L 5 KR 4135/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 392/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 4135/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.7.2005 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die von ihr an den Beigeladenen wegen des Ereignisses vom 4.11.1999 erbrachten Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 11.057,78 EUR zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 11.057,78 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung an den Beigeladenen erbrachter Sozialleistungen in Höhe von 11.057,78 EUR gem. § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Der 1979 geborene Beigeladene war bei der Beklagten (im hier maßgeblichen Zeitraum) gesetzlich krankenversichert (SG-Akte S. 41) und bei einem Mitgliedsunternehmen der Klägerin als Betriebselektriker beschäftigt. Am 4.11.1999 gegen 6:35 Uhr wurde er verletzt auf einem Parkplatz liegend aufgefunden. Der Parkplatz wird, obgleich kein Betriebsparkplatz, vom Beigeladenen und von anderen Beschäftigten während der Arbeitszeit genutzt. Die Arbeitszeit begann am 4.11.1999 um 6:00 Uhr. Der Beigeladene wurde in das Klinikum W. eingeliefert. Dort stellte man eine Hämatomschwellung am Hinterkopf, einen Druckschmerz HWK 6 sowie einen Verschiebeschmerz der Patella fest; Hautverletzungen fanden sich nicht, der Bandapparat war stabil, Meniskuszeichen wurden nicht festgestellt, auch ein Erguss des rechten Kniegelenks wurde nicht diagnostiziert (Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. W. vom 8.11.1999, BG-Akte S. 1). Zum Unfallhergang gab der Beigeladene laut Durchgangsarztbericht an, er habe einen plötzlichen Schlag auf den Hinterkopf auf dem Weg zur Arbeit erhalten, 30 Minuten habe Bewusstlosigkeit bestanden, keine Übelkeit, kein Erbrechen, Schwindel. Er sei auf das rechte Kniegelenk gestürzt.

Gegenüber der Beklagten gab der Beigeladene (BKK-Akte S. 1) an, am 4.11.1999, um zirka 5:45 Uhr sei er auf dem Weg zur Arbeit verunglückt. Er habe sein Auto geparkt, sei ausgestiegen und auf dem Bürgersteig Richtung "Glyco" (Beschäftigungsbetrieb des Beigeladenen) gegangen; das nächste, woran er sich erinnern könne, sei, dass sich ein Arzt um ihn gekümmert habe. Ergänzend gab der Beigeladene in einem "Fragebogen Wegeunfall" an, nach Abstellen des Autos habe ihn ein unbekannter Täter von hinten niedergeschlagen. Er habe eine Gehirnerschütterung, Schmerzen am rechten Knie sowie eine kleine Beule am Kopf und im Gesicht erlitten (BG-Akte S. 6).

Die Klägerin übernahm (u.a.) die Behandlungskosten des Beigeladenen und zahlte Verletztengeld für die Zeit vom 18.12.1999 bis 10.7.2000 in Höhe von 15.591,72 DM; der Gesamtaufwand der Klägerin betrug 23.377,82 DM (BG-Akte S. 162/165).

