L 2 SO 415/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 4688/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 415/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, (1) den mündlich erteilten Bescheid vom 10. September 2001, mit dem sie gegenüber dem Kläger die Erbringung "sinn- und zweckgemäßer Leistungen bis zur eindeutigen Klärung des damals laufenden Verfahrens gegen die Bundesanstalt für Arbeit" abgelehnt hatte, zurückzunehmen, (2) rückwirkend ab 1. Januar 2005 bis auf Weiteres monatlich 669,08 EUR zu zahlen und (3) den von der Agentur für Arbeit erstatteten Betrag in Höhe von 11.571,48 EUR einschließlich Zinsen an den Kläger auszuzahlen.

Der im 1961 geborene Kläger ist seit Ende April/Mai 2002 obdachlos. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22. August 2007, hat er seit ca. 3 bis 4 Monaten "ein Dach über dem Kopf", aber keine "meldefähige Adresse". Er frage, wie auch in der Zeit seiner Obdachlosigkeit, in regelmäßigen Abständen beim Sozialamt nach, das ihm seine Behördenpost aushändige.

Vom 19. April 2002 bis 2. Mai 2003 stand der Kläger unter Betreuung durch Rechtsanwältin Behr mit dem Aufgabenkreis "Vermögensangelegenheiten, Verkehr mit Behörden und Sozialleistungsträgern und Wohnungsangelegenheiten" (Beschlüsse des Amtsgerichts Karlsruhe vom 19. April 2002 und 2. Mai 2003). Ein 2005 vor dem Amtsgericht Karlsruhe - Vormundschaftsgericht - eingeleitetes Verfahren endete ohne Bestellung eines Betreuers, da die Voraussetzungen gem. § 1896 Abs. 1, Abs. 1a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht vorlägen (Beschluss vom 22. September 2005).

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 4. September 2001 - mündlich - Leistungen, die keine Sozialhilfeleistungen darstellten und auf Drängen der Beklagten - so die Darstellung des Klägers - am 6. September 2001 schriftlich die Gewährung von Sozialhilfe. Diesen Anträgen lag ein Streit mit dem Arbeitsamt Karlsruhe (AA) zu Grunde, das dem Kläger die bis dahin gewährte Arbeitslosenhilfe ab 28. Mai 2000 wegen unterlassener Mitwirkung bei einer nervenärztlichen Zusatzuntersuchung entzogen hatte (Bescheid vom 24. Mai 2000). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2000), die vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage - S 13 AL 2668/00 - nahm der Kläger zurück. Eine Überprüfung und Rücknahme des Bescheids vom 24. Mai 2000/Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2000 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - zunächst durch die Betreuerin, dann durch den Kläger selbst beantragt - lehnte das AA mit Bescheid vom 29. Juli 2003 ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben zunächst ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 12. September 2003; SG, Urt. vom 28. April 2004 - Az.: S 13 AL 3622/03 -; LSG, Beschluss vom 17. August 2004 - Az.: L 5 AL 2243/04 -). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, die erfolgreich mit einem Verfahrensfehler begründet wurde (das LSG habe trotz aus den Akten ersichtlicher erheblicher Zweifel an der Prozessfähigkeit keine entsprechenden von Amts wegen anzustellenden Ermittlungen durchgeführt), hob das Bundessozialgericht (BSG; Beschluss vom 14. September 2005 - B 11a/11 AL 241/04 B -) den angefochtenen Beschluss auf und verwies den Rechtsstreit zurück. In dem unter dem Az. L 13 AL 3988/05 fortgesetzten Verfahren ergaben sich in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2006 offenbar keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des - anwesenden - Klägers; das Verfahren endete mit der Rücknahme des Bescheids vom 24. Mai 2000/Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2000. Dies führte zu einer Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe in Höhe von 27.868,62 EUR für den Zeitraum vom 1. September 2001 bis 31. Dezember 2004. Nach Aktenlage sind dem Kläger im März 2007 aus der vom AA zu leistenden Nachzahlung 16.297,14 EUR überwiesen worden; in Höhe von 11.571,48 EUR hat dieses die Erstattungsforderung der Beklagten (Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich einmaliger Beihilfen für den Zeitraum vom 24. April 2002 bis31. Dezember 2004) beglichen.

