S 12 KA 287/07 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 287/07 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 52/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Zulassungsausschuss ist befugt, die sofortige Vollziehung seines Beschlusses (hier: Praxisnachfolge nach § 103 Abs. 4 SGB V) nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG anzuordnen (entgegen LSG Niedersachsen, Beschl. v. 07.09.2006 – L 3 KA 117/06 ER -).
2. Der nach § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV zulässige Wechsel der Facharztbezeichnung ist auch auf den Wechsel von der hausärztlichen zur fachärztlichen Versorgungsebene und umgekehrt anzuwenden.
3. Ein sog. Praxistausch, durch den zwei zugelassene Vertragsärzte zeitgleich den Wechsel der Versorgungsebene bzw. Facharztbezeichnung in einem jeweils wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich vollziehen (hier: fachärztlich tätiger Internist in die hausärztliche Versorgungsebene und hausärztlich tätige Internistin in die fachärztliche Versorgungsebene mit dem Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie), ist nach § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV zulässig. Es kommt nicht darauf an, ob der Zulassungsausschuss zur Begründung seiner Entscheidung auf das Nachfolgeverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V abgestellt hat. Eine nach einem Ausschreibungsverfahren unterlegene Mitbewerberin wird durch die Entscheidung nicht in ihren Rechten verletzt.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 29.06.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten zu tragen. Sie hat ferner die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 10 und 11 zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.06.2007, mit der dieser die Beigeladene zu 11. als Praxisnachfolgerin des Beigeladenen zu 10. zugelassen hat.

Der Beigeladene zu 10. war als Internist zur fachärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beigeladene zu 11. war als Internistin zur hausärztlichen Versorgungsebene zugelassen. Sie ist außerdem berechtigt, die Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und Internistische Onkologie zu führen. Beide sind in Einzelpraxis mit Vertragsarztsitz in A-Stadt zugelassen. Der Beigeladene zu 10., der nach eigenen Angaben in seiner Praxis bisher gastroenterologische Leistungen schwerpunktmäßig erbracht hatte, beabsichtigte, aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen die Praxis zukünftig als hausärztliche Praxis zu führen. Für die hausärztliche Versorgungsebene war und ist aber der Planungsbereich A-Stadt-Stadt wegen Überversorgung gesperrt. Deshalb wandte er sich an die Beigeladene zu 11., die erst seit dem Jahr 2006 niedergelassen ist und nach ihren Angaben vor allem onkologisch tätig ist. Beide verabredeten deshalb einen "Praxistausch" dergestalt vorzunehmen, dass sie jeweils zugunsten des anderen auf ihre Zulassung verzichteten und die Praxis zur Praxisnachfolge nach § 103 Abs. 4 SGB V ausschreiben lassen wollten. Die Beigeladene zu 11. wollte dann die Praxis mit ihrer Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und Internistische Onkologie führen.

Die Antragstellerin ist ebenfalls Internistin mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Internistische Onkologie. Sie ist als solche zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen eines sog. Job-Sharings zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie übt ihre Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis mit drei weiteren Ärzten, einem Internisten und zwei Allgemeinärzten, letztere sind zur hausärztlichen Versorgung zugelassen, aus. Sie bemüht sich seit längerem um eine Sonderbedarfszulassung für den Planungsbereich A-Stadt. Hierüber ist ein Widerspruchsverfahren bei dem Antragsgegner anhängig.

Der Beigeladene zu 10. erklärte mit Datum vom 28.03.2007, er verzichte auf seine Zulassung zum 30.06.2007 unter dem Vorbehalt, dass die Beigeladene zu 11. zugelassen werde und er ihren – hausärztlichen – Vertragsarztsitz übernehme und als Praxisnachfolger zugelassen werde. Die Beigeladene zu 11. gab mit Datum vom 28.03.2007 eine entsprechende Verzichtserklärung zugunsten des Beigeladenen zu 10. ab. Gleichzeitig beantragten beide die Ausschreibung ihrer Vertragsarztsitze.

