L 6 VS 637/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VS 858/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 637/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB).

Der Kläger wurde 1942 geboren. Er war von Januar 1963 bis Mai 1979 Soldat. In dieser Zeit war er unter anderem von 1963 bis September 1976 als Flugabwehrraketenelektronikmechaniker und -mechanikermeister und anschließend bis zu seiner vorzeitigen Entlassung aus der Bundeswehr im Mai 1979 als Funkmeister tätig. Der Kläger wurde im Juli 1963 zum Gefreiten, im Dezember 1964 zum Unteroffizier und im Februar 1966 zum Stabsunteroffizier befördert. Im August 1967 wurde er Feldwebel, im April 1970 Oberfeldwebel, im April 1973 erfolgte die Übernahme als Berufssoldat und im September 1973 wurde der Kläger zur Hauptfeldwebel befördert. Bis 1976 war sein beruflicher Werdegang erfolgreich ohne besondere Vorkommnisse, die Gesundheitskarte des Kläger zeigt bis Ende 1975 keine psychischen Erkrankungen.

Nach seiner Ehescheidung im Januar 1976 zeigte der Kläger bei persönlichen und finanziellen Belastungen erstmals psychische Auffälligkeiten, die damals behandelnden Ärzte erwarteten jedoch nach einer Stabilisierung seiner persönlichen Situation und der Abzahlung von Schulden Ende 1976 zunächst noch die künftige gesundheitliche Wiederherstellung des Klägers. In seinem Bericht an den Truppenarzt vom 22.08.1977 verzeichnete der Psychiater Dr. W. vom Bundeswehrkrankenhaus (BWK) München jedoch eine weitere Verschlechterung. Er diagnostizierte nach wiederholten Aufenthalten des Klägers im BWK München eine neurotische Dekompensation bei hysterischer Persönlichkeitsvariante. Der Kläger sei zunehmend ungesteuert. Mit Kurzschlussreaktionen und Selbstgefährdung müsse gerechnet werden. Der Kläger sei im militärischen Bereich nicht mehr tragbar, eine stationäre Behandlung werde als dringend erforderlich angeraten. Im WDB-Blatt vom 22.02.1979 teilte der Stabsarzt Dr. U. dem Wehrbereichsgebührnisamt V (WGBA) mit, dass der Kläger seit etwa zweieinhalb Jahren den militärisch-dienstlichen Belastungen psychisch nicht mehr gewachsen sei. Er habe sich vom 25.03.77 bis 01.04.77 in der Nervenklinik K., vom 05.10.77 bis 07.10.77 im BWK K., Abteilung Innere Medizin und vom 07.10.77 bis 10.11.77 im BWK K., Abteilung Psychiatrie aufgehalten. Es bestehe eine schwere Persönlichkeitsstörung mit Neigung zur Dekompensation.

Nach Einholung einer truppenärztlichen Stellungnahme lehnte das WGBA III mit formlosem Schreiben vom 19. April 1979 die Gewährung eines Ausgleichs ab, da keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 25 v.H. vorliege. Nachdem der Kläger "Einspruch" eingelegt hatte und auf einem rechtsmittelfähigen Bescheid bestand, wurden weitere ärztliche Unterlagen, insbesondere die Arztberichte über die stationären Klinikaufenthalte des Klägers, beigezogen. Aus dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Prof. Dr. A. vom 22.11.1977 über den Kläger, welches nach einer fünfwöchigen stationären Beobachtung erstellt wurde, geht als Diagnose ein Neurotizismus auf dem Boden einer narzisstisch-hysterischen Persönlichkeit mit zunehmender Dekompensation im Sozialverhalten hervor. Der Kläger habe eine Persönlichkeit mit abnormem Geltungsbedürfnis und Stimmungslabilität. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit liege dagegen nicht vor. Körperlich bestünden keine auffälligen Befunde.

Mit Bescheid vom 14.11.1979 lehnte das WBGA III die Anerkennung der Gesundheitsstörung "seelische Störung" als Wehrdienstbeschädigung sowie die Gewährung eines Ausgleichs ab. Nach übereinstimmender ärztlicher Auffassung sei die Gesundheitsstörung wehrdienstunabhängig in der Persönlichkeit des Klägers begründet, in deren Vordergrund eine neurotische Fehlentwicklung stehe. Das gegen diese Entscheidung geführte Klage- und Berufungsverfahren (Aktenzeichen S 15/V 775/79 des Sozialgerichts Augsburg und Aktenzeichen L 15/V 172/81 des Bayerischen Landessozialgerichts) war ohne Erfolg. Mit Urteil vom 30.11.1982 entschied das Bayerische Landessozialgericht, dass der Kläger keinen Ausgleich gemäß § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen der Folgen einer Wehrdienstverrichtung nach § 80 SVG beanspruchen könne, weil ein ursächlicher Zusammenhang der geltend gemachten psychischen Erkrankung mit Belastungen des Wehrdiensts nicht wahrscheinlich sei.

