L 11 R 1538/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 787/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1538/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1952 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im März 1998 als Montagearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Ende der Lohnfortzahlung bezog sie zunächst Krankengeld und steht seit dem 1. September 1999 im Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung, zuletzt von Alg II.

Nach Operation eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule im Oktober 1998 und Durchführung einer stationären Heilbehandlung in der Waldklinik D., aus der sie mit den Diagnosen einer Restsymptomatik nach Nukleotomie HWK6/7 und eines psychovegetativen Erschöpfungszustandes sowie einem depressiven Syndrom als vollschichtig leistungsfähig für leichte Tätigkeiten ohne häufige Überkopfarbeiten und einseitige Zwangshaltungen sowie häufigem Bücken entlassen wurde, beantragte sie erstmals am 3. Mai 1999 die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 29. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die hiergegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage blieb nach Einholung eines fachorthopädischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. B. sowie eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. K., die jeweils ein vollschichtiges Leistungsvermögen bei qualitativen Einschränkungen attestierten, erfolglos (Urteil vom 27. Juli 2001, S 6 RJ 828/00). Die dagegen eingelegte Berufung wurde mit Urteil vom 21. August 2002 zurückgewiesen (L 3 RJ 3799/01).

Am 14. April 2005 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, wobei sie zur Begründung ausführte, sie erachte sich seit 1998 wegen HWS- und BWS-Syndrom, Bandscheibenvorfalls, Schilddrüsenentfernung sowie Herzkatheter für erwerbsgemindert.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine orthopädische und nervenärztliche Begutachtung der Klägerin. Der Chirurg Dr. K. beschrieb einen Verdacht auf leichte sensible, linksseitige Restsymptomatik bei Z.n. Bandscheiben-OP HWK6/7, ein linksausstrahlendes Lumbalsyndrom, ein Schulter-Arm-Syndrom links mit schmerzhafter, aber guter Beweglichkeit, auch oberhalb der Horizontalen, einen Hypertonus, einfachmedikamentös noch nicht hinreichend eingestellt, sowie eine unklare Erhöhung der Leberwerte mit Verminderung der Y-Globuline, normalem CDT und ansonsten unauffälligen Entzündungs-Parametern. Nebenbefundlich wurde ein Z.n. Struma-Resektion, Restbeschwerden nach TE im Bereich der rechten Halsseite sowie eine Adipositas beschrieben. Dadurch sei das Leistungsvermögen der Klägerin, insbesondere die Belastbarkeit der Wirbelsäule vermindert, da sie schweres Heben und Tragen, Zwangshaltungen der Wirbelsäule und Überkopfarbeiten vermeiden müsse. Aufgrund des Hypertonus sollte auch ein Hitzearbeitsplatz vermieden werden. Unter Beachtung dessen sei sie noch in der Lage, vollschichtig tätig zu sein. Dieser Leistungsbeurteilung schloss sich der Neurologe und Psychiater Dr. S. an, nachdem keine nachvollziehbaren und fassbaren funktionsrelevanten neurologischen Einschränkungen feststellbar gewesen wären und die Klägerin auch nicht an einer schwergradigen, leistungsrelevanten psychischen Störung leide. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2005 den Rentenantrag ab.

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch holte die Beklagte noch einen Befund des behandelnden Frauenarztes Dr. L. (letzte Vorstellung Juni 2000 bei rezidivierenden therapieresistenten dysfunktionellen Blutungen im Klimakterium) ein und wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2006 den Widerspruch mit der Begründung zurück, eine weitere medizinische Abklärung sei nicht erforderlich. Für die Untersuchung im Rentenverfahren seien von dem behandelnden Hausarzt Dr. H. insgesamt 12 Befundberichte mitbehandelnder Ärzte und Kliniken aus der Zeit von Juli 2003 bis April 2005 zur Verfügung gestellt worden, so dass alle Befunde bei der orthopädischen und nervenärztlichen Begutachtung hätten berücksichtigt werden können. Die Klägerin sei aufgrund ihrer zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit auf sämtliche ungelernte Tätigkeit verweisbar, wobei sie noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne und deswegen nicht erwerbsgemindert sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 16. Februar 2006 erneut Klage beim SG, zu deren Begründung sie vortrug, ihre Leistungsfähigkeit sei auf weniger als drei Stunden arbeitstäglich abgesunken. Dies bestätige auch ihr behandelnder Hausarzt Dr. H ... Selbst die Beklagte erkenne ein multiples Erkrankungsbild an.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt und diese anschließend orthopädisch begutachten lassen.

