L 15 VG 12/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 VG 4/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 12/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten vom 14.08.2006 wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1952 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anlässlich der Auseinandersetzung mit ihrem ehemaligen Partner K. S. vom 28.10.2002 in I ...

Die Beteiligten haben sich Ende Juli 2002 getrennt. Sie haben sich am 28.10.2002 gegen 22.00 Uhr zufällig in der K. Straße im I. getroffen. Hierbei ist es zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, die die Beteiligten unterschiedlich geschildert haben.

Die Klägerin hat gegenüber der Polizeiinspektion I. im Rahmen der Zeugenvernehmung vom 29.10.2002 angegeben: "Gestern am 28.10.2002 gegen 22.00 Uhr verließ ich meine Wohnung in der K. Straße, um noch etwas spazieren zu gehen. Ich ging Richtung Feuerwehrhaus und hörte plötzlich Schritte hinter mir. Es war mein Ex-Freund K. S. , der mir, als er mich erreichte, sofort einen Schlag ins Gesicht (mit der flachen Hand) versetzte. Er hatte dazu keinerlei Veranlassung - es gab kein Vorgespräch oder Provokation meinerseits. Danach nahm er meinen rechten Arm und verdrehte diesen so, dass er, wie sich später im Krankenhaus herausstellte, brach. Als er mir den Arm verdrehte, versuchte ich mich zu wehren, indem ich ihn an den Haaren zog. Aufgrund des harten Griffes an meinem rechten Arm musste ich in die Knie gehen (Armhebel mit Drehung nach außen). Es gab ein Krachen in meinem Arm, so dass wir beide erschrocken sind. Er ließ mich auch sofort los. Ich rappelte mich hoch und lief auf die Straße, wo gerade ein Auto heranfuhr, um mir Hilfe zu holen. Dieses fuhr jedoch ohne anzuhalten weiter. In der Zwischenzeit hatte sich Herr S. in Richtung Stadtmitte entfernt".

Herr K. S. hat gegenüber der Polizeiinspektion I. im Rahmen der Beschuldigten-Vernehmung vom 30.10.2002 ausgeführt: "Entgegen der mir von der Polizei in Teilen eröffneten Version zum Vorfall vom 28.10.2002 in der K. Straße möchte ich betonen, dass die Klägerin mich angriff, indem sie mich an den Haaren packte und zog. Ich war an diesem Abend gegen ca. 21.00 Uhr auf dem Weg in s M.stüble und begegnete zufällig meiner Ex-Freundin in der K. Straße in der Nähe des Feuerwehrhauses. Sie ging ebenfalls in Richtung Stadtmitte. Im Vorbeilaufen fragte ich sie nach meinem Geld, das sie mir schon länger schuldet. Ich war dann schon ein bis zwei Schritte vor ihr, als sie mich an den Haaren packte und daran zog. Ich griff mit einer Hand nach hinten und fasste den Arm der Klägerin, um das Ziehen abzumindern. Wir fielen daraufhin beide zu Boden - den Arm hielt ich während des Sturzes fest. Sie ließ los, woraufhin ich weiterging. Sie sagte noch, dass ich es jetzt geschafft hätte. Was sie damit meinte, wusste ich nicht. Ich wollte weiterem Zank aus dem Weg gehen und setzte meinen Weg fort".

Ausweislich des Operationsberichtes von Dr.H.P.S. vom 13.11.2002 hat sich die Klägerin bei dem Vorfall eine distale dislozierte Ulnaspinalfraktur rechts zugezogen, die mit vier Kompressionsschrauben fixiert bzw. mit einer Sechs-Loch-DC-Kleinfragmentplatte neutralisiert worden ist.

Das Ermittlungsverfahren ist von der Staatsanwaltschaft K. mit Verfügung vom 15.11.2002 gemäß § 170 Abs.2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden: Aufgrund der widersprechenden Angaben der Beteiligten lasse sich letztlich nicht mehr klären, wie sich der Vorfall tatsächlich zugetragen und wer bei der Auseinandersetzung begonnen habe. Die Einlassung des Beschuldigten, dass er sich lediglich gegen den Angriff der Anzeigeerstatterin zur Wehr gesetzt habe, wodurch diese zu Boden gestürzt sei und sich den Arm gebrochen habe, lasse sich letztlich nicht widerlegen. Hinsichtlich des Tatvorwurfs der Beleidigung könne ein Tatnachweis ebenfalls nicht geführt werden, da die Einlassung des Beschuldigten, er wolle mit der Anzeigeerstatterin nichts mehr zu tun haben, sich nicht widerlegen lasse.