Die Klägerin befragte den Beigeladenen. Außerdem wurden die Ermittlungsakten des Polizeipräsidiums bzw. der Staatsanwaltschaft W. beigezogen (BG-Akte S. 102 ff., BG-Akte S. 10 ff., 174 ff.). Bei seinen polizeilichen Vernehmungen hatte der Beigeladene (u.a.) angegeben, er habe einen Schlag von hinten verspürt. Er habe eine Gehirnerschütterung, eine kleine Platzwunde an der rechten Augenbraue, einen Bluterguss am rechten Jochbein und einen Bluterguss am rechten Knie erlitten. Am Hinterkopf sei eine Beule festgestellt worden, eine offene blutende Wunde am Hinterkopf habe er nicht gehabt. Die Verletzungen an der Augenbraue, am Jochbein und am Knie dürften vom Sturz herrühren; das sei auch die Meinung des behandelnden Arztes gewesen (Vernehmung vom 11.11.1999, BG-Akte S. 111). Nach dem Überfall sei er 20 Minuten bewusstlos gewesen; er sei von hinten niedergeschlagen worden (Vernehmung vom 16.2.2000, BG-Akte S. 128, 129). Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen führten nicht zum Erfolg. Im (vorläufigen) Schlussvermerk der Kriminalpolizei W. vom 25.8.2000 (BG-Akte S. 130, 148) ist festgestellt, die Ermittlungen seien ergebnislos verlaufen und würden daher vorläufig abgeschlossen; bei auftretenden Verdachtsmomenten werde weiter ermittelt. Hinreichende Anhaltspunkte für die Täterschaft einer bestimmten Person hätten sich nicht ergeben. Es bestehe der Verdacht, dass der Beigeladene die Straftat (wie 10 weitere Straftaten - vgl. Schlussvermerk BKK-Akte S. 148; zur hier maßgeblichen Tat (Anzeige Nr. 9) S. 154) aus verschmähter Liebe vorgetäuscht habe. Nach einhelliger ärztlicher Meinung hätte (schon) nach einem zu 15-minütiger Bewusstlosigkeit führenden Schlag eine Amnesie auftreten müssen, was eine Aussage zur Annäherung eines Täters von hinten ausgeschlossen hätte (BG-Akte S. 149).

Mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendgerichts – W. vom 10.5.2002 (3350 Js 13143/01-83 Ds, BKK-Akte S. 217) wurde der Beigeladene wegen fünf Vergehen der falschen Verdächtigung sowie eines Vergehens der Vortäuschung einer Straftat verwarnt; außerdem wurde ihm aufgegeben, 50 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Im Übrigen wurde er freigesprochen. Das Urteil ist rechtskräftig (BKK-Akte S. 230). In den Gründen des Urteils ist (u.a.) ausgeführt, bezüglich der Tat vom 4.11.1999 habe der Beigeladene wider besseres Wissen bei der Polizei vorgetäuscht, dass ihm sein Handy entwendet worden sei; damit sei der Tatbestand des § 145d StGB (Vortäuschung einer Straftat) verwirklicht. Darüber hinaus ergäben sich erhebliche Zweifel an der Erfüllung des Tatbestands einer Körperverletzung zum Nachteil des Beigeladenen (S. 12 des Urteils). Zweifel bestünden insgesamt auch daran, ob der Beigeladene am 4.1.1999 überhaupt Opfer einer Körperverletzungs- bzw. Raubtat geworden sei. Äußere Verletzungen durch die behauptete Tat habe er nicht erlitten. Unter Berücksichtigung seines Nachtatverhaltens existierten erhebliche Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Anzeigeerstattung vom 4.11.1999 (S. 7 des Urteils).

Mit an den Beigeladenen gerichtetem Bescheid vom 12.12.2000 (BG-Akte S. 175) lehnte die Klägerin die Anerkennung des Ereignisses vom 4.11.1999 als Arbeits- bzw. Wegeunfall ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Beigeladenen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28.6.2001 (BG-Akte S. 201) zurück. Klage wurde nicht erhoben (BG-Akte S. 204).

Bereits am 23.5.2000 hatte die Klägerin bei der Beklagten zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 SGB X (erstmals) einen Erstattungsanspruch geltend gemacht (Schreiben vom 19.5.2000, BKK-Akte S. 3); es sei fraglich, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Bei dem Überfall habe es sich wahrscheinlich um einen gezielten Angriff auf den Beigeladenen aus persönlichen Gründen gehandelt. In an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 8.11.2000 (BG-Akte S. 160, 162) führte die Klägerin sodann aus, nach dem Ergebnis der kriminalpolizeilichen Ermittlungen bestehe der dringende Verdacht, dass der Beigeladene die angezeigten Straftaten vorgetäuscht habe. Selbst wenn sich der Überfall vom 4.11.1999 tatsächlich wie behauptet zugetragen haben sollte, könne ein Arbeits- bzw. Wegeunfall nicht anerkannt werden, da der Überfall ausschließlich auf Gründen in der Person des Geschädigten (Eifersucht, Beziehungsprobleme) beruhen würde und den Überfall entscheidend begünstigende Verhältnisse am (angeblichen) Tatort nicht vorgelegen hätten. Schließlich könne auch nicht festgestellt werden, dass die (lange Arbeitsunfähigkeit bedingenden) Beschwerden am rechten Knie bzw. die bei der Behandlung diagnostizierte Innenmeniskusruptur Folge des Ereignisses vom 4.11.1999 gewesen sei, da sich der Beigeladene in der fraglichen Zeit mehrfach bei Sportunfällen an beiden Knien verletzt habe. Das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Arbeits- bzw. Wegeunfalls werde daher als nicht erwiesen abgelehnt. Außerdem werde gebeten, die bereits erbrachten Aufwendungen in Höhe von 23.377,82 DM zu erstatten.

