Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 4 KR 154/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 588/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 04. September 2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird, soweit die Antragstellerin Sicherheit in Höhe von 5.500 Euro leistet, verpflichtet, die Antragstellerin bis zur Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache, längstens für vier Monate, auf ärztliche Verordnung mit dem Arzneimittel Novo-Seven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie als Sachleistung zu versorgen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Versorgung mit dem Arzneimittel NovoSeven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
Die im Juli 1987 geborene Antragstellerin, die bei der Antragsgegnerin versichert ist, leidet im Wesentlichen an einer Thrombozytopathie (Störung der Blutplättchenfunktion) bei Gardner-Diamond-Syndrom mit flächiger Purpura bei Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke mit vorübergehender Halbseitenstörung rechts (Juni 2004) bei verbliebenen geringen Restzuständen, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer autonomen Funktionsstörung als Begleitsymptomatik und einer leichten reaktiv-depressiven Verstimmung bei etwas abhängiger Persönlichkeitsstrukturierung. Die Thrombozytopathie geht mit einem schubweisen Auftreten von stark schmerzhaften Einblutungen in Haut, Schleimhäute und innere Organe sowie mit möglichen Blutungen in das Gehirn einher.
Im Juni 2006 beantragte für die Antragstellerin die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Ndie Genehmigung einer zunächst zeitlich begrenzten Gerinnungstherapie mit Novo-Seven. Bei diesem Arzneimittel handelt es sich um den gentechnisch hergestellten (rekombinanten) aktivierten Gerinnungsfaktor VII. Es ist zugelassen zur Behandlung von Blutungen bei Patienten mit kongenitaler Hämophilie, die im Verlaufe ihrer repetitiven Transfusionsbehandlungen mit Faktor VIII bzw. IX so genannte Alloantikörper gegen die entsprechenden Faktoren entwickelt haben, zur Behandlung erworbener Hämophilien, also spontan erworbener Antikörper gegen Faktor VII oder IX, bei Patienten mit zuvor normaler Gerinnung, zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen bei angeborenem Faktor-VII-Mangel sowie bei der Thrombasthenie Glanzmann mit Antikörpern und Refraktärzustand gegenüber Thrombozytentransfusionen.
Nachdem die Antragsgegnerin die Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) des Dr. B vom 16. Juni 2006 und 11. Juli 2006 eingeholt hatte, lehnte sie die entsprechende Versorgung mit Bescheiden vom 24. Juli 2006 und 01. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006 ab:
Es seien weder die Voraussetzungen einer Behandlung im Rahmen eines Off-Label-use noch speziell bei einer singulären Erkrankung erfüllt.
Am 27. September 2006 hat die Antragstellerin Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 hat das Sozialgericht der Antragstellerin (vorläufig) einstweiligen Rechtsschutz insoweit gewährt, als es die Antragsgegnerin verpflichtet hat, der Antragstellerin das Arzneimittel Novo-Seven bis längstens Februar 2007 zur Verfügung zu stellen: Bei der Bestimmung dieses vorläufigen Leistungszeitraumes sei berücksichtigt worden, dass innerhalb dieses Zeitraumes eine erforderliche Beweisaufnahme abgeschlossen sein dürfte, um dann abschließend über den einstweiligen Rechtsschutz entscheiden zu können.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. T vom 26. Juli 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom (Eingang) 04. September 2007.
Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass es sich bei ihrer Erkrankung um eine extrem seltene Krankheit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R handele, die fast nur junge Frauen betreffe. Insgesamt seien seit 1955 wohl lediglich 200 Patienten mit dem Gardner-Diamond-Syndrom registriert worden. In der Bundesrepublik Deutschland habe es bis 1985 nur 54 bekannte Fälle gegeben. Die schubweise auftretenden Einblutungen seien kleine Mikroblutungen, welche oftmals nicht dargestellt werden könnten, aber extrem schmerzhaft seien. Der zugrunde liegende Defekt sei in einer plötzlich auftretenden lokalen Immunreaktion in Form einer entzündlichen Induration mit anschließender Einblutung ins Gewebe aufgrund einer Thrombozytenfunktionsstörung zu sehen. Die Einblutungen würden durch Erbrechen und Kopfschmerzen im Intervall von 14 Tagen mit einer Dauer von bis zu 10 Tagen, seit April 2006 nahezu im 14tägigen Rhythmus ohne beschwerdefreie Zwischenräume begleitet. Die Gesundheitsstörung sei eine ursächlich nicht behandelbare Erkrankung. Sie erhalte Morphium sowie eine intensive Psycho- und Schmerztherapie. Alle bisherigen Therapien seien jedoch nicht in der Lage gewesen, ein Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten. Als einzige effektive Therapiestrategie habe sich die während eines stationären Krankenhausaufenthaltes durchgeführte Behandlung mit Novo-Seven erwiesen, die von der behandelnden Ärztin nur für ein halbes Jahr vorgesehen sei. Ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei unbillig. Die Therapie der Erkrankung dulde keinen Aufschub, um eine weitere Verschlechterung mit möglichen irreversiblen Schäden zu vermeiden.
Die Antragsgegnerin hat eingeräumt, dass eine sehr seltene Krankheit mit weltweit ca. 120 Patienten vorliege, für die es keine etablierten Therapien gebe. Der gentechnisch hergestellte aktive Gerinnungsfaktor VII sei ursprünglich zur Therapie von Blutungskomplikationen bei Hämophiliepatienten entwickelt worden. Die Behandlungsdauer bei der Antragstellerin sei nicht abzusehen. Die Kosten einer Therapieeinheit beliefen sich auf 1154,41 Euro, so dass bei dem von der behandelnden Ärztin vorgeschlagenen Umfang schätzungsweise 176.624,73 Euro jährlich anfielen. Studien über einen Behandlungserfolg lägen nicht vor und würden wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht durchgeführt, so dass der klinische Nutzen einer entsprechenden Behandlung bei dem Gardner-Diamond-Syndrom nicht wahrscheinlich zu machen sei. Angesichts dessen handele es sich bei der Verabreichung des Medikaments Novo-Seven um eine experimentelle Therapie, die grundsätzlich nicht verordnungsfähig sei.
Mit Beschluss vom 04. September 2007 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen: Das Vorliegen eines Anordnungsanspruches könne bei summarischer Prüfung zumindest nicht verneint werden. Bei einer unerforschbaren singulären Erkrankung könne nicht gefordert werden, dass positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen vorlägen. Um dennoch eine Qualität zu gewährleisten, müssten die im Zeitpunkt der Behandlung verfügbaren wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwögen. Hierzu seien weitere Ermittlungen notwendig. Allerdings liege zurzeit kein Anordnungsgrund vor. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, dass bei der Antragstellerin eine vorübergehende Hirndurchblutungsstörung mit Halbseitensymptomatik und damit eine sehr ernste Komplikation, welche durchaus lebensgefährlich verlaufen könne, jedenfalls nicht auszuschließen sei. Der Sachverständige habe jedoch auch ausgeführt, dass es sich nicht um eine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zum Tode führende Erkrankung handele. Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung rechtfertige nach der Rechtsprechung des BSG (B 1 KR 3/06 R) keinen Anordnungsgrund.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 10. September 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 10. Oktober 2007 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Sie verweist darauf, dass es ihr auf der Grundlage des Beschlusses vom 13. Dezember 2006 bis Februar 2007 erheblich besser gegangen sei. Es habe nicht mehr die großen Einblutungen, sondern nur noch kleine vereinzelte und nicht so schmerzhafte Einblutungen gegeben. Eine vom Sachverständigen bestätigte erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität sei aber ausreichend, um mit dem begehrten Arzneimittel versorgt zu werden. Dieses Arzneimittel sei ein Produkt, das gerade bei angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen genutzt werde. Die beigefügten Fallbeschreibungen der Herstellerfirma belegten, dass es eine entsprechende Wirkung gezeigt habe. Die Einblutungen könnten somit auch bei der Klägerin eingedämmt werden. Damit sei der voraussichtliche Nutzen gegenüber den möglichen Risiken höher; Risiken seien nicht bekannt. Um eine weitere Verschlechterung mit möglichen irreversiblen Schäden zu vermeiden, dulde die Therapie keinen Aufschub, so dass auch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Die Antragstellerin hat im August/September 2007 gefertigte Fotografien der Einblutungen vorgelegt.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 04. September 2007 die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimittel Novo-Seven für die Durchführung der Gerinnungstherapie zu finanzieren, soweit die behandelnde Ärztin der Antragstellerin diese Behandlung verordnet.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, es fehle jeglicher Nachweis dafür, dass der Einsatz von Novo-Seven zur Schubprophylaxe bei den schubförmig auftretenden Unterhautblutungen erfolgreich sei. Eine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zum Tode führende Erkrankung liege nach dem Sachverständigen nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar insoweit zu Recht abgelehnt, als für die Zeit nach seiner Entscheidung in der Hauptsache nach abschließender Beweisaufnahme feststeht, ob der geltend gemachte Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie gegeben oder nicht gegeben ist. Ist ein solcher Anspruch ausgeschlossen, kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht (mehr) an, denn eine einstweilige Anordnung dient nicht dem Zwecke, einen nicht gegebenen Anspruch zu sichern. Hingegen ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für einen Zeitraum (noch) bis zur Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache zu entsprechen, denn auch nach der Ansicht des Sozialgerichts ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches zumindest nicht zu verneinen. Bei einer solchen Sachlage genügt es, wenn eine Gesundheitsstörung verbunden mit lebensbedrohlichen oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der körperlichen Funktion vorliegt, auch wenn noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr oder akuten schwerwiegenden Gesundheitsschädigung erreicht ist.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung sind ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund, welche glaubhaft zu machen sind (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Sie sind glaubhaft gemacht, wenn das Vorliegen der insoweit beweisbedürftigen Tatsachen überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. Zoeller, Zivilprozessordnung, 25. Auflage, § 920 Rdnr. 8, § 294 Rdnrn. 1 und 6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Auflage, § 920 Rdnr. 11, § 294 Rdnr. 1).
