Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 124/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 KR 1/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Arzneimittel Cabergolin dura als Sachleistung.
Der 1953 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet seit seinem 27. Lebensjahr an einem primären Restless Legs Syndrom (RLS) in einer schweren Ausprägung. Hierbei handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, deren Ursache nicht abschließend geklärt ist. Es verursacht in der Regel quälende Schmerzen und Unruhe vor allem in den Beinen, welches bei dem Kläger insbesondere am Abend und in der Nacht einen Bewegungsdrang verursacht. Schwere Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit sowie Konzentrations- und Leistungsstörungen sind die Folgen. Von 1997 bis 2000 wurde der Kläger mit dem für die Behandlung des RLS zugelassenem Arzneimittel Restex (= Madorpar; Wirkstoff: Levodopa und Benserazid) behandelt. Aufgrund von mit fortschreitender Behandlungsdauer sich einstellender Wirkungsverluste dieses Arzneimittels wurde der Kläger ab 2000 mit dem zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassenem Arzneimittel Sifrol (Wirkstoff: Pramipexol) behandelt. Diese Behandlung musste wegen auftretender massiver Übelkeit abgebrochen werden. Die den Kläger zunächst behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. S K verordnete dem Kläger daraufhin das nur für die Behandlung der Parkinson-Krankheit arzneimittelrechtlich zugelassene Fertigarzneimittel Cabaseril (Wirkstoff: Cabergolin). Ein im Herbst 2004 vorgenommener Versuch, den Kläger auf das ebenfalls zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassenem Arzneimittel Requip (Wirkstoff: Ropinirol) umzustellen, musste wegen erneut auftretender Nebenwirkungen, wie Übelkeit, besonders aber schwere Tagesmüdigkeit mit Einschlafattacken abgebrochen werden. In der Folgezeit wurde der Kläger deshalb mit dem Arzneimittel Cabaseril behandelt. Die Versorgung erfolgte auf Privatrezept.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2001 beantragte der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung ihn mit dem Arzneimittel Cabaseril zu versorgen. Dies lehnte die Beklagte, gestützt auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) vom 15. November 2001 ab (Bescheid vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002). Zur Begründung führte sie aus, dass das Arzneimittel Cabaseril nicht für die Indikation RLS zugelassen sei. Eine qualifizierte Studie, die den Nachweis der Wirksamkeit dieses Medikamentes führen würde, sei nicht veröffentlicht. Als indikationsbezogenes, zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenes Präparat sei Restex anzuführen. Dieses Präparat sei jedoch gleichartig zusammengesetzt, wie das in der Vergangenheit eingesetzte Madorpar.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass das Arzneimittel Cabaseril zur Behandlung des RLS unabdingbar sowie gesundheits- und letztlich lebenserhaltend sei. Es sei als Medikament anerkannt. Die Parkinsonsche Krankheit, für die das Medikament zugelassen sei und das RLS zeigten ein vergleichbares Krankheitsbild. Im Übrigen lägen diverse Veröffentlichungen zur Indikation und Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten vor, zu der auch der Wirkstoff Cabergolin gehöre.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Medikament Cabaseril habe, weil dieses Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechtes nicht für die Behandlung eines RLS zugelassen sei. Auch eine zulassungsüberschreitende (Off-Label-Use) Anwendung sei im vorliegenden Fall nicht zulässig. Denn weder sei die Erweiterung der Zulassung des Medikamentes Cabaseril beantragt worden noch seien Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht, die einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten. Auch außerhalb von Zulassungsverfahren gewonnene und in der Fachpresse veröffentlichte Ergebnisse ließen über die Qualität und die Wirksamkeit von Cabaseril im Anwendungsgebiet des RLS keine zuverlässigen und wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen zu. In den von dem MDK vorgelegten Veröffentlichungen werde deutlich, dass weiterer Forschungsbedarf insbesondere in Bezug auf die Langzeitwirksamkeit bei einer chronischen Erkrankung bestehe.
