L 5 Vb 627/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 11/12 Vb 2248/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 Vb 627/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. März 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1950 geborene Kläger ist Schwerbehinderter nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Durch zuletzt bindend gewordenem Bescheid vom 28. Februar 1986 wurden bei ihm folgende Gesundheitsstörungen als Behinderungen anerkannt:

1) Zustand nach Poliomyelitis mit Wachstumsstörungen, Paresen und Atrophien des rechten Armes und Beines,

2) HWS-Syndrom und der Grad der Behinderung (GdB) mit 100 festgestellt. Ferner erkannte der Beklagte beim Kläger das Vorliegen der Nachteilsausgleiche "B”, "G” sowie "aG” an.

Mit Antrag vom 21. April 1986 begehrte der Kläger darüber hinaus die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "H” und "RF”. Dieser Antrag wurde durch rechtsverbindlichen Bescheid vom 14. August 1986 zurückgewiesen (rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 12. August 1988, durch Berufungsrücknahme in dem Verfahren vor dem Landessozialgericht Essen – Az.: L-7/VS-213/88 –).

Am 31. Oktober 1990 begehrte der Kläger erneut die Feststellung der Nachteilsausgleiche "H” und "RF”. Vom Beklagten wurde hierauf ein Befundbericht beigezogen von Dr. med. W. A. Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Chirotherapie und Sportmedizin (25. Januar 1991), zu dem sich der Chirurg des Beklagten E. vom 18. März 1991 im wesentlichen dahin äußerte, der orthopädische Befundbericht belege eine weitergehende Funktionslosigkeit des rechten Beines und des rechten Armes und der rechten Hand. Über Funktionsstörungen der linken Extremitäten sei nichts belegt. Hiernach könne bei Funktionen der linken Extremitäten beim Vorliegen eines Halswirbelsäulensyndroms, sowie der aufgeführten Weichteilreizzustände beider Hüftgelenke die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "H” und "RF” nicht angenommen werden. Es sei nicht nachzuvollziehen, wieso der Kläger beim Fortbewegen innerhalb der Wohnung einer Hilfe bedürfe. Der orthopädische Befundbericht belege "Gehen zu Fuß”. Eine Hilfe dabei werde jedoch nicht belegt. Mit Bescheid vom 19. März 1991 wies der Beklagte hierauf den Antrag des Klägers zurück, bezeichnete jedoch die Behinderungen wie folgt neu:

1) Zustand nach Poliomyelitis mit Wachstumsstörungen, Paresen und Atrophien des rechten Armes und Beines

2) Degeneratives Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei Wirbelsäulenfehlstatik, Weichteilreizzustand beider Hüftgelenke.

