Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 856/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1754/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 13. September 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 02. August 2007 gegen den Bescheid vom 05. Juli 2007 sowie die Aufhebung der Vollziehung dieses Bescheides werden angeordnet. Der Antragsgegner hat die der Antragstellerin entstandenen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Absenkung der nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) maßgebenden Regelleistung um 30% für die Zeit von August bis Oktober 2007 gemäß § 31 Abs 1 und 6 SGB II.
Die 1966 geborene Antragstellerin (Ast) bezieht mit ihrer im selben Haushalt lebenden minderjährigen Tochter (der inzwischen volljährige Sohn ist seit längerem nicht mehr hilfebedürftig) seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Ausweislich der Leistungsakte (LA) bot ihr der Antragsgegner (Ageg) am 10. Mai dieses Jahres eine mit 1,60 EUR/Stunde vergütete Arbeitsgelegenheit mit Qualifizierungsanteil in L an. Damit, so heißt es in einem Vermerk des Ageg (Bl 99 LA), habe sich die Ast nach anfänglichem Zögern einverstanden erklärt. Als Termin für den Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung (EGV) unter Berücksichtigung dieser Arbeitsgelegenheit sei der 22. Mai 2007 vereinbart worden. Die Ast sagte sowohl diesen als auch einen Folgetermin mit der Begründung ab, ihr Kind sei erkrankt. Daraufhin übersandte ihr der Ageg die EGV mit Schreiben vom 01. Juni 2007, wobei er sie als "Vorschlag" bezeichnete. Die Ast werde gebeten, die Vereinbarung bis zum 10. Juni 2007 unterschrieben zurückzuschicken. Insbesondere weise man sie auf ihre Verpflichtung hin, sich am ersten Tag nach der Gesundung ihres Kindes beim Maßnahmeträger zur Aufnahme der Arbeitsgelegenheit zu melden. Sollte die EGV nicht rechtzeitig zurückgesandt werden, werde man sich leider gezwungen sehen, sie als Verwaltungsakt zu erlassen, was zugleich eine Sanktion in Höhe von 30% der Regelleistung gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II zur Folge haben werde. In der übersandten EGV ist als Geltungsdauer die Zeit vom 01. Juni bis 31. Dezember 2007 genannt. Unter dem Nr 1 e) heißt es dort:
"Als konkrete Maßnahme der Integrationsvorbereitung zur Wiedereingliederung auf dem 1. Arbeitsmarkt vereinbaren die Parteien die Durchführung einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 SGB III auf dem 2. – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt mit folgendem Inhalt:
Bezeichnung: Stadtwald L Maßnahmenummer: S02-023/07 Art der Tätigkeit: Körperliche Tätigkeiten im Freien u. a. - Beräumung von Flächen - Pflege von Grünanlagen - Bau von Nistkästen Träger der Maßnahme: N GmbH Maßnahme-Ort: L/H, T Wochenarbeitszeit: 28 Stunden Aufwandsentschädigung: 1,60 EUR/geleistete Stunde Maßnahmeeintritt: 01.06.2007 Dauer: 01.06.2007 – 31.10.2007 (6 Monate)"
Nachdem die Ast auf das Schreiben vom 01. Juni 2007 nicht reagiert, nur verschiedene ärztliche Bescheinigungen über die Notwendigkeit der Betreuung ihrer kranken Tochter (31. Mai bis 08. Juni 2007) und über eine kurzzeitige eigene Arbeitsunfähigkeit (26. bis 29. Juni 2007) eingereicht hatte, legte der Ageg den wesentlichen Inhalt der der Ast übersandten EGV mit Bescheid vom 04. Juli 2007 durch Verwaltungsakt fest. Als Maßnahmebeginn wurde nun allerdings der 09. Juli 2007 bestimmt.
