L 10 AL 328/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 532/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 328/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.07.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob sich die Beklagte gegenüber der Erstattungsforderung des Klägers hinsichtlich der vor dem 01.12.1999 zu Unrecht entrichteten Beiträge auf Verjährung berufen darf.

Der 1946 geborene Kläger war ab dem 28.12.1988 Geschäftsführer der Firma "V. Speditions-GmbH". Seit dem 01.01.1992 war er Gesellschafter mit einer Stammeinlage von 10.000,00 DM (= 10 vH) und seine Ehefrau C.L. Gesellschafterin mit einer Stammeinlage von 90.000,00 DM (= 90 vH). Nachdem die DAK dem Kläger mit Schreiben vom 23.03.2004 mitgeteilt hatte, dass er ab 01.01.1992 dem Personenkreis der selbstständig Tätigen zuzuordnen sei, stellte er bei der Beklagten am 30.03.2004 Antrag auf Beitragserstattung. Mit Bescheid vom 04.05.2004 stellte die Beklagte fest, dass die Beiträge zur Beklagten im Zeitraum vom 01.01.1992 bis 31.03.2004 in voller Höhe zu Unrecht entrichtet worden seien. Der Erstattungsanspruch für die vor dem 01.12.1999 entrichteten Beiträge sei verjährt. Daher könnten die zu Unrecht entrichteten Beiträge für die Zeit vor dem 01.12.1999 in Höhe von 22.048,97 DM (= 11.273,46 EUR) nicht erstattet werden. Es errechne sich ein Erstattungsanspruch vom 01.12.1999 bis 31.03.2004 in Höhe von 7.308,16 EUR.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, dass der Erstattungsanspruch bei entgegenstehender Einrede der Verjährung nicht ohne Weiteres untergehe, sondern seinen Charakter als Rechtsanspruch in einen Ermessensanspruch umwandele. Vorliegend sei das Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt worden. Es sei lediglich die pauschale Feststellung getroffen worden, besondere Gründe, die Einrede der Verjährung nicht zu erheben, lägen nicht vor. Zudem wäre die Ausübung der Verjährungseinrede aufgrund der vorausgegangenen Prüfungen und ausgebliebenen Bestandungen durch die BfA am 25.01.1999 und 15.05.2003 treuwidrig. Bei der schwierigen und selbst in der Rechtsprechung zumindest in der Vergangenheit heftig umstrittenen Frage der Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern könne ihm als rechtlichen Laien nicht allein das Risiko der rechtlichen Einordnung auferlegt werden. Da er vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des Erstattungsanspruchs erst jetzt Kenntnis erlange, könne das der Beklagten zustehende Ermessen lediglich dahingehend pflichtgemäß ausgeübt werden, dass von der Erhebung der Verjährungseinrede abgesehen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere Folgendes eingewandt: Soweit im Widerspruchsbescheid dargelegt werde, die Einrede der Verjährung werde von der Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen nur in Fällen einer besonderen Härte nicht erhoben, widerspreche dies der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Das Erfordernis einer besonderen Härte könne allenfalls für die Frage herangezogen werden, ob die Rechtsausübung der Verjährungseinrede von vornherein als unzulässig anzusehen sei, weil sie einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Schließlich werde die fehlende Anhörung vor Bescheiderlass gerügt.

Auf Nachfrage des SG hat die Deutsche Rentenversicherung Bund (ehemals: BfA) mit Schriftsatz vom 22.06.2006 die Bescheide vom 25.01.1999 und 15.05.2003 übersandt.

Mit Urteil vom 25.07.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei nicht gehindert gewesen, sich auf Verjährung zu berufen und habe hierbei auch in noch ausreichendem Umfang ihr Ermessen ausgeübt. Aus § 27 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) ergebe sich, dass die vor dem 01.01.2000 fälligen und damit den Zeitraum vor dem 01.12.1999 betreffenden Beiträge der Verjährung unterfielen. Ein Ermessensgebrauch dergestalt, die Verjährungseinrede regelmäßig zu erheben, sei nicht zu beanstanden. Dabei stelle sich der Fall des Klägers als durchaus typischer Fall dar. Fehlerhafte Einschätzungen zum Vorliegen von Versicherungspflicht beträfen in aller Regel rechtlich schwierige Fälle. Ebenso sei aufgrund der regelhaften Vornahme von Betriebsprüfungen auch davon auszugehen, dass regelmäßig eine Kontrolle der Beitragshöhe stattgefunden habe. Dass dabei Beanstandungen hinsichtlich der Einordnung von Zuwendungen für die Arbeitnehmer erfolgt seien und hierbei auch der zu Unrecht als versicherungspflichtig eingestufte Selbstständige mit einbezogen worden sei, führe nicht zu einer besonderen Vertrauenssituation. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (zB BSG, Urteil vom 29.07.2003, SozR 4-2400 § 27 Nr 1) seien die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28 SGB IV auch in kleineren Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet. Soweit der Kläger vortrage, die Statusfeststellung nach § 7a SGB IV sei im Jahr 1992 noch nicht möglich gewesen, leite das Gericht hieraus nicht ab, dass dem Kläger ein höherer Vertrauensschutz zukomme oder die Beklagte ihr Ermessen unzutreffend ausgeübt habe. Zum einen hätte der Kläger außerhalb des förmlichen Verfahrens Erkundigungen bei der Beklagten oder der Beitragseinzugsstelle tätigen können, zum anderen habe er - auch nachdem die Möglichkeit dieser Feststellung bestanden habe - eine solche nicht angestrebt.