Die Beigeladene zu 1. schrieb die Vertragsarztsitze der Beigeladenen zu 10. und 11. aus. Für den Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 10. bewarb sich neben der Beigeladenen zu 11. auch die Antragstellerin.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen fasste am 26.06.2007 insgesamt sechs Beschlüsse, in denen er jeweils das Ende der Zulassung infolge Verzichts der Beigeladenen zu 10. und 11. zum 30.06.2007 feststellte, ferner den Beigeladenen zu 10. zur Übernahme des Vertragsarztsitzes der Beigeladenen zu 11. und die Beigeladene zu 11. als Internistin mit Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und Internistische Onkologie zur Übernahme des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 10. zuließ und jeweils den Anträgen der Beigeladenen zu 10. und 11. zur Verlegung des Vertragsarztsitzes an ihren bisherigen Standort zustimmte.

Gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.06.2007, durch den die Beigeladene zu 11. als Praxisnachfolgerin des Beigeladenen zu 10. zugelassen und der Antrag der Antragstellerin gleichzeitig abgelehnt wurde, legte die Antragstellerin am 02.07.2007 Widerspruch ein. Der am 10.07.2007 ausgefertigte Beschluss war der Antragstellerin in der Sitzung am 26.06.2007 mündlich bekannt gegeben worden.

Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss an, beide Bewerberinnen verfügten über die erforderlichen Voraussetzungen. Das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit seien zugunsten der Antragstellerin zu werten. Dennoch sei die Beigeladene zu 11. zuzulassen gewesen. Das Gesetz regele in § 103 Abs. 4 SGB V nicht abschließend die zu berücksichtigenden Tatsachen. Der abgebende Arzt könne nicht gezwungen werden, die Praxis an einen bestimmten Bewerber zu übergeben. Die Vergabe der Vertragsarztpraxis gegen den Willen des Arztes führe zum Scheitern des Auswahlverfahrens, im Ergebnis könne der wirtschaftliche Wert der Praxis vernichtet werden. Deshalb müsse der klar zum Ausdruck gekommene Wille des Praxisinhabers bzw. seiner Erben als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal berücksichtigt werden. Der Beigeladene zu 10. habe sich ausdrücklich für die Beigeladene zu 11. als Nachfolgern ausgesprochen. Deshalb sei dem Antrag der Beigeladenen zu 11. stattgegeben worden. Der Zulassungsausschuss ordnete ferner die sofortige Vollziehung an. Die Beigeladene zu 11. wäre ansonsten gehindert, die vertragsärztliche Versorgung auf dem Gebiet der Hämatologie/Onkologie sicherzustellen und damit von ihrer Zulassung als fachärztlich tätige Internisten Gebrauch zu machen. Die Versorgung ihrer Patienten im hausärztlichen Bereich durch die Fortführung der Praxis durch den Beigeladenen zu 10. könne ebenfalls nicht sichergestellt werden. Demgemäß sei aus dem überwiegenden Interesse der Beigeladenen zu 10. und 11. sowie aus Gründen der Sicherstellung der hämatologisch/onkologischen Versorgung in A-Stadt der Sofortvollzug anzuordnen gewesen. Ein weiterer Grund sei auch der übergeordnete Aspekt der Stärkung und Sicherung der kassenärztlichen Versorgung. Die Beigeladene zu 11. könne umgehend als fachärztliche Internistin mit Schwerpunkt Hämatologie/Onkologie tätig werden. Eine Bedarfssituation für eine weitere Sonderbedarfszulassung wäre damit nicht mehr gegeben. Im Ergebnis werde damit die Schaffung eines weiteren Vertragsarztsitzes vermieden. Angesichts der erheblichen zusätzlichen, das Budget belastenden Kosten durch Schaffung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes würden damit ganz erhebliche finanzielle Mittel der Versichertengemeinschaft eingespart werden. Dies diene letztendlich der Stärkung und Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Allgemeinen.

Am 29.06.2007 hat die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie ist der Auffassung, der Zulassungsausschuss sei grundsätzlich nicht befugt, die sofortige Vollziehung seines Beschlusses anzuordnen. Es gebe kein besonderes Interesse daran, da die Beigeladenen zu 10. und 11. ihre Praxis an ihrem bisherigen Standort in jedem Falle fortführen könnten. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses sei auch sachlich falsch, da bei Berücksichtigung der Kriterien gemäß § 103 Abs. 4 SGB V – berufliche Eignung, Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit – der Zulassungsausschuss sie als Nachfolgerin des Beigeladenen zu 10. hätte zulassen müssen. Im Übrigen sei auch der Verzicht des Beigeladenen zu 10. unwirksam, da er nicht bedingt abgegeben werden könne. Ein Praxistausch, wie von den Beigeladenen zu 10. und 11. im Ergebnis vollzogen, sei nach den angewandten Regelungen nicht zulässig. Es sei nicht jeder Wille des Praxisabgebers zu berücksichtigen. Im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.06.2007 und 17.07.2007 verwiesen.