Mit Bescheid vom 05. Juli 2007 senkte der Ageg sodann die für die Ast maßgebende Regelleistung von 347,- EUR gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II für die Zeit vom 01. August bis 31. Oktober 2007 um 30% (abgerundet 104,- EUR/Monat) ab. Insofern ändere sich der diesen Zeitraum betreffende Bewilligungsbescheid vom 04. Juni 2007. Die Ast habe sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert, die ihr angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.
Unter dem 02. August 2007 legte die Ast gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch ein. Am selben Tag hat sie beim Sozialgericht (SG) Neuruppin sinngemäß beantragt, dessen aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zur Begründung hat sie ua darauf verwiesen, dass die EGV ohne ihr Zutun sowie ohne "Profiling" verfasst worden und sie auf die ihr mit Bescheid vom 04. Juni 2007 bewilligten Mittel angewiesen sei.
Mit Beschluss vom 13. September 2007 hat das SG den Antrag mit der Begründung abgelehnt, das Verhalten der Ast sei unverständlich, da die Eingliederung in Arbeit die Situation ihrer Familie verbessern solle. Hiergegen wendet sich die Ast mit ihrer Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat.
Bei der Entscheidung haben die LA des Ageg (drei Bände) vorgelegen.
II.
Die Beschwerde der Ast ist begründet.
Ihr Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 05. Juli 2007 hat gemäß § 39 Nr 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, denn der Verwaltungsakt entscheidet über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Darüber entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, wobei das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl zum Meinungsstand Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr 197 ff).
Hier erscheint die getroffene Regelung über die Absenkung der Regelleistung nicht nur als ernstlich zweifelhaft, sondern als eindeutig rechtswidrig. Gegen § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II als Ermächtigungsgrundlage für eine Sanktionsentscheidung wird unabhängig von der konkret zu bewertenden Tatsachenlage eingewandt, eine Abschlussverpflichtung, die noch dazu zwangsweise durchgesetzt wird, sei mit der grundgesetzlich geschützten Vertragsautonomie (Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG)) nicht vereinbar (Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl, § 31 Rdnr 14 mwN). Von anderer namhafter Seite wird der Vertragscharakter der EGV in Frage gestellt; tatsächlich handele es sich dabei um hoheitliches Handeln in "pseudokonsensualer" Form, weswegen auch die Sanktion des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II verfassungsrechtlich bedenklich erscheine (Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 55). Der Senat muss hier nicht entscheiden, ob er sich diesen Bedenken anschließt und welche Konsequenzen daraus folgen würden. Jedenfalls kann – dies steht in Übereinstimmung mit sämtlichen obergerichtlichen Entscheidungen, die soweit ersichtlich zu der hier vorliegenden Fallkonstellation bislang ergangen sind (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2007 – L 13 AS 4160/06 ER-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31. Juli 2007 – L 8 AS 605/06 ER; OVG Bremen, Beschluss vom 15. August 2007 – S 2 B 292/07 - alle veröffentlicht in juris) - eine Absenkungsentscheidung dann nicht auf diese Vorschrift gestützt werden, wenn die Regelungen der vom Leistungsträger ins Auge gefassten EGV – wie hier - bereits durch Verwaltungsakt erfolgt sind, was § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ermöglicht. Dann nämlich ist die – gravierende, weil erheblich in eine existenzsichernde Leistung eingreifende – Sanktion des § 31 Abs 1 Satz 1 SGB II unverhältnismäßig bzw steht sie nicht im Einklang mit dem Zweck der Vorschrift, einen Hilfebedürftigen, der sich beharrlich weigert, seine Arbeitskraft zur Selbsthilfe einzusetzen, zur Änderung seines Verhaltens anzuhalten (vgl Beschluss des Senats vom 12. Mai 2006 – L 10 B 191/06 AS ER – juris; Berlit, aaO Rdnr 2). Denn mit dem Erlass des Verwaltungsaktes hat der Leistungsträger im Wesentlichen das erreicht, worauf auch die EGV abzielte. Dann gleichwohl noch die Regelleistung abzusenken, hätte reinen Disziplinierungscharakter. Als "Strafvorschrift" wird § 31 SGB II aber allgemein nicht verstanden (Berlit, aaO; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rdnr 1, jeweils mwN).