Gegen das ihm am 8. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Juli 2004, der nach Ablauf des Patentschutzes für das Medikament Cabaseril mit dem wirkstoffgleichen und preisgünstigeren Generika Cabergolin dura versorgt wird. Zur Begründung trägt er vor, es bestünde entgegen der Annahme des Sozialgerichts in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen Einvernehmen darüber, dass unabhängig von einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren Erkenntnisse aus verschiedenen Testverfahren vorlägen und auch veröffentlicht seien, die zuverlässige, wissenschaftlich belegte Aussagen über Qualität und die palliative Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten und speziell von Cabergolin zuließen. So zeigten insbesondere die Forschungsergebnisse von Frau Prof. Dr. T. T, eine (seiner Auffassung nach) der herausragenden Forscherpersönlichkeiten im Bereich der Erforschung des RLS, dass die Gabe von Dopamin-Präparaten Erfolge bei der Symtomreduzierung beim RLS ermöglichten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 16. Juni 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer aufgrund einer vertragsärztlichen Verordnung erfolgten Versorgung mit einem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Cabergolin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihrer Auffassung nach sei das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Im Übrigen verweist sie darauf, dass im April und Mai 2006 die Arzneimittel Sifrol (= Mirapexin) und Ardartel (Wirkstoff: Ropinirol; als Requip für die Parkinson-Therapie zugelassen) zur Behandlung des RLS zugelassen worden seien und damit eine alternative Therapie zur Verfügung stünde.
In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. August 2007 hat der Kläger eine Verordnung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. I. P vom 13. August 2007 über die Verordnung des Arzneimittels Cabergolin dura ("2 bzw. 3MG Tabl100 ST N3") zu den Akten gereicht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf den von dem Senat eingeholten Befundbericht der den Kläger behandelnden Fachärztin Dr. med. S K vom 6. November 2006 sowie den von dem Senat eingeholten Stellungnahmen der Professorin Dr. med. C. T vom 7. Dezember 2005 und 27. Februar 2006 und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger, dessen Begehren bei sachdienlicher Auslegung seines Antrages auf eine Versorgung mit dem Arzneimittel Cabergolin dura gerichtet ist, hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Medikament als Sachleistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V u. a. auch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der geltend gemachte Sachleistungsanspruch setzt damit voraus, dass die Beklagte diese Sachleistung bei Vorliegen der Indikation RLS zu erbringen hat. Daran fehlt es hier.
Das Fertigarzneimittel Cabergolin dura mit dem Wirkstoff Cabergolin bedarf zur Anwendung bei Versicherten der GKV grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das zulassungspflichtige Cabergolin dura hat weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet RLS, für das es von dem Kläger eingesetzt wird, sondern es ist in Deutschland zur Behandlung des Morbus Parkinson zugelassen. Das genügt nicht, um von einer Anwendung im Bereich der arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen.
Der Kläger kann das Arzneimittel auch nicht nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use beanspruchen. Um einen Seltenheitsfall, der sich einer systemathischen Erforschung entzieht, handelt es sich nicht (BSG a. a. O.). Eine Verordnung eines Arzneimittels in einem von der Zulassung nicht umfassenden Anwendungsgebiet kommt im Übrigen nur in Betracht, wenn es
1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit den betreffenden Präparaten der Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).
Im vorliegenden Fall leidet der Kläger an einer schwerwiegenden Erkrankung im vorgenannten Sinne. Es besteht bei ihm eine primäre schwerwiegende Form eines RLS mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen.
Der Senat kann unentschieden lassen, ob es auch im Sinne der zweiten Voraussetzung an Behandlungsalternativen für den Kläger fehlt. Denn jedenfalls ist die dritte Voraussetzung einer zulassungsüberschreitenden Anwendung nicht erfüllt. Aufgrund der Datenlage besteht keine hinreichende begründende Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Dies kann angenommen werden, wenn entweder
1. die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten Prüfung der Phase III veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektiv einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder 2. außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Im vorliegenden Fall ist weder die Erweiterung der Zulassung des Arzneimittels Cabergolin dura für die Indikation RLS beantragt worden noch liegen außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels, mit dem Wirkstoff Cabergolin in dem Anwendungsgebiet RLS vor. Dabei ist die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich (BSG, a. a. O. und BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5). Denn der Schutzbedarf der Patientin, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht. Für den Schutz der Patienten ist es gleichgültig, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, a. a. O.).