Die Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs mit Datum vom 29.06.2007 gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.06.2007 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 10. und 11. beantragen übereinstimmend,
den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hält den Beschluss des Zulassungsausschusses für rechtmäßig. Er hält den Zulassungsausschuss auch für befugt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Beschlüsse auszusprechen. Auch materiell-rechtlich sei der Beschluss rechtmäßig. Die Zulassungsgremien seien berechtigt, Wünsche des abgebenden Arztes hinsichtlich seines Nachfolgers zu beachten. Die grundrechtlichen Positionen der Beigeladenen zu 10. und 11. aus Artikel 12 und 14 GG seien zu beachten. Der Schutz des Eigentums wie auch der Schutz der freien Berufsausübung erfordere es geradezu, bei einem Praxistausch den Wünschen der Betroffenen in besonderem Maße Rechnung zu tragen. Es entspreche auch in hohem Maße dem öffentlichen Interesse, wenn durch andere zulassungsrechtliche Maßnahmen wie z. B. den Praxistausch weitere Sonderbedarfszulassungen vermieden werden könnten. Die Antragstellerin könne auch eine Zulassung wegen der nur bedingt abgegebenen Verzichtserklärung des Beigeladenen zu 10. nicht erreichen. Es gehe nur noch um die Frage, ob generell der Praxistausch akzeptiert werde oder nicht. Der Ermessensspielraum sei auf "0" geschrumpft. Es sei deshalb auch die Frage zu stellen, ob, da die Antragstellerin ihr Ziel nicht erreichen könne, sie im einstweiligen Rechtschutzverfahren überhaupt ein Rechtschutzinteresse besitze. Zu erwägen sei auch, ob ihr Antrag im einstweiligen Rechtschutzverfahren nicht deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, weil sie in Wirklichkeit die Aufrechterhaltung der aus ihrer Sicht bestehenden Sonderbedarfssituation im Planungsbereich A-Stadt für den Bereich der Hämatologie/Onkologie zu erreichen suche. Aus der rechtmäßigen Entscheidung ergebe sich auch der Anordnungsgrund. Es lägen erhebliche öffentliche Interessen an einer sofortigen Vollziehung vor. Der Zulassungsausschuss habe seine Entscheidung hinreichend begründet. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 12.07.2007 verwiesen.

Die Beigeladene zu 11. hält den Zulassungsausschuss ebenfalls für befugt, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Diese Entscheidung lasse auch keinen Rechtsfehler erkennen. Die Antragstellerin könne im Hauptsacheverfahren nicht obsiegen, denn Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor. Entscheidendes Gewicht komme auch dem geplanten Wechsel zu. Allein hilfsweise beantrage sie die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der Zulassungsbescheid sei offensichtlich rechtmäßig, jedenfalls würden die Interessen für die Anordnung überwiegen. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten ohne Datum, eingegangen bei Gericht am 11.07.2007 verwiesen.

Der Beigeladene zu 10. hat im Erörterungstermin vor der Kammer darauf hingewiesen, der Praxistausch sei von ihm ausgegangen. Aufgrund gesundheitlicher und wirtschaftlicher Schwierigkeiten habe er sich gezwungen gesehen, auf eine Veränderung seines Vertragsarztstatus hinzuwirken.

Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt und sich zur Sache schriftsätzlich nicht geäußert.

Die Kammer hat mit den Beteiligten am 17.07.2007 einen Erörterungstermin abgehalten. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakten, der Gegenstand des Erörterungstermins war, verwiesen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässig.