Dem vom Ageg als einzige seine Auffassung stützende Entscheidung benannten Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Bremen vom 17. Mai 2005 (S 1 V 725/05 – juris) ist zu entnehmen, dass auch dieses eine Kürzung nur wegen der Weigerung, eine EGV abzuschließen, für nicht systemgerecht hält. Das VG meint jedoch, diese Weigerung müsse gleichwohl nicht ausnahmslos sanktionslos bleiben, sondern nur dann, wenn der Hilfebedürftige berechtigte Einwände gegen die Zustimmung zur EGV erhebe. Diese Einschränkung überzeugt aus den oben dargelegten Gründen nicht. Im Übrigen weicht der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt insofern erheblich von dem hiesigen Fall ab, als sich der dortige Ast nicht nur geweigert hatte, die ihm angebotene EGV abschließen, sondern auch gegen die sodann durch Verwaltungsakt getroffene Regelung, an einer Maßnahme teilzunehmen, verstoßen hatte, weswegen, so das VG, die Sanktion auch auf § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II gestützt werden konnte.
Ob und inwieweit auch die Eilbedürftigkeit einen Abwägungsgesichtspunkt darstellt (vgl Krodel, aaO Rdnr 201 ff mwN) oder unabhängig davon im Verfahren nach § 86b Abs 1 Satz 1 SGG von Belang ist, kann für das vorliegende Verfahren dahin stehen. Jedenfalls dann, wenn der angefochtene Bescheid als eindeutig rechtswidrig erscheint und um nicht unbeträchtliche existenzsichernde Leistungen gestritten wird – beides ist hier der Fall -, kann dem Hilfebedürftigen das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden.
Der hier getroffenen Aussetzungsentscheidung nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kommt grundsätzlich Rückwirkung zu. Sie führt zu der durch § 86a Abs 1 Satz 1 SGG geschaffenen normativen Lage, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. Damit tritt auch bei gerichtlicher Anordnung die aufschiebende Wirkung ex tunc, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, ein, wie dies nach ganz herrschender Meinung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, § 86a Rdnr 9 mwN) im "Normalfall" der Bestimmung der aufschiebenden Wirkung durch eine entsprechende gesetzliche Regelung anzunehmen ist (Krodel, aaO Rdnr 172; zur Parallelvorschrift des § 80 Abs 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd I, § 80 Rdnr 362; Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Aufl, § 80 Rdnr 86; aA, allerdings ohne Begründung, Keller, aaO § 86b Rdnr 10).
Mit der Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Sanktionsbescheides sind die bereits erfolgten Vollzugs- bzw Befolgungsmaßnahmen rechtswidrig geworden. Daher hat der Ageg bereits aufgrund der Entscheidung zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung die aufgrund des Sanktionsbescheides ab August 2007 (rechtsgrundlos) einbehaltenen Beträge nunmehr der Ast auszuzahlen (vgl Krodel, aaO Rdnr 171). Unabhängig davon kann das Gericht gemäß § 86b Abs 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung – im Ergebnis nur klarstellend und mit der Wirkung, dass ein vollstreckungsfähiger Entscheidungssatz entsteht - anordnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt – wie hier – im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, ohne dass diesbezüglich ein Antrag oder eine erstinstanzliche Entscheidung vorliegen muss (vgl Krodel, aaO Rdnr 179). Der Senat hält hier die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung angesichts des beträchtlichen Interesses der Ast an kurzfristiger Nachzahlung der ihr bislang vorenthaltenen Regelleistungen für angezeigt (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2006 – L 5 B 949/06 AS ER; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 09. Februar 2007 – L 7 AS 288/06 ER – und 26. März 2007 – L 9 AS 38/07 ER – alle juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Gründe:
I.