Beide gegenüber der Beklagten gestellten Anträge vom 4. und 6. September 2001 lehnte diese nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten am 10. September 2001 mündlich ab; soweit aus den Akten ersichtlich mit der Begründung, der Kläger müsse - wie der Zufluss in Höhe von 11.172,75 DM an Zinsen und Tilgung von der Bundesschuldenverwaltung zeige - über verwertbares Vermögen verfügen. Auf den Antrag der Betreuerin (Bl. 173 Verwaltungsakte (VA)) gewährte die Beklagte - soweit ersichtlich - ab 24. April 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt. Ab 1. Januar 2005 erhielt der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Auf Antrag der Arbeitsgemeinschaft der Agentur für Arbeit und der Stadt Karlsruhe (ARGE) von Mai 2005 bezog der Kläger ab 1. September 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Am 30. Dezember 2005 beantragte der Kläger die Rücknahme des Bescheids vom 10. September 2001 nach § 44 SGB X mit der Begründung, er habe am 4. September 2001 als vorrangiger Leistungsträger nach den §§ 21 SGB III, 1 und 12 SGB I und 1 SGB X bei der Beklagten die vorübergehende Zahlung von Geldern zur Sicherstellung seiner existenziellen Grundbedürfnisse bis zur Klärung der Angelegenheit mit der Bundesanstalt für Arbeit beantragt. Der Beklagten habe es zum Einen an der Rechtsposition zur Ablehnung seines Antrages gemangelt, zum Anderen habe die Beklagte trotz Bewilligungsvoraussetzung keine Zahlungen geleistet. Diesen Antrag lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Bedarfsdeckungsprinzip in der Sozialhilfe ab (Bescheid vom 9. Januar 2006). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes fänden hier grundsätzlich keine Anwendung, da er ausdrücklich keine Sozialhilfeleistung, sondern Existenz sichernde Leistungen im Rahmen der Amtshilfe zu vorgreifenden Leistungen beantragt habe. Mit dem parallel im Mai 2006 vor dem SG gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, scheiterte der Kläger (Beschluss des SG vom 1. Juni 2006 - S 1 SO 2366/06 ER und Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juni 2006 - L 7 SO 2797/06 ER-B).

Am 9. Oktober 2006 hat der Kläger Klage zum SG erhoben und sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Seine Rechtsposition sei durch das Sozialgesetzbuch eindeutig als die eines Leistungsträgers, und zwar in seinem Fall des vorrangigen Leistungsträgers, bestimmt. Das SG hat nach vorheriger Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 als unbegründet abgewiesen; der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger über das Sozialamt gegen Empfangsbekenntnis am 20. Dezember 2006 ausgehändigt.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23. Januar 2007 Berufung eingelegt und an seinem Begehren festgehalten; den Berufungsschriftsatz hatte er am 19. Januar 2007 per Einschreiben zur Post aufgegeben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Dezember 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 1. den mündlichen Bescheid vom 10. September 2001 zurückzunehmen und dem mündlichen Antrag vom 4. September 2001 stattzugeben; mit dem Antrag hätte bezweckt werden sollen, dass die in dieser Klage Beklagte