Die (verstorbene) Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Beschwerde vom 27.12.2002 darauf hingewiesen, dass die Aussagen des Beschuldigten, er habe die Hand der Verletzten nicht verdreht, sondern nur gehalten, man sei dann zusammen zu Boden gegangen unter Festhalten dieser Hand, ärztlicherseits zu widerlegen sei. Spiralbrüche kämen nur dann vor, wenn der Arm verdreht werde.

Die Staatsanwaltschaft K. hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Einlassung des Beschuldigten lasse sich letztendlich nicht widerlegen. Zeugen stünden nicht zur Verfügung.

Hierauf gestützt hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 10.03.2003 den Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 11.02.2003 abgelehnt. Der Widerspruch vom 17.03.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 15.04.2003 zurückgewiesen worden.

In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Augsburg den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beschluss vom 13.01.2005 abgelehnt. Es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil keine überzeugenden Gesichtspunkte ersichtlich seien, dass gerade die Schilderung des Tathergangs durch die Klägerin zutreffend sei. Vielmehr sei bei der derzeitig vorläufigen Bewertung der Sachlage davon auszugehen, dass eine in etwa gleichhohe Wahrscheinlichkeit für die widersprüchlichen Schilderungen des Tatherganges sprächen.

Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg die Unterlagen des behandelnden Chirurgen Dr.F. beigezogen. Danach hat sich die Klägerin bereits früher eine Handgelenksfraktur rechts mit massiver Fehlstellung zugezogen. Diese ist am 28.06.1999 operativ korrigiert worden (Umstellungsosteotomie und Spongiosaplastik). Die anläßlich des Vorfalles am 28.10.2002 erlittene distale dislozierte Ulnaspiralfraktur rechts ist am 11.11.2002 operiert worden (Fixierung mit Zugschraube, Neutralisierung mit Sechs-Loch-Kleinfragmentplatte).

Der nach § 106 Abs.3 Nr.5 SGG gerichtlich bestellte Sachverständige Dr.L. hat mit fachchirurgischem Gutachten vom 01.12.2005 ausgeführt, dass mehr dafür als dagegen spräche, dass die Handgelenksfraktur durch einen tätlichen Angriff entstanden sei. Der Drehbruch (Spiralbruch Torsionsbruch) erfolge bei einseitig fixiertem Knochen durch Drehung um die Längsachse. Schraubenförmige Zugspannungen träten auf. Je rascher die Drehung erfolge, desto flacher werde der Winkel der spiralförmigen Bruchlinie. Nach der hier von der Klägerin abgegebenen Schilderung des schädigenden Ereignisses und den in den Akten vorhandenen Operationsberichten und Attesten habe sich die Klägerin bei dem angeschuldigten Ereignis einen Spiralbruch der rechten körperfernen Elle zugezogen. Die spontane Entstehung im Sinne einer pathologischen Fraktur sei unwahrscheinlich. Die schädigungsbedingte MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen.

Dr.B. hat nach versorgungsärztlicher Untersuchung bereits am 17.09.1996 nach dem Schwerbehindertengesetz (nunmehr: SGB IX) die "Bewegungseinschränkung des Handgelenks rechts, Fehlstellung, Abschwächung der groben Kraft der rechten Hand" mit einem GdB von 20 bewertet.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2006 hat die Klägerin den Sachverhalt nochmals in der gleichen Weise geschildert, wie bereits von ihr bei der Polizei angegegeben. Ergänzend hat sie lediglich vorgetragen, dass Herr K. S. etwa einen Kopf größer als sie sei.

Gestützt auf die Angaben der Klägerin und das fachchirurgische Gutachten von Dr.L. vom 01.12.2005 hat das Sozialgericht Augsburg der Klage mit Urteil vom 25.07.2006 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, als Folge einer Gewalttat gemäß § 1 OEG "Beschwerden im rechten Handgelenk nach Spiralbruch" in nicht rentenberechtigendem Grad festzustellen.

Hiergegen hat der Beklagte am 14.08.2006 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 11.09.2006 hervorgehoben, auch nach dem Gutachten des Dr.L. sei der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises weiterhin nicht erbracht. Die Aussage in diesem Gutachten, "dass aus den vorliegenden Unterlagen mehr dafür als dagegen spreche, dass die Handgelenksfraktur durch einen tätlichen Angriff entstanden sei", genüge keinesfalls für den Vollbeweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs. Diese Aussage würde nur dann weiterhelfen, wenn ein vorsätzlicher tätlicher Angriff zwar nachgewiesen, jedoch streitig sei, ob eine geltend gemachte Gesundheitsstörung überwiegend wahrscheinlich durch die Tat verursacht wurde. Weiterhin ergäbe sich aus dem Gutachten Dr.L. , dass die Klägerin bereits einige Knochenbrüche erlitten habe, vermehrt in der Zeit seit 1999. Abschließend sei zu beanstanden, dass K. S. nicht als Zeuge einvernommen worden sei. Ihm könne ein vorsätzlicher Angriff auch nicht deswegen unterstellt werden, weil dieser "etwa einen Kopf größer als die Klägerin sei" bzw. "er der Klägerin deutlich überlegen sei".