Streitig ist die Absenkung der nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) maßgebenden Regelleistung um 30% für die Zeit von August bis Oktober 2007 gemäß § 31 Abs 1 und 6 SGB II.
Die 1966 geborene Antragstellerin (Ast) bezieht mit ihrer im selben Haushalt lebenden minderjährigen Tochter (der inzwischen volljährige Sohn ist seit längerem nicht mehr hilfebedürftig) seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Ausweislich der Leistungsakte (LA) bot ihr der Antragsgegner (Ageg) am 10. Mai dieses Jahres eine mit 1,60 EUR/Stunde vergütete Arbeitsgelegenheit mit Qualifizierungsanteil in L an. Damit, so heißt es in einem Vermerk des Ageg (Bl 99 LA), habe sich die Ast nach anfänglichem Zögern einverstanden erklärt. Als Termin für den Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung (EGV) unter Berücksichtigung dieser Arbeitsgelegenheit sei der 22. Mai 2007 vereinbart worden. Die Ast sagte sowohl diesen als auch einen Folgetermin mit der Begründung ab, ihr Kind sei erkrankt. Daraufhin übersandte ihr der Ageg die EGV mit Schreiben vom 01. Juni 2007, wobei er sie als "Vorschlag" bezeichnete. Die Ast werde gebeten, die Vereinbarung bis zum 10. Juni 2007 unterschrieben zurückzuschicken. Insbesondere weise man sie auf ihre Verpflichtung hin, sich am ersten Tag nach der Gesundung ihres Kindes beim Maßnahmeträger zur Aufnahme der Arbeitsgelegenheit zu melden. Sollte die EGV nicht rechtzeitig zurückgesandt werden, werde man sich leider gezwungen sehen, sie als Verwaltungsakt zu erlassen, was zugleich eine Sanktion in Höhe von 30% der Regelleistung gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II zur Folge haben werde. In der übersandten EGV ist als Geltungsdauer die Zeit vom 01. Juni bis 31. Dezember 2007 genannt. Unter dem Nr 1 e) heißt es dort:
"Als konkrete Maßnahme der Integrationsvorbereitung zur Wiedereingliederung auf dem 1. Arbeitsmarkt vereinbaren die Parteien die Durchführung einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 SGB III auf dem 2. – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt mit folgendem Inhalt:
Bezeichnung: Stadtwald L Maßnahmenummer: S02-023/07 Art der Tätigkeit: Körperliche Tätigkeiten im Freien u. a. - Beräumung von Flächen - Pflege von Grünanlagen - Bau von Nistkästen Träger der Maßnahme: N GmbH Maßnahme-Ort: L/H, T Wochenarbeitszeit: 28 Stunden Aufwandsentschädigung: 1,60 EUR/geleistete Stunde Maßnahmeeintritt: 01.06.2007 Dauer: 01.06.2007 – 31.10.2007 (6 Monate)"
Nachdem die Ast auf das Schreiben vom 01. Juni 2007 nicht reagiert, nur verschiedene ärztliche Bescheinigungen über die Notwendigkeit der Betreuung ihrer kranken Tochter (31. Mai bis 08. Juni 2007) und über eine kurzzeitige eigene Arbeitsunfähigkeit (26. bis 29. Juni 2007) eingereicht hatte, legte der Ageg den wesentlichen Inhalt der der Ast übersandten EGV mit Bescheid vom 04. Juli 2007 durch Verwaltungsakt fest. Als Maßnahmebeginn wurde nun allerdings der 09. Juli 2007 bestimmt.
Mit Bescheid vom 05. Juli 2007 senkte der Ageg sodann die für die Ast maßgebende Regelleistung von 347,- EUR gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II für die Zeit vom 01. August bis 31. Oktober 2007 um 30% (abgerundet 104,- EUR/Monat) ab. Insofern ändere sich der diesen Zeitraum betreffende Bewilligungsbescheid vom 04. Juni 2007. Die Ast habe sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert, die ihr angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.