Mit der Änderung durch das 6. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Gesetzgeber hinreichend klar gestellt, dass ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung auch schon vor Klageerhebung zulässig ist (§ 86a Abs. 2 und Abs. 3 SGG). Eine Ausnahmebestimmung für Verfahren vor dem Antragsgegner in Zulassungssachen hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Insbesondere sieht § 97 Abs. 4 SGB V lediglich vor, dass der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen kann, was nunmehr generell für alle Entscheidungen in Form eines Verwaltungsakts nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG möglich ist. Die klare gesetzliche Regelung ist auch unabhängig davon, ob das Verfahren vor dem Antragsgegner ein vom Vorverfahren im Sinne der §§ 78 - 85 SGG zu unterscheidendes Verfahrens ist. Die Regelungen über den einstweiligen Rechtsschutz sind auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt Art. 19 Abs. 4 nicht nur bei Anfechtungs-, sondern auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, die eine Entscheidung in der Hauptsache nachträglich nicht mehr beseitigen könnte. Deswegen muss nicht nur der Gesetzgeber - wie für die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit § 123 VwGO geschehen - eine Regelung vorsehen, aufgrund deren die Gerichte vorläufigen Rechtsschutz gewähren können. Vielmehr sind auch die diese Vorschrift anwendenden Gericht gehalten, bei ihrer Auslegung und Anwendung der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 25.01.1995, Az.: 2 BvR 2689/94, 2 BvR 52/95, NJW 1995, 950). Von daher vermochte die Kammer nicht der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.09.2002 - L 10 B 2/02 KA ER - MedR 2003, 310 = GesR 2003, 76 (s. a. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.10.2006 – L 10 B 15/06 KA ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de) zu folgen, wonach in vertragsärztlichen Zulassungssachen vor der Entscheidung des Berufungsausschusses kein Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz bestehe, weil es sich bei dessen Anrufung um kein Widerspruchsverfahren i.S.d. §§ 78-85 SGG handele und deshalb die Regelungen der 86a, 86b SGG nicht unbesehen übertragen werden könnten. Die Regelungen im SGB V betreffen lediglich Rechtsbehelfe im Verwaltungsverfahren und können insofern die speziellere Regelung des § 86b SGG nicht verdrängen. Die Kammer folgt daher der Rechtsprechung des 11. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen (s. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.09.2003 - L 11 B 30/03 KA ER - www.sozialgerichtsbarkeit.de) und des SG Frankfurt a. M. (vgl. SG Frankfurt a. M., Beschl. v. 08.08.2003 - S 27 KA 2353/03 ER-; v. 08.08.2003 - S 27 KA 2704/03 ER-; v. 25.11.2003 - S-27/KA-3791/03 ER -; s. a. SG Magdeburg, Beschl. v. 28.09.2005 – S 17 KA 92/05 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de) und hält an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. SG Marburg, Beschl. v. 13.11.2007 – S 12 KA 972/06 ER -).

Die Zulässigkeit des Antrags der Antragstellerin folgt aus der Entscheidungsbegründung des Beschlusses des Zulassungsausschusses. Der Zulassungsausschuss hat offensichtlich die Beigeladene zu 11. als Praxisnachfolgerin des Beigeladenen zu 10. nach § 103 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V – zugelassen. Gleichzeitig hat er die Zulassung der Antragstellerin als Praxisnachfolgerin des Beigeladenen zu 10. in diesem Beschluss abgelehnt. Von daher konnte die Antragstellerin zunächst davon ausgehen, dass sie in ihrem möglichen Anspruch auf Praxisnachfolge verletzt wird. Wenn auch die Kammer, wie noch sogleich darzulegen sein wird, davon ausgeht, dass es sich sachlich nicht um eine Entscheidung nach § 103 Abs. 4 SGB V handelt, darf der Antragstellerin aber dennoch aus den genannten Gründen der Rechtschutz, auch nicht im einstweiligen Anordnungsverfahren, von vornherein verwehrt werden.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber unbegründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen des § 86a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGG). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt aber nur in Betracht, wenn die Antragstellerin durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses in ihren Rechten verletzt werden kann. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Entscheidung des Zulassungsausschusses ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Kammer hat allerdings Zweifel, ob ein so genannter Praxistausch, wie ihn die Beigeladenen zu 10. und 11. vorgenommen haben, im Wege einer Praxisnachfolge nach § 103 Abs. 4 SGB V vollzogen werden kann. Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, da sachlich ein solcher Praxistausch nach § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV zulässig ist. Danach darf ein Vertragsarzt die Facharztbezeichnung, mit der er zugelassen ist, nur mit vorheriger Genehmigung des Zulassungsausschusses wechseln. Diese Vorschrift ist auch auf den Wechsel von der hausärztlichen zur fachärztlichen Versorgungsebene und umgekehrt anzuwenden, da die Trennung erst später eingeführt wurde (vgl. auch Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, Loseblattausgabe, Stand: 50. Lieferung, Dezember 2005, Anmerkung E 24-58). Bei dem so genannten Praxistausch handelt es sich um den zeitgleichen Wechsel der Versorgungsebene bzw. Facharztbezeichnung zweier Ärzte. Hierauf hat der Vertragsarzt einen Anspruch, der letztlich aus der Freiheit der Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz beruht. Der Anspruch kann den Vertragsärzten nur verwehrt werden, wenn zulassungsrechtliche Hindernisse, insbesondere Gesichtspunkte der Bedarfsplanung entgegenstehen. Die Zulassungsbeschränkungen sind auch bei dem Wechsel des Fachgebietes anwendbar (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18.03.1998 – B 6 KA 78/96 RSozR 3-5520 § 24 Nr. 3 = NZS 1999, 50 = Breithaupt 1999, 133, zitiert nach juris, Rdnr. 14 ff.). Die Überprüfung der möglichen Zulassungshindernisse, insbesondere der Bedarfsplanungsgesichtspunkte, ist der Grund für das Genehmigungserfordernis auch bei einem Fachgebietswechsel. Soweit aber solche Hindernisse nicht bestehen, hat der Vertragsarzt einen Anspruch auf Genehmigung des Fachgebietswechsels.