Mit Schreiben vom 18.10.2001 (BG-Akte S. 206) machte die Beklagte ihrerseits Nachforderungen bei der Klägerin wegen der Nachberechnung von Verletztengeld und Beiträgen auf Grund des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes in Höhe von (damals) 2.412,44 DM geltend, deren Erfüllung die Klägerin ablehnte (Schreiben vom 23.10.2001, BG-Akte S. 208).

Mit Schreiben vom 8.11.2001 (BG-Akte S. 209) lehnte die Beklagte die Erstattungsforderung der Klägerin ab. Diese trage die Beweislast für den Erstattungsanspruch. Dass das Vorliegen eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls nicht nachgewiesen werden könne, gehe zu ihren Lasten.

Am 24.1.2002 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Sie trug unter Hinweis auf ein Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1.7.2002 (- 36 U 512/97 -, SG-Akte S. 31) vor, der vom Beigeladenen behauptete Arbeits- bzw. Wegeunfall vom 4.11.1999 könne nach den ergebnislos verlaufenen Ermittlungen nicht als bewiesen angesehen werden. Deshalb seien Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung mit bestandskräftigem Bescheid vom 12.12.2000 abgelehnt worden. Die Beklagte verkenne die Grundsätze der (objektiven) Beweislast. Als Unfallversicherungsträger habe sie, die Klägerin, Leistungen nur bei Arbeitsunfällen (und Berufskrankheiten) zu gewähren. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setze aber voraus, dass die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und die Verletzungen im Rahmen des Vollbeweises erwiesen seien. Hier sei schon der Unfallhergang nicht bewiesen. Dies gehe zu Lasten des Versicherten, nicht des Versicherungsträgers. Gleichwohl erbrachte Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung seien in Fällen dieser Art durch den unzuständigen Träger erfolgt. Dann sei der Sozialversicherungsträger für die Leistung zuständig, der die erforderlichen Leistungen originär ohne Rücksicht auf die Ursache der Verletzung zu erbringen habe. Das folge auch aus der Regelung in § 11 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; jetzt: § 11 Abs. 5 SGB V), wonach der Krankenversicherungsträger nur dann von der Leistung frei werde, wenn Leistungen als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen seien. Auf die Beweislastverteilung im Verhältnis zwischen Unfallversicherungsträger und Versichertem könne sich die Beklagte nicht berufen. Denn im Erstattungsstreit gehe es nicht um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nach § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs sei vielmehr die Regelung in § 105 SGB X. Danach sei aber grundsätzlich der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht habe. Die Beklagte wäre demnach nur dann nicht zuständig, wenn der Beigeladene am 4.11.1999 einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) erlitten hätte, was gerade nicht festgestellt werden könne. Schließlich sei die Anerkennung eines Wegeunfalls mit an den Beigeladenen gerichtetem bestandskräftigem Bescheid abgelehnt worden. Das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls müsse sowohl im Verhältnis zum Versicherten wie im Erstattungsverhältnis unter den Versicherungsträgern einheitlich beurteilt werden.

