L 6 VS 682/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 VS 1180/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 682/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.01.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines organischen Nervenleidens (Multiple Sklerose) als Wehrdienstbeschädigung und die Rücknahme der entgegenstehenden ablehnenden Bescheide der Beklagten nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).

Der 1972 geborene Kläger war vom 01.04.1994 bis 31.03.1998 bei der Bundeswehr Soldat auf Zeit. Nach der 3-monatigen Grundausbildung wurde er als Fernmeldesoldat bzw. Fernmeldeunteroffizier im Bereich des damaligen Fernmeldesektors 123 eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Instandhaltung und Wartung von Richtfunk- und Vermittlungsgeräten. Ab 01.10.1997 war er in M. eingesetzt. Nach seiner eigenen Erklärung vom 07.07.1998 war er damit beauftragt, die Vermittlungsstelle instand zu halten. Zu seinen Aufgaben gehörten Büro-, Computer-, aber auch Lötarbeiten. Der Dienst vollzog sich im Schichtbetrieb (24 Stunden Schicht und 48 Stunden frei) in einem unterirdischen Bunker.

Am 30.03.1998 stellte der Kläger beim Versorgungsamt Rottweil (VA) einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung. Zur Begründung gab er an, er leide unter einer bakteriellen Infektion des Nervensystems, die am 15.03.1998 aufgetreten sei. Der Antrag wurde an die Beklagte abgegeben.

Die Beklagte zog Unterlagen über die Behandlung des Klägers bei. Nach dem Bericht des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 30.06.1998 befand sich der Kläger dort vom 20.03.1998 bis 08.04.1998 in stationärer Behandlung. Es wurden die Erstmanifestation einer Encephalomyelitis disseminata im Rahmen eines viralen Infektes sowie Bandscheibenvorfälle C 3/4 und Th 6/7 diagnostiziert. Zur Vorgeschichte wurde ausgeführt, der Kläger sei wegen einer seit fünf Tagen bestehenden Par- bzw. Hypästhesie beider Beine vom Truppenarzt zur Abklärung eingewiesen worden. Er habe berichtet, dass diese Symptomatik ihm am 15.03.1998 erstmalig aufgefallen sei. Aufgrund des Liquorbefundes sowie der durchgeführten Kernspintomographie des Schädels wurde die Diagnose einer Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose) gesichert. Der Kläger wurde mit Kortison behandelt. Die Symptomatik war bei der Entlassung rückläufig. Durch Arztbriefe von Dr. M. (30.04.1998) und Dr. N. (06.07.1998) wird die Rückbildung der ausschließlich sensiblen Symptomatik bestätigt. Nach dem Arztbrief von Dr. N. bestanden noch geringe Restbeschwerden. Die Beklagte zog die gesamten Behandlungsunterlagen des Bundeswehrkrankenhauses U. und die truppenärztlichen Unterlagen bei. Sie holte dazu die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme von Dr. Z. vom 15.01.1999 ein. Diese vertrat die Auffassung, ein ursächlicher Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit Einflüssen des Wehrdienstes im Sinne der Entstehung bzw. Verschlimmerung sei nicht wahrscheinlich. Auch die Voraussetzungen einer Kannversorgung lägen nicht vor, da dienstliche Belastungen, die geeignet gewesen wären, die Versorgung nach den Kann-Bestimmungen zu begründen, nicht vorgelegen hätten.

Mit Bescheid vom 29.01.1999 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Ausgleiches auch als Kannleistung nach § 85 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 81 Abs. 6 Satz 1 und 2 SVG auf der Grundlage dieser Stellungnahme ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.1999 zurück.

Am 24.04.2001 stellte der Kläger beim VA einen erneuten Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung unter Rücknahme der ergangenen Bescheide. Der Antrag wurde wiederum zuständigkeitshalber an die Beklagte abgegeben. Zur Begründung des Antrages führte der Kläger mit Schriftsatz vom 29.09.2001 aus, er sei bei seiner Tätigkeit hoch frequenten Strahlungen ausgesetzt gewesen.

Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen sowie die Personalakte des Klägers bei. Auf Veranlassung der Beklagten gab der Kläger unter dem 14.11.2001 eine schriftliche Tätigkeitsbeschreibung ab. Danach war er als Techniker und Ausbilder an digitalen Richtfunk- und Multiplexnetzen tätig und elektromagnetischen Strahlungen im Hochfrequenzbereich ausgesetzt. Die Beklagte zog dann die grundsätzliche Stellungnahme ihres Referats WV IV 4 zu gesundheitlichen Störungen durch Radaranlagen (Dr. K., 08.08.2001) bei. Danach erzeugen Radaranlagen elektromagnetische Felder (nicht ionisierende Strahlung). Die Strahlung wird durch die Antenne stark gebündelt und in den Luftraum emittiert. Dr. K. führt weiter aus, nur soweit die Geräte Elektronenröhren enthielten, was vor allem bei älteren Radargeräten der Fall sei, entstehe auch Röntgenstrahlung (ionisierende Strahlung). Diese bezeichne man als Störstrahlung. Wissenschaftlich allgemein anerkannte Erkenntnisse, die eine Ursächlichkeit zwischen Strahlungen und Krebserkrankungen belegen würden, lägen bisher nur für ionisierende Strahlung vor. Die beim Betrieb von Radaranlagen eventuell auftretende ionisierende Strahlung habe eine kurze Reichweite von wenigen Dezimetern bis Metern. Sie könne nur bei ungenügender Abschirmung aus dem Gerät austreten. Damit bestehe eine potentielle Exposition in der Regel nur für Instandsetzungspersonal dieser Radargeräte bei eingeschaltetem Gerät und in der Regel auch nur bei geöffnetem Sendeschrank. An Bildschirmen/Displays sei keine nennenswerte Röntgenstrahlung festgestellt worden. Die nicht ionisierende Strahlung könne bei genügend hoher Intensität zu einer Wärmeentwicklung in biologischem Gewebe führen. Außerhalb der eigentlichen "Radarkeule", die in der näheren Umgebung der Radarantenne deren Abmessungen nicht überschreiten würde, seien in der Regel keine gesundheitlich relevanten Expositionen zu erwarten.

Mit Bescheid vom 10.12.2001 lehnte die Beklagte den erneuten Antrag auf Anerkennung der Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung und Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG ab. Zur Begründung führte sie aus, nach den durchgeführten Ermittlungen sei der Kläger keinen Röntgenstrahlen ausgesetzt gewesen. Es hätten auch keine unfallbedingten Ereignisse vorgelegen, die zu einer gesundheitsschädigenden Exposition gegenüber Hochfrequenz (HF)-Strahlung geführt hätten.

Der Kläger legte hiergegen unter Hinweis auf ein internationales Forschungsprojekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Gesundheitsschädlichkeit von HF-Strahlung Widerspruch ein. Er machte außerdem geltend, an seinem damaligen Arbeitsplatz seien keine Strahlungsmessungen durchgeführt worden. Es sei nicht bekannt, welche Maßnahmen zur Abschirmung der entstehenden nachweislich gesundheitsschädlichen ionisierenden Strahlung getroffen worden seien. Es müsse von unzureichenden Vorsorge-Maßnahmen auch bezüglich der Röntgenstrahlung ausgegangen werden.

Die Beklagte holte noch die Stellungnahme von Oberstleutnant O. vom Fernmeldesektor 123 vom 10.04.2002 ein. Danach hat der Kläger während seiner Dienstzeit keine Reparaturarbeiten an Richtfunkstrecken durchgeführt. Seine Ausbildung habe ihn nicht befähigt, auf Antennenträgern Wartungsarbeiten an Antennen durchzuführen. Somit könne er auch keiner HF-Strahlung bzw. Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sein. Die Richtfunk- und Vermittlungsgeräte des Automatischen Führungsfernmeldenetzes der Luftwaffe seien nicht mit Röhren bestückt. Oberstleutnant O. fügte die technischen Daten der Geräte, an denen der Kläger Wartungsarbeiten durchgeführt habe, bei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie u. a. aus, in der medizinischen Wissenschaft bestehe über die Ursache der Gesundheitsstörung "Multiple Sklerose" Ungewissheit, sodass die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges mit den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen nicht vorliege. Auch die Voraussetzungen einer Kannversorgung lägen nicht vor.

Hiergegen erhob der Kläger am 30.04.2002 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG).

Auf Veranlassung des SG legte die Beklagte die Stellungnahme ihres Dezernates II 7 bezüglich der Analyse des Einsatzortes des Klägers vom 29.04.2003 vor. Zusammenfassend wird darin ausgeführt, am Arbeitsplatz des Klägers seien keine Geräte vorhanden gewesen, die Röntgenstörstrahlen enthalten hätten. Die auftretenden elektromagnetischen Felder durch nicht ionisierende HF-Strahlung lägen weit unter den zugelassenen Grenzwerten. Eine Gefährdung durch elektromagnetische Felder der Richtfunkgeräte CTM 250 sei sicher ausgeschlossen. Die Stellungnahme stützt sich auf Messungen, die von der Strahlenmessstelle Süd der Bundeswehr bei der Wehrbereichsverwaltung Süd am 27.03.2003 durchgeführt wurden. Das Protokoll dieser Messungen wurde vorgelegt.