i.S.d. SGB sinn- und zweckgemäße Leistungen bis zur eindeutigen Klärung des damals laufenden Verfahrens gegen die Bundesanstalt für Arbeit erbracht hätte, 2. rückwirkend ab 1. Januar 2005 bis auf weiteres monatlich 669,08 EUR zu zahlen, 3. den von der Agentur für Arbeit Karlsruhe erstatteten Betrag in Höhe von 11.571,48 EUR, einschließlich Zinsen ab 1. März 2007 in Höhe von 1/360 des allgemeinen Spitzenrefinanzierungssatzes (marginal lending rate der EZB) plus 3 Prozentpunkte auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt - sinngemäß -,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Hinblick auf die vom AA geleistete Nachzahlung hat die Beklagte mit - soweit ersichtlich bestandskräftigem - Bescheid vom 9. Februar 2007 die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. März 2007 ganz aufgehoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere stehen ihr im Ergebnis die §§ 153 iVm 92 SGG, § 71 SGG und § 151 Abs. 1 SGG nicht entgegen. Nach § 92 Satz 1 SGG, der über § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt, soll die Klage die Beteiligten (§ 69 SGG) bezeichnen; hierzu gehören Name und Anschrift des Klägers (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 92 Rdnr. 3; Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 18. November 2003 - B 1 KR 1/02 = SozR 4-1500 § 90 SGG Nr. 1 mwH). Die Angabe der Anschrift ist nach dem genannten Beschluss aus mehreren Gründen erforderlich: Zur eindeutigen Identifikation des Rechtsschutzsuchenden, zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts (§ 57 Abs. 1 bis 3 SGG), für eine rechtswirksame Zustellung (§§ 63 Abs. 2 SGG, 166 ff Zivilprozessordnung (ZPO)) und aus Gründen des Kostenrechts. Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundsätze sieht der Senat das Rechtsschutzbegehren des Klägers, der - wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat - seit etwa 3 bis 4 Monaten "ein Dach über dem Kopf" hat und damit objektiv nicht mehr obdachlos ist, trotz seiner Weigerung, diese Anschrift zu nennen, als ordnungsgemäß an. Denn an der Identität des Klägers besteht vorliegend nicht der geringste Zweifel. Ferner ist er - wie die Praxis der vergangenen Jahre zeigt - über das Sozialamt für Behörden und Gerichte erreichbar, sodass die Zustellung von Schriftstücken durchgeführt werden kann. Zwar handelt es sich bei der in der Vergangenheit vorgenommenen Zustellung an den Kläger mittels Empfangsbekenntnis im Hinblick auf § 5 Abs. 4 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) nicht um eine ordnungsgemäße Zustellung, weil der Kläger nicht zu dem dort genannten Personenkreis zählt, gleichwohl ist der Zweck der Zustellung (Rechtsbehelfsfristen in Lauf zu setzen) damit erreicht, denn nach § 8 VwZG gilt die Zustellung eines Dokuments, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Schließlich hat der Kläger nach Auffassung des Senats im Hinblick darauf, dass die Beklagte aktiv - seit 2003 jedoch vergeblich - die Bestellung eines Betreuers zu erreichen versucht hat, aus seiner (subjektiven) Sicht schwerwiegende Gründe (Angst vor einem erneuten Versuch), die es für ihn unzumutbar machen, seine jetzige Wohnanschrift zu nennen.