Unter dem 02. August 2007 legte die Ast gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch ein. Am selben Tag hat sie beim Sozialgericht (SG) Neuruppin sinngemäß beantragt, dessen aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zur Begründung hat sie ua darauf verwiesen, dass die EGV ohne ihr Zutun sowie ohne "Profiling" verfasst worden und sie auf die ihr mit Bescheid vom 04. Juni 2007 bewilligten Mittel angewiesen sei.
Mit Beschluss vom 13. September 2007 hat das SG den Antrag mit der Begründung abgelehnt, das Verhalten der Ast sei unverständlich, da die Eingliederung in Arbeit die Situation ihrer Familie verbessern solle. Hiergegen wendet sich die Ast mit ihrer Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat.
Bei der Entscheidung haben die LA des Ageg (drei Bände) vorgelegen.
II.
Die Beschwerde der Ast ist begründet.
Ihr Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 05. Juli 2007 hat gemäß § 39 Nr 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, denn der Verwaltungsakt entscheidet über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Darüber entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, wobei das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl zum Meinungsstand Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr 197 ff).
Hier erscheint die getroffene Regelung über die Absenkung der Regelleistung nicht nur als ernstlich zweifelhaft, sondern als eindeutig rechtswidrig. Gegen § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II als Ermächtigungsgrundlage für eine Sanktionsentscheidung wird unabhängig von der konkret zu bewertenden Tatsachenlage eingewandt, eine Abschlussverpflichtung, die noch dazu zwangsweise durchgesetzt wird, sei mit der grundgesetzlich geschützten Vertragsautonomie (Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG)) nicht vereinbar (Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl, § 31 Rdnr 14 mwN). Von anderer namhafter Seite wird der Vertragscharakter der EGV in Frage gestellt; tatsächlich handele es sich dabei um hoheitliches Handeln in "pseudokonsensualer" Form, weswegen auch die Sanktion des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II verfassungsrechtlich bedenklich erscheine (Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 55). Der Senat muss hier nicht entscheiden, ob er sich diesen Bedenken anschließt und welche Konsequenzen daraus folgen würden. Jedenfalls kann – dies steht in Übereinstimmung mit sämtlichen obergerichtlichen Entscheidungen, die soweit ersichtlich zu der hier vorliegenden Fallkonstellation bislang ergangen sind (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2007 – L 13 AS 4160/06 ER-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31. Juli 2007 – L 8 AS 605/06 ER; OVG Bremen, Beschluss vom 15. August 2007 – S 2 B 292/07 - alle veröffentlicht in juris) - eine Absenkungsentscheidung dann nicht auf diese Vorschrift gestützt werden, wenn die Regelungen der vom Leistungsträger ins Auge gefassten EGV – wie hier - bereits durch Verwaltungsakt erfolgt sind, was § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ermöglicht. Dann nämlich ist die – gravierende, weil erheblich in eine existenzsichernde Leistung eingreifende – Sanktion des § 31 Abs 1 Satz 1 SGB II unverhältnismäßig bzw steht sie nicht im Einklang mit dem Zweck der Vorschrift, einen Hilfebedürftigen, der sich beharrlich weigert, seine Arbeitskraft zur Selbsthilfe einzusetzen, zur Änderung seines Verhaltens anzuhalten (vgl Beschluss des Senats vom 12. Mai 2006 – L 10 B 191/06 AS ER – juris; Berlit, aaO Rdnr 2). Denn mit dem Erlass des Verwaltungsaktes hat der Leistungsträger im Wesentlichen das erreicht, worauf auch die EGV abzielte. Dann gleichwohl noch die Regelleistung abzusenken, hätte reinen Disziplinierungscharakter. Als "Strafvorschrift" wird § 31 SGB II aber allgemein nicht verstanden (Berlit, aaO; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rdnr 1, jeweils mwN).