Im übrigen hielt er an den bindenden Feststellungen des Bescheides vom 28. Februar 1986 fest. Der hiergegen am 22. April 1991 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Er wurde durch Widerspruchsbescheid vom 7. August 1991 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im wesentlichen aus, Voraussetzung für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "H” sei, daß eine Person ständig und auf Dauer fremder Hilfe beim Essen, Trinken, Waschen, Frisieren, Rasieren oder Notdurftverrichten in erheblichem Umfange bedürfe. Hierzu gehöre nicht die Haushaltsführung, die Essenszubereitung, die Wohnungsreinigung, das Wäschewaschen, Bügeln oder die eigentliche Krankenpflege. Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht setze voraus, daß jemand aus gesundheitlichen Gründen dauernd von öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art ausgeschlossen und eine gelegentliche Teilnahme im Rollstuhl und mit Hilfe anderer Personen unmöglich sei. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 6. September 1991 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Zur Begründung hat er sich im wesentlichen auf seine bereits im Vorverfahren vorgetragene Auffassung berufen. Darüber hinaus hat er die Ansicht geäußert, es sei hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "H” nicht erforderlich, daß er bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens dauernder fremder Hilfe bedürfe, sondern zumindest bei einem Großteil. Das Gesetz verlange lediglich einen Bedarf an erheblichem Umfang und nicht in allen Bereichen. In sämtlichen ärztlichen Äußerungen werde nicht auf seine Behinderungen eingegangen, sondern lediglich darauf abgestellt, daß er sich alleine an- und auskleiden könne und berufstätig sei. Dabei werde übersehen, daß er Probleme beim Binden von Schuhen und Krawatten habe und insoweit nicht ohne die Hilfe seiner bei ihm lebenden Mutter auskomme. Da der Gesetzgeber beim Nachteilsausgleich "H” einen Steuerfreibetrag gewähre, werde folglich davon ausgegangen, daß trotz Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen werden könne.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Entlassungsbericht des B. krankenhauses F. vom 18. Oktober 1991 sowie Befundberichte der Dres. Z. vom 12. Februar 1992 mit ergänzender Äußerung vom 3. Juni 1992, des Dr. A. vom 14. Februar 1992 mit ergänzender Äußerung vom 26. Januar 1993 und des Dr. M. vom 4. Mai 1992 mit ergänzender Äußerung vom 2. Juni 1992 eingeholt. Zu diesen Unterlagen nahm der Arzt des Beklagten Dr. med. B. H. (Chirurg) in seiner Stellungnahme vom 20. Oktober 1992 zusammenfassend dahingehend Stellung, daß nach den vorgenannten fachärztlichen Befundberichten keine andere Beurteilung als die im strittigen Bescheid vom 19. März 1991 bereits festgestellte, möglich sei. Danach lägen weiterhin die Voraussetzungen für die vorgenannten Nachteilsausgleiche nicht vor. Im orthopädischen Befundbericht werde lediglich eine Behinderung beim Gehen belegt. Eine Führhilfe werde zweifelsfrei nicht erwähnt. Auch seien weitere Befunde, die die vorgenannten Nachteilsausgleiche stützten, nicht erkenntlich. Im vorgenannten internistischen Befundbericht vom 2. Juni 1992 würden Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen kategorisch verneint. Deshalb könne nach derzeitiger Aktenlage das Vorliegen des Klagebegehrens aus versorgungsärztlich-chirurgischer Sicht nicht gestützt werden. Dieses Ergebnis wurde bestätigt durch die Stellungnahme der Internistin des Beklagten Dr. med. R. K. vom 26. Oktober 1992, die unter Auswertung der vorgelegten Befundberichte zusammenfassend ausführte, daß sich bezüglich der angestrebten Nachteilsausgleiche "H” und "RF” durch das Hinzutreten der Behinderung auf internistischem Gebiet keine neuen Gesichtspunkte ergeben würden. Es müsse bei der bisherigen ablehnenden Entscheidung verbleiben, die auch vom behandelnden Internisten Dr. med. M. in seinem Schreiben vom 2. Juni 1992 gestützt werde. Die Ärztin regte jedoch an, die bereits festgestellten Behinderungen wie folgt zu ergänzen:

3. Zwerchfellbruch mit rezidivierenden Schleimhautreizungen der Speiseröhre – Einzel-GdB 10.

Nach Vorlage einer weiteren ärztlichen Stellungnahme zu dem Nachteilsausgleich "H” durch Dr. med. W. A. (26. Januar 1993) und einer hierzu ergangenen Äußerung des Beklagten vom 3. Februar 1993 beauftragte das Sozialgericht durch Beweisbeschluß vom 20. April 1993 von Amts wegen den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med, E. K., F. mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 20. Juni 1993 gelangte Dr. K. zu sammenfassend zu folgender Beurteilung:

"Der jetzt 42jährige, ledige und mittelgroße, in einem Büro beschäftigte Herr L. hat im Alter von 1 1/2 Jahren eine Poliomyelitis durchgemacht, die allerdings zu einer Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes und zu einer starken Gehstörung des rechten Beines geführt hat.

Das rechte Bein ist nur mit Hilfe eines Schienenhülsenapparates einigermaßen stand- und gehfähig. Entsprechend zeigt sich nicht nur eine Verkürzung, sondern auch eine Atrophie der Muskeln auf der rechten Seite mit entsprechenden pathologischen Ausfällen im Elektroneurogramm und im Elektromyogramm. An der Schwere der Ausfälle infolge Poliomyelitis auf der rechten Körperseite besteht auch nach der jetzigen Betrachtung kein Zweifel.

Nicht umsonst hat man Herrn L. einen Grad der Behinderung von 100 % und die Zusatzbezeichnung "aG” als außergewöhnliche Gehbeeinträchtigung gewährt. In den Vorgutachten wurde aber von den meisten befragten Ärzten es abgelehnt, die von L. angegebene Hilflosigkeit (Zeichen "H” und Zeichen "RF”) anzuerkennen und ich kann auf Grund des eingehenden Aktenstudiums, der neurologischen und elektrophysiologischen Untersuchungen diese Begünstigungsmerkmale bei Herrn L. auch nicht als gegeben betrachten. Herr L. konnte sich hier selbständig an- und ausziehen, einschließlich Anlegen der Prothese.