Der Senat hat keinen Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers. Nach § 71 Abs. 1 SGG ist ein Beteiligter prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, einen Prozess selbst oder durch einen selbst bestellten Bevollmächtigten zu führen, dh Verfahrenshandlungen (Prozesshandlungen) selbst oder durch den selbst bestellten Bevollmächtigten wirksam vorzunehmen oder entgegenzunehmen; die Prozessfähigkeit wird auch als "prozessuale Geschäftsfähigkeit" bezeichnet (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 71 Rdnr. 1a). Prozessunfähig sind daher natürliche Personen, die nicht geschäftsfähig sind. Dabei sieht der Gesetzgeber grundsätzlich alle Menschen als geschäftsfähig an und regelt deshalb nur die Ausnahmefälle der Geschäftsunfähigkeit und der beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Die Geschäftsunfähigkeit kann sich dabei auch nur auf einen bestimmten gegenständlich abgegrenzten Kreis von Angelegenheiten beziehen. Nicht geschäftsfähig ist (ua) nach § 104 Nr. 2 BGB, wer sich - nicht nur vorübergehend - in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Der Ausschluss der freien Willensbestimmung ist zu bejahen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 104 Rdnr. 5, 6 mwH). Zweifel daran, dass der Kläger nicht in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen, ergeben sich nach Auffassung des Senats nicht. Entgegen der Darstellung im Beschluss des BSG vom 14. September 2005 ist die Betreuung im Jahr 2003 nicht aufgehoben worden, weil der Kläger "zwar betreuungsbedürftig, nicht aber betreuungsfähig" sei, sondern wie die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts Karlsruhe - Vormundschaftsgericht - vom 2. Mai 2003 zeigen (Bl. 355 der Verw. Akte), weil "derzeit kein Bedarf mehr für eine Betreuung" besteht. Das danach von der Beklagten eingeleitete Betreuungsverfahren endete durch Beschluss des genannten Gerichts vom 22. September 2005 ohne Bestellung eines Betreuers; das Gericht erachtete die zwangsweise Unterbringung des Klägers in einer Klinik zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens für "unverhältnismäßig" (Bl. 487 der Verw. Akte). Der Verlauf des - zurückverwiesenen - Verfahrens vor dem 13. Senat des LSG lässt unter Berücksichtigung des Hinweisschreibens des Vorsitzenden vom 27. Juli 2006 und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. September 2006 (Bl. 59, 60/61 LSG-Akte L 13 AL 3988/05), nur den Schluss zu, dass keine Zweifel mehr an der Prozessfähigkeit des Klägers bestanden. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Klägers, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass der Kläger von der Richtigkeit seiner juristischen Argumentation so überzeugt ist, dass er alle Einwände hiergegen für falsch erachtet. Das allein vermag jedoch Zweifel an der Prozessfähigkeit nicht zu begründen, zumal trotz unterschiedlicher rechtlicher Auffassungen eine geordnete und sachliche Verhandlung mit dem Kläger möglich war.

Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; dasselbe gilt für einen Gerichtsbescheid, der nach § 105 Abs. 3 SGG als Urteil wirkt. Zwar ist vorliegend unter Beachtung der §§ 174 Abs. 1 ZPO, 5 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) die Zustellung nicht formgerecht erfolgt, weil der Kläger nicht zu den in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen zählt; dieser Zustellungsmangel kann jedoch nach § 8 VwZG geheilt werden mit der Folge, dass der Gerichtsbescheid als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem er dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist dem Kläger der Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 am 20. Dezember 2006 ausgehändigt worden. Der Lauf der Berufungsfrist endete somit am 20. Januar 2007 (§§ 202 SGG, 222 Abs. 1 ZPO, 187, 188 BGB). Da dies ein Samstag war, lief die Berufungsfrist erst am 22. Januar 2007 (Montag) ab. Die Berufung des Klägers ging erst am 23. Januar 2007 und somit nach Fristablauf beim LSG ein. Dem Kläger ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Nach Aktenlage hat der Kläger die Berufungsschrift am 19. Januar 2007 (Freitag) per Einschreiben mit Rückschein zur Post aufgegeben. Von einer Beförderungsdauer von mehr als 3 Tagen von Karlsruhe nach Stuttgart musste der Kläger unter normalen Umständen nicht ausgehen, er konnte vielmehr damit rechnen, dass der am Freitag aufgegebene Brief spätestens am Montag sein Ziel erreichen werde. Die Versäumung der Berufungsfrist ist ihm daher nicht zuzurechnen.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.

Im Berufungsverfahren begehrt der Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Januar 2006 die Rücknahme des - mündlich erteilten (s. hierzu § 33 Abs. 2 S. 1 SGB X) - Verwaltungsakts vom 10. September 2001 und die Verurteilung der Beklagten zur "sinn- und zweckgemäße Leistungen bis zur eindeutigen Klärung des damals laufenden Verfahrens gegen die Bundesanstalt für Arbeit".