Auf Antrag des Klägers holte das SG gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten von Prof. Dr. D. vom Zentrum für Elektropathologie der Universität W./H. vom 15.12.2004 ein, das dieser aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 12.07.2004 erstattete. Er führte aus, die Diagnose einer Multiplen Sklerose sei beim Kläger durch eine Kernspintomographie nochmals gesichert worden. Die geringgradige Ausprägung der Symptome zeige, dass der Kläger sich im Stadium einer Remission befinde. Die Erkrankung sei seiner Auffassung nach nicht auf den Einsatz des Klägers als Fernmeldeunteroffizier zurückzuführen. Die Exposition am Arbeitsplatz im Nahbereich der Fernmelderichtfunkantenne mit einer Leistung von 2 Watt liege weit unter dem in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegten Grenzwert. Außerdem gebe der Sendefrequenzgenerator in diesem niedrigen Leistungsbereich keine so genannte Röntgenbremsstrahlung ab, wie dies bei leistungsstarken Radargeräten von einigen Millionen Watt der Fall sei. Es habe also keine Belastung mit ionisierenden Strahlen vorgelegen. Der Kläger sei auch keiner hohen Stressbelastung durch Nahrungsentzug, Schlafentzug und Kälteexposition ausgesetzt gewesen, sodass gemäß der herrschenden wissenschaftlichen Meinung und der eigenen Erfahrung kein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen der Exposition am Arbeitsplatz und der Auslösung der Multiplen Sklerose erkennbar sei. Es müsse von einer schicksalhaften Manifestation der Erkrankung während des Bundeswehrdienstes ausgegangen werden. In einem Gesamtfazit zur wissenschaftlichen Literatur führte Prof. Dr. D. darüber hinaus aus, die Mehrzahl der einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen lasse nicht den Schluss zu, dass eine Auslösung oder Verursachung der Multiplen Sklerose durch physischen oder psychischen Stress, Traumata oder Umwelt- und Witterungsfaktoren wie Temperatur, Strahlung bzw. chemische Agenzien wie Asbest und Polychlorphenol wahrscheinlich sei. Einige Publikationen ließen die Möglichkeit offen, dass auf dem Boden einer Prädisposition zur Multiplen Sklerose solche Faktoren zur Verschlimmerung der Symptomatik oder zur Schubauslösung beitragen könnten. Die meisten Arbeiten würden sich jedoch mit dem Einfluss von Umweltfaktoren auf die Ausprägung und Symptomatik im akuten Schub der Erkrankung auseinandersetzen.

Die Beklagte teilte noch mit, dass eine externe unabhängige Expertenkommission in einem Bericht vom 02.07.2003 zu dem Ergebnis gekommen sei, eine Multiple Sklerose könne nicht durch von Radargeräten herrührende Strahlen herbeigeführt werden.

Der Kläger wandte gegen das Gutachten u. a. ein, der Gutachter übernehme ungeprüft die Angaben der Beklagten zu seiner Strahlenbelastung. Das SG holte hierzu noch die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 06.09.2005 ein. Dieser vertrat darin u. a. die Auffassung, die vom Kläger für erforderlich gehaltene neuerliche gutachterliche Abklärung der Strahlenexposition am (früheren) Arbeitsplatz sei nicht erforderlich und sachdienlich.

Durch Beschluss vom 23.03.2005 lud das SG das Land Baden-Württemberg zum Verfahren bei.

Mit Urteil vom 25.01.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, die vom Kläger ins Feld geführten schädigenden Tatbestände "HF- und Röntgenstrahlung" seien keine exogenen Faktoren, die für die Entstehung und den weiteren Verlauf von Multipler Sklerose von ursächlicher Bedeutung sein könnten. Sie würden für die Entstehung und den weiteren Verlauf dieser Erkrankung - soweit ersichtlich - nicht als mögliche Schädigungstatbestände diskutiert. Dies werde durch das überzeugende Gutachten von Prof. Dr. D. bestätigt. Die Einwendungen gegen dieses Gutachten könnten nicht überzeugen.

Hiergegen hat der Kläger am 13.02.2006 Berufung eingelegt. Er vertritt nach wie vor die Ansicht, die heutigen Gesundheitsschäden rührten von der Exposition her, der er bei der Bundeswehr ausgesetzt gewesen sei. Im Übrigen sei nach Durchsicht der Akten aufgefallen, dass bereits bei der Musterung im Jahr 1992 eine Steifigkeit in beiden Händen sowie ein starker Druckschmerz "(Rheuma?)" vermerkt worden seien. Möglicherweise hätten diese Beschwerden bereits seine heutige Krankheit angekündigt. Die Frage, "inwieweit die Beurteilung der Zusammenhangsfrage auf das Auftreffen eines schon vorgeschädigten Organismus vorzunehmen" sei, sei sachverständigenseits bisher nicht untersucht worden. Es werde beantragt, hierzu von Amts wegen - hilfsweise nach § 109 SGG - ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.01.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2002 zu verurteilen, den Bescheid vom 29.01.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.1999 aufzuheben und ihm unter Anerkennung einer "Multiplen Sklerose" als Wehrdienstbeschädigungsfolge für die Zeit vom 15. - 31.03.1998 Ausgleich nach einer MdE um wenigstens 30 v. H. zu gewähren, hilfsweise ein medizinisches Gutachten bei Prof. Dr. F.-B. - höchst hilfsweise gem. § 109 SGG - einzuholen zu der Frage, ob seine Krankheit durch den Wehrdienst wesentlich verschlimmert worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 15.09.2006 hat sich der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte und der Beigeladene haben ebenfalls schriftlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (jeweils Schreiben vom 27.09.2006).

