L 9 KR 52/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 924/03-89
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 52/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 2004 wird zurückgewiesen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat außerhalb seines zugelassenen Anwendungsbereichs sowie die zukünftige Versorgung mit diesem Medikament.

Der im Jahre 1968 geborene Kläger leidet nach den Feststellungen des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N (Attest vom 19. Juni 2001) und des behandelnden psychologischen Psychotherapeuten Dr. K (Attest vom 24. August 2002) an einer spezifischen sozialen Phobie und an einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) im Erwachsenenalter, die Anfang 2001 bei ihm diagnostiziert wurden. Er leidet dadurch an erheblichen Konzentrationsstörungen, Störungen der Arbeits- und Ordnungsstrukturen und einer gesteigerten Impulsivität. Nach Feststellung der Diagnose erhielt der Kläger zunächst im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung das den Wirkstoff Methylphenidat enthaltende Medikament "Ritalin". Arzneimittelrechtlich sind dieses Medikament sowie die übrigen Medikamente mit diesem Wirkstoff lediglich zur Therapie der ADS/Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern sowie zur Therapie von Narkolepsie bei Erwachsenen zugelassen.

Am 18. November 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 203,18 EUR für selbstbeschafftes "Ritalin" und bat um schriftliche Mitteilung, dass das von ihm dringend benötigte Medikament weiterhin bezahlt werde. Da sein behandelnder Arzt ihm seit kurzem nur noch Privatrezepte zur Beschaffung dieses Medikamentes ausstelle, müsse er es sich auf eigene Kosten beschaffen. Dazu legte er die Atteste seiner behandelnden Ärzte Dr. N und Dr. K vor. Dem Antrag beigefügt waren vier ärztliche Verordnungen des Medikaments "Ritalin", die sich in drei Fällen auf den Zahlbetrag von jeweils 50,86 EUR und in einem Fall auf den Zahlbetrag von 50,60 EUR beliefen. Die Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) vom 22. November 2002 ein. Darin stellte der MDK fest, eine Kostenübernahme sei vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht möglich.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2003 lehnte die Beklagte, gestützt auf die vorgenannte Stellungnahme des MDK, den Antrag des Klägers ab. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2003 zurück: Nach der Rechtsprechung des BSG könne eine Kostenübernahme für Medikamente außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsbereiches nur erfolgen, wenn eine schwerwiegende, d.h. lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorliege, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werde. Diese Voraussetzungen seien nach der Stellungnahme des MDK nicht erfüllt.

Mit seiner zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die Erstattung von 961,50 EUR, die er bis zur Klagerhebung für die selbstbeschafften Medikamente aufgewandt hatte, sowie die weitere Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten begehrt. Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht Befundberichte des behandelnden psychologischen Psychotherapeuten Dr. K vom 17. August 2003 und des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N vom 1. September 2003 sowie eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 24. August 2004 eingeholt.

Mit Urteil vom 8. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Methylphenidathaltige Medikamente seien zwar für die Behandlung der Erkrankung bei Kindern bzw. zur Behandlung der so genannten Narkolepsie zugelassen, nicht jedoch für die Behandlung von ADS/ADHS bei Erwachsenen. Eine solche, die Zulassung überschreitende Anwendung sei im Grundsatz von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu erbringen. Ausnahmsweise komme eine Versorgung dann in Betracht, wenn es sich um die Behandlung einer schwerwiegenden lebensbedrohlichen und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handele, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Klägers nicht erfüllt. Es handele sich zwar bei seiner Erkrankung um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung, für die offenbar auch keine andere wirksame und zumutbare Therapie zur Verfügung stehe. Jedoch fehle es an den weiteren Voraussetzungen, denn es gebe bisher keine Studie der klinischen Prüfung der Phase III, die einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belege.