Daraus folgt: Besteht kein Anordnungsanspruch oder ist er nicht überwiegend wahrscheinlich, ist eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen, denn der begehrte Anspruch könnte auch im Hauptsacheverfahren nicht festgestellt werden. Ist hingegen der Anordnungsanspruch überwiegend wahrscheinlich, genügt dies für eine einstweilige Anordnung nicht, wenn nicht zugleich ein Anordnungsgrund vorliegt und dieser überwiegend wahrscheinlich ist. Selbst wenn der Anordnungsanspruch sicher feststeht, entfällt die Notwendigkeit eines Anordnungsgrundes nicht; die Anforderungen hinsichtlich der wesentlichen Nachteile, die überwiegend wahrscheinlich sein müssen, können jedoch geringer sein. Im Übrigen kann ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung in Betracht kommen, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner Interessen und der öffentlichen Interessen nicht zuzumuten ist, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Dies gilt insbesondere, wenn ein Anordnungsanspruch zumindest möglich erscheint sowie wesentliche Nachteile eintreten und nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden können, weil das Leben, die Gesundheit oder die wirtschaftliche Existenz betroffen sind. Eine Vorwegnahme der Hauptsache darf durch eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht stattfinden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 31). Insoweit ist allerdings der in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) niedergelegte Grundsatz des Gebotes eines effektiven Rechtsschutzes zu beachten. Daher kann der Entscheidung in der Hauptsache vorgegriffen werden, wenn ansonsten ein Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Ein Anordnungsanspruch, nämlich ein Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie, erscheint möglich, ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V).
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind Präparate, die als Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) von der Grunddefinition des § 2 Abs. 1 AMG erfasst werden und nach § 21 Abs. 1 AMG der Arzneimittelzulassungspflicht unterliegen, grundsätzlich als Arzneimittel im Sinne der §§ 27, 31 SGB V anzusehen (BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R m. w. N.). Wenn ein bestimmtes Arzneimittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht besteht, mangelt es zugleich an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, so dass ein solches Arzneimittel nicht gewährt werden darf. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Dieser Wirksamkeitsnachweis ist im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen, so dass aus einer nicht bestehenden Zulassung auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit geschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 B 1 KR 21/02 R ; BSG, Urteil vom 27. September 2005 B 1 KR 6/04 R ). Diese Grundsätze finden auch Anwendung, wenn eine abschlägige Zulassungsentscheidung bei Verabreichung des Präparats noch nicht bestandskräftig ist; denn dann gebietet der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gleichermaßen, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Sinne von § 1 AMG, das heißt die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards, in einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind. Das Gleiche gilt, wenn eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht ergangen ist, weil das Zulassungsverfahren zwar eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurde oder weil der Hersteller die Zulassung überhaupt nicht beantragt hat.
Das Arzneimittel Novo-Seven ist nicht zur Durchführung einer Gerinnungstherapie für die Behandlung einer Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zugelassen, so dass es grundsätzlich nicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V beansprucht werden kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn die von der Rechtsprechung aus Gründen eines unabweisbaren Bedürfnisses nach entsprechender Behandlung entwickelten Voraussetzungen erfüllt sind. Es handelt sich um die Fälle des so genannten Off-Label-use, der Seltenheitserkrankungen (singuläre Krankheitsfälle) und der lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit.
Für die Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, beruft nach dem zum 01. Januar 2004 in Kraft getretenen § 35 b Abs. 3 SGB V das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Bewertungen werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zugeleitet. Eine entsprechende Bewertung soll nur mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmens erstellt werden.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daran anknüpfend mit Beschluss vom 18. April 2006 (Bundesanzeiger Nr. 134 Seite 5122 vom 20. Juli 2006) die Arzneimittelrichtlinien um den neuen Abschnitt "H. Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (so genannter Off label use) mit den Ziffern 24 bis 29 ergänzt. Die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten ist danach zulässig a) mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers, b) wenn die Expertengruppen nach § 35 b Abs. 3 Satz 1 SGB V eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und c) der Gemeinsame Bundesausschuss die Empfehlung in diese Richtlinie übernommen hat (Anlage 9 A) [Ziffer 24]. Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch nicht notwendig sind oder die unwirtschaftlich sind, werden in der Anlage 9 B indikationsbezogen aufgeführt (Ziffer 25). Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft in geeigneten Zeitabständen die in der Anlage 9 zusammengestellten Arzneimittel (Ziffer 29).
In der Anlage 9 der Arzneimittelrichtlinien wird das Arzneimittel Novo-Seven zur Behandlung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom nicht erwähnt.
Mit § 35 b Abs. 3 SGB V hat sich der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG zum so genannten Off label use angenommen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (Off label use) von Arzneimitteln ist in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausnahmslos ausgeschlossen. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts, das dazu dient, Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln sicherzustellen (§ 1 AMG), muss ein Off label use aber auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneimitteltherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1) es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urteil vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R , abgedruckt in SozR 3 2500 § 31 Nr. 8; BSG, Urteile vom 26. September 2006 B 1 KR 1/06 R und B 1 KR 14/06 R ).
Es kann dahinstehen, ob mit der Regelung des so genannten Off label use in § 35 b Abs. 3 SGB V die zitierte Rechtsprechung des BSG noch uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann oder ob sich damit der ursprünglich gesehene Bedarf erübrigt oder zumindest verschoben haben könnte, Regeln für einen erweiterten, aber kontrollierten Off label use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in der Rechtsprechung aufzustellen (so BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R ).
Die genannten Voraussetzungen eines Off label use liegen jedenfalls nicht vor.
Es fehlt an Erkenntnissen aus einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) bzw. an in ihrer Qualität vergleichbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, denn für den Schutz des Patienten ist es gleichgültig, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 6, unter Hinweis auf dieses Urteil BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R), die veröffentlicht worden sind.
Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Tgibt es eine entsprechende Studie nicht. Den MDK-Gutachten des Dr. B vom 16. Juni 2006 und 11. Juli 2006 kann dazu nichts anderes entnommen werden. Der Hersteller von Novo-Seven, die Firma hat dem Sachverständigen mitgeteilt, eine Zulassung für die Indikation des Gardner-Diamond-Syndroms sei nicht beabsichtigt, denn es gäbe zu wenige Fälle, um eine aussichtsreiche Studie rein zahlenmäßig durchführen zu können. Nach der von der Antragsgegnerin erstinstanzlich mitgeteilten eingeholten telefonischen Auskunft ist der Herstellerfirma seinerzeit ein Einsatz von Novo-Seven bei Gardner-Diamond-Syndrom auch nicht bekannt gewesen. Die Antragstellerin selbst hat ebenfalls eine solche Phase III- oder vergleichbare Studie nicht benennen können.
Das BSG hat im Urteil vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R seine Rechtsprechung hinsichtlich so genannter Seltenheitserkrankungen (singulärer Krankheitsfälle) modifiziert. Grund dafür ist, dass sich eine solche Erkrankung wegen ihrer Seltenheit regelmäßig einer systematischen wissenschaftlichen Untersuchung entzieht und für sie daher keine wissenschaftlich auf ihre Wirkung überprüfte Behandlungsmethode zur Verfügung stehen wird. Das Krankenversicherungsrecht, das bei der Arzneimittelversorgung anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet und insoweit an das Arzneimittelrecht anknüpft, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels abhängig macht (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R ), kann bei einer Seltenheitserkrankung keine befriedigende Lösung bieten, weil die Regeln des Arzneimittelzulassungsverfahrens in einem solchen Fall versagen. Das BSG hat es daher für notwendig erachtet, die Leistungspflicht vom arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbot des § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG abzukoppeln. Ist das Arzneimittel in einem anderen Staat als Arzneimittel zugelassen, so besteht nach § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG die Möglichkeit, es individuell auf ärztliche Verordnung über eine Apotheke aus dem Ausland legal zu beschaffen. Die darin liegende Lockerung des arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbots begründet nach der Rechtsprechung des BSG nicht die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels, denn eine Verwendung in einer unbestimmten Zahl von Fällen ist durch die genannte Vorschrift nicht gedeckt. Dies steht jedoch der Leistungspflicht zur Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation nicht entgegen.
Voraussetzung für die Leistungspflicht eines (nach innerstaatlichem Recht) nicht zugelassenen Arzneimittels ist nach dem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R , dass 1. es sich um eine einzigartige Erkrankung handelt, die weltweit nur extrem selten auftritt, und die 2. deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann, 3. eine notstandsähnliche Situation vorliegt, also eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden soll, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, 4. zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien vorliegen müssen, die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Mittels zumindest für andere Krankheiten belegen, und 5. die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen müssen, dass der voraussichtliche Nutzen des Arzneimittels die möglichen Risiken überwiegen wird, wobei anders als nach den Grundsätzen für einen Off label use im Urteil des BSG vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R bei einer unerforschbaren singulären Erkrankung positive Forschungsergebnisse beziehungsweise einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht vorzuliegen brauchen.
Der Senat geht davon aus, dass eine Erkrankung zu den Seltenheitserkrankungen rechnet, wenn von ihr nicht mehr als fünf von 10 000 Personen betroffen sind. Das BSG hat zwar in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R offen gelassen, bei welcher Prävalenzrate von einer einzigartigen Erkrankung auszugehen ist. Es hat allerdings in seiner Entscheidung auf Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. Nr. L 18 vom 22. Januar 2000 Seite 1) hingewiesen. Die Erwägung (Abs. 5 des Vorspanns der Verordnung [EG] Nr. 141/2000), die für die Festlegung des genannten Schwellenwertes im Rahmen dieser EG Verordnung geführt hat, kann in gleicher Weise für die Bestimmung des Vorliegens einer Seltenheitserkrankung herangezogen werden. Danach wird eine Prävalenz von nicht mehr als fünf von 10 000 Personen allgemein als geeigneter Schwellenwert angesehen.
Es erscheint möglich, jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass die genannten Voraussetzungen zur Behandlung einer Seltenheitserkrankung vorliegen.
Auch wenn der Sachverständige Prof. Dr. Tkeine konkrete Prävalenzrate genannt hat, kann von einem seltenen Krankheitsbild ausgegangen werden. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Nhat in ihrem Schreiben vom 31. Mai 2006 angegeben, weltweit seien in der Literatur 120 Fälle beschrieben. In Deutschland existierten maximal 54 dieser Patienten, wovon einschließlich der Antragstellerin zwei in deren Behandlungszentrum betreut würden (Schreiben vom 04. August 2006). Die von der Antragstellerin vorgelegten Aufsätze benennen ähnliche Zahlen. Anhaltspunkte für eine systematische Erforschung sind nicht erkennbar, was durch die geringe Zahl der Krankheitsfälle zu erklären ist. Eine notstandsähnliche Situation kann gleichfalls angenommen werden, denn nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T gibt es - auch im Hinblick auf die bisher nicht eindeutig geklärten Ursachen des Gardner-Diamond-Syndroms - keine kausal wirksame Behandlung; eine Opiatmedikation und andere Medikamente wirken lediglich symptomatisch. Auf die Grundstörung der Thrombozytopathie haben sie keinen Einfluss. Die Lebensqualität wird nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Tnachhaltig beeinträchtigt, denn die Hauteinblutungen sind stark schmerzhaft und werden von häufiger Übelkeit, Erbrechen, Bauchbeschwerden, Kopfschmerzen und allgemeinen Schmerzen sowie depressiven Verstimmungen und allgemeinen Belastungsminderungen begleitet.
Es mag auch davon ausgegangen werden können, dass zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien über die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels Novo-Seven zumindest für die Krankheiten, für die es zugelassen ist, vorliegen, denn das deutsche Zulassungsverfahren knüpft daran an (§ 1 Arzneimittelgesetz - AMG). Hinweise, dass es sich um ein so genanntes Altarzneimittel handelt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 3 = BSGE 95, 132) liegen nicht vor.
Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T lässt allerdings keine abschließende Beurteilung darüber zu, ob die letztgenannte Voraussetzung, verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse mit Aussagefähigkeit über einen voraussichtlichen Nutzen und die möglichen Risiken bei gleichzeitiger Abwägung, gegeben ist. Dieser Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass es lediglich eine Reihe von Fallbeschreibungen des Gardner-Diamond-Syndroms gibt. Zu deren wesentlichen Ergebnissen hat er sich nicht geäußert. Ebenso ist offen, welche Schlussfolgerungen in Bezug auf Nutzen und Risiken aus den von der Antragstellerin vorgelegten einzelnen Kasuistiken der Herstellerfirma für eine Behandlung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom mit dem Arzneimittel Novo-Seven zu ziehen sind.
Die danach vorzunehmende abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse muss unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes positiv ausfallen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Speziell bei der Arzneimittelversorgung müssen die vorhandenen Erkenntnisse abstrakt die Annahme rechtfertigen, dass mit der beabsichtigten Arzneimitteltherapie der angestrebte Erfolg erreicht werden kann, und zwar in dem Sinne, dass die Anwendung des Arzneimittels unter Berücksichtigung von Spontanheilung und wirkstoffunabhängigen Effekten eher zu einem therapeutischen Erfolg führt als seine Nichtanwendung. Eine positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf ist zu bejahen, wenn zumindest das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten oder Komplikationen verhindert werden. Fehlen theoretisch-wissenschaftliche Erklärungsmuster, kann im Einzelfall bei vertretbaren Risiken auch die bloße ärztliche Erfahrung für die Annahme eines Behandlungserfolges entscheidend sein, wenn sich diese Erkenntnisse durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen lassen. Schließlich muss auch die konkrete Risiko-Nutzen-Abwägung des behandelnden Arztes in objektiv nicht zu beanstandender Weise ausfallen (so BSG, Urteil vom 04. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 4 = BSGE 96, 170).
Sofern sich die danach erforderlichen Feststellungen nicht treffen lassen, wird die Antragstellerin die Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) - Beschluss vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 – (abgedruckt in BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) nach Maßgabe der dazu ergangenen Entscheidungen des BSG erreichen können.
Dafür ist - anders als für das Bestehen eines Anordnungsgrundes im Rahmen einer einstweiligen Anordnung - nicht ausreichend, dass eine Erkrankung besteht, die die Möglichkeit eines lebensbedrohlichen Verlaufs bietet. Vielmehr ist erforderlich, dass sich nach den konkreten Umständen des Falles der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklicht (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 8; BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R; BSG, Urteil vom 07. November 2006 - B 1 KR 24/06 R, abgedruckt in NJW 2007, 1385).