Von daher konnten die Beigeladenen zu 10. und 11. ihr Fachgebiet bzw. die Versorgungsebene, da sie jeweils die fachlichen Voraussetzungen für die andere Versorgungsebene mitbrachten, wechseln. Aufgrund des gleichzeitig gestellten Antrags mit der bedingten Verzichtserklärung für den jeweils anderen Arzt und unter Hinweis auf ihre eigene "Nachfolgezulassung" haben sie ihr Begehren hinreichend zum Ausdruck gebracht, wenn sie auch nicht das Verfahren entsprechend bezeichnet haben. Dies kann aber nicht den Beigeladenen zu 10. und 11. angelastet werden, da es Aufgabe der Verwaltung ist, ein eindeutig zum Ausdruck gebrachtes Begehren dem rechtlich gebotenen Verfahren zuzuordnen. Grundsätzlich hat dies der Zulassungsausschuss auch getan, da er in einer Zulassungssache auch entschieden hat. Soweit er in den Gründen auf § 103 Abs. 4 SGB V Bezug nimmt, handelt es sich insofern, da die Entscheidung nach § 24 Abs. 6 eine gebundene Entscheidung ist, um einen Begründungsmangel, der aber nicht zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes führen kann (§ 42 Satz 1 SGB X).

Ausgehend hiervon ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses rechtmäßig und hat die Antragstellerin gegen diese Entscheidung weder eine Widerspruchs- noch Klagebefugnis. Sie wird allenfalls mittelbar betroffen insofern, als sich die Bedarfssituation im Planungsbereich A-Stadt möglicherweise ändert. Dies ist aber eine Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dadurch ein subjektives Recht der Antragstellerin verletzt werden könnte.

Wegen einer fehlenden Rechtsverletzung durch die Entscheidung über die Zulassung der Beigeladenen zu 11. als Internistin mit Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und Internistische Onkologie scheidet auch eine Rechtsverletzung durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus.

Wird der Beschluss wie hier nach mündlicher Verhandlung einem – noch anwesenden - Antragsteller verkündet, wird er bereits vor schriftlicher Abfassung wirksam (§ 39 SGB X). Grundsätzlich hat ein Widerspruch aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG, § 96 Abs. 4 S. 2 SGB V). Zwar ist fraglich, ob wegen des fehlenden Rechtsschutzinteresses der Antragstellerin der Widerspruch überhaupt zulässig ist und ob schon aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung entfällt. Dies kann aber hier dahingestellt bleiben. Aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung hat der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Beschluss des Zulassungsausschuss keine aufschiebende Wirkung.

Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs entfällt in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Von dieser gesetzlichen Ermächtigung hat der Zulassungsausschuss Gebrauch gemacht. Er hat seine Entscheidung auch schriftlich begründet.