Gegen das ihm am 27. Januar 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Februar 2005 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend: Die Voraussetzungen für Kostenübernahme und Kostenerstattung seien erfüllt. Er werde in seiner Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt, andere zugelassene Medikamente stünden nicht zur Verfügung. Aufgrund umfangreicher und dokumentierter Forschungen sei der Nutzen methylphenidathaltiger Medikamente nachgewiesen. Während des Klageverfahren habe sich der Kläger aufgrund jeweiliger ärztlicher Verordnung weitere Medikamente selbst beschafft, so dass sich nach seiner Berechnung der gesamte Erstattungsbetrag auf 5.811,62 EUR belaufe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 5.811,62 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz von 961,50 EUR ab Klagezustellung, 5% Zinsen über dem Basiszinssatz von 1.010,79 EUR ab Zustellung der Klageerweiterung vom 29. März 2004, 5% Zinsen über dem Basiszinssatz von 2.453,27 EUR ab Zustellung der Klageerweiterung vom 13. Dezember 2005, 5% Zinsen über dem Basiszinssatz von 572,25 EUR ab Zustellung der Klageerweiterung vom 2. Mai 2006, 5% Zinsen über dem Basiszinssatz von 466,24 EUR sowie 5% Zinsen von 347,57 EUR über dem Basiszinssatz ab Zustellung des Schriftsatzes vom 5. Januar 2007 zu zahlen, sowie die Kosten für die Beschaffung für die Medikamente Concerta und Ritalin für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Januar 2007 zu erstatten, 2. den Kläger zukünftig mit 36 mg täglich Concerta und 20 mg Ritalin zu versorgen,

hilfsweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG), hilfsweise nach § 109 SGG zu der Frage,

ob aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Wirkstoff Methylphenidat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann, zur Absicherung des Behandlungserfolges außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit dieses Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

hilfsweise die Beiziehung des Gutachtens Prof. Dr. H aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin S 82 KR 2709/04.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Das Gericht hat einen Befundbericht von Dr. N vom 28. November 2005 eingeholt und diesen im Erörterungstermin am 24. November 2006 als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 24. November 2006 Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten dieses sowie des Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zum Aktenzeichen L 9 B 140/03 KR ER sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere auch statthaft gemäß § 143 SGG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes überschreitet den Betrag von 500 EUR, weil der Kläger bereits bei Klagerhebung einen höheren Erstattungsbetrag – hier 961,50 EUR - begehrt hatte. Darüber hinaus macht der Kläger auch die zeitlich unbefristete Versorgung mit den methylphenidathaltigen Medikamenten "Concerta" und "Ritalin" geltend. Die im Berufungsverfahren vorgenommene Klageänderung ist zulässig, weil sich die Beklagte darauf eingelassen hat (§ 99 Abs. 1 und 2). Die geänderte Klage ist auch zulässig; es fehlt nicht an einem Vorverfahren gemäß § 78 SGG, weil die Beklagte durch die ablehnenden Bescheide die Versorgung mit methylphenidathaltigen Arzneimitteln sowohl im Zuge der Kostenerstattung als auch für die Zukunft im Zuge der Kostenübernahme schlechthin abgelehnt hat. Berufung und Klage sind jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger ursprünglich geltend gemachte Erstattung von 203,18 EUR kommt allein § 13 Abs. 3 zweite Alternative Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Danach hat eine Krankenkasse die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deswegen nicht vor, weil die Kosten in Höhe von 203,18 EUR dem Kläger nicht aufgrund einer Leistungsablehnung der Beklagten entstanden sind. Vielmehr hat der Kläger sich das streitbefangene Medikament zunächst auf eigene Kosten selbst beschafft und dann bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt. In einem solchen Falle ist die Ablehnung der Krankenkasse nicht ursächlich für die Kostenentstehung, weil der Versicherte die Kosten unabhängig von der Ablehnung der Krankenkasse herbeigeführt hat (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Juni 2001, B 1 KR 23/00 R, SozR 3-2500 § 13 Nr. 26).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erstattung der weiteren ihm entstandenen Kosten von 5.608,44 EUR für die methylphenidathaltigen Medikamente "Ritalin" und "Concerta", da die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs. 3 erste Alternative SGB V). Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf die Gewährung des Medikaments "Ritalin" noch des Medikaments "Concerta" zu. Grundsätzlich bedarf ein Fertigarzneimittel zur Anwendung bei einem Versicherten der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es bei ihm angewendet wird, um dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterfallen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). So liegt es im vorliegenden Fall. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG). Sowohl das Arzneimittel "Ritalin" als auch das Arzneimittel "Concerta" sind zwar im Sinne der Krankenversicherung verkehrsfähige Arzneimittel, jedoch beschränkt sich ihre Zulassung auf die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS. Sie haben weder in Deutschland noch innerhalb der Europäischen Union die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet ADS/ADHS im Erwachsenenalter, für das es von dem Kläger eingesetzt wird. Ausnahmsweise ist unter engen Voraussetzungen die Verordnung eines Arzneimittels zwar auch außerhalb des nach den Bestimmungen des AMG vorgegebenen Zulassungsbereichs möglich (BSG Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R), jedoch bestimmt § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG, dass die Erweiterung des Anwendungsbereiches eines Arzneimittels einer erneuten Zulassung bedarf, an der es bei den von dem Kläger begehrten Arzneimitteln derzeit mangelt.