Dem vom Ageg als einzige seine Auffassung stützende Entscheidung benannten Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Bremen vom 17. Mai 2005 (S 1 V 725/05 – juris) ist zu entnehmen, dass auch dieses eine Kürzung nur wegen der Weigerung, eine EGV abzuschließen, für nicht systemgerecht hält. Das VG meint jedoch, diese Weigerung müsse gleichwohl nicht ausnahmslos sanktionslos bleiben, sondern nur dann, wenn der Hilfebedürftige berechtigte Einwände gegen die Zustimmung zur EGV erhebe. Diese Einschränkung überzeugt aus den oben dargelegten Gründen nicht. Im Übrigen weicht der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt insofern erheblich von dem hiesigen Fall ab, als sich der dortige Ast nicht nur geweigert hatte, die ihm angebotene EGV abschließen, sondern auch gegen die sodann durch Verwaltungsakt getroffene Regelung, an einer Maßnahme teilzunehmen, verstoßen hatte, weswegen, so das VG, die Sanktion auch auf § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II gestützt werden konnte.
Ob und inwieweit auch die Eilbedürftigkeit einen Abwägungsgesichtspunkt darstellt (vgl Krodel, aaO Rdnr 201 ff mwN) oder unabhängig davon im Verfahren nach § 86b Abs 1 Satz 1 SGG von Belang ist, kann für das vorliegende Verfahren dahin stehen. Jedenfalls dann, wenn der angefochtene Bescheid als eindeutig rechtswidrig erscheint und um nicht unbeträchtliche existenzsichernde Leistungen gestritten wird – beides ist hier der Fall -, kann dem Hilfebedürftigen das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden.
Der hier getroffenen Aussetzungsentscheidung nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kommt grundsätzlich Rückwirkung zu. Sie führt zu der durch § 86a Abs 1 Satz 1 SGG geschaffenen normativen Lage, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. Damit tritt auch bei gerichtlicher Anordnung die aufschiebende Wirkung ex tunc, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, ein, wie dies nach ganz herrschender Meinung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, § 86a Rdnr 9 mwN) im "Normalfall" der Bestimmung der aufschiebenden Wirkung durch eine entsprechende gesetzliche Regelung anzunehmen ist (Krodel, aaO Rdnr 172; zur Parallelvorschrift des § 80 Abs 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd I, § 80 Rdnr 362; Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Aufl, § 80 Rdnr 86; aA, allerdings ohne Begründung, Keller, aaO § 86b Rdnr 10).
Mit der Rückwirkung der aufschiebenden Wirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Sanktionsbescheides sind die bereits erfolgten Vollzugs- bzw Befolgungsmaßnahmen rechtswidrig geworden. Daher hat der Ageg bereits aufgrund der Entscheidung zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung die aufgrund des Sanktionsbescheides ab August 2007 (rechtsgrundlos) einbehaltenen Beträge nunmehr der Ast auszuzahlen (vgl Krodel, aaO Rdnr 171). Unabhängig davon kann das Gericht gemäß § 86b Abs 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung – im Ergebnis nur klarstellend und mit der Wirkung, dass ein vollstreckungsfähiger Entscheidungssatz entsteht - anordnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt – wie hier – im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, ohne dass diesbezüglich ein Antrag oder eine erstinstanzliche Entscheidung vorliegen muss (vgl Krodel, aaO Rdnr 179). Der Senat hält hier die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung angesichts des beträchtlichen Interesses der Ast an kurzfristiger Nachzahlung der ihr bislang vorenthaltenen Regelleistungen für angezeigt (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2006 – L 5 B 949/06 AS ER; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 09. Februar 2007 – L 7 AS 288/06 ER – und 26. März 2007 – L 9 AS 38/07 ER – alle juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
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