Ein solcher Sachverhalt ist nicht gegeben. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T ist bei der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zwar auch mit Einblutungen in das Gehirn zu rechnen, wobei es sich dann jeweils um lebensbedrohliche Zustände handelt, die akut auftreten, jedoch nicht vorausgesagt werden können. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04. September 2007 hat er klargestellt, dass die Grunderkrankung keine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zu Tode führende Erkrankung ist.
Die Begrenzung der einstweiligen Anordnung auf längstens (weitere) vier Monate resultiert daraus, dass lediglich ein Anspruch auf eine zeitlich befristete Versorgung, nämlich für insgesamt sechs Monate geltend gemacht wird, der für zwei Monate bereits aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts vom 13. Dezember 2006 erfüllt ist. Unabhängig davon kommt ohne eine nach dem BSG erforderliche konkrete Risiko-Nutzen-Abwägung auch der behandelnden Ärztin unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Behandlung ein Anspruch für mögliche darüber hinausgehende Zeiträume nicht in Betracht.
Ein Anordnungsgrund, nämlich wesentliche Nachteile, die nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden können, weil das Leben und die Gesundheit der Antragstellerin betroffen sind, ist gegeben. Solange die Hauptsacheprüfung insbesondere wegen einer erforderlichen Beweisaufnahme nicht vorweggenommen werden kann, ist anhand einer Folgenabwägung, die hier zugunsten der Antragstellerin ausfällt, zu entscheiden. Kann hingegen eine Hauptsacheprüfung erfolgen, wie insbesondere in der erstinstanzlichen abschließenden Hauptsacheentscheidung, kommt es auf die Folgenabwägung nicht mehr an, weil auch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes wegen eines nicht bestehenden Anordnungsanspruches beruhend auf einer eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG genügt. Es ist nach dem Ergebnis der bisherigen Beweiserhebung zu erwarten, dass mit dem Urteil des Sozialgerichts eine solche Prüfung erfolgen kann oder erfolgen wird; dies schließt zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes über den Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache aus.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG begegnet es in gerichtlichen Eilverfahren grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Allerdings ist in den Fällen, in denen es um existenziell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Die Gerichte haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (Beschlüsse des BVerfG vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 und vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02, abgedruckt in NJW 2003, 1236). Erforderlich ist hierbei eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04, abgedruckt in NJW 2004, 246). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06).
Bis zur Hauptsachenentscheidung des Sozialgerichts kommt wegen der erforderlichen weiteren Beweiserhebung eine Entscheidung allein anhand einer Folgenabwägung in Betracht. Diese fällt zugunsten der Antragstellerin aus.
Dem steht nicht entgegen, dass die Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr bzw. einer akuten Gesundheitsschädigung erreicht hat. Eine Krankheit ist auch dann als regelmäßig lebensbedrohlich oder als erheblich, weil nicht mehr rückgängig machbar, gesundheitsschädigend zu bewerten, wenn sie erst in einigen Jahren zum Tod oder zur erheblichen Gesundheitsschädigung führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06).
Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T ist nach den bisherigen Veröffentlichungen mit Einblutungen in das Gehirn zu rechnen. Hierbei handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand, der allerdings nicht vorausgesagt werden kann. Ob allein diese abstrakte Möglichkeit unabhängig von den individuellen gesundheitlichen Verhältnissen des Versicherten ausreichend ist, um auch im konkreten Einzelfall von einem solchen Zustand ausgehen zu können, bedarf keiner Entscheidung. Im Falle der Antragstellerin kam es jedenfalls bereits zu einem entsprechenden Ereignis. Damit spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein solcher Zustand wiederholen kann. Der Sachverständige Prof. Dr. T hat die im Jahre 2004 aufgetretene Hirndurchblutungsstörung mit rechtsseitiger Halbseitenlähmung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zugeordnet. Dies ist unter Berücksichtigung der Epikrise des H-Klinikums B S/F des Dr. W vom 16. Juni 2004 über den stationären Aufenthalt vom 09. bis 16. Juni 2004 nachvollziehbar. Danach erfolgte die notfallmäßige Aufnahme der Antragstellerin zwar wegen einer Schädelprellung. Diagnostiziert wurde eine passagere Hemiparese rechts und ein Gesichtsfeldausfall rechts, welche jedoch keinem organischen Korrelat zuordenbar waren, so dass die Schädelprellung als Ursache für fraglich bewertet und somit die Genese als unklar bezeichnet wurde. Angesichts dessen ist mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T davon auszugehen, dass es infolge einer stattgehabten Einblutung im Gehirn zur Hemiparese rechts und zur Schädelprellung kam. Nach dem Ergebnis der Untersuchung durch den Sachverständigen sind daraus noch geringe Residuen in Form einer leichten Einschränkung der groben Kraft der rechten Hand zurückgeblieben. Lebensbedrohliche Zustände bzw. erhebliche Gesundheitsschädigungen können somit für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, denn ein wiederholtes Auftreten einer Einblutung in das Gehirn ist nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T nicht unwahrscheinlich. Im Hinblick auf diese wesentlichen Folgen der Erkrankung haben im Rahmen der Folgenabwägung die finanziellen Interessen der Antragsgegnerin, auch wenn diese angesichts der hohen Kosten der Behandlung ins Gewicht fallen, zurückzustehen.
Der Anregung der Antragsgegnerin, deren Interesse an der Sicherung ihres möglichen Schadensersatzanspruches aus § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 945 ZPO für den Fall, dass sich die einstweilige Anordnung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, weil der erhobene Anordnungsanspruch nicht besteht, dadurch Rechnung zu tragen, indem die vorläufige Leistungsgewährung von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig gemacht wird (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 921 Satz 2, § 108 ZPO), ist nur teilweise zu entsprechen.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung darf nicht zu einem unzumutbaren Nachteil führen. Insbesondere darf dadurch nicht der Erfolg der einstweiligen Anordnung insoweit unterlaufen werden, als davon tatsächlich kein Gebrauch gemacht werden kann, weil angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Sicherheitsleistung nicht aufgebracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03. Dezember 1998 - 1 BvR 592/97, abgedruckt in SozR 3- 1500 § 97 Nr. 4).
Die Antragstellerin hat mit der Beschwerde vorgetragen, die Kosten der Behandlung nicht übernehmen zu können, da sie sich derzeit noch in Ausbildung befindet und über kein eigenes Einkommen verfügt. Ob die Antragstellerin damit bei Beschwerdeeinlegung und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gänzlich ohne finanzielle Mittel ist und sich dazu wahrheitsgemäß erklärt hat, sei dahingestellt. So bleibt für den Senat offen, zu welchem Zweck die Geldmittel eingesetzt wurden, die nach ihren Angaben im Rahmen eines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beim Sozialgericht aus dem am 20. September 2007 fällig gewordenen Anspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland aus Finanzierungsschätzen erlangt wurden. Nach diesen Angaben ist die Antragstellerin jedenfalls noch Inhaberin einer im November 2008 fällig werdenden Forderung gegenüber einem Kreditinstitut in Höhe von 5.500 Euro. In diesem Umfang ist ihr daher zumutbar, Sicherheit zu leisten.
Eine darüber hinausgehende Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht, denn es ist davon auszugehen, dass sie eine solche angesichts ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht aufbringen kann. Eine gleichwohl vom Senat festgesetzte Sicherheitsleistung würde damit faktisch die Wirkungslosigkeit seiner Entscheidung bedeuten. Der mögliche Schadensersatzanspruch der Antragsgegnerin ist damit jedoch wirtschaftlich betrachtet nicht wertlos. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T klingt die Erkrankung nach den Hinweisen in der Literatur offenbar nach Jahren allmählich ab, so dass die Antragstellerin in der Lage sein wird, künftig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Damit kann die Antragsgegnerin ihren möglichen Schadensersatzanspruch daraus bis zu den vom Gesetz vorgesehenen Schuldnerschutzgrenzen befriedigen.