Die Beklagte trug vor, unklar und nicht zu beweisen sei, ob (mit dem vom Beigeladenen behaupteten Ereignis vom 4.11.1999) ein Wegeunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vorliege oder nicht. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast gereiche die Nichterweislichkeit einer Tatsache demjenigen zum Nachteil, der aus ihr Rechte herleiten wolle. Keineswegs bestehe in Erstattungsstreitigkeiten zwischen Unfall- und Krankenversicherungsträgern eine regelmäßige Beweispflicht der Krankenkassen. Andernfalls würden die Unfallversicherungsträger zu Unrecht bevorzugt. Deshalb gehe es zu Lasten der Klägerin, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass ein Wegunfall nicht vorgelegen habe. Im umgekehrten Fall des Erstattungsbegehrens einer Krankenkasse gelte entsprechendes; sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht beweisbar, gehe dies zu Lasten des Krankenversicherungsträgers. Der an den Beigeladenen gerichtete Ablehnungsbescheid der Klägerin vom 12.12.2000 binde sie nicht. Im Übrigen betreffe § 11 Abs. 4 SGB V (jetzt: § 11 Abs. 5 SGB V) das Verhältnis der Krankenkasse zum Versicherten; Auswirkungen auf das Erstattungsverhältnis unter den Versicherungsträgern habe diese Vorschrift nicht. Das dem Beigeladenen zu zahlende Krankengeld wäre unwesentlich geringer gewesen als das gezahlte Verletztengeld (SG-Akte S. 40; Aufstellung SG-Akte S. 45).

Mit Urteil vom 11.7.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, unter Berücksichtigung des Beteiligtenvorbringens und der Ergebnisse des Strafverfahrens gegen den Beigeladenen bleibe offen, ob der vom Beigeladenen behauptete Überfall am 4.11.1999 stattgefunden habe und ggf. als Wegeunfall eingestuft werden könnte; der Sachverhalt sei insoweit nicht mehr aufklärbar. Damit könne auch nicht festgestellt werden, ob die in Rede stehenden Verletzungen des Beigeladenen, insbesondere die Ruptur des rechten Innenmeniskus, Folge eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls seien oder nicht.

Der von der Klägerin auf § 105 SGB X gestützte Erstattungsanspruch setze voraus, dass sie unzuständiger Leistungsträger gewesen sei. Letzteres könne (ebenfalls) nicht mehr festgestellt werden. Auch in Erstattungsstreitigkeiten unter Sozialversicherungsträgern müsse das Gericht aber vom Bestehen des geltend gemachten Anspruchs (voll) überzeugt sein. Die Klägerin sei zwar nur dann leistungspflichtig, wenn im Verhältnis zu ihrem Versicherten das Vorliegen eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls nachgewiesen sei. Hier stehe jedoch nicht fest, dass ein Wegeunfall nicht stattgefunden habe; vielmehr gebe es für dessen Vorliegen gewichtige Argumente. Auch das zuständige Strafgericht habe einen Überfall auf den Beigeladenen weder feststellen noch ausschließen können. Damit stehe die Unzuständigkeit der Klägerin zur Leistungserbringung nicht mit der notwendigen Sicherheit (ohne vernünftige Zweifel) fest. Die Folgen der negativen Feststellungslast gingen zu ihren Lasten.

Dass der Versicherte (Beigeladene) nur beim Nachweis eines Arbeitsunfalls Leistungen der Klägerin hätte beanspruchen können, stehe dem nicht entgegen. Denn das Erstattungsverhältnis zwischen den Sozialleistungsträgern müsse vom Anspruchsverhältnis des Versicherten zum Sozialleistungsträger unterschieden werden (von Wulffen, SGB X, § 102 Rndr. 4), auch wenn beide eng miteinander verknüpft seien. Die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen sei vom Sozialleistungsanspruch des Versicherten unabhängig. Die materiell-rechtlichen Vorschriften in § 11 Abs. 4 SGB V (jetzt: § 11 Abs. 5 SGB V) und in §§ 7 ff. SGB VII regelten lediglich die Leistungszuständigkeit im Verhältnis des Versicherten zum Sozialleistungsträger. Ihnen sei aber nicht zu entnehmen, dass die im zweiseitigen, vom Sozialleistungsanspruch des Versicherten unabhängigen Erstattungsverfahren geltenden allgemeinen Regeln der Feststellungslast durchbrochen werden sollten. (so im Ergebnis Hanna, SGb 2002,369; anders: SG Hamburg, Urt. v. 1.7.2002, - 35 U 512/97 -). Diese blieben unberührt. Die Unerweislichkeit einer Tatsache gehe danach zu Lasten desjenigen, der aus ihr Rechte herleiten wolle. Die Klägerin mache das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls geltend. Da dies nicht erwiesen sei, stehe auch nicht fest, dass sie als unzuständiger Leistungsträger i. S. d. § 105 Abs. 1 SGB X geleistet habe. Der an den Beigeladenen gerichtete Ablehnungsbescheid binde die Beklagte nicht.