Der Zulassungsausschuss war auch befugt, die sofortige Vollziehung anzuordnen.

Der Zulassungsausschuss kann nach der Novellierung des einstweiligen Rechtsschutzes im SGG selbst eine sofortige Vollziehung seiner Entscheidung anordnen (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Er oder nach seiner Anrufung der Beschwerdeausschuss können sie wieder aussetzen (§ 86a Abs. 3 Satz 1 SGG). Diese Ermächtigungsnorm ist die speziellere und jüngere Regelung zu § 96 und 97 SGB V. Nach § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V hat die Anrufung des Berufungsausschusses gegen eine Entscheidung des Zulassungsausschusses aufschiebende Wirkung. Nach § 97 Abs. 4 SGB V kann der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen. Diese Regelungen sind durch die spätere Änderung des SGG durch Einfügen der §§ 86 a und 86 b SGG, mit der erstmals ein einstweiliger Rechtschutz im sozialgerichtlichen Verfahren umfassend und weitgehend gleichlautend wie in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt wurde, überholt. Der Gesetzgeber hat offensichtlich die Konsequenzen der Novellierung bei der Novellierung des SGG und auch bei weiteren Änderungen des SGB V übersehen. Einer Anpassung der Regelungen in §§ 96, 97 SGB V bedurfte es allerdings aber insofern auch nicht, als die spezielleren Regelungen des sozialgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens diesen vorgehen.

Entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen (Beschluss vom 07.09.2006 – L 3 KA 117/06 ER -) ist eine Beschränkung auf die Kompetenz des Antragsgegners auch sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Es trifft nicht zu, dass die Entscheidung des Antragsgegners auf Anordnung der sofortigen Vollziehung häufig in Zusammenhang mit Entziehung einer Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung relevant wird. Durch die Novellierung des SGG ist erstmals auch in Zulassungssachen umfassender Rechtsschutz eingeräumt worden. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen weiter Möglichkeiten zur Erhebung von Konkurrentenklagen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.08.2004 – 1 BvR 378/00SozR 4-1500 § 54 Nr. 4, juris Rdnr. 15 ff.; zur Kritik s. Hänlein, jurisPR-SozR 45/2004 Anm. 1 (unter E); Nix, SGb 2005, 63 f.). Gerade im Ausgleich der Interessen verschiedener Zulassungsbewerber ist es oftmals geboten, die sofortige Vollziehung anzuordnen, da den Beteiligten nicht zugemutet werden kann, eine oft nach Jahren eintretende Bestandskraft abzuwarten. Der Typus der Konkurrentenklage nimmt vor den Sozialgerichten zu. Die Verlagerung der Zuständigkeitsbefugnis zum Berufungsausschuss würde lediglich dazu führen, dass die Gerichte in noch größerem Umfang mit einstweiligen Rechtschutzverfahren angegangen werden müssten.

Allerdings ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Zulassungsausschusses deshalb rechtswidrig, weil er von einer fehlerhaften Rechtsgrundlage ausging. Ausgehend von einer fehlerhaften Rechtsgrundlage kann eine Verwaltungsbehörde nicht die zutreffenden Abwägungsentscheidungen fällen. Die Antragstellerin wird hierdurch aber nicht in ihren Rechten verletzt, weil bereits die Hauptsacheentscheidung, nämlich die Genehmigung des Wechsels der Beigeladenen zu 11 von der hausärztlichen zur fachärztlichen Versorgungsebene, sie nicht in ihren Rechten verletzt.

Von daher musste die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beigeladenen zu 10. und 11. haben einen Kostenerstattungsanspruch.

Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt (§ 197a SGG i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO). Von dieser Möglichkeit ist Gebrauch zu machen, wenn der Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt hat, wenn er allein oder mit anderen Beteiligten gesiegt hat oder das Verfahren wesentlich gefördert hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2004, § 197a, Rdnr. 29). Zu berücksichtigen ist, ob der Beigeladene sich während des Verfahrens geäußert und auch Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urt. v. 14.11.2002 – B 13 RJ 19/01 R - SozR 3-5795 § 10d Nr. 1, zitiert nach juris Rdnr. 44).

Die Beigeladenen haben einen Klageabweisungsantrag gestellt. Von daher besteht für sie ein Kostenerstattungsanspruch.
Rechtskraft
Aus
Saved