Im Mai 1993 wandte sich der Kläger erneut an das WBGA III und machte eine Wehrdienstbeschädigung geltend, reagierte aber nicht auf Anschreiben des WGBA III, das daraufhin das Verfahren einstellte.

Mit seinem an den Wehrbeauftragten gerichteten Schreiben vom 23.01.2001 forderte der Kläger eine erneute Untersuchung und Rehabilitation. Er machte u.a. geltend, während seiner Dienstzeit Giften, Radioaktivität und elektromagnetischen Strahlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Dies habe zu seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Dienst geführt, was auszugleichen sei. Nach weiterem ausdrücklichem Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem SVG vom 19.02.2001 nahm das WGBA weitere Ermittlungen auf und zog zahlreiche Unterlagen bei, u.a. auch die Teilberichte zur Strahlenbelastung durch ionisierende Strahlung an Radargeräten des Flugabwehrraketensystems HAWK der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 19.11.2001 und 06.02.2002. Die Wehrbereichsverwaltung West - Außenstelle Wiesbaden, Öffentlich-rechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und Umweltschutz, legte unter dem 11.12.2002 eine "Ersatzdosisberechnung" über die Strahlenbelastung vor, der der Kläger während seiner Dienstzeit ausgesetzt war. In dieser Berechnung war u.a. aufgeführt, dass der Kläger maximal während eines Lehrgangs in den USA in der Zeit vom 6. Juli 1973 bis 8. Oktober 1974 einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. In dieser Zeit habe er die Befähigung erworben, Radaranlagen des Waffensystems NIKE zu warten bzw. instand zu setzen, er sei aber in der Folgezeit dazu nicht eingesetzt worden. Es errechne sich daher eine Gesamtdosis von 0,41 Millisievert (mSv), die die Grenzwerte für strahlenexponierte Personen ebenso wie die für die Allgemeinbevölkerung geltenden Richtwerte bei weitem einhalte.

Mit Bescheid vom 20.01.2003 wurde der Antrag des Klägers durch die Wehrbereichsverwaltung West abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht gegeben seien. Am Bescheid vom 14.11.1979 werde festgehalten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die von ihm angeführte Tätigkeit als Flugabwehrraketenelektronikmechaniker oder Funkmeister geeignet gewesen sei, die Gesundheitsbeeinträchtigung "seelische Störung" hervorzurufen oder zu verschlimmern. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2004 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, nach der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung seien als qualifizierte Krankheiten aufgrund ionisierender (Radar-)Strahlen ausschließlich Katarakte und maligne Tumoren mit Ausnahme der chronisch lymphatischen Leukämie anzusehen.

Das Versorgungsamt Freiburg lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) mit Bescheid vom 04.03.2003 ab, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung "seelische Störung" und den dienstlichen Tätigkeiten des Klägers als Flugzeugabwehrraketenelektonikmechaniker bzw. Funkmeister nicht bestehe.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2004 erhob der Kläger am 13.04.2004 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), das sie mit Gerichtsbescheid vom 14.12.2004 abwies. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Gericht schließe sich der derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung an, wonach ein Kausalzusammenhang zwischen ionisierenden Strahlen und psychischen Veränderungen nicht nachweisbar sei. Es seien in den aktenkundigen Unterlagen im übrigen auch genügend Hinweise dafür vorhanden, dass wehrdienstunabhängige Faktoren ursächlich für die bestehenden Erkrankungen seien.