Der Orthopäde Dr. S., der über sporadische Behandlungen der Klägerin wegen Schmerzen der Lendenregion berichtete, war der Auffassung, dass die Klägerin noch sechs Stunden körperlich leichte Tätigkeiten unter Vermeidung von häufigem Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sowie Zwangshaltungen der Wirbelsäule verrichten könne. Der behandelnde Hausarzt Dr. H. erachtete die Klägerin hingegen bei einem guten Allgemeinzustand und altersentsprechendem somatischen Befund für nur noch in der Lage, drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ihre Gangstörung habe sich durch Sturzereignisse zunehmend verschlimmert.

Der gerichtliche Sachverständige, der Orthopäde Dr. S., führte in seinem Gutachten aus, die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 Kilogramm unter Vermeidung feinmotorischer Bewegungen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen und Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, in Kälte, Nässe, im Freien, unter Wärmeeinfluss sowie unter Einwirkung von Staub, Gasen, Dämpfen sowie starker Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens sechs Stunden verrichten. Sie leide an einem Z. n. Bandscheibenvorfall HWK6/7 mit Restsymptomatik in Form einer Sensibilitätsminderung und Kraftminderung im Versorgungsgebiet C7 links, einem chronischen LWS-Syndrom sowie Senkspreizfüßen. Eine Begutachtung auf einem weiteren medizinischen Fachgebiet sei seines Erachtens nicht erforderlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2007, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 1. März 2007, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, nach dem eingeholten Gutachten sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Das Gutachten befinde sich auch im Einklang mit den Vorgutachten wie der Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. S ... Bei den Leistungseinschränkungen handele es sich weder um eine Summierung mehrerer ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch liege eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass der Klägerin auch keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden müsse.

Mit ihrer dagegen am 23. März 2007 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, das SG habe den Sachverhalt unzureichend ermittelt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Februar 2007 sowie den Bescheid vom 20. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. April 2005 zu gewähren, hilfsweise zum Nachweis eines fehlenden Leistungsvermögens der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein psychiatrisch-psychosomatisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich aus den übersandten Berichten ein durchgängig unauffälliger Befund auf klinisch-neurologischem Gebiet ergebe und durch entsprechende Untersuchungstechnik keine sichere Parese hätte objektivieren lassen. Mit dem geäußerten Verdacht auf dissoziative Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen ließe sich keine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens begründen. Auch datierten die Berichte aus einer Zeit vor Erlass des Gerichtsbescheides und auch vor der Untersuchung durch Dr. S., der eine Begutachtung auf einem weiteren medizinischen Fachgebiet nicht für erforderlich gehalten habe.

Die Klägerin hat den Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung vom 26.09. bis 06.10.2006 in der S.-Klinik B. B., Interdisziplinäres Zentrum für Rheumatologie, Wirbelsäulenleiden und neuromuskulärer Erkrankungen, vorgelegt. Die Entlassung erfolgte als arbeitsfähig.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft, da die Berufung einen Zeitraum vom mehr als einem Jahr umfasst (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die damit insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der hier anzuwendenden ab 01.01.2001 gültigen Fassung sind im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend zitiert; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Zwar erfüllt sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung, wie sich aus dem vorgelegten Versicherungsverlauf vom 20. Juli 2005 ergibt. Indessen fehlt es an einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im erforderlichen Umfang.