Angegeben wurde auch, daß er trotz seiner 100 %igen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit noch einen Beruf ausübt, was ihm sicherlich als anerkennenswert ausgelegt werden muß. Aber die Begünstigungsmerkmale "H” und "RF” sind auf Grund der auch jetzt durchgeführten Untersuchungen nicht zu bestätigen. Auf Grund der Untersuchungen möchte ich die an mich gestellten Beweisfragen wie folgt beantworten:

1) Der Kläger ist nicht so hilflos, daß er für die gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe bedarf.

2) Der Kläger ist auch nicht unfähig, an einer öffentlichen Veranstaltung selbständig teilzunehmen. Wegen der Schwere seiner Behinderung ist er auch nicht nur an seine Wohnung gebunden, was sich schon allein aus der Tatsache ergibt, daß er einer Berufstätigkeit nachgeht.”

Bei dieser Auffassung verblieb der Gutachter auch mit Schreiben vom 15. August 1993.

Mit Urteil vom 29. März 1994 wies das Sozialgericht die Klage ab.

In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, daß der Kläger auch seit Oktober 1990 nicht hilflos im Sinne der §§ 33 a, 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) und 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei. Der Kläger bedürfe bei den personengebundenen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens weder in erheblichem Umfange noch dauernd fremder Hilfe. Zu diesem Ergebnis sei der Sachverständige in seinem Gutachten vom 20. Juni 1993 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. August 1993 gekommen. Dr. K. habe darauf hingewiesen, daß sich der Kläger anläßlich der Untersuchung selbständig habe an- und ausziehen können, einschließlich des Ablegens der Prothese. Dafür, daß der Kläger nicht hilfslos sei, spreche auch die Tatsache seiner Berufstätigkeit. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "H” dürfe nicht allein auf medizinische Gegebenheiten abgestellt werden, sondern auch darauf, in welchem Umfang der Kläger aufgrund der praktischen Auswirkung seiner Behinderungen nicht in der Lage sei, sich im Alltag selbst zu behelfen. Danach könne der Kläger die entscheidenden Verrichtungen des täglichen Lebens überwiegend selbst bewältigen, auch wenn ihm dies in mancher Hinsicht nur unter Schwierigkeiten gelinge. Hierfür spreche zunächst, daß er – nachdem seine Mutter wieder nach K. verzogen ist – in seinem Haushalt allein lebt. Seine Wohnung könne der Kläger, obwohl Stufen zu überwinden seien, alleine erreichen bzw. verlassen. Insbesondere sei er in der Lage, allein aufzustehen oder zu Bett zu gehen, seine Körperreinigung vorzunehmen und sich selbst an- und auszukleiden, einschließlich der orthopädischen Gehhilfe. Bei der Nahrungsaufnahme habe der Kläger keine Schwierigkeiten und er sei grundsätzlich auch dazu imstande, allein etwas zum Essen zuzubereiten. Der Kläger könne auch ohne fremde Hilfe zur Toilette gehen und sich – wenn auch mühsam – in seiner Wohnung fortbewegen. Die Einschränkungen, die der Kläger hinsichtlich einiger Verrichtungen geschildert habe, könnten dagegen eine Hilflosigkeit im Sinne der hier zu verlangenden Voraussetzungen nicht begründen. Dies gelte zunächst insofern, als das Anziehen bestimmter Kleidungsstücke Schwierigkeiten bereite. Der Umstand, daß wegen der Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes einige Handgriffe nicht oder nur auf sehr umständliche und zeitintensive Weise gelängen, falle nicht ins Gewicht, denn es sei dem Kläger durchaus zumutbar, Kleidungsstücke mit Rücksicht auf seine Behinderung auszusuchen.

Was die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF” anbetreffe, so führte das Sozialgericht im wesentlichen aus, es sei nicht erkennbar, daß der Kläger von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen ständig ausgeschlossen sei. Seine Wohnung könne er ohne fremde Hilfe verlassen. Selbst Veranstaltungsorte mit ungünstiger Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel seien ohne Einschaltung sozialer Dienste zu erreichen, da der Kläger die Möglichkeit habe, seinen eigenen Pkw zu benutzen. Mit diesem sei er auch zur mündlichen Verhandlung am 29. März 1994 angereist. Wenn er einerseits mit seiner Bekannten Ausflüge unternehmen könne, sei es nicht ersichtlich, weshalb dagegen andererseits der Besuch öffentlicher Veranstaltungen wegen der zu bewältigenden Anfahrtstrecke ständig unterbleiben müsse.

Gegen dieses ihm am 13. Juni 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Juli 1994 (Fax) Berufung eingelegt.