Auf das ihr am 19.9.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7.10.2005 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Voraussetzung des in § 105 SGB X geregelten Erstattungsanspruchs sei, dass ein unzuständiger, nicht leistungspflichtiger Träger Sozialleistungen erbracht habe. Durch den nachträglichen Ausgleich solle der Zustand hergestellt werden, der bestanden hätte, wäre von Anfang an entsprechend der gesetzlichen Zuständigkeit geleistet worden. "Unzuständig" i. S. d. § 105 SGB X bedeute, dass für den Leistungsträger weder eine eigene noch eine Leistungspflicht im Auftrag eines anderen Trägers bestanden habe, die Leistung nach der materiellen Rechtslage also ohne Rechtsgrund erfolgt sei. Aufgabe der Unfallversicherungsträger sei (u.a.) die Entschädigung von Arbeits- bzw. Wegeunfällen. Deren Vorliegen müsse als anspruchsbegründende Tatsache voll erwiesen sein. Daran fehle es hier, so dass sie nach der materiellen Rechtslage Leistungen nicht hätte erbringen dürfen. Daher sei sie auch unzuständiger Leistungsträger i. S. d § 105 SGB X gewesen. Da allein das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ungewiss sei, sei die Beklagte gem. § 11 Abs. 4 SGB V (jetzt: § 11 Abs. 5 SGB V) allein für die Leistungen an den Beigeladenen zuständig. Unterschiedliche Feststellungslasten im Sozialleistungsverhältnis einerseits und im Erstattungsverhältnis andererseits entsprächen nicht dem Zweck des § 105 SGB X. Der genannten Entscheidung des SG Hamburg (a. a. O.) sei daher zuzustimmen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.7.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die dem Beigeladenen wegen des Ereignisses vom 4.11.1999 erbrachten Sozialleistungen in Höhe von 11.057,78 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beklagte verteidigt zunächst das angefochtene Urteil und trägt vor, die Unfallversicherungsträger würden einseitig bevorzugt, müssten die Krankenkassen in Erstattungsverfahren der in Rede stehenden Art stets die Beweislast für das Vorliegen eines Versicherungsfalls der gesetzlichen Unfallversicherung tragen. Nach ihren Beobachtungen machten in der Mehrzahl der Fälle die Krankenkassen Erstattungsforderungen geltend, hätten also das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu belegen und die Nachteile der Beweislosigkeit zu tragen.

Klägerin und Beklagte wurden mit Verfügung vom 7.2.2007 darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Wegeunfalls) des Beigeladenen nach Lage der Dinge nicht weiterführen dürften und daher eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen gefällt werden müsse. Sie haben sich dieser Auffassung angeschlossen.

Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 anerkennt nunmehr die Beklagte auf Grund des Hinweises des Senats vom 18. Juni 2007 dem Grunde nach die Klage, wehrt sich jedoch gegen die Höhe der Klageforderung. Sie macht wie bereits im Klageverfahren geltend, ihr stünde noch eine Gegenforderung in Höhe von 1.110,90 EUR auf Grund einer Neuberechnung des Verletztengeldes zu, die die Beklagte nicht mehr übernommen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Klägerin, der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft und auch sonst zulässig; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (5.000 EUR) ist erreicht (Wert des Beschwerdegegenstandes bzw. rechtshängiger Erstattungsbetrag: 11.057,78 EUR).

Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu.

Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 105 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Der Anspruch der Klägerin hängt daher - worüber allein Streit herrscht - davon ab, dass sie für die an den Beigeladenen erbrachten Leistungen unzuständig gewesen ist. Das war entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts der Fall.

Gem. §§ 1, 7 SGB VII sind Leistungen aus der Unfallversicherung nur zu erbringen, sofern ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt. Nach § 11 Abs. 5 SGB V (in der derzeit geltenden Fassung; gleichlautend zuvor § 11 Abs. 4 SGB V a.F.) besteht auf Leistungen der Krankenversicherung kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind. Unter Berücksichtigung dieser Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Unfall- und Krankenversicherungsträgern war die Klägerin vorliegend der unzuständige Leistungsträger. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens lässt sich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Wegeunfalls, § 8 Abs. 2 SGB VII) nicht feststellen.

Mit dem Sozialgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls (Wegeunfalls) des Beigeladenen erwiesen ist; hierfür ist gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 8 des Entscheidungsabdrucks) Bezug zu nehmen. Der Sachverhalt ist nach erfolglosen Ermittlungen im Strafverfahren, wovon Klägerin und Beklagte übereinstimmend ausgehen, insoweit auch nicht mehr weiter aufklärbar; weder sind entsprechende Beweisanträge gestellt worden noch drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen auf.

Die Schlussfolgerung des Sozialgerichts, wegen der Nichtfeststellbarkeit eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls könne auch nicht mehr festgestellt werden, dass die Klägerin i. S. d. § 105 Abs. 1 SGB X "unzuständiger Leistungsträger" gewesen sei, trifft indessen nicht zu. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat hierzu in seinem (den Beteiligten zur Kenntnis gegebenen) Urteil vom 26.10.2005 (- L 17 U 51/04 -) dargelegt, dass die Versagung des Erstattungsanspruchs in Fällen der vorliegenden Art der sich aus § 11 Abs. 5 SGB V (§ 11 Abs. 4 SGB V a.F.) ergebenden Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Unfall- und Krankenversicherungsträger widerspräche. Der Senat teilt diese Rechtsauffassung. Danach ist Unzuständigkeit (der Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung) i. S. d. § 105 SGB X auch dann anzunehmen, wenn sich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Wegeunfalls) auch bei Ausschöpfung aller Beweismittel nicht feststellen lässt (ebenso Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 105 SGB X Rdnr. 1b; Behn, BG 1992, 125, 128; SG Hamburg, Urt. v 1.7.2002 - 36 U 512/97 - HVBG - Info 11/2003, S. 955; a.A. Hanna, SGb 2002, 369, 371). Diese Auffassung entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Erstattungsregelungen und steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (so und zum Folgenden LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.).

Zur Vorgängervorschrift des § 105 SGB X in § 1509a Reichsversicherungsordnung (RVO) - wonach ein Erstattungsanspruch bestand, wenn sich nachträglich herausstellte, dass die Krankheit nicht Folge eines Arbeitsunfalls war - hat das BSG entschieden, dass ein Erstattungsanspruch besteht, wenn das Vorliegen eines Arbeitsunfalls auch bei Ausschöpfung aller Beweismittel nicht festgestellt werden kann. Der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung soll nur mit den Leistungen belastet werden, zu denen er nach dem Gesetz verpflichtet ist (BSG SozR 2200 § 1509a Nr. 1). Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X.

Der Erstattungsanspruch aus § 105 Abs. 1 SGB X ist zwar grundsätzlich selbständig und besteht unabhängig vom Anspruch des Berechtigten gegen den zuständigen Leistungsträger. Ungeachtet dieser Selbständigkeit ist er jedoch inhaltlich abhängig und untrennbar verbunden mit dem Anspruch des (vermeintlich) Leistungsberechtigten. Denn es ist Sinn des Erstattungsanspruchs, die Kosten von Sozialleistungen, die einem bestimmten Berechtigten gewährt worden sind, auf die als leistungspflichtig in Betracht kommenden Träger angemessen zu verteilen. Daraus folgt als notwendige, aber auch ausreichende Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs, dass in der Person des Berechtigten die wesentlichen Grundvoraussetzungen des - vom klagenden Leistungsträger tatsächlich schon erfüllten - Anspruchs auf eine gleichartige und zeitgleiche Leistung gegen den beklagten Träger vorliegen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 105 Nr. 5 m.w.N.).