Im Hinblick auf wohl nur schwerlich regressierbare Heil- und Krankenbehandlungskosten hat der Beklagte gleichzeitig einen Eilantrag nach § 199 Abs.2 Satz 1 SGG gestellt. Der Klägerin entstünden hierdurch auch keine Nachteile, da sie als Mitglied der AOK I. gesetzlich versichert und damit gerade nicht ohne Krankenversicherungsschutz sei. Dem Eilantrag ist zwischenzeitlich stattgegeben worden.

Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts wurden die Versorgungs- und Schwerbehinderten-Akten des Beklagten beigezogen, ebenso die erstinstanzlichen Unterlagen des Sozialgerichts Augsburg.

In der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2006 wurde K. S. als Zeuge gehört. Er bestätigte seine Version des Vorfalles vom 28.10.2002 in ausführlicher Form, wie er ihn auch bereits im Rahmen der Beschuldigten-Vernehmung gegenüber der Polizeiinspektion I. vom 30.10.2002 geschildert hatte.

In der mündlichen Verhandlung vom 01.03.2007 wurde nochmals die Klägerin gehört.

Der Bevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VG 4/03 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V ...m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VG 4/03 - ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 10.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 15.04.2003 ist abzuweisen.

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält gemäß § 1 Abs.1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Diese Voraussetzungen sind hier auch in Berücksichtigung von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) nicht nachgewiesen. Danach sind die Angaben eines Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Die Klägerin hat auf Befragen des Senats erklärt, dass die im Dezember von Herrn K. S. abgegebene Schilderung nicht der Wahrheit entspräche. Vielmehr sei es so gewesen, dass er sich ihr von hinten genähert habe und als er auf gleicher Höhe mit ihr gewesen sei, habe er ihr eine Ohrfeige verpasst und ihr ins Gesicht gespuckt oder umgekehrt; das wisse sie nicht mehr genau. Er habe auch unflätige Äußerungen ihr gegenüber benutzt. Das Ziehen an den Haaren sei eine reine Abwehrmaßnahme ihrerseits gewesen; dem Angriff des Herrn K. S. sei keine Provokation oder Beleidigung ihrerseits vorausgegangen. Nach dem Vorfall sei sie zunächst in den P.keller gegangen, um Herrn K. S. zu suchen. Wäre er da gewesen, hätte sie sofort die Polizei verständigt; da dies nicht der Fall gewesen sei, sei sie nach Hause gegangen und von da aus ins Krankenhaus.

Herr K. S. hat in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2006 als Zeuge dagegen geschildert, dass er am 28.10.2002 auf dem Weg in die Stadt gewesen sei. Nach einiger Zeit sei vor ihm die Klägerin gewesen, die er bereits von hinten erkannt habe. Er habe den Eindruck gehabt, dass die Klägerin alkoholisiert gewesen sei, da sie einen etwas schwankenden Gang gehabt habe. Die Klägerin habe während der Beziehung gewisse Phasen, manchmal mit einem Abstand von einem halben Jahr gehabt, in denen sie sehr intensiv Alkohol getrunken habe, auch stärkere Spirituosen. Als er mit ihr auf gleicher Höhe gewesen sei, habe er sie gefragt, wie es mit dem ihm geschuldeten Geld stehe. Die Reaktion der Klägerin sei gewesen, dass sie zu schreien begonnen und etwa sinngemäß gesagt habe, er solle sie in Ruhe lassen. Er habe sich deshalb auf keine weitere Diskussion mehr eingelassen und seinen Weg fortgesetzt. Plötzlich habe ihn die Klägerin von hinten an den schulterlangen Haaren gepackt, die damals genauso lang gewesen seien wie heute. Mit seiner rechten Hand habe er nach hinten gegriffen, die Klägerin am Handgelenk gepackt und versucht, ihre Hand von seinen Haaren zu lösen. Plötzlich seien beide zu Fall gekommen, wobei er nicht mehr sagen könne, ob sie rückwärts oder seitwärts gefallen seien. Er habe jedenfalls den Eindruck gehabt, dass sich die Klägerin bewusst habe fallen lassen und ihn so zum Stürzen gebracht habe. Er könne sich noch daran erinnern, dass sich die Klägerin, die ihn nicht losgelassen habe, auch noch im Fallen festgehalten habe. Da die Klägerin während der ganzen Zeit laut geschrien habe, könne er nicht sagen, ob sie dies wegen der Schmerzen getan habe. Nach dem Sturz sei er aufgestanden und habe seinen Weg fortgesetzt. Er habe zugeschaut, dass er weggekommen sei. Als er sich nach ein paar Schritten umgedreht habe, habe er gesehen, wie auch die Klägerin aufgestanden und weitergegangen sei. Der Wirt einer Gaststätte habe ihm später erzählt, dass die Klägerin am Abend bei ihm Gast gewesen sei und sich nach ihm erkundigt habe.