Gegen den am 11.01.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24.01.2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung bringt er vor, er sei nach seiner Grundausbildung in die Flugabwehrraketenwerft 23 in M. versetzt worden. Die Instandsetzungsbereiche seien nur durch Stoffplanen voneinander getrennt gewesen. Bei der Prüfung, Testung und Instandsetzung von Großgeräten und Komponenten des Waffensystems NIKE seien insbesondere die Treibstofftanks entgiftet und gereinigt worden, ohne dass angemessene Schutzausrüstung oder eine Zu- und Abluftvorrichtung vorhanden gewesen sei. Auch sei mit großen Mengen Trichloräthylen entfettet worden. Die zahlreichen Test- und Prüfgeräte, mit denen er befasst gewesen sei, seien im hochenergetischen Mikrowellenbereich nicht abgeschirmt und bis zu zehn Stunden täglich eingeschaltet gewesen. Die ausgebauten Radarsenderröhren seien, wenn sie zu Bruch gegangen seien, einfach entsorgt worden. Er sei nie strahlentechnisch untersucht worden. Er sei also über viele Jahre toxischen Stoffen, Radioaktivität und Radarstrahlen ausgesetzt gewesen, die für die eingetretenen Gesundheitsstörungen ursächlich seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Dezember 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen den Bescheid vom 14. November 1979 zurückzunehmen, eine "seelische Störung" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm ab dem 1. Februar 1979 Ausgleich zu gewähren.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine Verursachung der seelischen Störung des Klägers durch die Bedingungen bei der Bundeswehr und insbesondere Strahlenschäden sei nicht nachgewiesen.

Der Senat hat behandelnde Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich befragt.

Der Chefarzt der Abteilung Suchterkrankungen des Zentrums für Psychiatrie W., Fachbereich Alkohol/Medikamente, T. F., hat dem Senat unter dem 27.10.2006 mitgeteilt, die Krankenakte des Klägers sei nicht verfügbar. Er könne daher nur mitteilen, dass sich der Kläger bis zum 07.07.1988 in einer Entzugsbehandlung befunden habe, weitere Details seien in seinem Hause nach der vergangenen Zeit nicht mehr feststellbar.

Der Allgemeinmediziner Dr. I. hat unter dem 28.11.2006 mitgeteilt, er behandele den Kläger seit September 2004. Als Diagnosen hat er benannt: Alkoholabhängigkeitssyndrom, kombinierte Persönlichkeitsstörung (schizoid depressive Persönlichkeitsstruktur mit Dekompensationsneigung), Prostatopathie und "Steratusis Hepaties" (gemeint: Steatosis hepatis).

Der Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen im Zentrum für Psychiatrie R., H., hat dem Senat über die stationäre Behandlung des Klägers in seiner Einrichtung vom 24.11.2004 bis 17.12.2004 berichtet. Die Entlassdiagnose lautete: Alkoholabhängigkeitssyndrom und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionisch-dependenten und narzisstischen Zügen. Der Kläger habe sich einer qualifizierten Alkoholentzugsbehandlung unterzogen. Der beigefügte Entlassbrief vom 20.12.2004 beschreibt den Lebensweg des Klägers, die psychiatrische Vorgeschichte und Suchtanamnese; Strahlenschäden wurden danach weder vom Kläger thematisiert noch waren sie Gegenstand medizinischer Behandlung.

Mit Beschluss vom 26.02.2007 hat der Senat das Land Baden-Württemberg zum Rechtsstreit beigeladen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und das beigezogene Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 1982 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG).

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Bescheid vom 14.11.1979 war nicht zurückzunehmen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausgleich nach dem SVG und auf Feststellung seiner seelischen Störung als Folge einer WDB.

Verfahrensrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Überprüfung des Bescheides vom 14.11.1979 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch den Bescheid vom 20.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2004.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Soweit ein angegriffener Verwaltungsakt rechtswidrig ist, hat die Behörde ihn aufzuheben und die Leistung neu festzusetzen. Diese Vorschrift ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, für die das Bundessozialgericht (BSG) in Anlehnung an das gerichtliche Wiederaufnahmeverfahren folgende Grundsätze entwickelt hat: Ergibt sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (BSG SozR 1300 § 44 Nr. 33).

Materiellrechtlich richtete sich das im Jahr 1979 geltend gemachte Begehren des Klägers auf die Feststellung einer WDB und die Gewährung eines Ausgleichs nach den §§ 85, 80 und 81 Soldatenversorgungsgesetz (Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen vom 26. Juli 1957, BGBl. I, S. 785 in der Fassung der aktuellen Bekanntmachung) in Verbindung mit den §§ 1, 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.06.1976, BGBl. I, S. 1633, zuletzt geändert durch das Zehnte Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes vom 10. August 1978, BGBl. I, S. 1217). Die hier maßgeblichen Vorschriften sind im wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.