Zur Begründung hat er sich im wesentlichen auf seine bereits im Vor- und Klageverfahren dargelegte Auffassung bezogen. Darüber hinaus hat er unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen der "Hilflosigkeit” auf anderen Rechtsgebieten (§ 35 BVG, § 53 Abs. 1 SGB V, § 69 BSHG) dargelegt, daß die Anforderungen an die Hilflosigkeit nicht überspannt werden dürften. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung müsse von einer Deckungsgleicheit des Tatbestandsmarkmals "Hilflosigkeit” ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. März 1994 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1991 zu verurteilen, ihm ab Oktober 1990 die Nachteilsausgleiche "H” und "RF” zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liegen unbedenklich vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Deshalb hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

Nach § 4 Abs. 4 SchwbG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV ist im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen "H” einzutragen, wenn der Schwerbehinderte hilflos im Sinne des § 33 b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften ist. § 33 b Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sieht einen erhöhten Pauschbetrag für Behinderte vor, "die infolge ihrer Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedürfen”. Eine dem § 33 b EStG insofern "entsprechende” Vorschrift ist § 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG). Danach wird eine Pflegezulage gezahlt, "solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf”. Der Wortlaut der früher unterschiedlichen Regelungen zur Hilflosigkeit in § 33 b EStG und in § 35 BVG ist somit – wie ersichtlich – vom Gesetzgeber angeglichen worden. Ob ein Zustand der Hilflosigkeit in diesem Sinne besteht, ist eine Tatfrage, die nicht allein nach ärztlichen Schlußfolgerungen beurteilt werden kann; diese Frage ist vielmehr aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des einzelnen Falles zu entscheiden (vgl. Verwaltungsvorschrift Nr. 1 zu § 35 BVG; "Anhaltspunkte”, Seite 30).

Zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des "täglichen Lebens” zählen zunächst An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege und Verrichten der Notdurft. Dazu gehören aber auch die notwendige körperliche Bewegung (Spaziergänge) und Tätigkeiten zur geistigen Anregung (Lesen, Schreiben, Telefonieren, Fernsehen). Im konkreten Fall sind die "gewöhnlichen Verrichtungen” nach den individuellen Verhältnissen des betroffenen Behinderten zu bestimmen. Die Hilfe, bei diesen Verrichtungen wird in § 37 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – im Unterschied zur Behandlungspflege – als Grundpflege bezeichnet; gemeint sind damit alle pflegerischen Leistungen nichtmedizinischer Art. Sie müssen personengebunden sein und umfassen daher nicht die allgemeinen Haushaltsarbeiten (Wäsche waschen, Bügeln, Kochen).

Der Umfang der notwendigen Hilfe muß erheblich sein. Nach den "Anhaltspunkten” ist dies der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist beispielsweise keine fremde Hilfe "in erheblichem Umfang” bei Dialysepatienten erforderlich, die dreimal wöchentlich für jeweils acht Stunden an eine künstliche Niere angeschlossen werden müssen (BSG SozR 3875 § 3 Nr. 2). Auch wer wegen einer Stoffwechselstörung eine besonders teure Diät benötigt, um eine schwere Erkrankung mit Hilflosigkeit zu verhüten, hat keinen Anspruch auf das Merkzeichen "H”. Denn er ist für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens überhaupt nicht auf fremde Hilfe angewiesen oder – wenn die Diät-Speisen von einer anderen Person zubereitet werden müssen – jedenfalls nicht in erheblichem Umfang (Urteil vom 29. August 1990 – 9a/9 RVs 7/89 = SozR 3 – 3870 § 48 Nr. 1). Das gilt auch bei Kindern oder sehr alten Personen. Altersbedingte Verstärkungen in den Auswirkungen von Störungen können nämlich grundsätzlich nicht berücksichtig werden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 SchwbG; vgl. ferner BSG, a.a.O.).

Ausgehend hiervon ist der erkennende Senat mit dem Sozialgericht der Auffassung, daß beim Kläger die Voraussetzungen der "Hilflosigkeit” noch nicht vorliegen, wie dies auch von dem Gutachter Dr. K. in seinem Gutachten vom 20. Juni 1993 sowie der Stellungnahme vom 15. August 1993 überzeugend dargelegt wurde.