Mit der beim BayLSG - Zweigstelle Schweinfurt - eingelegten Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, die floskelhafte Ausführung der Beklagten im Ausgangsbescheid, besondere Gründe, die Einrede der Verjährung nicht zu erheben, lägen nicht vor, genüge weder materiell noch formell einer ausreichenden Ermessensausübung. Die Behörde lasse in ihrem Ausgangsbescheid nicht erkennen, welche Umstände und Interessen sie überhaupt in die Ermessensabwägung mit einbezogen habe. Die Verwaltungsvorschrift der Beklagten gehe von einem gebundenen Ermessen aus und verlange nicht nur eine Atypik, sondern sogar eine "besondere Härte", um von der Erhebung der Einrede der Verjährung absehen zu können. Nachdem das BSG von einem freien Ermessen hinsichtlich der Erhebung der Einrede der Verjährung ausgehe, habe die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen in seiner Tragweite verkannt und entsprechend nicht rechtmäßig ausgeübt. Ihm wäre es bei früherer Feststellung der Selbstständigkeit möglich gewesen, die eingezahlten Beiträge in die private Absicherung des ihn auch als Selbstständigen treffenden Arbeitslosenrisikos zu investieren. Dass die Nichtbeanstandung der Versicherungspflicht im Rahmen vorausgegangener Betriebsprüfungen nicht automatisch zu einem Vertrauensschutz entsprechend § 26 SGB IV führe, schließe nicht aus, die durch die Betriebsprüfungen entstandenen Vertrauensgesichtspunkte im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Dabei könne es nicht darauf ankommen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28 SGB IV auch in kleineren Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet seien. Denn gerade auch sein Versicherungsverhältnis sei hinsichtlich der Beitragszahlungen überprüft und nicht beanstandet worden. Soweit das SG auf das Urteil des BayLSG vom 29.07.2003 (L 4 KR 181/02) verweise, verkenne es, dass im dortigen Verfahren das Beitragsverhältnis des Klägers gerade nicht im Rahmen der Betriebsprüfung überprüft worden sei.

Der Kläger beantragt:

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des So- zialgerichts Würzburg vom 25.07.2006 und des Bescheides vom 04.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2004 verurteilt, dem Kläger die zu Unrecht entrichteten Beiträge für die Zeit vor dem 01.12.1999 in Höhe von 11.273,46 EUR zu erstatten.

II. Hilfsweise: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ur- teils des Sozialgerichts Würzburg vom 25.07.2006 und des Bescheides vom 04.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2004 verurteilt, über den Antrag des Klägers vom 30.03.2004 auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Arbeitsförderung für die Zeit vor dem 01.12.1999 nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außerge richtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Eine unzureichende Ermessensausübung liege nicht vor. Die Einrede der Verjährung sei nach herrschender Rechtsmeinung regelmäßig zu erheben, wenn - wie vorliegend - keine besonderen Umstände gegeben seien. Bei der Ermessensausübung sei zwar auch die Unkenntnis des Betroffenen sowie die Gründe, welche dazu geführt hätten, zu berücksichtigen. Allerdings gehörten zu dieser Abwägung Kausalitäts- und Verschuldensfragen vor allem im Hinblick darauf, wem in erster Linie Versäumnisse anzulasten seien. Der Beklagten seien jedenfalls keinerlei Versäumnisse anzulasten. Nun werde wohl auch vom Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG eingeräumt, dass die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen im Sinne des § 28p SGB IV, welche von der BfA in den Jahren 1999 und 2003 vorgenommen worden seien, lediglich die Meldepflichten und die Einhaltung der sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen prüfen und auch bei dem vorliegend kleinen Betrieb eine Verpflichtung zur Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Beschäftigen nicht gegeben gewesen sei. Auch die Nachforderung von Beiträgen - wie hier erfolgt - stehe in keinem Widerspruch hierzu, da eben genau die Richtigkeit der Beitragszahlungen Gegenstand der o.a. Prüfung gewesen sei. Dies führe keinesfalls zu einem schützenswerten Vertrauen des Klägers.

