L 6 SB 1687/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 2086/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1687/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 08. März 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) streitig.

Der 1957 geborene Kläger beantragte im Februar 2003 unter Angabe der Gesundheitsstörungen "Bandscheibenleiden, Nierensteine, Migräne" die Feststellung seines GdB. Das Versorgungsamt Ulm (VA) holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. P. vom 17. April 2003 ein, der neben verschiedenen Arztbriefen den Entlassungsbericht der Rheumaklinik Bad W. vom 03. April 2003 über die vom 11. März bis 01. April 2003 durchgeführte stationäre Maßnahme zur Rehabilitation (Reha) vorlegte. In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26. Mai 2003 bewertete Dr. M. den GdB für die Behinderungen "Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Kopfschmerzsyndrom" mit 20. Mit Bescheid vom 27. Mai 2003 stellte das VA beim Kläger gestützt auf diese Stellungnahme einen GdB von 20 ab 05. Februar 2003 fest und führte weiter aus, die geltend gemachten Gesundheitsstörungen Fettstoffwechselstörung und Nierensteinleiden bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel GdB von wenigstens 10; die geltend gemachte Migräne sei nicht nachgewiesen. Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger im Wesentlichen auf seine starken Wirbelsäulenbeschwerden sowie darauf, dass er wöchentlich an zwei bis drei Tagen unter Migräne leide und deshalb Tabletten einnehme. Er legte in Kopie u.a. Arztbriefe des Dr. W., Arzt für Orthopädie, vom 08. Januar und 25. Februar 2003, des Dr. W., Arzt für Innere Medizin, vom 03. Juni 2003, des Dr. L., Arzt für Neurologie/Psychiatrie, (Datum unleserlich) einschließlich eines Befundberichts des Radiologen Dr. P. vom 27. Juni 2003 sowie den Bericht des Dr. J., Facharzt für Dermatologie/Proktologie, über eine Untersuchung am 16. Juli 2003 vor. Nach Eingang des Befundberichts des Dr. J. vom 12. Juli 2003 holte das VA die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 29. Juli 2003 ein, der keine Abweichungen zu den bisherigen Feststellungen sah. Mit Widerspruchsbescheid vom 07. August 2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 26. August 2003 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage und machte die Feststellung eines GdB von zumindest 50 geltend. Besonders gravierend seien seine Rückenschmerzen, die insbesondere beim Gehen längerer Strecken sowie nachts aufträten. Diese seien mit einem Teil GdB von 30 zu bewerten. Die von Dr. L. bestätigte Migräne, die als leicht bis mittelgradig einzuschätzen sei, bedinge ebenfalls einen Teil GdB von 30. Im Übrigen leide er nahezu ständig unter Sodbrennen mit Magensäurereflux in die Speiseröhre, an deutlich überhöhten Cholesterinwerten sowie an Hämorrhoiden, wobei die internistischen Leiden mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten seien. Das Vergleichsangebot des Beklagten, wonach der Gesamt-GdB ab 05. Februar 2003 mit 30 zu bewerten sei (Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom - Teil-GdB 20, Kopfschmerzsyndrom - Teil-GdB 20) lehnte der Kläger ab und machte geltend, sein Zustand habe sich verschlechtert und im Übrigen habe er auch Beschwerden im Kniebereich und in der rechten Hand. Neben dem Bandscheibenschaden mit Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Teil-GdB von 30 sei für das Schulter-Arm-Syndrom ebenso wie für das Kopfschmerzsyndrom ein eigenständiger Teil-GdB von 20 zu bilden. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. B. vom 20. April 2004 entgegen und unterbreitete dem Kläger das erwähnte Vergleichsangebot. Das SG hörte Dr. W. unter dem 14. November 2003, Dr. Junghans unter dem 19. November 2003, Dr. Rudolf W. unter dem 25. November 2003 sowie Dr. Ch. W. unter dem 30. August 2004, Dr. L. unter dem 15. Januar 2004 sowie Dr. P. unter dem 06. Februar 2004 schriftlich als sachverständige Zeugen. Mit Urteil vom 08. März 2005 verurteilte es den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 27. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. August 2003 und Abweisung der Klage im Übrigen, ab 05. Februar 2003 einen GdB von 30 bei Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festzustellen. Unter Zugrundelegung der Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Stand 2004 (AHP), sei der GdB - wie von dem Beklagten vergleichsweise angeboten - mit 30 zu bewerten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten des Klägers am 08. April 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Am 26. April 2005 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, der GdB auf dem vom SG in den Vordergrund gestellten orthopädischem Fachgebiet sei mit 20 nicht ausreichend bewertet. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. W. habe diesen Komplex unter Berücksichtigung der belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich des linken Knies zwischenzeitlich mit 30 bewertet. Da mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorlägen, ergebe sich nach den AHP ein Teil GdB von 30 bis 40. Im Übrigen habe das SG die von Dr. L. gestellte Diagnose einer Migräne zu Unrecht angezweifelt und in ein Kopfschmerzsyndrom umgedeutet. Die bestehende Migräne stelle eine enorme Belastung im alltäglichen Leben dar und rechtfertige mit dem gleichfalls festgestellten psychovegetativen Erschöpfungssyndrom einen Teil-GdB von 30. Diese Behinderungen träten gegenüber den orthopädischen Beschwerden nicht in den Hintergrund. Die Gesamtbelastung durch seine Schmerzen an zahlreichen Körperteilen habe zu einem weitgehenden Rückzug vom Leben in der Gesellschaft geführt. Letztlich habe der mit einem Gutachten gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragte Sachverständige Dr. K. zutreffender Weise auch für seine psychischen Störungen einen Teil-GdB von 20 angesetzt. Deshalb sei davon auszugehen, dass ein Gesamt-GdB von 50 näher liege als ein solcher von 30.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Ulm vom 08. März 2005 sowie des Bescheids vom 27. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. August 2003 zu verurteilen, ab 05. Februar 2003 den GdB mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochten Entscheidung für richtig. Wenn auch im Hinblick auf das nervenärztliche Gutachten des Dr. K. als weitere Behinderungen "seelische Störung und psychovegetative Störungen" mit einem Teil GdB von 10 zu berücksichtigen seien, so werde ein höherer Gesamt-GdB als 30 gleichwohl nicht erreicht. Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. F. vom 06. März 2006 vorgelegt.