Die Würdigung der Aussagen beider Beteiligter gegenüber der Polizeiinspektion I. vom 29.10.2002 und 30.10.2002 bzw. gegenüber dem Bayer. Landessozialgericht vom 05.12.2006 und 01.03.2007 ergibt, dass beide Versionen der Wahrheit entsprechen können bzw. einer der Beteiligten den Vorgang unzutreffend geschildert haben muss. Mangels unbeteiligter Dritter lässt sich jedoch nicht mehr klären, wer mit den Tätlichkeiten begonnen hat bzw. wer als Angreifer und wer als Opfer im Sinne von § 1 Abs.1 OEG anzusehen ist. Es besteht somit eine "non-liquet-Situation", die aus Gründen der Beweislast zu Lasten der Klägerin geht. Denn ebenso wie sonst im Sozialrecht müssen auch für eine Leistung nach dem OEG alle anspruchsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein (Kunz/Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 4.Aufl., Rz.74 ff. zu § 1 OEG m.w.N.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung ist zudem eine gewisse Widersprüchlichkeit bei der Schilderung durch die Klägerin festzustellen. So hat sie gegenüber dem Bayer. Landessozialgericht versichert, dass sie nach dem Vorfall zunächst in den P.-Keller gegangen sei, um nach Herrn K. S. zu suchen. Wäre er da gewesen, hätte sie sofort die Polizei verständigt; da dies nicht der Fall gewesen sei, sei sie nach Hause gegangen und von da aus ins Krankenhaus. Dem steht gegenüber, dass sie im Rahmen der Zeugenvernehmung vor der Polizeiinspektion I. am 29.10.2002 ausgesagt hat, sie sei am selben Abend nicht zur Polizei gegangen, weil sie Angst vor ihrem Ex-Freund gehabt habe. Sie habe sich überlegt, dass er sie möglicherweise sogar umbringen werde, wenn sie ihn anzeige.

Bei der Beurteilung des Falles war auch zu berücksichtigen, dass entsprechend dem Ermittlungsbericht der Polizeiinspektion I. vom 05.11.2002 sowohl die Klägerin als Herr S. polizeilich bereits mehrfach einschlägig in Erscheinung getreten sind, Herr K. S. u.a. bereits mehrfach wegen vorsätzlicher Körperverletzung und die Klägerin ebenfalls wegen Körperverletzung und mehreren Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz mit Heroin (zuletzt jedoch vor zehn Jahren). Außerdem nehmen beide immer wieder Alkohol im Übermaß zu sich.

Unabhängig von den Vorschädigungen im Bereich der rechten Hand (ausweislich des Operationsberichtes von Dr.S. vom 30.06.1999 hat bereits damals ein Zustand nach Handgelenksfraktur mit Fehlstellung rechts bestanden) stützt auch das erstinstanzlich eingeholte fachchirurgische Gutachten von Dr.L. vom 01.12.2005 das Klagebegehren nicht. Denn eine Versorgung ist nur zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Vorgang und der anerkannten Gesundheitsstörung gegeben ist. Dabei ist eine mehrgliedrige Kausalkette zu unterscheiden. Das erste Glied ist der schädigende Vorgang im Sinne des § 1 Abs.1 OEG. Das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene gesundheitliche Schädigung. Das dritte Glied stellt die Folge der gesundheitlichen Schädigung, die Gesundheitsstörung dar, die auch als Versorgungsleiden bezeichnet wird. Es muss ein Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten sowie dem zweiten und dritten Glied, letztlich also eine geschlossene Kausalreihe vorhanden sein (Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7.Aufl., Rz.61 zu § 1 BVG).

Dies hat Dr.L. in seinem fachchirurgischem Gutachten vom 01.12.2005 nicht beachtet, wenn er im Umkehrschluss von dem Vorliegen eines Spiralbruches der rechten körperfernen Elle auf das Vorliegen eines tätlichen Angriffes rückschließt und ausführt, es spräche mehr dafür als dagegen, dass die Handgelenksfraktur durch eine tätlichen Angriff entstanden sei. Zusammenfassend besteht damit auch aus medizinischer Sicht lediglich die Möglichkeit, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 OEG geworden ist. Diese Möglichkeit reicht jedoch nicht aus, um entsprechende Versorgungsleistungen zu bewilligen. Vielmehr muss hinsichtlich des schädigenden Vorganges der Vollbeweis gegeben sein, der hier nicht hat geführt werden können.

Nach alledem ist das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VG 4/03 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 10.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 15.04.2003 abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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