Der Kläger konnte und kann das Medikament auch nicht nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat nach eigener Prüfung folgt, kann abgesehen von Fällen einer extrem seltenen Erkrankung (diese liegt hier nicht vor) die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich in Betracht kommen, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten kann dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard und Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsbereich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).

Es ist schon zweifelhaft ob der Kläger an einer Krankheit im Rechtssinne leidet, d.h. an einem regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ausweislich der Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes Dr. N im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme vom 24. November 2006 hat der Arzt bei dem Kläger lediglich durch Auswertung von Fragebögen feststellen können, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kind oder als Jugendlicher an ADHS litt. Weitere Tests, die das Fortbestehen der Erkrankung bei dem Kläger im Erwachsenenalter hätten dokumentieren können, hat der behandelnde Arzt nicht durchgeführt. Auch aus seinen sonstigen Angaben Arztes zu dem körperlichen, seelischen und geistigen Zustand des Kläger lässt sich kaum entnehmen, dass die bei dem Kläger auftretenden Symptome wie Konzentrationsstörungen, Störungen der Arbeits- und Ordnungsstrukturen und gesteigerte Impulsivität bereits ein solches Ausmaß besitzen, dass sie in jedem Falle einer ärztlichen Behandlung bedürfen oder zu einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers führen.

Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, denn in jedem Falle fehlt es an den weiteren Voraussetzungen der vorgenannten Rechtsprechung des BSG; denn auch wenn der Kläger an einer Erkrankung leiden sollte, so handelt es sich jedenfalls nicht um eine schwerwiegende Erkrankung, d.h. eine Erkrankung, die entweder lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Weder die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31. Januar 2007 noch die zeugenschaftliche Vernehmung seines behandelnden Arztes Dr. Nim Erörterungstermin am 24. November 2006 belegen eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des BSG. Denn danach leidet der Kläger an erheblichen Konzentrationsstörungen und Störungen der Arbeitsstrukturen und weist eine gesteigerte Impulsivität auf; seine Ordnungsstrukturen seien so schwerwiegend beeinträchtigt, dass er z. B. seine Wohnung nicht in Ordnung halten und seine Post nicht erledigen könnte und Rechnungen nicht begleichen würde. Abgesehen davon, dass diese Beeinträchtigungen gesellschaftlich verbreitet sind und z. T. nicht einmal krankheitsbedingt verursacht werden, erreichen sie doch jedenfalls kein lebensbedrohliches oder ein damit vergleichbares, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigendes Ausmaß. Dieses muss umso größer sein je mehr Risiken mit der Anwendung des betreffenden Arzneimittels verbunden sind. Diese sind bei den methylphenidathaltigen Medikamenten beträchtlich, weil diese zu den Betäubungsmitteln nach § 1 Abs. 1 i. V. m. Anlage III des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz – BtMG - ) gehören, die bei unsachgemäßer Anwendung zu einer Suchtentwicklung führen können. Vor diesem Hintergrund reicht eine Störung von Ordnungsstrukturen nicht aus, eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität zu begründen.

Da die Voraussetzungen der Nutzung eines Arzneimittels im Off-Lable-Use kumulativ vorliegen müssen, kann der Senat offen lassen, ob die weiteren Voraussetzungen im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des BSG erfüllt sind. Insbesondere ist eine Erweiterung der Zulassung der hier streitbefangenen Arzneimittel gegenwärtig noch nicht beantragt worden.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers musste der Senat sich auch nicht gedrängt fühlen, den gestellten Beweisanträgen zu folgen. Die von ihm aufgeworfene Beweisfrage ist identisch mit der dritten Voraussetzung zur Anwendung von Arzneimitteln im Off-Lable-Use, mithin eine Rechtsfrage, deren Klärung dem Gericht obliegt. Da es bereits am Vorliegen einer schwerwiegenden, d. h. lebensbedrohenden oder die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung des Klägers fehlt, kommt es auf eine weitere Klärung des Sachverhalts insoweit nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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