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und des Beigeladenen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Insbesondere greift der Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG hinsichtlich des geltend gemachten Ausgleichs nicht ein, weil die Berufung auch einen hierfür vorgreiflichen Anspruch (Anerkennung der Multiplen Sklerose als Schädigungsfolge) betrifft, der nicht der Berufungsbeschränkung unterliegt (vgl. BSGE 82, 112).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Ausgleich nach § 85 Abs. 1 SVG durch die Beklagte. Voraussetzung für diesen Anspruch ist das Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG. Die beim Kläger festgestellte Multiple Sklerose stellt aber keine Wehrdienstbeschädigung dar. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, die bindend gewordenen Bescheide, mit denen sie die Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG abgelehnt hat, gem. § 44 SGB X zurückzunehmen.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für den geltend gemachten Anspruch zutreffend wiedergegeben. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass ausgehend von den Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AP) weder die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG zwischen der Tätigkeit des Klägers als Fernmeldeunteroffizier und der Multiplen Sklerose gegeben ist noch die Voraussetzungen vorliegen, unter denen gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG eine Kannversorgung in Betracht kommt. Zwar besitzen die AP keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie haben jedoch normähnliche Auswirkungen, da sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2004, L 6 SB 122/04 m. w. N.). Die in den AP Nr. 64 S. 209 aufgeführten Belastungsfaktoren, bei denen ein Zusammenhang einer Multiplen Sklerose mit einer Schädigung wahrscheinlich sein kann, bzw. zumindest eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen ist, liegen beim Kläger nicht vor. Insoweit wird ebenfalls zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des SG verwiesen, denen sich der Senat nach nochmaliger eingehender Überprüfung voll inhaltlich anschließt.

Auch der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. D. bestätigt in seinem Gutachten, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Multiplen Sklerose und einer Exposition gegenüber ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung nach der vorherrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht anzunehmen ist. Auf die im Laufe des Verfahrens umstrittene Frage, ob der Kläger während seiner Wehrdienstzeit ionisierender Strahlung bzw. HF-Strahlung ausgesetzt war, kommt es danach nicht an.

Aus den genannten Gründen waren weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht erforderlich. Die vom Kläger noch beantragte gutachtliche Anhörung von Prof. Dr. F.-B. war auch nicht gem. § 109 SGG vorzunehmen. Nach dieser Vorschrift wurde in erster Instanz bereits Prof. Dr. D. gehört. Besondere Umstände, die die wiederholte Anhörung eines Arztes nach § 109 SGG rechtfertigen würden, liegen nicht vor (vgl. Meyer-Ladewig, § 109 SGG Randnr. 10 b). Insbesondere ergeben sich solche Umstände nicht aus der Tatsache, dass bei dem Kläger anlässlich der Musterung im Jahr 1992 rheumaähnliche Symptome (Steifigkeit in beiden Händen, starker Druckschmerz) festgestellt wurden. Prof. Dr. D., dem sämtliche Akten vorlagen, hat diesen Umstand gesehen und bei der zeitlichen Abfolge der Krankheitssymptome auf S. 17 seines Gutachtens aufgeführt. Offenbar war er - ebenso wie der Kläger - der Auffassung, dass es sich bei den anlässlich der Musterung festgestellten Symptomen möglicherweise um erste Anzeichen der Multiplen Sklerose handelte. Er hat die offensichtlich bei seiner Beurteilung, dass die schicksalhafte Manifestation der Erkrankung während des Bundeswehrdienstes des Klägers aufgetreten ist, ohne dass hier ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang anzunehmen wäre, berücksichtigt. Außerdem hat er ausgeführt, der Dienst des Klägers bei der Bundeswehr könne weder als Auslöser, noch als Promoter für eine Multiple Sklerose angesehen werden. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Krankheit durch die Exposition bei der Bundeswehr zwar nicht ausgelöst, jedoch bei einem vorgeschädigten Organismus verschlimmert worden sei, wurde somit von Prof. Dr. D. bereits - negativ - beantwortet. Allein die Tatsache, dass eine gutachtliche Fragestellung nicht im Sinne des Antragstellers beantwortet wurde, rechtfertigt nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG. Der Hilfsantrag des Klägers war daher abzulehnen.

Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
Saved