Die Beklagte hat es mit Bescheid vom 20.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2004 abgelehnt, den seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30.11.1982 bestandskräftigen Bescheid vom 14.11.1979 aufzuheben. Dabei hat sie den neuen Vortrag des Klägers, er sei infolge von Radarstrahlen psychisch erkrankt, geprüft, aufgrund der im Verfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnisse aber als tatsächlich nicht zutreffend angesehen. Das ist nicht zu beanstanden. Der Kläger kann keinen Ausgleich gemäß § 85 SVG wegen der Folgen einer Wehrdienstverrichtung nach § 80 SVG a.F. beanspruchen. Die psychische Erkrankung, an welcher der Kläger bereits zu jener Zeit litt, ist nicht wesentlich durch eine mit der Exposition gegenüber Radarstrahlen verbundene Wehrdienstverrichtung im Sinne des § 81 Abs. 1, 1. Alt. SVG verursacht worden.

Ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, erhält unverändert nach dem 1979 (vgl. dazu oben) geltenden wie jetzigem Recht nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist (§ 80 Satz 1 SVG).

WDB ist dabei - nach altem wie neuem Recht unverändert - eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Dabei müssen das schädigende Ereignis, die dadurch eingetretene gesundheitliche Schädigung und die darauf beruhenden Gesundheitsstörungen (Schädigungsfolgen) erwiesen sein, während nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG für die Frage des ursächlichen Zusammenhangs die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSG, Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 1; BSG, Urteil vom 19. März 1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58). Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. dass unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den behaupteten ursächlichen Zusammenhang spricht. Ist ein Sachverhalt nicht beweisbar oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) der Beteiligte die Folgen zu tragen, der aus dem nicht festgestellten Sachverhalt bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Zusammenhang Rechte für sich herleitet (BSG, Urteil vom 29. März 1963 - 2 RU 75/61 - BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 40/67 - BSGE 30, 121; BSG, Urteil vom 20. Januar 1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110).

Bereits das Bayerische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 30.11.1982 zum damals wie heute streitbefangenen Bescheid vom 14.11.1979 ausgeführt, die vom Kläger vorgebrachten Verhältnisse und Ereignisse wie etwa das Scheitern eines Versetzungsgesuchs oder der Einsatz in einer Atomraketeneinheit erfüllten die Voraussetzungen einer Wehrdienstbeschädigung nicht. Enttäuschungen im beruflichen Leben wie eine abgelehnte Versetzung oder die fehlgeschlagene Übernahme als Lehrer könnten sich in jedem Beruf ereignen. Unerlaubtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz habe auch in zivilen Arbeits- oder Dienstverhältnissen Konsequenzen. Über das übliche Maß hinausgehende körperliche oder seelische Belastungen seien in der Atomraketeneinheit des Klägers nicht angefallen. Statt dessen stehe für das Krankheitsgeschehen die Persönlichkeitsstruktur des Klägers und ein Partnerschaftskonflikt im Vordergrund, dem der Kläger nicht gewachsen gewesen sei und der im Januar 1976 zur Scheidung geführt habe. Erst mit diesem Ereignis zeichne sich ein deutlicher Knick im Lebenslauf des Klägers ab. Die Erscheinungsbilder neurotischen Fehlverhaltens wie Alkohol- und Tablettenabusus, fragliche Suizidversuche, unerlaubtes Entfernen von der Truppe, querulatorische Vorgänge, Fluchttendenzen und Depression seien in erster Linie durch eine demonstrativ-hysterische Persönlichkeit bedingt. Dass es neben privaten Konflikten auch Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten und Kameraden gegeben habe, sei nicht wehrdiensteigentümlich, sondern in jedem Berufsleben möglich. Ein ursächlicher Zusammenhang der psychischen Erkrankung mit Belastungen des Wehrdienstes sei daher nicht wahrscheinlich, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung.

