L 11 B 192/07 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 100/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 192/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 20.02.2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob den Antragsstellern (Ast) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 08.01.2007 zu bewilligen ist.

Der Ast zu 1) ist allein erziehender Vater der Ast zu 2) - 5). Er betreibt eine Weinscheune als selbstständiges Gewerbe. Hierfür erhält er einen Existenzgründungszuschuss. Laut einer Umsatz- und Rentabilitätsvorschau 2007/2008 erzielte er nur in den Monaten April bis Oktober Einkünfte aus dieser selbstständigen Tätigkeit.

Seinen Antrag auf Alg II vom 08.01.2007 lehnte die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheid vom 05.02.2007 ab. Neben den übrigen Einnahmen seien auch Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit zu berücksichtigen. Die für das Jahr 2007 zu erwartenden Einkünfte seien auf 12 Monate zu verteilen. Somit übersteige das Einkommen der Ast deren Bedarf. Über den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Ag noch nicht entschieden.

Die Ast haben einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Würzburg (SG) begehrt. Die Ag sei zu verpflichten, ihnen ab sofort Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Sie befänden sich in einer Notsituation, da kein Einkommen vorhanden sei. Bei der selbstständigen Tätigkeit handele es sich um einen Saisonbetrieb.

Das SG hat mit Beschluss vom 20.02.2007 die Ag verpflichtet, den Ast ab sofort vorläufige Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit sei allein auf die Monate zu verteilen, in denen Einkommen erzielt werde. Dies ergebe sich aus § 2a Abs 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen und zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Alg II/Sozialgeld (Alg II/Sozialgeld-Verordnung - AlgII-V -). Für die Vergangenheit seien jedoch keine vorläufigen Leistungen zu erbringen.

Dagegen hat die Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. § 2a Abs 2 Satz 3 Alg II-V sei auf Saisonbetriebe nicht anzuwenden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch nicht als begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).

Vorliegend sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zumindest als offen anzusehen. Insbesondere ist nicht nur die Frage der Verteilung des Einkommens aus saisonal betriebener selbstständiger Tätigkeit fraglich. Vielmehr ist ebenfalls fraglich, ob der Existenzgründungszuschuss als Einkommen anzurechnen ist, nachdem diesbezüglich auch ein Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht (B 7b AS 16/06 R) anhängig ist. Somit kommt dem Anordnungsgrund die entscheidende Bedeutung zu. Die Ast haben angegeben, sich in einer finanziellen Notlage zu befinden. Da es sich vorliegend um existenzsichernde Leistungen handelt, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund weniger streng zu beurteilen. Im Rahmen der damit zu treffenden Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Ast in der Zeit von Januar bis März unter Berücksichtigung der vorliegenden Umsatz- und Rentabilitätsvorschau keine Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielen werden. Damit ist davon auszugehen, dass ihr finanzieller Bedarf für diese Monate tatsächlich nicht gedeckt ist und die Existenz als gefährdet erscheint. Demgegenüber steht allein ein finanzielles Interesse der Ag. Dieses überwiegt jedoch nicht die Interessen der Ast an einer vorläufigen Bewilligung von Leistungen. Dabei ist auch zu beachten, dass lediglich die Monate Februar und März 2007 betroffen sind, denn das SG hat mit seinem Beschluss vom 20.02.2007 die Ag lediglich verpflichtet, ab sofort vorläufige Leistungen zu erbringen. Solche Leistungen sind nach der Umsatz- und Rentabilitätsvorschau allenfalls bis März 2007 zu erbringen, denn der Ast zu 1) erzielt laut der Umsatz- und Rentabilitätsvorschau ab April 2007 Einkommen in einer Höhe, das unter Berücksichtigung der übrigen Einnahmen den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft deckt.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den entsprechenden Anwendungen des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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