Die Berufung ist nicht bereits deswegen unbegründet, weil die Beklagte auf den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 9. Januar 2006 keinen förmlichen Widerspruchsbescheid erlassen hat und damit grundsätzlich - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - die zwingende Prozessvoraussetzung des § 78 Abs. 1 S. 1 SGG nicht gegeben ist. Ausnahmsweise ist vorliegend aus den vom SG auf Seite 4 seines Gerichtsbescheids genannten Gründen, die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht, die Klage zulässig.

Ausgangspunkt für die rechtliche Überprüfung dieses im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) geltend gemachten Anspruchs ist § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Für den Senat ist - auch unter Würdigung der gesamtem Aktenlage und des Vorbringens des Klägers - nicht erkennbar, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Soweit sich der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf § 1 SGB X beruft, der in Abs. 1 den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X regelt und in Abs. 2 den Behördenbegriff definiert, vermag der Senat keinen Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch zu erkennen. Zwar können natürliche Personen - wie der Kläger - Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen und damit Behörden iSd Abs. 2 sein, so genannte "beliehene Unternehmer"; Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dem Beliehenen die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes übertragen worden ist. Der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, inwiefern der Kläger Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrgenommen hat. Auch § 12 SGB I vermag eine Leistungsträgerschaft des Klägers nicht zu begründen, weil der Kläger als natürliche Person weder zu den in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften noch Anstalten und Behörden zu rechnen ist. Auf § 21 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), der für den Bereich des SGB III (§ 12 SGB III) den Begriff "Träger" definiert (= natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften, die Maßnahmen der Arbeitsförderung selbst durchführen oder durch Dritte durchführen lassen), kann sich der Kläger zur Begründung seiner "Leistungsträgerschaft" ebenfalls nicht berufen. Im Rahmen des SGB III umfasst der Begriff Träger auch Leistungserbringer, die für die Bundesagentur Aufgaben wahrnehmen, insbesondere im Rahmen der Förderung der beruflichen Bildung (§ 240 ff SGB III). Die Anforderungen, die an derartige "Träger" gestellt werden, ergeben sich (ua) aus § 84 SGB III. Danach sind zugelassen für die Förderung Träger, die die unter Nr. 1 bis 4 genannten qualitativen Voraussetzungen erfüllen (vgl. Hauck/Noftz, SGB III, § 21 Rdnr. 1a, 2, 9; § 84 Rdnr 17ff). Schon der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass der Kläger nicht Träger - und damit Leistungserbringer - in diesem Sinn sein kann, weil es an allen dort genannten Voraussetzungen mangelt. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, er sei durch seine privaten Fortbildungsbemühungen zum "Träger/Leistungserbringer" für die Bundesagentur geworden, irrt er und verkennt grundlegend die gesetzliche Systematik. Er ist gegenüber der Bundesagentur Leistungsempfänger und zu keinem Zeitpunkt Leistungserbringer = Träger gewesen; auch gegenüber der Beklagten ist er ausschließlich Leistungsempfänger. Der Kläger unterliegt auch insoweit einem grundlegenden Irrtum, als er glaubt, von der Beklagten "sinn- und zweckgemäße Leistungen bis zur eindeutigen Klärung des damals laufenden Verfahrens gegen die Bundesanstalt für Arbeit" beanspruchen zu können. Eine konkrete Anspruchsgrundlage hat er hierfür nicht benannt; eine solche ist für den Senat unter Berücksichtigung des bis 31. Dezember 2004 geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) - was hier insoweit noch zur Anwendung kommt - nicht ersichtlich. Auch bei vorrangiger Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers (vgl. § 2 BSHG), kann dieser jedoch nur Leistungen nach den für ihn geltenden gesetzlichen Regelungen - also nach dem BSHG - erbringen. Leistungen, die gerade keine Sozialhilfeleistungen darstellen, konnte die Beklagte daher grundsätzlich nicht erbringen, insbesondere konnte sie - was in der mündlichen Verhandlung von Seiten des Klägers angesprochen worden ist - den Kläger nicht in seinem Rechtsstreit gegen die Bundesagentur aktiv unterstützen. Sie konnte bei Vorliegen der sozialhilferechtlichen Voraussetzungen Leistungen in Form von Geldleistungen zum Lebensunterhalt bewilligen, was sie im Übrigen ab Ende April 2002 getan hat. Die Beklagte hat daher - soweit sie am 10. September 2001 mündlich gegenüber dem Kläger die Bewilligung von "Leistungen, die keine Sozialhilfeleistungen" sind, abgelehnt hat - Recht nicht unrichtig angewandt oder ihrer Entscheidung einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt; soweit sie damals auch die Bewilligung von Sozialhilfeleistungen abgelehnt hatte, hat sie ihre diesbezügliche Entscheidung zu Recht mit mangelnder Hilfebedürftigkeit begründet, weil Belege dafür, dass die dem Kläger damals von der Bundesschuldenverwaltung zufließenden Geldbeträge ihm nicht zuzuordnen waren, nicht vorgelegt worden sind. Dessen ungeachtet hat bereits das SG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 44 SGB X im Sozialhilferecht keine Anwendung findet, weil Sozialhilfe ihrem Wesen nach auf die Beseitigung einer aktuellen Notlage gerichtet ist; eine in der Vergangenheit vorhanden gewesene Notlage durch rückwirkende Leistungen naturgemäß aber nicht beseitigt werden kann.

Hinsichtlich der Berufungsanträge Ziff. 2 und 3 hat der Kläger ebenfalls keinen Erfolg. Zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 9. Januar 2006 und damit die Frage, ob der mündliche Bescheid vom 10. September 2001 rechtswidrig war und somit nach § 44 SGB X aufzuheben ist. Die erstmals mit Schriftsatz vom 16. Februar 2007 formulierten Anträge stellen eine Klageänderung dar. Eine solche ist gemäß § 99 Abs. 1 SGG (sofern kein Fall des Abs. 3 vorliegt, was hier zu verneinen ist) nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Anträge Ziff. 2 und 3 stehen in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem zulässigen Streitgegenstand, weswegen die Änderung nicht sachdienlich ist, und die Beklagte hat sich weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung auf die Anträge Ziff. 2 und 3 eingelassen. Insoweit ist die Klage daher unzulässig. Selbst bei zulässiger Klageänderung wäre die Klage unzulässig, weil hinsichtlich dieser Anträge weder ein (ablehnender) Bescheid der Beklagte vorliegt noch das zwingend vorgeschriebene Vorverfahren (§ 78 SGG) durchgeführt worden ist. Dessen ungeachtet ist der geltend gemachte Anspruch unbegründet. Für das Begehren, von der Beklagten ab 1. Januar 2005 Leistungen in Höhe von monatlich 669,08 EUR - das entspricht dem monatlichen Betrag der bis 31. Dezember 2004 bezogenen Arbeitslosenhilfe (Alhi) - zu erhalten, gibt es keine Anspruchsgrundlage. Sollte der Kläger davon ausgehen, die Beklagte habe auch ab Januar 2005 bezüglich eines ihm zustehenden Anspruchs gegen die Bundesagentur in der genannten Höhe in Vorleistung zu treten, so ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Ansprüche auf Alhi nach den Vorschriften des SGB III in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ohne Übergangsregelung ab 1. Januar 2004 abgeschafft und durch andersartige Ansprüche nach dem SGB II ersetzt hat. Diese Änderung verstößt nach dem Urteil des BSG vom 23. November 2006 - Az. B 11b AS 1/06 -, dem