Dem ist im Ergebnis auch unter Beachtung des neuen Vorbringens des Klägers, (Radar-) Strahlung habe seine Erkrankung verursacht, zuzustimmen. Bereits das Bayerische Landessozialgericht hatte die dienstliche Verwendung des Klägers in einer Atomraketeneinheit - bei fraglicher Strahlenbelastung - nicht als wesentlich für die Entwicklung seiner seelischen Störung angesehen. Weder wertet der Senat die bereits damals vorliegenden Unterlagen über den Kläger anders als das Bayerische Landessozialgericht noch konnte der Senat dem weiteren Vorbringen des Klägers, den mittlerweile aktenkundig gewordenen Verwaltungsvorgängen noch den inzwischen hinzugekommenen ärztlichen Unterlagen entnehmen, dass neue Erkenntnisse den Bescheid vom 14.11.1979 im Nachhinein als unrichtig erscheinen ließen, so dass die Entscheidung des Beklagten, dessen Rücknahme zu verweigern, rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Insbesondere kann das Vorbringen des Klägers, er sei über viele Jahre Radioaktivität und Radarstrahlen ausgesetzt gewesen und infolgedessen erkrankt, nicht überzeugen. Der Senat hat aufgrund der vorgelegten Unterlagen festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 06.07.1973 bis 08.10.1974, als er in den USA an einem Waffensystem ausgebildet wurde, Röntgenstörstrahlung bzw. Strahlung aus radioaktiven Stoffen ausgesetzt gewesen sein konnte. Die effektive Dosis durch die 15-monatige Exposition mit Röntgenstörstrahlung bzw. radioaktiver Leuchtfarbe betrug ausweislich der Berechnung der Wehrbereichsverwaltung West, Abteilung Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischer Umweltschutz, jedoch nicht mehr als 0,41 mSv, was die Grenzwerte sowohl für strahlenexponierte Personen als auch die Gesamtbevölkerung bei weitem unterschreitet. Strahlenbelastung als Ursache von expositionsbedingten Erkrankungen setzt dagegen voraus, dass diese Grenzwerte langjährig und/oder deutlich überschritten werden, was beim Kläger nicht der Fall ist.

Darüber hinaus gibt es soweit ersichtlich keine Erkenntnisse in der medizinisch-wissenschaftlichen Forschung, dass Strahlenbelastungen unmittelbar seelische Störungen hervorrufen könnten. Während Erkrankungen des blutbildenden Systems, des Lymphsystems und Krebs- bzw. sonstige bösartige Tumorerkrankungen unter Umständen ätiologisch auf Strahlenbelastungen zurückgeführt werden können, ist das für psychische Leiden nicht der Fall. So verzeichnen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP), die von den Gerichten als antizipierte Sachverständigengutachten herangezogen werden, zwar Erkrankungen durch physikalische und chemische Noxen, darunter Strahlen. Nach Nr. 143 Abs. 1 der AHP können energiereiche ionisierenden Strahlen im lebenden Gewebe Störungen der Zelltätigkeit bis zum Zelluntergang verursachen und damit zu funktionellen, morphologischen und genetischen Veränderungen führen. Dabei ist das Ausmaß der biologischen Wirkung abhängig von der Strahlendosis, der Strahlenart und -energie, der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Dosis sowie der Stahlenempfindlichkeit des betroffenen Gewebes. Bei deterministischen Strahlenwirkungen (z.B. akute Schäden, Katarakt, fibrotische Prozesse, chronisches kutanes Strahlensyndrom) komme eine Anerkennung mit Wahrscheinlichkeit in Betracht, wenn die Schwellendosis erreicht oder überschritten werde. Bei stochastischen Strahlenwirkungen (vor allem bösartige Neubildungen, insbesondere Leukämien sowie Bronchial-, Brust- und Schilddrüsenkarzinom) hänge es von mehreren Faktoren ab, ob eine Beurteilung mit Wahrscheinlichkeit erfolgen könne; ggf. komme eine Kannversorgung in Betracht. Ausführungen zu Leberkarzinomen, Endotheliomen der Leber und aplastischen Anämien sowie zu bösartigen Geschwulsten der Atmungsorgane und Blutkrankheiten folgen. Seelische Störungen oder psychische Leiden werden nicht aufgeführt. Statt dessen heißt es ausdrücklich unter Nr. 143 Absatz 2, dass Folgen nichtionisierender Strahlung wie etwa Radar nur bei hochgradiger Exposition in Form thermischer Schäden (insbesondere Katarakt) nachgewiesen seien. Der Kläger hat dem Senat keine wissenschaftlich fundierte medizinische Fachliteratur benannt, in der eine anderslautende Auffassung vertreten würde. Der Senat konnte auch keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die in den AHP vertretene medizinische Lehrmeinung unzutreffend wäre. Der vom Kläger behauptete Zusammenhang zwischen seiner neurotischen Erkrankung und einer Strahlenbelastung wird von keinem seiner behandelnden Ärzte gestützt: Statt dessen gehen Dr. W., Dr. U. und Prof. Dr. A. von einer (wehrdienstunabhängigen) Persönlichkeitsstörung mit Dekompensation bei familiärer Belastung aus. Die vom Senat befragten Mediziner F., Dr. I. und H. verwiesen auf eine Alkoholabhängigkeit. Nicht einmal der Kläger selbst hat bei der stationären Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Anamnese und während der Behandlung Strahlenbelastungen als Ursache seiner seelischen Störung thematisiert.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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