Die Beschwerde hat somit teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Versorgung mit dem Arzneimittel NovoSeven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
Die im Juli 1987 geborene Antragstellerin, die bei der Antragsgegnerin versichert ist, leidet im Wesentlichen an einer Thrombozytopathie (Störung der Blutplättchenfunktion) bei Gardner-Diamond-Syndrom mit flächiger Purpura bei Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke mit vorübergehender Halbseitenstörung rechts (Juni 2004) bei verbliebenen geringen Restzuständen, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer autonomen Funktionsstörung als Begleitsymptomatik und einer leichten reaktiv-depressiven Verstimmung bei etwas abhängiger Persönlichkeitsstrukturierung. Die Thrombozytopathie geht mit einem schubweisen Auftreten von stark schmerzhaften Einblutungen in Haut, Schleimhäute und innere Organe sowie mit möglichen Blutungen in das Gehirn einher.
Im Juni 2006 beantragte für die Antragstellerin die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Ndie Genehmigung einer zunächst zeitlich begrenzten Gerinnungstherapie mit Novo-Seven. Bei diesem Arzneimittel handelt es sich um den gentechnisch hergestellten (rekombinanten) aktivierten Gerinnungsfaktor VII. Es ist zugelassen zur Behandlung von Blutungen bei Patienten mit kongenitaler Hämophilie, die im Verlaufe ihrer repetitiven Transfusionsbehandlungen mit Faktor VIII bzw. IX so genannte Alloantikörper gegen die entsprechenden Faktoren entwickelt haben, zur Behandlung erworbener Hämophilien, also spontan erworbener Antikörper gegen Faktor VII oder IX, bei Patienten mit zuvor normaler Gerinnung, zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen bei angeborenem Faktor-VII-Mangel sowie bei der Thrombasthenie Glanzmann mit Antikörpern und Refraktärzustand gegenüber Thrombozytentransfusionen.
Nachdem die Antragsgegnerin die Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) des Dr. B vom 16. Juni 2006 und 11. Juli 2006 eingeholt hatte, lehnte sie die entsprechende Versorgung mit Bescheiden vom 24. Juli 2006 und 01. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006 ab:
Es seien weder die Voraussetzungen einer Behandlung im Rahmen eines Off-Label-use noch speziell bei einer singulären Erkrankung erfüllt.
Am 27. September 2006 hat die Antragstellerin Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 hat das Sozialgericht der Antragstellerin (vorläufig) einstweiligen Rechtsschutz insoweit gewährt, als es die Antragsgegnerin verpflichtet hat, der Antragstellerin das Arzneimittel Novo-Seven bis längstens Februar 2007 zur Verfügung zu stellen: Bei der Bestimmung dieses vorläufigen Leistungszeitraumes sei berücksichtigt worden, dass innerhalb dieses Zeitraumes eine erforderliche Beweisaufnahme abgeschlossen sein dürfte, um dann abschließend über den einstweiligen Rechtsschutz entscheiden zu können.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. T vom 26. Juli 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom (Eingang) 04. September 2007.
Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass es sich bei ihrer Erkrankung um eine extrem seltene Krankheit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R handele, die fast nur junge Frauen betreffe. Insgesamt seien seit 1955 wohl lediglich 200 Patienten mit dem Gardner-Diamond-Syndrom registriert worden. In der Bundesrepublik Deutschland habe es bis 1985 nur 54 bekannte Fälle gegeben. Die schubweise auftretenden Einblutungen seien kleine Mikroblutungen, welche oftmals nicht dargestellt werden könnten, aber extrem schmerzhaft seien. Der zugrunde liegende Defekt sei in einer plötzlich auftretenden lokalen Immunreaktion in Form einer entzündlichen Induration mit anschließender Einblutung ins Gewebe aufgrund einer Thrombozytenfunktionsstörung zu sehen. Die Einblutungen würden durch Erbrechen und Kopfschmerzen im Intervall von 14 Tagen mit einer Dauer von bis zu 10 Tagen, seit April 2006 nahezu im 14tägigen Rhythmus ohne beschwerdefreie Zwischenräume begleitet. Die Gesundheitsstörung sei eine ursächlich nicht behandelbare Erkrankung. Sie erhalte Morphium sowie eine intensive Psycho- und Schmerztherapie. Alle bisherigen Therapien seien jedoch nicht in der Lage gewesen, ein Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten. Als einzige effektive Therapiestrategie habe sich die während eines stationären Krankenhausaufenthaltes durchgeführte Behandlung mit Novo-Seven erwiesen, die von der behandelnden Ärztin nur für ein halbes Jahr vorgesehen sei. Ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei unbillig. Die Therapie der Erkrankung dulde keinen Aufschub, um eine weitere Verschlechterung mit möglichen irreversiblen Schäden zu vermeiden.
Die Antragsgegnerin hat eingeräumt, dass eine sehr seltene Krankheit mit weltweit ca. 120 Patienten vorliege, für die es keine etablierten Therapien gebe. Der gentechnisch hergestellte aktive Gerinnungsfaktor VII sei ursprünglich zur Therapie von Blutungskomplikationen bei Hämophiliepatienten entwickelt worden. Die Behandlungsdauer bei der Antragstellerin sei nicht abzusehen. Die Kosten einer Therapieeinheit beliefen sich auf 1154,41 Euro, so dass bei dem von der behandelnden Ärztin vorgeschlagenen Umfang schätzungsweise 176.624,73 Euro jährlich anfielen. Studien über einen Behandlungserfolg lägen nicht vor und würden wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht durchgeführt, so dass der klinische Nutzen einer entsprechenden Behandlung bei dem Gardner-Diamond-Syndrom nicht wahrscheinlich zu machen sei. Angesichts dessen handele es sich bei der Verabreichung des Medikaments Novo-Seven um eine experimentelle Therapie, die grundsätzlich nicht verordnungsfähig sei.
Mit Beschluss vom 04. September 2007 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen: Das Vorliegen eines Anordnungsanspruches könne bei summarischer Prüfung zumindest nicht verneint werden. Bei einer unerforschbaren singulären Erkrankung könne nicht gefordert werden, dass positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen vorlägen. Um dennoch eine Qualität zu gewährleisten, müssten die im Zeitpunkt der Behandlung verfügbaren wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwögen. Hierzu seien weitere Ermittlungen notwendig. Allerdings liege zurzeit kein Anordnungsgrund vor. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, dass bei der Antragstellerin eine vorübergehende Hirndurchblutungsstörung mit Halbseitensymptomatik und damit eine sehr ernste Komplikation, welche durchaus lebensgefährlich verlaufen könne, jedenfalls nicht auszuschließen sei. Der Sachverständige habe jedoch auch ausgeführt, dass es sich nicht um eine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zum Tode führende Erkrankung handele. Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung rechtfertige nach der Rechtsprechung des BSG (B 1 KR 3/06 R) keinen Anordnungsgrund.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 10. September 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 10. Oktober 2007 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Sie verweist darauf, dass es ihr auf der Grundlage des Beschlusses vom 13. Dezember 2006 bis Februar 2007 erheblich besser gegangen sei. Es habe nicht mehr die großen Einblutungen, sondern nur noch kleine vereinzelte und nicht so schmerzhafte Einblutungen gegeben. Eine vom Sachverständigen bestätigte erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität sei aber ausreichend, um mit dem begehrten Arzneimittel versorgt zu werden. Dieses Arzneimittel sei ein Produkt, das gerade bei angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen genutzt werde. Die beigefügten Fallbeschreibungen der Herstellerfirma belegten, dass es eine entsprechende Wirkung gezeigt habe. Die Einblutungen könnten somit auch bei der Klägerin eingedämmt werden. Damit sei der voraussichtliche Nutzen gegenüber den möglichen Risiken höher; Risiken seien nicht bekannt. Um eine weitere Verschlechterung mit möglichen irreversiblen Schäden zu vermeiden, dulde die Therapie keinen Aufschub, so dass auch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Die Antragstellerin hat im August/September 2007 gefertigte Fotografien der Einblutungen vorgelegt.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 04. September 2007 die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimittel Novo-Seven für die Durchführung der Gerinnungstherapie zu finanzieren, soweit die behandelnde Ärztin der Antragstellerin diese Behandlung verordnet.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, es fehle jeglicher Nachweis dafür, dass der Einsatz von Novo-Seven zur Schubprophylaxe bei den schubförmig auftretenden Unterhautblutungen erfolgreich sei. Eine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zum Tode führende Erkrankung liege nach dem Sachverständigen nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar insoweit zu Recht abgelehnt, als für die Zeit nach seiner Entscheidung in der Hauptsache nach abschließender Beweisaufnahme feststeht, ob der geltend gemachte Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie gegeben oder nicht gegeben ist. Ist ein solcher Anspruch ausgeschlossen, kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht (mehr) an, denn eine einstweilige Anordnung dient nicht dem Zwecke, einen nicht gegebenen Anspruch zu sichern. Hingegen ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für einen Zeitraum (noch) bis zur Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache zu entsprechen, denn auch nach der Ansicht des Sozialgerichts ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches zumindest nicht zu verneinen. Bei einer solchen Sachlage genügt es, wenn eine Gesundheitsstörung verbunden mit lebensbedrohlichen oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der körperlichen Funktion vorliegt, auch wenn noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr oder akuten schwerwiegenden Gesundheitsschädigung erreicht ist.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung sind ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund, welche glaubhaft zu machen sind (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Sie sind glaubhaft gemacht, wenn das Vorliegen der insoweit beweisbedürftigen Tatsachen überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. Zoeller, Zivilprozessordnung, 25. Auflage, § 920 Rdnr. 8, § 294 Rdnrn. 1 und 6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Auflage, § 920 Rdnr. 11, § 294 Rdnr. 1).