Der frühere Berichterstatter des Verfahrens hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie, klinische Geriatrie Dr. K. vom 17. Januar 2006 erhoben, der neben "degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen" und "Migräne" auch eine "Persönlichkeitsstörung" mit einem Teil GdB von 20 bewertete und den Gesamt GdB im Hinblick darauf mit 40 einschätzte.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat der Klage mit dem Inhalt des Vergleichsangebots des Beklagten zu Recht teilweise stattgegeben und die Behinderungen des Klägers abweichend von den angefochtenen Bescheiden statt mit einem GdB von 20 mit einem solchen von 30 bewertet. Allerdings rechtfertigen die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen auch keinen höheren GdB, insbesondere nicht die Feststellung der vom Kläger begehrten Schwerbehinderteneigenschaft.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird. Auch der auf dieser Grundlage vom SG ermittelte Gesamt-GdB von 30 entspricht der Leidenssituation des Klägers und ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das SG insbesondere die von orthopädischer Seite bestehenden Behinderungen (Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom) beschrieben, als leicht bis mittelschwer beurteilt und diese unter Zugrundelegung der AHP folgerichtig mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Entgegen der Ansicht des Klägers liegen im Sinne der AHP keine schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, was einen GdB von 30 bis 40 rechtfertigen würde. Zwar treten die Beschwerden beim Kläger in zwei Wirbelsäulenabschnitten und auch häufig rezidivierend auf, jedoch sind diese in der Regel nicht lang anhaltend und auch nicht mit schweren funktionellen Auswirkungen verbunden. Damit ist nicht zu beanstanden, dass das SG insoweit lediglich einen Teil GdB von 20 zugrunde gelegt hat und nicht wie vom Kläger begehrt einen solchen von 30. Auch der Sachverständige Dr. K., der im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ein Gutachten erstattet hat, hat diese Beurteilung für zutreffend erachtet. Die dieser Einschätzung entgegenstehende Bewertung des behandelnden Arztes Dr. P., auf die sich der Kläger beruft, lässt sich demgegenüber nicht mit den AHP in Einklang bringen.

Als weiteren Beschwerdekomplex hat das SG die Kopfschmerzproblematik zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet, wobei es im Hinblick auf die nur knappe Befundbeschreibung durch Dr. L. allerdings in Zweifel gezogen hat, ob tatsächlich von einer Migräne ausgegangen werden kann. Ungeachtet der diagnostischen Einschätzung hat das SG die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen jedoch zutreffend als mittelschwer angesehen und dementsprechend mit einem Teil GdB von 20 bewertet. Nach den Erhebungen des Sachverständigen Dr. K. kann die Diagnose einer Migräne nunmehr zwar als gesichert angesehen werden, jedoch ergibt sich hierdurch keine Änderung in der Bewertung. Denn unter Zugrundelegung der AHP liegt beim Kläger eine mittelgradige Verlaufsform vor, deren Schwere im unteren Bereich des dort angegebenen Rahmens von 20 bis 40 (AHP Nr. 26.2, S. 39) liegt. Der Kläger leidet zwar unter häufigen Anfällen, doch lassen sich diese unter Einnahme von Medikamenten rasch unter Kontrolle bringen, so dass diese nicht über einen oder mehrere Tage hinweg anhalten. Die Schwere dieser mittleren Verlaufsform ist somit im unteren Bereich anzusiedeln, so dass sich beim Kläger insoweit kein GdB von mehr als 20 rechtfertigen lässt. Auch der Sachverständige Dr. K. hat die entsprechende Bewertung des SG mit einem Teil GdB von 20 für zutreffend erachtet.

Soweit Dr. K. über die bereits erwähnten Funktionsstörungen hinaus eine leichte seelische Beeinträchtigung beschrieben hat, vermag der Senat sich zwar der insoweit gestellten Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung anzuschließen, nicht jedoch der insoweit vorgenommenen Bewertung mit einem Teil GdB von 20. Denn in seiner Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit ist der Kläger durch diese psychische Störung nur mäßiggradig beeinträchtigt, wie insbesondere der Umstand aufzeigt, dass er nach Eintritt von Arbeitslosigkeit im Februar 2003 in seinem bisherigen Berufsbereich wieder einen Arbeitsplatz aufzufinden vermochte und nunmehr ohne wesentliche Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Lage ist, einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nachzugehen. In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Beklagten sieht der Senat die in Rede stehende Beeinträchtigung daher mit einem Teil GdB von 10 angemessen bewertet. Ein Gesamt-GdB von mehr als 30 rechtfertigt aber auch diese zusätzlich noch zu berücksichtigende Behinderung nicht. Denn die zu bewertenden Beeinträchtigungen überschneiden sich gegenseitig und die von Dr. K. objektivierte Persönlichkeitsstörung bedingt keine wesentliche Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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