Dieses arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren gliedert sich regelmäßig in drei Phasen: Zunächst wird an einer kleineren Zahl gesunder Probanden die Verträglichkeit der Substanz beim Menschen untersucht mit ersten Informationen über Pharmakokinetik und Stoffwechsel. Rechtfertigen die Befunde dieser Phase I die weitere Untersuchung der Prüfsubstanz, wird einer Phase II an einer begrenzten Zahl von etwa 100 - 200 Patienten versucht, die pharmakodynamische Wirkung des Arzneimittels therapeutisch bzw. diagnostisch zu objektivieren. Diese Studie dient dazu, Hinweise auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen, die Indikationen und Kontraindikationen zu finden sowie die richtige Dosierung des Arzneimittels zu ermitteln. Diese gewonnenen Daten stellen die Grundlage für die Planung der Phase III-Studie dar; es sollen Erfahrungen in Bezug auf organisatorische Mängel des Studiendesigns für die Phase III gewonnen werden, um so das Design der kontrollierten Studie festlegen zu können. Die Phase III-Studie dient dem eigentlichen Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der neuen Substanz, der Bestätigung der in der Phase II-Studie gewonnenen Hinweise. Diese konfirmatorische Studie erfordert Versuche an einer großen Zahl von Patienten (in der Regel mehr als 200). Es sind Verum- und Kontrollkollektiv (Vergleichsgruppen mit und ohne Therapie mit der Testsubstanz) hinreichender Größe sowie eine randomisierte (nach dem Zufallsprinzip erfolgte) Zuteilung der Patienten zu den Behandlungsgruppen unverzichtbar. Der Vergleich dient der Unterscheidung der echten pharmakodynamischen Wirkungen von arzneistoffunabhängigen Effekten. Obwohl sich die Phasen der klinischen Prüfung unterscheiden können, müssen nach diesen Grundsätzen stets alle drei Phasen durchlaufen werden. Ergibt die Überprüfung einer durchgeführten Studie - auch der Phase III - keinen hinreichenden Beleg für einen zu erwartenden Behandlungserfolg in diesem Sinne, ist regelmäßig die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV nicht erfüllt.
An diesen Grundsätzen gemessen liegen keine Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels Cabergolin dura für die Indikation RLS vor. Denn es fehlt an der Durchführung der für eine arzneimittelrechtliche Zulassung erforderlichen entsprechenden drei Studienphasen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts. Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 NZS 2006, 84) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, den medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BVerfG beanstandet insoweit eine verfassungswidrige Auslegung dem Grundsatz nach verfassungsmäßiger Vorschriften des SGB V durch das BSG. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt und sie zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion sich nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. es liegt ein lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vor, 2. bzgl. dieser Krankheit besteht eine allgemein anerkannte, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung, 3. bzgl. der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" (BVerfG a. a. O. Rdnr. 33).
Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden sind sinngemäß auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen, soweit jedenfalls ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestehen (BSG Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R -).
Ein solcher Fall ist hier indes nicht gegeben. Das RLS ist auch in seiner schweren Ausprägung keine lebensbedrohliche Krankheit und kann deshalb nicht mit einer solchen oder einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Arzneimittel Cabergolin dura als Sachleistung.
Der 1953 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet seit seinem 27. Lebensjahr an einem primären Restless Legs Syndrom (RLS) in einer schweren Ausprägung. Hierbei handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, deren Ursache nicht abschließend geklärt ist. Es verursacht in der Regel quälende Schmerzen und Unruhe vor allem in den Beinen, welches bei dem Kläger insbesondere am Abend und in der Nacht einen Bewegungsdrang verursacht. Schwere Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit sowie Konzentrations- und Leistungsstörungen sind die Folgen. Von 1997 bis 2000 wurde der Kläger mit dem für die Behandlung des RLS zugelassenem Arzneimittel Restex (= Madorpar; Wirkstoff: Levodopa und Benserazid) behandelt. Aufgrund von mit fortschreitender Behandlungsdauer sich einstellender Wirkungsverluste dieses Arzneimittels wurde der Kläger ab 2000 mit dem zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassenem Arzneimittel Sifrol (Wirkstoff: Pramipexol) behandelt. Diese Behandlung musste wegen auftretender massiver Übelkeit abgebrochen werden. Die den Kläger zunächst behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. S K verordnete dem Kläger daraufhin das nur für die Behandlung der Parkinson-Krankheit arzneimittelrechtlich zugelassene Fertigarzneimittel Cabaseril (Wirkstoff: Cabergolin). Ein im Herbst 2004 vorgenommener Versuch, den Kläger auf das ebenfalls zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassenem Arzneimittel Requip (Wirkstoff: Ropinirol) umzustellen, musste wegen erneut auftretender Nebenwirkungen, wie Übelkeit, besonders aber schwere Tagesmüdigkeit mit Einschlafattacken abgebrochen werden. In der Folgezeit wurde der Kläger deshalb mit dem Arzneimittel Cabaseril behandelt. Die Versorgung erfolgte auf Privatrezept.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2001 beantragte der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung ihn mit dem Arzneimittel Cabaseril zu versorgen. Dies lehnte die Beklagte, gestützt auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) vom 15. November 2001 ab (Bescheid vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002). Zur Begründung führte sie aus, dass das Arzneimittel Cabaseril nicht für die Indikation RLS zugelassen sei. Eine qualifizierte Studie, die den Nachweis der Wirksamkeit dieses Medikamentes führen würde, sei nicht veröffentlicht. Als indikationsbezogenes, zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenes Präparat sei Restex anzuführen. Dieses Präparat sei jedoch gleichartig zusammengesetzt, wie das in der Vergangenheit eingesetzte Madorpar.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass das Arzneimittel Cabaseril zur Behandlung des RLS unabdingbar sowie gesundheits- und letztlich lebenserhaltend sei. Es sei als Medikament anerkannt. Die Parkinsonsche Krankheit, für die das Medikament zugelassen sei und das RLS zeigten ein vergleichbares Krankheitsbild. Im Übrigen lägen diverse Veröffentlichungen zur Indikation und Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten vor, zu der auch der Wirkstoff Cabergolin gehöre.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Medikament Cabaseril habe, weil dieses Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechtes nicht für die Behandlung eines RLS zugelassen sei. Auch eine zulassungsüberschreitende (Off-Label-Use) Anwendung sei im vorliegenden Fall nicht zulässig. Denn weder sei die Erweiterung der Zulassung des Medikamentes Cabaseril beantragt worden noch seien Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht, die einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten. Auch außerhalb von Zulassungsverfahren gewonnene und in der Fachpresse veröffentlichte Ergebnisse ließen über die Qualität und die Wirksamkeit von Cabaseril im Anwendungsgebiet des RLS keine zuverlässigen und wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen zu. In den von dem MDK vorgelegten Veröffentlichungen werde deutlich, dass weiterer Forschungsbedarf insbesondere in Bezug auf die Langzeitwirksamkeit bei einer chronischen Erkrankung bestehe.
Gegen das ihm am 8. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Juli 2004, der nach Ablauf des Patentschutzes für das Medikament Cabaseril mit dem wirkstoffgleichen und preisgünstigeren Generika Cabergolin dura versorgt wird. Zur Begründung trägt er vor, es bestünde entgegen der Annahme des Sozialgerichts in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen Einvernehmen darüber, dass unabhängig von einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren Erkenntnisse aus verschiedenen Testverfahren vorlägen und auch veröffentlicht seien, die zuverlässige, wissenschaftlich belegte Aussagen über Qualität und die palliative Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten und speziell von Cabergolin zuließen. So zeigten insbesondere die Forschungsergebnisse von Frau Prof. Dr. T. T, eine (seiner Auffassung nach) der herausragenden Forscherpersönlichkeiten im Bereich der Erforschung des RLS, dass die Gabe von Dopamin-Präparaten Erfolge bei der Symtomreduzierung beim RLS ermöglichten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 16. Juni 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer aufgrund einer vertragsärztlichen Verordnung erfolgten Versorgung mit einem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Cabergolin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihrer Auffassung nach sei das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Im Übrigen verweist sie darauf, dass im April und Mai 2006 die Arzneimittel Sifrol (= Mirapexin) und Ardartel (Wirkstoff: Ropinirol; als Requip für die Parkinson-Therapie zugelassen) zur Behandlung des RLS zugelassen worden seien und damit eine alternative Therapie zur Verfügung stünde.
In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. August 2007 hat der Kläger eine Verordnung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. I. P vom 13. August 2007 über die Verordnung des Arzneimittels Cabergolin dura ("2 bzw. 3MG Tabl100 ST N3") zu den Akten gereicht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf den von dem Senat eingeholten Befundbericht der den Kläger behandelnden Fachärztin Dr. med. S K vom 6. November 2006 sowie den von dem Senat eingeholten Stellungnahmen der Professorin Dr. med. C. T vom 7. Dezember 2005 und 27. Februar 2006 und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger, dessen Begehren bei sachdienlicher Auslegung seines Antrages auf eine Versorgung mit dem Arzneimittel Cabergolin dura gerichtet ist, hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Medikament als Sachleistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V u. a. auch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der geltend gemachte Sachleistungsanspruch setzt damit voraus, dass die Beklagte diese Sachleistung bei Vorliegen der Indikation RLS zu erbringen hat. Daran fehlt es hier.
Das Fertigarzneimittel Cabergolin dura mit dem Wirkstoff Cabergolin bedarf zur Anwendung bei Versicherten der GKV grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das zulassungspflichtige Cabergolin dura hat weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet RLS, für das es von dem Kläger eingesetzt wird, sondern es ist in Deutschland zur Behandlung des Morbus Parkinson zugelassen. Das genügt nicht, um von einer Anwendung im Bereich der arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen.
Der Kläger kann das Arzneimittel auch nicht nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use beanspruchen. Um einen Seltenheitsfall, der sich einer systemathischen Erforschung entzieht, handelt es sich nicht (BSG a. a. O.). Eine Verordnung eines Arzneimittels in einem von der Zulassung nicht umfassenden Anwendungsgebiet kommt im Übrigen nur in Betracht, wenn es
1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit den betreffenden Präparaten der Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).
Im vorliegenden Fall leidet der Kläger an einer schwerwiegenden Erkrankung im vorgenannten Sinne. Es besteht bei ihm eine primäre schwerwiegende Form eines RLS mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen.
Der Senat kann unentschieden lassen, ob es auch im Sinne der zweiten Voraussetzung an Behandlungsalternativen für den Kläger fehlt. Denn jedenfalls ist die dritte Voraussetzung einer zulassungsüberschreitenden Anwendung nicht erfüllt. Aufgrund der Datenlage besteht keine hinreichende begründende Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Dies kann angenommen werden, wenn entweder
1. die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten Prüfung der Phase III veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektiv einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder 2. außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Im vorliegenden Fall ist weder die Erweiterung der Zulassung des Arzneimittels Cabergolin dura für die Indikation RLS beantragt worden noch liegen außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels, mit dem Wirkstoff Cabergolin in dem Anwendungsgebiet RLS vor. Dabei ist die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich (BSG, a. a. O. und BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5). Denn der Schutzbedarf der Patientin, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht. Für den Schutz der Patienten ist es gleichgültig, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, a. a. O.).
Dieses arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren gliedert sich regelmäßig in drei Phasen: Zunächst wird an einer kleineren Zahl gesunder Probanden die Verträglichkeit der Substanz beim Menschen untersucht mit ersten Informationen über Pharmakokinetik und Stoffwechsel. Rechtfertigen die Befunde dieser Phase I die weitere Untersuchung der Prüfsubstanz, wird einer Phase II an einer begrenzten Zahl von etwa 100 - 200 Patienten versucht, die pharmakodynamische Wirkung des Arzneimittels therapeutisch bzw. diagnostisch zu objektivieren. Diese Studie dient dazu, Hinweise auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen, die Indikationen und Kontraindikationen zu finden sowie die richtige Dosierung des Arzneimittels zu ermitteln. Diese gewonnenen Daten stellen die Grundlage für die Planung der Phase III-Studie dar; es sollen Erfahrungen in Bezug auf organisatorische Mängel des Studiendesigns für die Phase III gewonnen werden, um so das Design der kontrollierten Studie festlegen zu können. Die Phase III-Studie dient dem eigentlichen Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der neuen Substanz, der Bestätigung der in der Phase II-Studie gewonnenen Hinweise. Diese konfirmatorische Studie erfordert Versuche an einer großen Zahl von Patienten (in der Regel mehr als 200). Es sind Verum- und Kontrollkollektiv (Vergleichsgruppen mit und ohne Therapie mit der Testsubstanz) hinreichender Größe sowie eine randomisierte (nach dem Zufallsprinzip erfolgte) Zuteilung der Patienten zu den Behandlungsgruppen unverzichtbar. Der Vergleich dient der Unterscheidung der echten pharmakodynamischen Wirkungen von arzneistoffunabhängigen Effekten. Obwohl sich die Phasen der klinischen Prüfung unterscheiden können, müssen nach diesen Grundsätzen stets alle drei Phasen durchlaufen werden. Ergibt die Überprüfung einer durchgeführten Studie - auch der Phase III - keinen hinreichenden Beleg für einen zu erwartenden Behandlungserfolg in diesem Sinne, ist regelmäßig die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV nicht erfüllt.
An diesen Grundsätzen gemessen liegen keine Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels Cabergolin dura für die Indikation RLS vor. Denn es fehlt an der Durchführung der für eine arzneimittelrechtliche Zulassung erforderlichen entsprechenden drei Studienphasen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts. Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 NZS 2006, 84) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, den medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BVerfG beanstandet insoweit eine verfassungswidrige Auslegung dem Grundsatz nach verfassungsmäßiger Vorschriften des SGB V durch das BSG. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt und sie zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion sich nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. es liegt ein lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vor, 2. bzgl. dieser Krankheit besteht eine allgemein anerkannte, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung, 3. bzgl. der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" (BVerfG a. a. O. Rdnr. 33).
Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden sind sinngemäß auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen, soweit jedenfalls ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestehen (BSG Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R -).
Ein solcher Fall ist hier indes nicht gegeben. Das RLS ist auch in seiner schweren Ausprägung keine lebensbedrohliche Krankheit und kann deshalb nicht mit einer solchen oder einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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