Daraus folgt: Besteht kein Anordnungsanspruch oder ist er nicht überwiegend wahrscheinlich, ist eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen, denn der begehrte Anspruch könnte auch im Hauptsacheverfahren nicht festgestellt werden. Ist hingegen der Anordnungsanspruch überwiegend wahrscheinlich, genügt dies für eine einstweilige Anordnung nicht, wenn nicht zugleich ein Anordnungsgrund vorliegt und dieser überwiegend wahrscheinlich ist. Selbst wenn der Anordnungsanspruch sicher feststeht, entfällt die Notwendigkeit eines Anordnungsgrundes nicht; die Anforderungen hinsichtlich der wesentlichen Nachteile, die überwiegend wahrscheinlich sein müssen, können jedoch geringer sein. Im Übrigen kann ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung in Betracht kommen, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner Interessen und der öffentlichen Interessen nicht zuzumuten ist, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Dies gilt insbesondere, wenn ein Anordnungsanspruch zumindest möglich erscheint sowie wesentliche Nachteile eintreten und nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden können, weil das Leben, die Gesundheit oder die wirtschaftliche Existenz betroffen sind. Eine Vorwegnahme der Hauptsache darf durch eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht stattfinden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 31). Insoweit ist allerdings der in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) niedergelegte Grundsatz des Gebotes eines effektiven Rechtsschutzes zu beachten. Daher kann der Entscheidung in der Hauptsache vorgegriffen werden, wenn ansonsten ein Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Ein Anordnungsanspruch, nämlich ein Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven zur Durchführung einer Gerinnungstherapie, erscheint möglich, ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V).
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind Präparate, die als Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) von der Grunddefinition des § 2 Abs. 1 AMG erfasst werden und nach § 21 Abs. 1 AMG der Arzneimittelzulassungspflicht unterliegen, grundsätzlich als Arzneimittel im Sinne der §§ 27, 31 SGB V anzusehen (BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R m. w. N.). Wenn ein bestimmtes Arzneimittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht besteht, mangelt es zugleich an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, so dass ein solches Arzneimittel nicht gewährt werden darf. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Dieser Wirksamkeitsnachweis ist im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen, so dass aus einer nicht bestehenden Zulassung auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit geschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 B 1 KR 21/02 R ; BSG, Urteil vom 27. September 2005 B 1 KR 6/04 R ). Diese Grundsätze finden auch Anwendung, wenn eine abschlägige Zulassungsentscheidung bei Verabreichung des Präparats noch nicht bestandskräftig ist; denn dann gebietet der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gleichermaßen, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Sinne von § 1 AMG, das heißt die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards, in einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind. Das Gleiche gilt, wenn eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht ergangen ist, weil das Zulassungsverfahren zwar eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurde oder weil der Hersteller die Zulassung überhaupt nicht beantragt hat.
Das Arzneimittel Novo-Seven ist nicht zur Durchführung einer Gerinnungstherapie für die Behandlung einer Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zugelassen, so dass es grundsätzlich nicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V beansprucht werden kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn die von der Rechtsprechung aus Gründen eines unabweisbaren Bedürfnisses nach entsprechender Behandlung entwickelten Voraussetzungen erfüllt sind. Es handelt sich um die Fälle des so genannten Off-Label-use, der Seltenheitserkrankungen (singuläre Krankheitsfälle) und der lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit.
Für die Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, beruft nach dem zum 01. Januar 2004 in Kraft getretenen § 35 b Abs. 3 SGB V das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Bewertungen werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zugeleitet. Eine entsprechende Bewertung soll nur mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmens erstellt werden.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daran anknüpfend mit Beschluss vom 18. April 2006 (Bundesanzeiger Nr. 134 Seite 5122 vom 20. Juli 2006) die Arzneimittelrichtlinien um den neuen Abschnitt "H. Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (so genannter Off label use) mit den Ziffern 24 bis 29 ergänzt. Die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten ist danach zulässig a) mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers, b) wenn die Expertengruppen nach § 35 b Abs. 3 Satz 1 SGB V eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und c) der Gemeinsame Bundesausschuss die Empfehlung in diese Richtlinie übernommen hat (Anlage 9 A) [Ziffer 24]. Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch nicht notwendig sind oder die unwirtschaftlich sind, werden in der Anlage 9 B indikationsbezogen aufgeführt (Ziffer 25). Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft in geeigneten Zeitabständen die in der Anlage 9 zusammengestellten Arzneimittel (Ziffer 29).
In der Anlage 9 der Arzneimittelrichtlinien wird das Arzneimittel Novo-Seven zur Behandlung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom nicht erwähnt.
Mit § 35 b Abs. 3 SGB V hat sich der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG zum so genannten Off label use angenommen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (Off label use) von Arzneimitteln ist in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausnahmslos ausgeschlossen. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts, das dazu dient, Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln sicherzustellen (§ 1 AMG), muss ein Off label use aber auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneimitteltherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1) es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urteil vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R , abgedruckt in SozR 3 2500 § 31 Nr. 8; BSG, Urteile vom 26. September 2006 B 1 KR 1/06 R und B 1 KR 14/06 R ).
Es kann dahinstehen, ob mit der Regelung des so genannten Off label use in § 35 b Abs. 3 SGB V die zitierte Rechtsprechung des BSG noch uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann oder ob sich damit der ursprünglich gesehene Bedarf erübrigt oder zumindest verschoben haben könnte, Regeln für einen erweiterten, aber kontrollierten Off label use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in der Rechtsprechung aufzustellen (so BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R ).
Die genannten Voraussetzungen eines Off label use liegen jedenfalls nicht vor.
Es fehlt an Erkenntnissen aus einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) bzw. an in ihrer Qualität vergleichbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, denn für den Schutz des Patienten ist es gleichgültig, ob die erforderlichen Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 6, unter Hinweis auf dieses Urteil BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R), die veröffentlicht worden sind.
Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Tgibt es eine entsprechende Studie nicht. Den MDK-Gutachten des Dr. B vom 16. Juni 2006 und 11. Juli 2006 kann dazu nichts anderes entnommen werden. Der Hersteller von Novo-Seven, die Firma hat dem Sachverständigen mitgeteilt, eine Zulassung für die Indikation des Gardner-Diamond-Syndroms sei nicht beabsichtigt, denn es gäbe zu wenige Fälle, um eine aussichtsreiche Studie rein zahlenmäßig durchführen zu können. Nach der von der Antragsgegnerin erstinstanzlich mitgeteilten eingeholten telefonischen Auskunft ist der Herstellerfirma seinerzeit ein Einsatz von Novo-Seven bei Gardner-Diamond-Syndrom auch nicht bekannt gewesen. Die Antragstellerin selbst hat ebenfalls eine solche Phase III- oder vergleichbare Studie nicht benennen können.