Auf Nachfrage des Gerichts hat die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Schriftsatz vom 05.03.2007 mitgeteilt, dass Unterlagen zu den Betriebsprüfungen der Jahre 1999 und 2003 bei der Firma V. GmbH nicht vorhanden seien und Feststellungen zum versicherungsrechtlichen Status des Klägers nicht getroffen worden seien. Ferner hat das Gericht die Akten der Beklagten, des SG sowie die Unterlagen der DAK zur versicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit des Klägers bei der Firma V. Spedition-GmbH beigezogen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Berichterstatterin gemäß § 155 Absätze 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilt (s. Schriftsatz des Klägers vom 08.03.2007 und Erklärung der Beklagten in der nichtöffentlichen Sitzung vom 20.03.2007).

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, des SG sowie auf den Inhalt der Akte des Gerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 25.07.2006 die Klage gegen den Bescheid vom 04.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2004 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger daher nicht (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Entscheidung der Beklagten, hinsichtlich der vom 01.01.1992 bis 30.11.1999 zu Unrecht entrichteten Beiträge in Höhe von 11.273,46 EUR die Einrede der Verjährung zu erheben, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Bescheid der Beklagten vom 04.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2004 ist nicht wegen fehlender Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig, denn die Beklagte ist nicht von den tatsächlichen Angaben des Klägers zu seinen Ungunsten abgewichen und konnte daher von einer Anhörung absehen, § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X. Darüber hinaus hat der Bescheid vom 04.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2004 alle wesentlichen Tatsachen enthalten, auf die die Beklagte die Entscheidung stützt, sodass die Anhörung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung - wie es § 41 Abs 2 SGB X fordert - nachgeholt wurde.

Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung auch der vor dem 01.12.1999 zu Unrecht entrichteten Beiträge gemäß §§ 26 Abs 2, 27 Abs 2 SGB IV zu, denn diese Beiträge sind verjährt.

Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten (§ 26 Abs 2 SGB IV).

Der Erstattungsanspruch verjährt in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind, § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV - wonach die Verjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres einer Beitragsbeanstandung beginnt - findet in der Arbeitslosenversicherung keine Anwendung (§ 351 Abs 1 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ). Der Erstattungsanspruch der vor dem 01.01.2000 fälligen und damit auch der vor dem 01.12.1999 entrichteten Beiträge war daher verjährt, bevor der Kläger ihn am 30.03.2004 geltend gemacht hat.

Die Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beklagte ist auch gegenüber dem Anspruch des Klägers auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zulässig.

Ob der Versicherungsträger von der Einrede der Verjährung Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BSGE 58, 154, 159; BSGE 61, 226 = SozR 1200 § 39 Nr 5).

Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist lediglich in den Grenzen der §§ 39 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), 54 Abs 2 Satz 2 SGG gerichtlich überprüfbar. Die Gerichte sind gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu kontrollieren, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch). Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn der Leistungsträger - aus welchem Grund auch immer - keine Ermessenserwägungen anstellt und damit unrichtigerweise so handelt, als sei er durch die betreffende Norm ohne Ermessensspielraum gebunden (Seewald, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 39 RdNr 7). Nach § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidung auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte ihre Pflicht, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede zu treffen, erkannt und mit ihrer Ermessensentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 01.07.2004 den Anforderungen des § 39 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X genügt. Ein Ermessensnichtgebrauch durch die Beklagte liegt hier nicht vor, denn die Beklagte hat sich entgegen der Auffassung des Klägers - nicht so verhalten, als sei sie durch § 27 SGB IV ohne Ermessensspielraum gebunden. Der Ermessensgebrauch der Beklagten, die Verjährungseinrede regelmäßig zu erheben und nur in Fällen einer "unbilligen Härte" von der Verjährungseinrede abzusehen, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (Niesel, SGB III, 3.Auflage, § 351 RdNr 6). Die Begründung des Widerspruchsbescheides wird den Anforderungen des § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X gerecht und lässt in genügendem Umfang erkennen, welche Ermessenserwägungen die Beklagte ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Bei der Ausübung des Ermessens hat sich Beklagte an ihre Verwaltungsanweisungen gehalten, die vorsehen, in Fällen einer "unbilligen Härte" von der Verjährungseinrede abzusehen. Hierzu heißt es in der Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 27 SGB IV: "Eine besondere Härte ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn die Beitragszahlung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Bundesagentur, der Einzugsstelle oder eines Trägers der Rentenversicherung (letztere als Prüfinstitution) beruht, d.h. die fehlerhafte Beitragszahlung muss von einer dieser Stellen nachweislich verursacht worden sein" (BSG, Urteil vom 29.07.2003, B 12 AL 1/02 R).

Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen liegt eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens durch die Beklagte nicht vor.

Die fehlerhafte Beitragszahlung ist nicht nachweislich durch die Beklagte, die Einzugsstelle oder einen Rentenversicherungsträger als Prüfinstitution verursacht worden. Bei der von der Deutschen Rentenversicherung Bund (ehemals BfA) am 25.01.1999 durchgeführten Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.12.1994 bis 31.12.2002 bei der Firma V. Speditions-GmbH wurden lediglich die für den Kläger entrichteten Beiträge im Zeitraum vom 01.12.1993 bis 31.12.1993 in Höhe von 121,10 EUR im Rahmen einer Nachberechnung beanstandet. Soweit der Kläger vorträgt, gerade sein Versicherungsverhältnis sei im Rahmen der Betriebsprüfung überprüft worden, verkennt er, dass eine Prüfung seines versicherungsrechtlichen Status weder von der DAK Schweinfurt als Einzugsstelle noch von der Beklagten oder dem Rentenversicherungsträger vorgenommen worden ist und diese Stellen hierzu auch nicht verpflichtet waren. Die Versicherungspflicht des Klägers ist nicht für einen bestimmten Zeitraum durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden. Gegenstand dieser Betriebsprüfung war entgegen der Auffassung des Klägers ausschließlich die Richtigkeit der Beitragszahlungen und Meldungen alle 4 Jahre gemäß § 28p SGB IV. Zwar erlassen die Prüfstellen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV). Gemäß § 6 Abs 1 der für sämtliche Betriebsprüfungen maßgeblichen Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) kann die Prüfung der Aufzeichnungen des Arbeitgebers einschließlich der Beitragsnachweise jedoch auf Stichproben beschränkt werden. Dabei sind die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet.

Eine Verpflichtung zur Feststellung des versicherungsrechtlichen Status der Mitarbeiter lässt sich der Zielsetzung der Betriebsprüfung gerade nicht entnehmen. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu; sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm etwa "Entlastung" zu erteilen (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11). Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend sein kann und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf (BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 7 Seite 37; BSG, Urteil vom 10.09.1975 - 3/12 RK 15/74, Breith 1976, 303, 305; BSGE 50, 25, 28 = SozR 2200 § 172 Nr 14). Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Ihr Adressat ist nicht der Arbeitgeber, sondern sie halten das Ergebnis der Prüfung nur für den zuständigen, die Betriebsprüfung durchführenden Versicherungsträger fest und haben nicht etwa die Funktion eines Entlastungsnachweises mit Außenwirkung (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11; ähnlich BSG, Urteil vom 10.09.1975 - 3/12 RK 15/74, Breith 1976, 303, 305). Diese Grundsätze gelten auch, soweit es um Betriebsprüfungen in "kleineren Betrieben" geht (BSG, Urteil vom 29.07.2003, aaO). Eine Unterscheidung zwischen "kleinen" und "großen" Betrieben hinsichtlich Umfang und Schutzzweck von Betriebsprüfungen lässt sich dem SGB IV und der BÜVO nicht entnehmen. Vielmehr können die genannten Behörden im Lohnabzugsverfahren grundsätzlich davon ausgehen, dass der Arbeitgeber die Versicherungspflicht richtig beurteilt und bei Zweifelsfällen die Auskunft des zuständigen Versicherungsträgers oder der Einzugsstelle einholt. Dem Arbeitgeber obliegt im Wege des ersten Zugriffs die eigenständige Prüfung, ob ein bestimmter Arbeitnehmer versicherungs- und beitragspflichtig ist und in welcher Höhe für ihn Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen und an die Einzugsstelle abzuführen sind. Seine Indienstnahme als Privater für die Beitragsberechnung und Beitragsabführung (vgl BSGE 41, 297, 298 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; BSGE 57, 253, 254 = SozR 2200 § 396 Nr 1) ändert aber nichts daran, dass er damit nur eigene gesetzliche Pflichten erfüllt. Er wird insoweit nicht kraft Auftrags oder einer sonstigen vertragsähnlichen Sonderbeziehung für die Einzugsstelle tätig (BSG, Urteil vom 27.01.2000, B 12 KR 10/99 R). Die Indienstnahme des Arbeitgebers für die Erfassung und Abführung der aus dem Arbeitsentgelt zu berechnenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge ist zulässig, auch wenn der Arbeitgeber dadurch mit der Gefahr belastet wird, unter Umständen auch den Arbeitnehmeranteil selbst tragen zu müssen (vgl BSG NZA 1988, 629). Der Arbeitgeber kann dieses Risiko dadurch begrenzen, dass er in Zweifelsfällen eine förmliche Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungs- und Beitragspflicht eines Arbeitnehmers durch Verwaltungsakt herbeiführt (vgl BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 7 S 35), die nur nach Maßgabe der § 44 ff SGB X wieder aufgehoben werden kann.