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 SchwbAwV ist im Ausweis das Merkzeichen "RF” einzutragen, wenn der Schwerbehinderte die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. In Hessen gilt insoweit die Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 18. Dezember 1979 (GVBl. I S. 263); die anderen Bundesländer haben allerdings gleichlautende Vorschriften erlassen. Zu den danach berechtigten Personengruppen gehören zunächst Blinde und – unter näher geregelten Voraussetzungen – andere Sehbehinderte sowie Hörgeschädigte. Außerdem werden nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung Behinderte von der Rundfunkgebührenpflicht befreit, die nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v.H. im Sinne der Verordnung entspricht ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind die Voraussetzungen der Rundfunkgebührenbefreiung erst erfüllt, wenn der Behinderte infolge seiner Behinderungen nicht nur ständig, sondern auch allgemein an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann; es genügt demnach nicht, daß er von einzelnen, besonders von Massenveranstaltungen ausgeschlossen ist (BSGE 53, 175 ff.). Das Wort "ständig” im Sinne der Verordnung ist deshalb nicht nur in einem zeitlichen Sinne zu verstehen; es bedeutet vielmehr, daß der Behinderte auch "umfassend” von allen Arten öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Dabei schadet es allerdings nicht, "wenn er behinderungsbedingt noch an einem nicht nennenswerten Anteil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann” (vgl. BSG SozR 3870 § 3 Nr. 24).

Eine "öffentliche Veranstaltung” ist nach allgemeinem Sprachgebrauch jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinne einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art. Dazu gehören politische, künstlerische, wissenschaftliche, religiöse, unterhaltende und sportliche Ereignisse, beispielsweise Kino-, Theater-, Konzert- und Vortragsveranstaltungen, Gottesdienste, öffentliche Feste, politische Versammlungen und Sportwettkämpfe.

Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen muß gerade "wegen ihres Leidens” ausgeschlossen sein. Ein hohes oder niedriges Lebensalter kann daher neben den festgestellten Behinderungen nicht als Befreiungsgrund anerkannt werden. Auch auf die Ortsverhältnisse kommt es nicht an. Das BSG hat hierzu entschieden, daß ein Schwerbehinderter, der für längere Wege einen Rollstuhl und eine Begleitperson braucht, auch dann nicht von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden kann, wenn er auf dem Land wohnt und in seiner näheren Umgebung keine Veranstaltungen stattfinden, die seinen persönlichen Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen (vgl. BSG SozR 3870 § 3 Nr. 25). Die Berufstätigkeit eines Behinderten außer Hauses ist ein Indiz dafür, daß er öffentliche Veranstaltungen noch besuchen kann.

Nach Ansicht des BSG (Urteil vom 11. September 1991 – 9a/9 RVs 15/89) sind die Verordnungen über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht eng auszulegen und damit auch keiner analogen Anwendung zugänglich. Die Verordnungsgeber hätten sich bemüht, den Kreis der von der Rundfunkgebührenpflicht Befreiten überschaubar zu halten. Nach der Systematik der Verordnungen und dem erkennbaren Bestreben der Verordnungsgeber könne es keinem Zweifel unterliegen, daß nur solche Behinderte mit einem GdB um wenigstens 80 gemeint seien, die allein physisch nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, sei es wegen körperlicher Behinderung, sei es wegen Unzumutbarkeit für ihre Umgebung. Solche Gründe seien leicht erkennbar und in ihrer Auswirkung sicher zu beurteilen. Für geistige und seelische Beeinträchtigungen gelte das nicht. Im übrigen erfülle ein Behinderter auch nicht deshalb die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, weil ihm das Merkzeichen "H” für Hilflosigkeit bereits zuerkannt worden sei. Das Merkzeichen "H” schließe nicht denknotwendig das Merkzeichen "RF” ein.

Die Feststellung des Merkzeichens "RF” kommt nach dieser Rechtsprechung des BSG vorwiegend für solche Behinderte in Betracht, die ständig an die Wohnung gebunden sind. Frühere Bestimmungen des Bundes und der Länder hatten ausdrücklich eine solche "ständige Bindung” des Behinderten "an seine Wohnung” gefordert (vgl. die Nachweise in BSGE 53, 175, 179 f.). Ferner ist eine Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zu bejahen, wenn die Teilnahme für die Umgebung des Behinderten unzumutbar ist, beispielsweise wenn die Behinderung abstoßend oder störend wirkt (sichtbare Entstellungen, Geruchsbelästigungen, unwillkürliche Bewegungen bei Spastikern), wenn es sich bei der Behinderung um eine ansteckende Krankheit handelt oder wenn befürchtet werden muß, daß der Behinderte durch motorische Unruhe oder lautes Sprechen stört.

Ausgehend hiervon ist der Senat mit dem Sozialgericht der Auffassung, daß bei dem Kläger die Voraussetzungen für "RF” nicht vorliegen. Denn der Kläger ist, wie dies bereits Dr. K. (a.a.O.) darlegte, noch nicht so behindert, daß er "ständig” nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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