L 1 U 3997/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 1670/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3997/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Verletztengeld über den von der Beklagten bewilligten Zeitraum hinaus zusteht.

Der 1948 geborene Kläger war zuletzt seit 1995 als Montagearbeiter im Trockenbau beschäftigt und erlitt am 26.03.2004 einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Ellenbogentrümmerfraktur links zuzog, die osteosynthetisch versorgt werden musste. Nach ambulanter und mehrfacher stationärer Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. beurteilte Prof. Dr. W. die Stagnation der Behandlungsfortschritte während der stationären Heilbehandlung als einen Endzustand. Die Arbeitsfähigkeit im ehemaligen Beruf als Arbeiter sei nicht wieder eingetreten. Er empfahl die medizinische Heilbehandlung auch ohne Wiedererreichen der vollschichtigen Arbeitsfähigkeit abzuschließen, so dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine entsprechende leidensgerechte Tätigkeit suchen könne (Arztbrief vom 02.11.2004). Der von der Beklagten eingeschaltete Berufshelfer schloss aufgrund der unfallbedingten gesundheitlichen Einschränkungen eine Weiterbeschäftigung im Unfallbetrieb aus. Der bislang im Hilfsarbeiter- bzw. im Anlernbereich tätige Kläger sei bei der Vermittlung einer Tätigkeit auf eine Beschäftigung in diesem Bereich zu verweisen. Zur Verbesserung der Vermittlungschancen werde die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgeschlagen, nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Trainingsinstitut R. in K. käme eine Teilnahme an der dort angebotenen Schulung in Betracht (Aktenvermerk des Berufshelfers H. vom 25.11.2004). Nach Anhörung gewährte die Beklagten mit Bescheid vom 28.12.2004 eine sechswöchige Trainingsmaßnahme "Integration durch Erwerbstätigkeit" als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und bewilligte für die Dauer der Maßnahme Übergangsgeld. Vom 13.01.2005 bis 21.2.2005 nahm der Kläger an der Maßnahme teil.

Mit Bescheid vom 13.10.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger als vorläufige Entschädigung Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH ab 13.01.2005. Die Zahlung von Verletztengeld wurde am 12.01.2005 eingestellt. Dem Kläger wurde Arbeitslosengeld ab 24.02.2005 gewährt (Bescheide der Agentur für Arbeit K.vom 24.05. und 05.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.8.2005).

Auf Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers, ihm einen Bescheid über den Anspruch auf Fortzahlung von Verletztengeld zu erteilen, lehnte die Beklagten mit Bescheid vom 23.03.2005 die Gewährung von Verletztengeld ab 22.02.2005 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2005 zurück.

Der Kläger hat am 03.05.2005 beim Sozialgericht K. Klage erhoben und begehrt, ihm Verletztengeld über den 12.01.2005 hinaus bis zur Erschöpfung des Anspruchs in der 78. Woche zu bezahlen. Verletztengeld ende mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Behinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme. Außerdem ende Verletztengeld trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit erst, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen seien und eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufgenommen werden könne. Die Arbeitsfähigkeit habe er nie erreicht. Die Teilnahme an der Integrationsmaßnahme sei nicht erfolgreich gewesen. Es sei von vornherein abzusehen gewesen, dass die Maßnahme untauglich sei. Insofern bestehe der Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld.

Mit Urteil vom 28.06.2006 hat das Sozialgericht Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen ausgeführt, Verletztengeld ende an dem Tag, der dem Anspruch auf Übergangsgeld vorausgehe. Nach Ende der Schulungsmaßnahme sei kein neuer Anspruch auf Verletztengeld entstanden. Auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei ein Verletztengeldanspruch für die begehrte Dauer bis zur Erschöpfung des Anspruchs begründet. Der Herstellungsanspruchs setze voraus, dass ein Leistungsträger Pflichten verletzt habe und den hieraus entstandenen Schaden der Leistungsträger durch gesetzlich zulässige Amtshandlung ausgleichen kann. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da die Beklagte im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens den individuellen Gegebenheiten des Klägers Rechnung getragen habe, indem sie ein Institut, das speziell für Arbeitslose mit Migrationshintergrund ausgerichtet sei, zu der gewährten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben herangezogen habe.

Gegen das dem Kläger an 11.07.2006 zugestellte Urteil hat er am 09.08.2006 Berufung eingelegt und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Er macht außerdem geltend, er habe an der Trainingsmaßnahme nur teilgenommen, weil man ihm bei Weigerung gedroht habe, das Verletztengeld zu streichen. Es habe bereits vor Aufnahme der Trainingsmaßnahme festgestanden, dass er seine Tätigkeit als Montagearbeiter im Trockenbau wegen der gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben könne und die Arbeitsfähigkeit auch nicht mehr eintreten werde. Hierzu sei durch ein Sachverständigengutachten Beweis nach § 109 SGG einzuholen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.06.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 23.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztengeld über den 12.01.2005 hinaus bis zur Erschöpfung von 78 Wochen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat das im Verfahren des Sozialgerichts S 3 U 1240/06 auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte Gutachten vom 08.02.2007 vorgelegt. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei entbehrlich, auch wenn das vorgelegt Gutachten zur Höhe der MdE ergangen sei, seien die medizinischen Feststellungen verwertbar. Die Verweisung auf eine zumutbare Tätigkeit sei möglich.

Mit richterlicher Verfügung vom 04.05.2007 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

II

Die gem. §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 12.01.2005 hinaus.