Der Kläger durfte somit auch nicht darauf vertrauen, dass im Rahmen der Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Überprüfung seines versicherungsrechtlichen Status - neben der Beitragshöhe - stattgefunden hat. Ein ermessensrelevanter Vertrauensschutzgesichtspunkt ergibt sich aus diesem Rechtsirrtum gerade nicht.

Im Übrigen ist der Einwand des Klägers, das Erfordernis einer "besonderen Härte" könne allenfalls für die Frage herangezogen werden, ob die Rechtsausübung der Verjährungseinrede von vornherein als unzulässig anzusehen sei, weil sie einen Verstoß gegen Treu und Glauben im Sinn des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darstellen würde, die Frage der Ausübung des Ermessens einschließlich einer eventuell anzunehmenden Ermessensreduzierung auf Null sei jedoch von der Frage der Zulässigkeit der Einrede der Verjährung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben streng zu trennen (s. BSG, Urteil vom 02.10.1996, 13 RJ 17/96, SozR 3-1200 § 45 SGB I), für den vorliegenden Fall im Ergebnis ohne rechtliche Relevanz. Denn insoweit liegen keine ermessensrelevanten besonderen Umstände vor, die von der Beklagten zu Unrecht nicht in die Ermessensabwägung einbezogen worden wären und ein Abwägungsdefizit begründen könnten. Weitere tatsächliche Umstände, die eine Atypik des vorliegenden Falles begründen könnten und bisher nicht berücksichtigt worden sind, sind nicht erkennbar und vom Kläger auch nicht vorgetragen worden. Insoweit bewertet und gewichtet der Kläger die von der Beklagten berücksichtigten Umstände lediglich anders.

Ein Ermessensfehlgebrauch der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Kläger im Vertrauen auf die Arbeitnehmereigenschaft und damit die sozialversicherungsrechtliche Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit keine eigene Vorsorge getroffen hat. Diese tatsächliche Folge ergibt sich nämlich zwingend aus dem Rechtsinstitut der Verjährung, dass durch den Gedanken des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens, hier der Freiheit der Versichertengemeinschaft vor unvorhergesehenen Belastungen, gerechtfertigt ist (vgl BGHZ 128, 74, 82; Palandt/Heinrichs, Überblick vor § 194 RdNr 4a). Zutreffend hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 01.07.2004 festgestellt, dass die Unkenntnis über das tatsächliche Bestehen der Versicherungsfreiheit ein typischer Fall einer möglicherweise eintretenden Verjährung ist (BSG, Urteil vom 13.06.1985, 7 RAr 107/83). Es ist ein fundamentaler Grundsatz des Verjährungsrechts, dass eine solche Unkenntnis, die auch in vielen anderen Bereichen unseres Rechtslebens zu beachten ist, bei der Verjährung grds. unbeachtet bleiben muss (BSGE 34, 1, 13; 47, 131, 133). Tatsächliche Umstände, die lange Zeit unangefochten bestanden haben, sollen im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als bestehend anerkannt werden (BGH NJW-RR 1993, 1059, 1060). Die Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch und damit die Möglichkeit, diesen (rechtzeitig) geltend zu machen, ist auch im Bereich der Beitragserstattung ohne Bedeutung. Darüber hinaus hätte der Kläger - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - bei der Beklagten bzw. Beitragseinzugsstelle Erkundigungen tätigen und für die Zeit ab 01.01.1999 die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens gemäß § 7a SGB IV beantragen können.

Nachdem kein Verstoß der Beklagten bzw der Einzugsstelle oder des Rentenversicherungsträgers gegen früheres eigenes Verhalten bzw zurechenbares Fremdverhalten vorliegt, stellt die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung auch nicht nach dem Grundsatz des sog. "Venire-contra-factum-proprium" eine unzulässige Rechtsausübung iS des § 242 BGB dar, der auch im öffentlichen Recht maßgeblich und von Amts wegen zu beachten ist.

Nach alledem war die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved