L 1 B 436/07 KR

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 4 KR 209/05
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 436/07 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ist in einem gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach dem SGG keine Entscheidung in der Hauptsache ergangen, ist die Kostenentscheidung des Sozialgerichts nach § 197a SGG in Verbindung mit § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar.
Die Beschwerden der Beklagten gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Kiel vom 20. Oktober 2006 werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten stritten in den Hauptverfahren S 4 KR 167/05, S 4 KR 200/05, S 4 KR 207/05, S 4 KR 209/05 vor dem Sozialgericht Kiel um Krankenhausbehandlungskosten.

Nachdem die Kammer die jeweiligen Krankenunterlagen der Versicherten beigezogen hatte, erklärten die Beteiligten die Verfahren zunächst wegen der geltend gemachten Behandlungskosten und später auch wegen der Verzugszinsen für erledigt. Die Klägerin stellte jeweils Kostenanträge.

Mit Beschlüssen vom 20. Oktober 2006 hat das Sozialgericht Kiel der Beklagten jeweils die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Rechtsgrundlage hat das Gericht in den gleichlautenden Beschlüssen auf § 197a Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 161 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verwiesen. Danach entscheide das Gericht über die Kosten durch Beschluss nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der bisherigen Sach- und Rechtslage. Vorliegend habe die Klägerin jeweils zu Recht die Übersendung einer medizinischen Begründung für die Notwendigkeit der stationären Behandlung auf die Aufforderung hin verweigert. Die Klage habe deshalb Aussicht auf Erfolg gehabt.

Gegen die der Beklagten jeweils am 8. November 2006 zugestellten Beschlüsse richten sich deren Beschwerden vom 24. Novem¬ber 2006, denen das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (L 5 B 308/07 KR, L 5 B 314/07 KR, L 5 B 313/07 KR, L 5 B 312/07 KR). Die Beklagte hält die Beschwerden gegen die Kostenentscheidungen für zulässig. Nach ihrer Auffassung enthalte § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG im Ergebnis keine Verweisung auf § 158 Abs. 2 VwGO. Sollte die Beschwerde dagegen nicht zulässig sein, möge sie als außerordentlicher Rechtsbehelf dienen. In der Sache halte sie die Kostenentscheidung aus rechtlichen Gründen für fehlerhaft.

Demgegenüber hält die Klägerin die Beschwerden für unzulässig, da § 197a Abs. 1 2. Halbsatz SGG ausdrücklich auf die Regelungen der §§ 144 bis 162 VwGO verweise. Gemäß § 158 Abs. 2 VwGO sei kein Rechtsmittel gegeben, wenn in der Hauptsache keine Entscheidung ergehe. Im Übrigen sei die Kostenentscheidung auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Mit Beschluss vom 18. April 2007 hat der 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts die Beschwerden zur gemeinsamen Entscheidung unter Führung des Aktenzeichens L 5 B 308/07 KR verbunden. Wegen der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts gegebenen Zuständigkeit des 1. Senats in Knappschaftssachen sind die Sachen in die Zuständigkeit des 1. Senats übergegangen.

II.

Die Beschwerden sind vorliegend als unzulässig zurückzuweisen, da sie nicht statthaft sind.

Nachdem die Beteiligten die Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, musste das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin über die Kosten entscheiden. Da keiner der Beteiligten zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört, ist die Kostengrundentscheidung nicht nach § 193 SGG, sondern nach § 197a Abs. 1, 3. Halbsatz SGG zu treffen. Hierfür bestimmt das Gesetz die entsprechende Anwendung der §§ 154 bis 162 der VwGO. Gemäß § 158 Abs. 2 VwGO ist eine Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist.

In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob die Vorschrift des § 158 Abs. 2 VwGO mit dem Ausschluss der Beschwerde in den gerichtskostenpflichtigen Verfahren vor den Sozialgerichten anwendbar ist. Dass § 158 Abs. 2 VwGO nicht anwendbar sei, meinen: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 25. August 2003 - L 5 B 25/02 KR - Breith. 2003, 877; LSG Potsdam, Beschl. vom 28. April 2004 - L 6 B 44/03 AL ER - SGb 2005, 55; Knittel in: Hennig, SGG, Loseblattausgabe, § 197a Rdnrn. 17, 18; im Ergebnis auch Rohwer-Kahlmann, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz (SGG), Loseblattausgabe, § 172 Rdnr. 24.

Der Senat folgt jedoch der anders lautenden Auffassung, wonach § 158 Abs. 2 VwGO bei unstreitiger Verfahrenserledigung in einem gerichtskostenpflichtigen sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist (siehe bereits Beschluss des erkennden Senats vom 3. Januar 2007 – L 1 B 84/06 U -; so auch LSG Hessen, Beschl. v. 29. März 2004 - L 14 B 55/03 P -, zitiert nach Juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 6. Oktober 2004 - L 3 B 79/03 KA - Breith. 2005, 446; so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28. April 2003 - L 11 B 8/03 KA -, so angegeben in LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25. August 2003, a.a.O.; M. Krasney, Anm. zu LSG Berlin, Beschl. v. 28. April 2004, a.a.O., in SGb 2005, 57; Binder in: HK-SGG, 2003, § 197 Rdnr. 12; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2002, § 197a Rdnr. 21; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 197a Rdnr. 21, Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, S. 516). Der Senat lässt sich von folgenden Gründen leiten:

Der Gesetzeswortlaut erfasst mit seiner Verweisung auch § 158 Abs. 2 VwGO. Mit dem Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG-ÄndG) hat der Gesetzgeber die Gebührenprivilegierung nach den §§ 183 ff. SGG für bestimmte Streitigkeiten, wie z. B. Vertragsarztverfahren, aufgehoben. Für die jetzt der Gerichtskostenpflicht unterworfenen sozialgerichtlichen Verfahren hat der Gesetzgeber davon abgesehen, eigenständige Kostenregelungen in das SGG aufzunehmen. Vielmehr hat er umfassend auf die Regelungen der §§ 154 bis 162 der VwGO verwiesen. Dadurch hat er ein zweites völlig neues Kostensystem in das Sozialgerichtsgesetz eingefügt (s. LSG Hessen, Beschl. vom 29. März 2004 - a.a.O.; M. Krasney, a.a.O.).

Ausnahmen von der Verweisung hat der Gesetzgeber nur in § 197a Abs. 1 Satz 2 SGG und in dessen Abs. 2 zugelassen und ausdrücklich geregelt. Er hat die Notwendigkeit von Ausnahmen erkannt und dementsprechend die Neuregelung konzipiert. Für § 158 Abs. 2 VwGO hat er keine Notwendigkeit einer Ausnahme gesehen. Es ist also nach dem Wortlaut und dem System der Neuregelung davon auszugehen, dass die §§ 154 bis 162 VwGO so angewendet werden, wie im Verwaltungsprozess.

Inhaltlich ist die Verweisung auch nicht so zu verstehen, dass die Vorschriften der §§ 154 - 162 VwGO lediglich "entsprechend" anzuwenden sind. Vielmehr ist mit dieser Verweisung gemeint, dass diese Vorschriften bei Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG unmittelbar und direkt gelten sollen. Es stellt sich also gar nicht die Frage, ob der Sinn und Zweck sozialgerichtlicher Kostenvorschriften die Anwendbarkeit der §§ 154-162 VwGO einschränken.

Aber auch, wenn man Sinn und Zweck der kostenrechtlichen Regelungen im SGG prüft, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Verweisung auf § 158 Abs. 2 VwGO sinn- und zweckvoll ist und dem wirklichen Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Gesetzesmaterialien (siehe BR-Drucksache 73/01 vom 29. Januar 2001; BR-Drucksache 132/01 vom 16. Februar 2001; BR Drucksache 453/01 vom 22. Juni 2001; BT-Drucksache 14/5943 vom 4. Mai 2002) besagen nichts darüber, dass der Wille des Gesetzgebers dahin geht, § 158 Abs. 2 VwGO von der Verweisung auszunehmen. Der gesetzgeberische Wille erschließt sich daher aus dem Sinn und Zweck der Unterscheidung, die das 6. SGG-ÄndG getroffen hat.

Die unterschiedliche Regelung in gerichtskostenfreien und gerichtskostenpflichtigen Verfahren ist die zwangsläufige Folge davon, dass der Gesetzgeber mit den Änderungen des 6. SGG-ÄndG ganz bewusst ein vollständig neues Kostensystem für die gerichtskostenpflichtigen Verfahren eingeführt hat. Denn es besteht kein sozialpolitischer Grund, dem Kreis der Beteiligten nach § 197a SGG kostenrechtlich ein Beschwerderecht zuzugestehen. Wie im Verwaltungsrecht braucht dieser Beteiligtenkreis das Beschwerderecht nicht. Die Beteiligten stehen sich wirtschaftlich gleich stark gegenüber und es ist ihnen zuzumuten, eine an der Erfolgsaussicht orientierte Kostenentscheidung des Gerichts hinzunehmen. Anders verhält es sich bei dem Beteiligtenkreis des § 183 SGG. Für diese Beteiligten kann die Kostentragungspflicht existenzielle Bedeutung haben. Deshalb ist ihnen aus sozialrechtsstaatlichen Gründen ein Beschwerderecht zu gewähren.

Schließlich entspricht der Ausschluss der Beschwerde nach § 158 Abs. 2 VwGO in gerichtskostenpflichtigen sozialgerichtlichen Verfahren auch den weiteren Zielsetzungen des 6. SGG-ÄndG. Ziel dieses Gesetzes ist nämlich auch eine Straffung und Beschleunigung sozialgerichtlicher Verfahren, wozu auch der Ausschluss nicht unbedingt erforderlicher Rechtsbehelfe gehört (im Ergebnis so auch LSG Schleswig Beschl. v. 19. Juli 2005 – L 4 B 88/05 KA).

Die kostenrechtlichen Regelungen des 6. SGG-ÄndG lassen nach alldem auch keine unbewusste Gesetzeslücke erkennen, die durch Analogie zu schließen wäre.

Die Beschwerden der Beklagten sind unzulässig.

Eine Umdeutung der Beschwerden in außerordentliche Rechtsbehelfe nach § 178a SGG hilft der Beklagten nicht, weil die Frist des § 178 Abs. 2 SGG nicht eingehalten ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Stoll Brandt Daumann
Rechtskraft
Aus
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