Unzuständigkeit im Sinne von § 105 SGB X bedeutet - so LSG Nordrhein-Westfalen (a. a. O.) - deshalb, dass der Leistungsträger weder eine eigene noch eine Leistungspflicht im Auftrage eines anderen erfüllt haben darf, d.h. die Leistung erfolgte nach der materiellen Rechtslage ohne Rechtsgrund (BSG SozR 3-1300, § 105 Nr. 4). Zuständig ist damit derjenige, der nach materiellem Recht mit dem erhobenen Leistungsanspruch richtigerweise anzugehen ist, d.h. sachlich befugt ist (BSG SozR 1300 § 111 Nr. 6).

Da ein Arbeitsunfall (Wegeunfall) des Beigeladenen nicht erwiesen ist, und deshalb die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung nicht mit den Kosten für die an den Beigeladenen zu erbringenden Leistungen zu belasten ist (BSG, Urt ...v 27.1.1976, SozR 2200 § 1509a Nr. 1), war allein die Beklagte richtige Anspruchsgegnerin; die Klägerin ist mithin unzuständig im Sinne von § 105 Abs. 1 SGB X. Dies hat nunmehr die Beklagte auf dem Grunde nach anerkannt.

Die übrigen Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs. 1 SGB X sind (unstreitig) erfüllt. Die 12-monatige Ausschlussfrist des § 111 SGB X ist (ebenfalls unstreitig) gewahrt, da die Klägerin den Erstattungsanspruch erstmals am 23.5.2000 (Schreiben vom 19.5.2000) geltend gemacht hatte.

Soweit die Beklagte hinsichtlich der Höhe der Erstattungsforderung hier eine Gegenforderung bezüglich einer im Oktober 2001 vorgenommenen Nachberechnung des Verletztengeldes auf Grund des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes geltend macht, greift dies jedoch nicht durch. Abgesehen davon, dass der Beklagten seit dem Schreiben der Klägerin vom 8. November 2000 bekannt war, dass diese die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnt und die Erstattung bislang erbrachter Zahlungen geltend macht, konnte die Beklagte aus den oben genannten Gründen auch diese Nachberechnung nicht wirksam zu Lasten der Klägerin, die als unzuständiger Leistungsträger gerade nicht zur Erbringung dieser Verletztengeldzahlungen verpflichtet war, vornehmen. Zur Klarstellung für die Beklagte: damit müsste vielmehr die Beklagte den hier geltend gemachten Nachforderungsbetrag (1.110.90 EUR), wenn ihn die Klägerin zunächst noch übernommen hätte, ebenso wie die von der Klägerin bereits im übrigen erbrachten Zahlungen (11.057,78EUR), aus den obengenannten Gründen dieser ebenfalls wieder erstatten. Der Erstattungsbetrag der Klägerin hätte sich dann konsequenterweise sogar auf 12.168,68 EUR belaufen. Diese "Gegenforderung" geht daher ins Leere und führt zu keiner Reduzierung der Erstattungsforderung bezüglich der von der Klägerin letztlich als unzuständiger Leistungsträger bereits erbrachten Leistungen.

Das Urteil des Sozialgerichts ist daher aufzuheben und die Beklagte ist antragsgemäß zur Erstattung der von der Klägerin als unzuständiger Leistungsträgerin an den Beigeladenen erbrachten Leistungen zu verurteilen. Die Beklagte hat in dem Zusammenhang der Klägerin auch die anteiligen Reise- und Behandlungskosten zu erstatten, die die Klägerin jedoch nicht beziffern konnte, da er die Leistungssätze der Beklagten bzw. die insoweit tatsächlich von der Beklagten erbrachten Zahlungen nicht bekannt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 VwGO).
Rechtskraft
Aus
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