Die Klägerin ist vielmehr noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen, Expositionen gegenüber Kälte, Nässe, Wärme wie Staub, Gasen, Dämpfen, starker Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens, Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Heben und Tragen von Lasten mit mehr als 10 kg zu verrichten. Durch diese qualitativen Einschränkungen wird weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsminderung begründet, so dass der Klägerin, die als ungelernte Kraft auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, weshalb auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ausscheidet, eine bestimmte Verweisungstätigkeit nicht benannt werden muss (BSGE 80, 24). Das folgt zur Überzeugung des Senats aus dem eingeholten Gutachten von Dr. S. wie den im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten von Dr. K. und Dr. S ...

Danach steht im Vordergrund der Leistungseinschränkungen der orthopädische Befund eines Zustandes nach Bandscheibenvorfall HWK6/7 mit Restsymptomatik in Form einer Sensibilitätsminderung und Kraftminderung im Versorgungsgebiet C7 links, ein chronisches LWS-Syndrom sowie Senkspreizfüße. Für die Richtigkeit der Beurteilung von Dr. S. sprechen nicht nur die vorgefundenen Bewegungsmaße der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, sondern auch, dass es zu keinerlei Muskelverschmächtigung gekommen oder irgend eine neurologische Einschränkung festzustellen ist, insbesondere die Muskeleigenreflexe beidseits gut auslösbar waren, wie es auch Dr. St., der seitens seines Fachgebietes keinerlei Leistungseinschränkungen vorfinden konnte, bestätigte. Insofern bestand für den Senat keine Notwendigkeit zur Einholung eines weiteren psychiatrisch-psychosomatischen Sachverständigengutachtens. Vielmehr ergibt sich auch aus dem Befundbericht der S.-Klinik B. B. bei den bekannten Befunden, dass kein sensibles Defizit im Neurostatus besteht, ebenso kein sicherer Hinweis für entzündlich-rheumatische Erkrankungen.

Zwar wurde der Verdacht auf eine dissoziative Sensibilitäts- und Bewegungsstörung geäußert, allein dieser Verdacht begründet, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, noch nicht irgendwelche daraus resultierenden qualitativen Leistungsminderungen. Insofern ist allein ausschlaggebend, inwieweit die Klägerin durch das Krankheitsgeschehen auch in ihrem Alltagsleben eingeschränkt ist, denn dies objektiviert die Befunde. Ausgehend hiervon haben sämtliche Gutachter beschrieben, dass sich die Klägerin in einem guten Allgemeinzustand befindet und in ihrer Kernfamilie gut integriert ist. Sie geht den Hobbys Radfahren und Schwimmen nach, beschäftigt sich viel mit ihren Kindern und Enkelkindern. Sie hat nach dem Tode ihres Mannes mittlerweile eine neue Beziehung aufnehmen können, leidet lediglich unter finanziellen Sorgen. Gegen eine nennenswerte Einschränkung durch Schmerzen spricht auch, dass die Klägerin keine spezifische Behandlung aufgenommen hat, vielmehr von Seiten der S.-Klinik geäußert wurde, dass sie sich gegenwärtig einer Behandlung aufgrund ihres offenbaren Rentenwunsches nicht zugänglich zeigt. Dies belegt, dass ein nennenswerter Leidensdruck bei der Klägerin nicht besteht, weswegen, selbst wenn eine dissoziative Sensibilitäts- und Bewegungsstörung vorliegen würde, diese jedenfalls kein rentenberechtigendes Ausmaß hat. Demgegenüber konnte die allein abweichende Einschätzung des behandelnden Hausarztes Dr. H. auch den Senat nicht überzeugen, zumal dessen festgestellte Befunde eines guten Allgemeinzustandes sowie eines altersentsprechenden somatischen Befundes (arterielles und venöses Gefäßsystem ohne pathologischen Befund, Extremitäten freie Beweglichkeit, keine Muskelatrophien) die abweichende Beurteilung des Leistungsvermögens nicht begründen können.

Nach alledem war deshalb die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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