sich der Senat anschließt, nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze (vgl. aaO Rdnr. 41 bis 55). Daraus folgt, dass ein (wie auch immer gearteter) Anspruch des Klägers auf Alhi seit 1. Januar 2005 nicht mehr besteht. Davon abgesehen hat der Kläger - wie aus dem Aktenvermerk vom 9. März 2006 ersichtlich (Bl. 505 VA) - vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 Arbeitslosengeld II bezogen, sodass für den selben Zeitraum wegen der Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB XII (weitere) Leistungen der Beklagten ausgeschlossen sind (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Dass der Kläger darüber hinaus gegenüber der Beklagten Leistungen nach dem SGB XII in der beanspruchten Höhe mit Erfolg geltend machen könnte, ist in keiner Weise ersichtlich. Hierzu hat der Kläger nichts Konkretes vorgetragen. Soweit aus den Akten erkennbar, hat die Beklagte Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des SGB XII bis einschließlich Februar 2007 durch monatliche Barauszahlungen erbracht, ohne dass der Kläger Einwendungen gegen die Höhe vorgebracht hätte. Die diesen Leistungen zu Grunde liegenden Bescheide sind demnach bestandskräftig geworden. Darüber hinaus hat der Kläger - wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat - gegen den Bescheid, mit dem die Beklagte die Leistungen im Hinblick auf die im März 2007 vorgenommene Überweisung des Alhi-Nachzahlungs-betrags in Höhe von 16.297,14 EUR ab März 2007 eingestellt hat, keinen Widerspruch erhoben. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts ergibt sich mangels Hilfebedürftigkeit ab März 2007 schon dem Grunde nach kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB XII - jedenfalls solange nicht, wie der Kläger von diesem Betrag seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.

Der Kläger kann von der Beklagten auch nicht die Auszahlung des von der Agentur für Arbeit Karlsruhe erstatteten Betrags in Höhe von 11.571,48 EUR beanspruchen. Sollte er die Auszahlung der Alhi in dieser Höhe an sich anstatt an die Beklagte begehren, muss er sich an die Bundesagentur für Arbeit wenden, da diese dem Grunde nach die Alhi-Leistungen schuldet. Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass dem Kläger gegenüber der Agentur für Arbeit kein Anspruch mehr auf Auszahlung des zuvor genannten Betrags zusteht, weil nach § 107 Abs. 1 SGB X sein Anspruch als erfüllt gilt, soweit ein Erstattungsanspruch der Beklagten besteht. Ein solcher Anspruch der Beklagten ist auf der Grundlage des § 104 Abs. 1 SGB X gegeben. Danach hat die Beklagte als nachrangig verpflichteter Leistungsträger (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB X; § 2 BSHG) gegenüber der vorrangig leistungsverpflichteten Agentur für Arbeit einen Anspruch auf Erstattung der von ihr gewährten Leistungen. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach Abs. 3 der genannten Vorschrift nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Daraus folgt hier, da die Alhi höher war als die Leistung der Beklagten, dass deren Gesamtaufwand zu erstatten ist. Im Übrigen hat der Kläger die Höhe des Erstattungsanspruchs (s. hierzu die Aufstellung im Schreiben der Beklagten vom 11. Januar 2007) nicht angegriffen; insoweit vermag auch der Senat keine Unstimmigkeiten zu erkennen. Da - wie dargelegt - ein Anspruch auf Auszahlung von 11.571,48 EUR nicht besteht, ist auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Die Revision wird zugelassen im Hinblick auf eine mögliche Divergenz zum Beschluss des BSG vom 18. November 2003 - B 1 KR 1/02 - und zur Klärung der grundsätzlichen Rechtsfrage, ob ein drohendes Betreuungsverfahren einen ausreichenden Grund darstellt, die bestehende Anschrift nicht zu benennen.
Rechtskraft
Aus
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