Beklagte daraufhin die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juli 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech fest. Die Anerkennung der streitgegenständlichen Zeiten vom 1. Juli 1972 bis zum 30. Juli 1979 lehnte sie ab, da die Beschäftigung nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb ausgeübt worden sei. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2004 zurück. Zur Begründung gab sie unter anderem an, Produktionsbetriebe seien nur solche gewesen, deren Hauptzweck die industrielle Fertigung bzw. Produktion von Sachgütern gewesen sei.

In seiner Klage hiergegen hat der Kläger vorgetragen, das Centrum-Warenhaus habe stets Bauprojekte durchgeführt. Bis zur Inbetriebnahme des Warenhauses am Alex habe es sich gerade nicht um einen Einzelhandelsbetrieb gehandelt. Haupttätigkeit des Centrum-Warenhauses sei bis dahin die Erstellung und Sanierung des Verkaufsgebäudes gewesen. Der VEB Centrum-Invest habe als Generalunternehmer die Projektierung und Errichtung des Centrum-Warenhauses am Ostbahnhof durchgeführt. Die Beklagte hat unter anderem darauf hingewiesen, dass dem Centrum-Warenhaus am Alex die Wirtschaftsgruppe 52244 (Einzelhandelsbetriebe Industriewaren/Lebensmittel) im Rahmen der Planwirtschaft zugeordnet gewesen sei. Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klage mit Urteil vom 27. Februar 2006 abgewiesen. Die streitgegenständlichen Zeiten seien keine Zugehörigkeitszeiten im Sinne des § 5 Abs. 1 AAÜG. Bei den Arbeitgebern in dieser Zeit habe es sich nicht um volkseigene Produktionsbetriebe gehandelt. Das Centrum-Warenhaus am Alex sei bereits kein VEB gewesen, auch nicht nach seiner Umwandlung in die VVW (Vereinigung volkseigener Warenhäuser) Centrum-Warenhaus. Darüber hinaus seien aller Arbeitgeber auch keine Produktionsbetriebe gewesen. Auch der VEB Centrum-Invest sei als Generalauftragnehmer kein Produktionsbetrieb gewesen. Er habe nicht selbst produziert bzw. gebaut, sondern als Generalauftragnehmer die Bauleistungen durch Bauunternehmen durchführen lassen. Die verschiedenen Arbeitgeber seien jeweils auch keine den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellte Einrichtungen im Sinne der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844 f; VO AVItech) gewesen. Sie seien keine der dort aufgezählten Betriebsformen bzw. Institutionen gewesen. Die Bildung weiterer Fallgruppen sei nicht möglich.

Zur Begründung seiner Berufung hiergegen trägt der Kläger vor, beim Centrum-Warenhaus am Alex und beim VVW Centrum habe es sich um volkseigene Betriebe gehandelt, auch ohne die Bezeichnung VEB. Alle Arbeitgeber seien auch Produktionsbetriebe gewesen. Der Hauptzweck des Centrum-Warenhauses am Alex sei erst nach der Errichtung der Verkaufsräume die Einzelhandelstätigkeit gewesen. Insbesondere in der Zeit nach der Vereinigung zum VVW habe es sich bei der Errichtung der standardisierten Warenhäuser auch um Massenbau gehandelt. Hauptzweck der Investbauleitung der Kooperationsgemeinschaft sei die Errichtung von Warenhäusern und Ferienobjekten in nicht vorher bestimmter Anzahl gewesen. Auch der VEB Centrum-Invest sei schließlich ein eigener Produktionsbetrieb gewesen. Die Generalauftragnehmerschaft sei kein Selbstzweck gewesen, sondern habe der Errichtung von Gebäuden gedient. Es könne nicht darauf abgestellt werden, wer im Einzelnen welche handwerklichen Leistungen erbracht habe. Eine Trennung zwischen der Tätigkeit als Generalauftragnehmer und dem eigentlichen Baubetrieb sei nicht sachgerecht. Die Projektierung eines Bauvorhabens sei der erste Schritt der Realisierung und damit genau so bedeutend wie die Bauwerkserrichtung selbst. Die Ingenieure des Centrum-Invest hätten die Errichtung des Bauvorhabens von Anfang bis zum Ende begleitet und den Mitarbeitern des Hautauftragnehmers auch direkte Weisungen erteilt. Die Mitwirkung sei insbesondere bei allen Arten ungeplanter Eingriffe in das Baugeschehen erforderlich gewesen. So hätten sie z. B. entschieden, welcher Tätigkeit bei fehlenden Kapazitäten der Vorrang gebührt habe. Der Bauleiter einer Baustelle leistet Bauproduktionsleistungen. Die Abteilungen Investitionsvorbereitung und Realisierung des VEB Centrum-Invest seien direkt mit der Ausführung von Bauprozessen verknüpft gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2006 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Dezember 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit des Klägers vom 1. Juni 1972 bis zum 30. Juli 1979 als weitere Zeit der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die zu dieser Zeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Hauptzweck eines VEB auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein müsse. Industrie und Bauwesen seien in der DDR die führenden Produktionsbereiche gewesen. Hauptzweck eines Produktionsbetriebes des Bauwesens im Sinne der 2. DB müsse deshalb gewesen sein, Bautätigkeiten auszuführen. Der Hauptzweck werde nicht durch Hilfsgeschäfte und Hilfstätigkeiten geändert oder beeinflusst

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter anstelle des Senates einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte verwiesen, insbesondere auf die vom SG eingeführten Unterlagen zum VEB Centrum-Invest.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Urteils wird zunächst verwiesen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Der Kläger hat keine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG in direkter Anwendung. Er ist in der DDR niemals in das Versorgungssystem der AVItech einbezogen worden. Der Kläger hat auch keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 Abs. 1 AAÜG auf Feststellung der beantragten Zeiten als solche der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG.

Für welche Zeiten konkret die Zugehörigkeit zu einem Versorgungswerk festzustellen ist, bemisst sich nach § 5 Abs. 1 AAÜG. Diese Norm ordnet die Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung an, in denen der "Versorgungsberechtigte" eine entgeltliche Beschäftigung zu irgendeinem Zeitpunkt (notwendig vor dem 1. Juli 1990) ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 im AAÜG aufgelistet ist (so BSG, Urteil vom 26. 10. 2004 – B 4 RA 40/04 R – SozR 4 – 8570 § 5 Nr. 6 Rn. 15 m. w. N.). "Ihrer Art nach von einem Versorgungssystem" erfasst ist diejenige entgeltliche Beschäftigung, für die §§ 1 und 5 der VO AVItech einschlägig sind (BSG, aaO Rn. 16 ff.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat folgt, hängt der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Versorgungsberechtigung im Bereich der AVItech gemäß § 1 VO AVItech und § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. DB streng von drei Voraussetzungen ab (vgl. u. a. BSG Urteil vom 12. Juni 2001 -B 4 RA 117/00 R-, SozR 3-8570 § 5 Nr. 6; Urteil vom 10. April 2002 -B 4 RA 10/02 R- SozR 3-8570 § 1 Nr. 5; Urteil vom 6. Mai 2004, Az: B 4 RA 44/03 R). Der Betroffene muss - berechtigt gewesen sein, eine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Berufsbezeich¬nungen zu führen (Ingenieurökonomen waren dabei den Ingenieuren gleichgestellt), hier erst ab 21. Juni 1972 erfüllt, und - eine diesem Beruf entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben und zwar - für einen Arbeitgeber, der ein volkseigener Produktionsbetrieb im Bereich der In¬dustrie oder des Bauwesens oder der einem solchen Betrieb durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellt worden war.

Die betriebliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung eines Betroffenen in die AVItech zum 1. August 1991 ist nur erfüllt, wenn der VEB ein Produktionsbetrieb der In¬dustrie oder des Bauwesens war. Materiell-rechtlich kommt es allein darauf an, ob der vom arbeitgebenden VEB tatsächlich verfolgte Hauptzweck auf die industrielle Fertigung (Fabrika¬tion, Herstellung, Produktion) von Sachgütern ausgerichtet war. Die Frage, was der tatsächliche Hauptzweck eines bestimmten VEB war, ist keine Rechtsfrage; sie betrifft vielmehr die Haupttatsache, von deren Vorliegen die Erfüllung der o.g. betrieblichen Voraussetzung abhängt. Welche Aufgabe dem VEB faktisch das Gepräge gegeben hat, kann allein aufgrund der konkreten tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen VEB beurteilt werden (BSG, Urteil vom 6. Mai 2004, Az: B 4 RA 44/03 R).

Das SG hat zutreffend ausgeführt, warum hier nicht von Baubetrieben ausgegangen werden kann. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es sich beim Centrum-Warenhaus und der Kooperationsgemeinschaft um VEBs gehandelt hat. Bereits nach dem Namen ergibt sich der Hauptzweck, ein Warenhaus bzw. Warenhäuser zu betreiben. Hauptzweck war nicht die Errichtung von Bauwerken. Dass dazu zu Beginn der Unternehmenstätigkeit der Neubau bzw. die Renovierung und Umbau von Gebäuden erforderlich ist, macht ein Warenhausbetrieb nicht zu einem Bauunternehmen. Gleiches trifft für die Errichtung von Ferienobjekten für Betriebsmitarbeiter zu. Überdies spricht auf die planwirtschaftliche Zuordnung zur Wirtschaftsgruppe der Einzelhandelsbetriebe gegen einen Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken.

Der VEB Centrum-Invest ist als Projektierungsbetrieb bzw. Generalunternehmer ebenfalls kein Betrieb zur Massenerrichtung von Bauwerken gewesen.

Maßgeblich für diese Einstufung sind nicht die konkrete Tätigkeit des Klägers und die Feststellung, dass eine identische auch bei einem normalen Baubetrieb möglich gewesen wäre. Es spielt auch keine Rolle, dass die Projektierung eines Bauvorhabens notwendiger erster Teil der Realisierung ist und durch den Arbeitgeber als Generalunternehmer auch Aufgaben der Bauüberwachung durchgeführt wurden. Diese Dienstleistungen sind etwas anderes als die Bauerrichtung selbst (ebenso für Projektierungsbetriebe: Urteil des Senats vom 2. März 2007 – L 1 R 263/06; ferner Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26. 1. 2007 – L 22 R 742/06 –, vom 19. 10. 2006 – L 1 R 66/06 –, und vom 22. 6. 2006 – L 21 RA 295/03 -; speziell zu Generalauftragnehmern: vom 15. 11. 2006 – L 22 RA 288/04- und vom 14. 2. 2006 – L 12 RA 24/03 -).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den grundsätzlichen Ausschluss einer nachträglichen Einbeziehung nach dem 30. Juni 1990 und die Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG durch das BSG bestehen nicht, auch wenn die Kriterien den Betroffenen ungerecht erscheinen. Insbesondere ist der Gesetzgeber nicht aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz) gehalten, davon abzusehen, an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR anzuknüpfen. Er ist nicht verpflichtet, sich daraus ergebende Ungleichheiten rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht verletzt, da der Kläger in der DDR keine Versorgungszusage erhalten hatte, mithin nicht davon ausgehen konnte, dass seine Entgelte ohne die entsprechende Versicherung unbeschränkt berücksichtigt würden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04, 203/05, 445/05 und 1144/05 –; Beschluss vom 1. März 2006 - 1 BvR 320/06 -).

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Satz 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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