Das BSG hat im Urteil vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R seine Rechtsprechung hinsichtlich so genannter Seltenheitserkrankungen (singulärer Krankheitsfälle) modifiziert. Grund dafür ist, dass sich eine solche Erkrankung wegen ihrer Seltenheit regelmäßig einer systematischen wissenschaftlichen Untersuchung entzieht und für sie daher keine wissenschaftlich auf ihre Wirkung überprüfte Behandlungsmethode zur Verfügung stehen wird. Das Krankenversicherungsrecht, das bei der Arzneimittelversorgung anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet und insoweit an das Arzneimittelrecht anknüpft, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels abhängig macht (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R ), kann bei einer Seltenheitserkrankung keine befriedigende Lösung bieten, weil die Regeln des Arzneimittelzulassungsverfahrens in einem solchen Fall versagen. Das BSG hat es daher für notwendig erachtet, die Leistungspflicht vom arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbot des § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG abzukoppeln. Ist das Arzneimittel in einem anderen Staat als Arzneimittel zugelassen, so besteht nach § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG die Möglichkeit, es individuell auf ärztliche Verordnung über eine Apotheke aus dem Ausland legal zu beschaffen. Die darin liegende Lockerung des arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbots begründet nach der Rechtsprechung des BSG nicht die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels, denn eine Verwendung in einer unbestimmten Zahl von Fällen ist durch die genannte Vorschrift nicht gedeckt. Dies steht jedoch der Leistungspflicht zur Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation nicht entgegen.
Voraussetzung für die Leistungspflicht eines (nach innerstaatlichem Recht) nicht zugelassenen Arzneimittels ist nach dem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R , dass 1. es sich um eine einzigartige Erkrankung handelt, die weltweit nur extrem selten auftritt, und die 2. deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann, 3. eine notstandsähnliche Situation vorliegt, also eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden soll, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, 4. zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien vorliegen müssen, die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Mittels zumindest für andere Krankheiten belegen, und 5. die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen müssen, dass der voraussichtliche Nutzen des Arzneimittels die möglichen Risiken überwiegen wird, wobei anders als nach den Grundsätzen für einen Off label use im Urteil des BSG vom 19. März 2002 B 1 KR 37/00 R bei einer unerforschbaren singulären Erkrankung positive Forschungsergebnisse beziehungsweise einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht vorzuliegen brauchen.
Der Senat geht davon aus, dass eine Erkrankung zu den Seltenheitserkrankungen rechnet, wenn von ihr nicht mehr als fünf von 10 000 Personen betroffen sind. Das BSG hat zwar in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 27/02 R offen gelassen, bei welcher Prävalenzrate von einer einzigartigen Erkrankung auszugehen ist. Es hat allerdings in seiner Entscheidung auf Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. Nr. L 18 vom 22. Januar 2000 Seite 1) hingewiesen. Die Erwägung (Abs. 5 des Vorspanns der Verordnung [EG] Nr. 141/2000), die für die Festlegung des genannten Schwellenwertes im Rahmen dieser EG Verordnung geführt hat, kann in gleicher Weise für die Bestimmung des Vorliegens einer Seltenheitserkrankung herangezogen werden. Danach wird eine Prävalenz von nicht mehr als fünf von 10 000 Personen allgemein als geeigneter Schwellenwert angesehen.
Es erscheint möglich, jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass die genannten Voraussetzungen zur Behandlung einer Seltenheitserkrankung vorliegen.
Auch wenn der Sachverständige Prof. Dr. Tkeine konkrete Prävalenzrate genannt hat, kann von einem seltenen Krankheitsbild ausgegangen werden. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Nhat in ihrem Schreiben vom 31. Mai 2006 angegeben, weltweit seien in der Literatur 120 Fälle beschrieben. In Deutschland existierten maximal 54 dieser Patienten, wovon einschließlich der Antragstellerin zwei in deren Behandlungszentrum betreut würden (Schreiben vom 04. August 2006). Die von der Antragstellerin vorgelegten Aufsätze benennen ähnliche Zahlen. Anhaltspunkte für eine systematische Erforschung sind nicht erkennbar, was durch die geringe Zahl der Krankheitsfälle zu erklären ist. Eine notstandsähnliche Situation kann gleichfalls angenommen werden, denn nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T gibt es - auch im Hinblick auf die bisher nicht eindeutig geklärten Ursachen des Gardner-Diamond-Syndroms - keine kausal wirksame Behandlung; eine Opiatmedikation und andere Medikamente wirken lediglich symptomatisch. Auf die Grundstörung der Thrombozytopathie haben sie keinen Einfluss. Die Lebensqualität wird nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Tnachhaltig beeinträchtigt, denn die Hauteinblutungen sind stark schmerzhaft und werden von häufiger Übelkeit, Erbrechen, Bauchbeschwerden, Kopfschmerzen und allgemeinen Schmerzen sowie depressiven Verstimmungen und allgemeinen Belastungsminderungen begleitet.
Es mag auch davon ausgegangen werden können, dass zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien über die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels Novo-Seven zumindest für die Krankheiten, für die es zugelassen ist, vorliegen, denn das deutsche Zulassungsverfahren knüpft daran an (§ 1 Arzneimittelgesetz - AMG). Hinweise, dass es sich um ein so genanntes Altarzneimittel handelt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 3 = BSGE 95, 132) liegen nicht vor.
Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T lässt allerdings keine abschließende Beurteilung darüber zu, ob die letztgenannte Voraussetzung, verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse mit Aussagefähigkeit über einen voraussichtlichen Nutzen und die möglichen Risiken bei gleichzeitiger Abwägung, gegeben ist. Dieser Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass es lediglich eine Reihe von Fallbeschreibungen des Gardner-Diamond-Syndroms gibt. Zu deren wesentlichen Ergebnissen hat er sich nicht geäußert. Ebenso ist offen, welche Schlussfolgerungen in Bezug auf Nutzen und Risiken aus den von der Antragstellerin vorgelegten einzelnen Kasuistiken der Herstellerfirma für eine Behandlung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom mit dem Arzneimittel Novo-Seven zu ziehen sind.
Die danach vorzunehmende abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse muss unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes positiv ausfallen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Speziell bei der Arzneimittelversorgung müssen die vorhandenen Erkenntnisse abstrakt die Annahme rechtfertigen, dass mit der beabsichtigten Arzneimitteltherapie der angestrebte Erfolg erreicht werden kann, und zwar in dem Sinne, dass die Anwendung des Arzneimittels unter Berücksichtigung von Spontanheilung und wirkstoffunabhängigen Effekten eher zu einem therapeutischen Erfolg führt als seine Nichtanwendung. Eine positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf ist zu bejahen, wenn zumindest das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten oder Komplikationen verhindert werden. Fehlen theoretisch-wissenschaftliche Erklärungsmuster, kann im Einzelfall bei vertretbaren Risiken auch die bloße ärztliche Erfahrung für die Annahme eines Behandlungserfolges entscheidend sein, wenn sich diese Erkenntnisse durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen lassen. Schließlich muss auch die konkrete Risiko-Nutzen-Abwägung des behandelnden Arztes in objektiv nicht zu beanstandender Weise ausfallen (so BSG, Urteil vom 04. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 4 = BSGE 96, 170).
Sofern sich die danach erforderlichen Feststellungen nicht treffen lassen, wird die Antragstellerin die Versorgung mit dem Arzneimittel Novo-Seven auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) - Beschluss vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 – (abgedruckt in BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) nach Maßgabe der dazu ergangenen Entscheidungen des BSG erreichen können.
Dafür ist - anders als für das Bestehen eines Anordnungsgrundes im Rahmen einer einstweiligen Anordnung - nicht ausreichend, dass eine Erkrankung besteht, die die Möglichkeit eines lebensbedrohlichen Verlaufs bietet. Vielmehr ist erforderlich, dass sich nach den konkreten Umständen des Falles der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklicht (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 8; BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R; BSG, Urteil vom 07. November 2006 - B 1 KR 24/06 R, abgedruckt in NJW 2007, 1385).