Gem. § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG mit Verfügung des Berichterstatters vom 04.05.2007 hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld beurteilt sich nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII. Danach wird Verletztengeld erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung u. a. Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Übergangsgeld hatte. Das Verletztengeld endet mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme (§ 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) oder mit dem Tag, der dem Tag vorausgeht, an dem ein Anspruch auf Übergangsgeld entsteht (§ 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VII). Außerdem endet das Verletztengeld nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, wenn mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, gem. Nr. 1 mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung soweit abgeschlossen ist, dass die Versicherten eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen können, oder gem. Nr. 2 mit Beginn der in § 50 Abs. 1 Satz 1 des SGB V genannten Leistungen, es sei denn, dass diese Leistungen nicht mit dem Versicherungsfall in Zusammenhang stehen, oder gem. Nr. 3 mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung.

Nach dieser Regelung ist dem Kläger zutreffend Verletztengeld für die Dauer seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bis 12.01.2005 gewährt worden. Mit Beginn der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben, an der der Kläger vom 13.01.2005 bis 21.02. 2005 auch teilgenommen hat, hat er auch einen Anspruch auf Übergangsgeld nach § 49 SGB VII erworben. Danach wird Übergangsgeld erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten. Das dem Kläger auch tatsächlich für den Zeitraum ab 13.01.2005 ausbezahlte Übergangsgeld steht der Weiterzahlung von Verletztengeld nach § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VII entgegen, da Verletztengeld mit dem Tag endet, der dem Tag der Entstehung des Anspruchs auf Übergangsgeld vorausgeht.

Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger eine ungeeignete Maßnahme bewilligt wurde. Abgesehen davon, dass die Bewilligungsentscheidung bestandskräftig ist und der Kläger die Maßnahme angetreten hat, ist zur Überzeugung des Senats auch erkennbar, dass die Bewilligung rechtmäßig war. Der in seinem Beschäftigungsbetrieb nicht mehr einsetzbare Kläger sollte durch das beauftragte Trainingsinstitut u. a. mit arbeitsmarktintegrativen Leistungen, wie Anstoß und Unterstützung für Bewerbungen in seiner Gesundheit angepassten Bereichen bevorzugt bei türkischen Firmen in der Umgebung seines Wohnorts - bei vorhandener Mobilität -, im Arbeitsmarkt wieder eingegliedert werden oder zumindest Techniken erlangen, die eine Wiedereingliederung ermöglichen (vgl. vorgelegte Zielvereinbarung des Trainingsinstituts R. vom 13.01.2005 und Ergebnisbericht des Instituts von 05.03.2005). Der ausgebliebene Erfolg spricht nicht für die Ungeeignetheit der Maßnahme, zumal sich aus dem Ergebnisbericht des Instituts eine geringe Kooperationsbereitschaft des Klägers und eine Erwartungshaltung auf Gewährung von Rente ergibt.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung lebt der Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld wegen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit und einer erfolglos durchgeführten Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht wieder auf. Dies folgt zum einen aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelung des § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VII (so ausdrücklich Der Unfallsachbearbeiter, Stichwort Übergangsgeld Nr. 405, S. 1; vgl. auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung § 49 Rdnr. 6.2.). Danach wird das Ende der Verletztengeldzahlung mit dem Anspruch auf Übergangsgeld verknüpft und nicht etwa nur eine Unterbrechung für die Dauer der Gewährung von Übergangsgeld angeordnet. Zum anderen ergibt dies auch die systematische Auslegung. Nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII beginnt die Verletztenrente von dem Tag an, der dem Ende des Anspruchs auf Verletztengeld folgt. Verletztenrente und Übergangsgeld werden nebeneinander gezahlt, um den Einkommensverlust aus dem im Vergleich zum Verletztengeld geringeren Leistungsanspruch auf Übergangsgeld auch bei fortbestehender unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit abzufedern. Verletztengeld und Verletztenrente sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auf der Grundlage der erstmaligen Erkrankung durch Unfallfolgen grundsätzlich nicht gleichzeitig gewährt werden. Ein Nebeneinander von Verletztenrente und Verletztengeld kommt nur in Fällen der Wiedererkrankung in Betracht.

Außerdem ist die Vorschrift des § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, auf die der Kläger sinngemäß abstellt, vorliegend bereits deshalb nicht anwendbar, weil nach Ende der Maßnahme entgegen der Auffassung des Klägers nicht von einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat dem Kläger nach seiner Arbeitslosmeldung am 24.02.2005 Arbeitslosengeld gewährt und ist hierbei von der Verfügbarkeit des Klägers ausgegangen. Auf die Nahtlosigkeitsregelung in Folge von Erwerbsunfähigkeit bis zur Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Arbeitslosengeldbewilligung nicht gestützt. Der rechtliche Maßstab zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ändert sich nach Eintritt der Arbeitslosigkeit insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht die konkreten Verhältnisse an dem zuletzt innegehabten Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist (Bereiter-Hahn a. a. O. § 45 Rdnr. 5.4. mit Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.2.2001, HV-Info 720/2001, 2480), wobei zu berücksichtigen ist, dass die vom Versicherten vor dem Versicherungsfall ausgeübte Tätigkeit im Baugewerbe keine Facharbeitertätigkeit war, sondern nach Einschätzung des Berufshelfers dem ungelernten/angelernten Bereich zuzuordnen war. Der somit seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entsprechend auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisbare Kläger ist trotz der unfallbedingten gesundheitlichen Einschränkung arbeitsfähig für alle einfachen ungelernten bzw. ange¬lernten Tätigkeiten, bei denen eine volle Einsetzbarkeit des linken Arms nicht erforderlich ist.

Der Senat hat auch keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gesehen. Auf die vom Kläger angeregten medizinischen Ermittlungen kommt es nicht an. Die mit dem Antrag nach § 109 SGG aufgeworfene, für aufklärungsbedürftig erachtete Frage, ob Arbeitsunfähigkeit als Montagearbeiter im Trockenbau bereits vor der gewährten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bestanden und auch nach deren Beendigung noch vorgelegen habe, ist nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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