Ein solcher Sachverhalt ist nicht gegeben. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T ist bei der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zwar auch mit Einblutungen in das Gehirn zu rechnen, wobei es sich dann jeweils um lebensbedrohliche Zustände handelt, die akut auftreten, jedoch nicht vorausgesagt werden können. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04. September 2007 hat er klargestellt, dass die Grunderkrankung keine regelmäßig lebensbedrohliche bzw. zu Tode führende Erkrankung ist.
Die Begrenzung der einstweiligen Anordnung auf längstens (weitere) vier Monate resultiert daraus, dass lediglich ein Anspruch auf eine zeitlich befristete Versorgung, nämlich für insgesamt sechs Monate geltend gemacht wird, der für zwei Monate bereits aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts vom 13. Dezember 2006 erfüllt ist. Unabhängig davon kommt ohne eine nach dem BSG erforderliche konkrete Risiko-Nutzen-Abwägung auch der behandelnden Ärztin unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Behandlung ein Anspruch für mögliche darüber hinausgehende Zeiträume nicht in Betracht.
Ein Anordnungsgrund, nämlich wesentliche Nachteile, die nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden können, weil das Leben und die Gesundheit der Antragstellerin betroffen sind, ist gegeben. Solange die Hauptsacheprüfung insbesondere wegen einer erforderlichen Beweisaufnahme nicht vorweggenommen werden kann, ist anhand einer Folgenabwägung, die hier zugunsten der Antragstellerin ausfällt, zu entscheiden. Kann hingegen eine Hauptsacheprüfung erfolgen, wie insbesondere in der erstinstanzlichen abschließenden Hauptsacheentscheidung, kommt es auf die Folgenabwägung nicht mehr an, weil auch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes wegen eines nicht bestehenden Anordnungsanspruches beruhend auf einer eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG genügt. Es ist nach dem Ergebnis der bisherigen Beweiserhebung zu erwarten, dass mit dem Urteil des Sozialgerichts eine solche Prüfung erfolgen kann oder erfolgen wird; dies schließt zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes über den Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache aus.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG begegnet es in gerichtlichen Eilverfahren grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Allerdings ist in den Fällen, in denen es um existenziell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Die Gerichte haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (Beschlüsse des BVerfG vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 und vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02, abgedruckt in NJW 2003, 1236). Erforderlich ist hierbei eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04, abgedruckt in NJW 2004, 246). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06).
Bis zur Hauptsachenentscheidung des Sozialgerichts kommt wegen der erforderlichen weiteren Beweiserhebung eine Entscheidung allein anhand einer Folgenabwägung in Betracht. Diese fällt zugunsten der Antragstellerin aus.
Dem steht nicht entgegen, dass die Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr bzw. einer akuten Gesundheitsschädigung erreicht hat. Eine Krankheit ist auch dann als regelmäßig lebensbedrohlich oder als erheblich, weil nicht mehr rückgängig machbar, gesundheitsschädigend zu bewerten, wenn sie erst in einigen Jahren zum Tod oder zur erheblichen Gesundheitsschädigung führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06).
Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T ist nach den bisherigen Veröffentlichungen mit Einblutungen in das Gehirn zu rechnen. Hierbei handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand, der allerdings nicht vorausgesagt werden kann. Ob allein diese abstrakte Möglichkeit unabhängig von den individuellen gesundheitlichen Verhältnissen des Versicherten ausreichend ist, um auch im konkreten Einzelfall von einem solchen Zustand ausgehen zu können, bedarf keiner Entscheidung. Im Falle der Antragstellerin kam es jedenfalls bereits zu einem entsprechenden Ereignis. Damit spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein solcher Zustand wiederholen kann. Der Sachverständige Prof. Dr. T hat die im Jahre 2004 aufgetretene Hirndurchblutungsstörung mit rechtsseitiger Halbseitenlähmung der Thrombozytopathie bei Gardner-Diamond-Syndrom zugeordnet. Dies ist unter Berücksichtigung der Epikrise des H-Klinikums B S/F des Dr. W vom 16. Juni 2004 über den stationären Aufenthalt vom 09. bis 16. Juni 2004 nachvollziehbar. Danach erfolgte die notfallmäßige Aufnahme der Antragstellerin zwar wegen einer Schädelprellung. Diagnostiziert wurde eine passagere Hemiparese rechts und ein Gesichtsfeldausfall rechts, welche jedoch keinem organischen Korrelat zuordenbar waren, so dass die Schädelprellung als Ursache für fraglich bewertet und somit die Genese als unklar bezeichnet wurde. Angesichts dessen ist mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T davon auszugehen, dass es infolge einer stattgehabten Einblutung im Gehirn zur Hemiparese rechts und zur Schädelprellung kam. Nach dem Ergebnis der Untersuchung durch den Sachverständigen sind daraus noch geringe Residuen in Form einer leichten Einschränkung der groben Kraft der rechten Hand zurückgeblieben. Lebensbedrohliche Zustände bzw. erhebliche Gesundheitsschädigungen können somit für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, denn ein wiederholtes Auftreten einer Einblutung in das Gehirn ist nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T nicht unwahrscheinlich. Im Hinblick auf diese wesentlichen Folgen der Erkrankung haben im Rahmen der Folgenabwägung die finanziellen Interessen der Antragsgegnerin, auch wenn diese angesichts der hohen Kosten der Behandlung ins Gewicht fallen, zurückzustehen.
Der Anregung der Antragsgegnerin, deren Interesse an der Sicherung ihres möglichen Schadensersatzanspruches aus § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 945 ZPO für den Fall, dass sich die einstweilige Anordnung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, weil der erhobene Anordnungsanspruch nicht besteht, dadurch Rechnung zu tragen, indem die vorläufige Leistungsgewährung von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig gemacht wird (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 921 Satz 2, § 108 ZPO), ist nur teilweise zu entsprechen.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung darf nicht zu einem unzumutbaren Nachteil führen. Insbesondere darf dadurch nicht der Erfolg der einstweiligen Anordnung insoweit unterlaufen werden, als davon tatsächlich kein Gebrauch gemacht werden kann, weil angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Sicherheitsleistung nicht aufgebracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03. Dezember 1998 - 1 BvR 592/97, abgedruckt in SozR 3- 1500 § 97 Nr. 4).
Die Antragstellerin hat mit der Beschwerde vorgetragen, die Kosten der Behandlung nicht übernehmen zu können, da sie sich derzeit noch in Ausbildung befindet und über kein eigenes Einkommen verfügt. Ob die Antragstellerin damit bei Beschwerdeeinlegung und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gänzlich ohne finanzielle Mittel ist und sich dazu wahrheitsgemäß erklärt hat, sei dahingestellt. So bleibt für den Senat offen, zu welchem Zweck die Geldmittel eingesetzt wurden, die nach ihren Angaben im Rahmen eines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beim Sozialgericht aus dem am 20. September 2007 fällig gewordenen Anspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland aus Finanzierungsschätzen erlangt wurden. Nach diesen Angaben ist die Antragstellerin jedenfalls noch Inhaberin einer im November 2008 fällig werdenden Forderung gegenüber einem Kreditinstitut in Höhe von 5.500 Euro. In diesem Umfang ist ihr daher zumutbar, Sicherheit zu leisten.
Eine darüber hinausgehende Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht, denn es ist davon auszugehen, dass sie eine solche angesichts ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht aufbringen kann. Eine gleichwohl vom Senat festgesetzte Sicherheitsleistung würde damit faktisch die Wirkungslosigkeit seiner Entscheidung bedeuten. Der mögliche Schadensersatzanspruch der Antragsgegnerin ist damit jedoch wirtschaftlich betrachtet nicht wertlos. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. T klingt die Erkrankung nach den Hinweisen in der Literatur offenbar nach Jahren allmählich ab, so dass die Antragstellerin in der Lage sein wird, künftig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Damit kann die Antragsgegnerin ihren möglichen Schadensersatzanspruch daraus bis zu den vom Gesetz vorgesehenen Schuldnerschutzgrenzen befriedigen.
Die Beschwerde hat somit teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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