L 9 KR 71/05 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 2947/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 71/05 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Hat ein Prozessbevollmächtigter eines Klägers in der mündlichen Verhandlung an den zuvor angekündigten Beweisanträgen nicht festgehalten, ist auch für § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BSG zu § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG in einem solchen Fall grundsätzlich davon auszugehen, dass sich die Beweisanträge erledigt haben.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Februar 2005 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Februar 2005 ist gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Nach § 144 Abs.1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,00 Euro nicht übersteigt. Das ist hier der Fall, weil die Klage auf die Leistung weiteren Krankengeldes in Höhe von 320,04 Euro gerichtet ist (vgl. Beschluss des 9. Senats des Landessozialgerichts Berlin vom 12. November 2003 - L 9 KR 98/03).

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass das Urteil des Sozialgerichts grundsätzliche Bedeutung hat oder von einer Entscheidung eines der oben genannten Gerichte abweicht, bestehen nicht; hierzu bedarf es deshalb keiner weiteren Ausführungen des Senats, zumal der Kläger seine Nichtzulassungs-beschwerde auch nicht auf einen Zulassungsgrund aus § 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG gestützt hat.

Schließlich liegt auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht vor, da der Kläger keine der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmängel geltend macht, die vorliegen und auf denen das Urteil beruhen kann. Ein Verfahrensmangel liegt nur vor bei einem Verstoß des erstinstanzlichen Gerichts gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils. Es geht insoweit nicht um die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (LSG Berlin-Brandenburg, 6. Senat, Beschluss vom 27. September 2005, - L 6 AL 63/05 NZB - m.w.N.). Ein Verfahrensmangel verpflichtet nur dann zur Zulassung der Berufung, wenn er gerügt ("geltend gemacht") wird. Dafür genügt es, wenn Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, aus denen sich der Mangel des Verfahrens ergibt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Die Behauptung des Klägers, der Vorsitzende des Sozialgerichts habe ihn zur Klagerücknahme gedrängt, Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung belegten nicht nur die Vorein-genommenheit dieses Richters ihm gegenüber, sondern hätten auch zu einer ungerechten Entscheidung geführt, vermögen die Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu begründen. Denn diese Einwände gegen die Person des Vorsitzenden hätte der Kläger mit einem Ablehnungsgesuch gem. § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 42 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) geltend machen müssen, über den nicht der erkennende Senat, sondern ein anderer, durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts besonders bestimmter Senat zu entscheiden gehabt hätte, so dass die behaupteten Verfahrensmängel nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegen. Im Übrigen hat der Kläger sein Ablehnungsrecht durch seine Antragstellung vor dem Sozialgericht verloren (§ 60 Abs. 1 SGG i.V. m. § 43 ZPO).

Auch die Rüge des Klägers, dass er entgegen seiner Bitte weder die handschriftlichen noch die maschinenschriftlichen Protokolle der Untersuchungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 12. und 26. Juli 2001 erhalten habe, auf denen die Klageabweisung beruhe, führt nicht zur Begründetheit seiner Beschwerde. Die handschriftlichen Untersuchungsberichte sind dem Gericht nicht gesondert, sondern nur als Bestandteile der Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegt worden. Hiervon wusste die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers durch den dem angegriffenen Urteil vorangegangenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 3. Juli 2003, so dass sie die Untersuchungsberichte unschwer im Rahmen der Akteneinsicht hätte einsehen können, die sie jedoch nicht beantragt hat. Dass einem anwaltlich vertretenen Kläger Kopien von Bestandteilen des Verwaltungsvorgangs persönlich nicht ausgehändigt werden, stellt keinen Verfahrensfehler dar, auf dem das Urteil beruhen kann, weil das Gericht nach § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG seine Mitteilungen an den Prozessbevollmächtigten richten muss. Außerdem ist der Inhalt des handschriftlichen Berichts vom 26. Juli 2001 auf Bitte des Sozialgerichts vollständig in einen maschinenschriftlichen Bericht übertragen worden. Den Inhalt dieses Untersuchungsberichtes vom 26. Juli 2001, nicht jedoch den der Untersuchung vom 12. Juli 2001, hat das Sozialgericht zum Gegenstand seines Urteils gemacht. Von dem maschinenschriftlichen Untersuchungsbericht hat nicht nur die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers, sondern auch er selbst (in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 1. Februar 2005) eine Ablichtung erhalten, so dass das Sozialgericht seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu den entscheidungserheblichen Gesichtspunkten des Rechtsstreits nachgekommen ist. Dass der Kläger von dem Inhalt des maschinenschriftlichen Untersuchungsberichts in der mündlichen Verhandlung nicht habe Kenntnis und deshalb auch nicht habe Stellung nehmen können, weil er seine Lesebrille vergessen habe, führt ebenfalls nicht zu einem Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruhen kann. Denn der Kläger hätte eine für ihn nachteilige Entscheidung durch einen Vertagungsantrag seines Prozessbevollmächtigten vermeiden können. Das Unterlassen dieses Antrages und nicht ein Verfahrensfehler des Gerichts ist deshalb insoweit ursächlich dafür, dass das Sozialgericht ohne weitere Stellungnahme des Klägers zu dem Untersuchungsbericht des MDK vom 26. Juli 2001 entschieden hat.

Ein Verfahrensfehler des Sozialgerichts, der zur Zulassung der Berufung führen müsste, liegt schließlich auch nicht darin begründet, dass das Sozialgericht sowohl auf die Zeugenvernehmung der Ärztinnen Dr. K (vom MDK) sowie der Ärztin G, des den Kläger zum streitigen Zeitraum behandelnden Arztes Dr. L und einer namentlich nicht benannten Arzthelferin des letztgenannten Arztes zur weiteren Aufklärung der näheren Umstände der Untersuchung des Klägers und der Feststellung seiner Arbeits(un)fähigkeit im streitigen Zeitraum als auch auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der letztgenannten Frage verzichtet hat. Das Sozialgericht hat hierdurch seine Pflicht zur Amtsermittlung nicht verletzt. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann auf die Übergehung eines Beweisantrages gestützt werden, dem das Sozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu muss der Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gestellt oder, falls er vorher schriftsätzlich niedergelegt war, aufrechterhalten worden sein (vgl. BSG, Beschluss vom 21. August 2007, - B 3 P 18/07 B -, zitiert nach juris). Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt - wie dies hier geschehen ist -, so ist er dann nicht übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er bis zur Entscheidung des Sozialgerichts nicht weiterverfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn diese einen zuvor angekündigten Beweisantrag nicht mehr wiederholt haben (vgl. BSG, Beschluss vom 20. September 2007, - B 5a/5 R 262/07 B -, zitiert nach juris). Dies gilt hier erst recht, weil der anwaltlich vertretene Kläger aus dem vom Sozialgericht zuvor erlassenen Gerichtsbescheid im Einzelnen wusste, welche Tatsachen das Sozialgericht als entscheidungserheblich ansehen wollte. Da die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung an den zuvor angekündigten Beweisanträgen nicht festgehalten hat, ist auch für § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BSG zu § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG in einem solchen Fall grundsätzlich davon auszugehen, dass sich die Beweisanträge erledigt haben (stellvertr: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 31). Soweit es um die zeugenschaftliche Vernehmung der Ärztin Dr. K geht, hat der Kläger i. Ü. auch einen Verfahrensfehler mit seiner Beschwerde nicht geltend gemacht.

Ob das Sozialgericht den Rechtsstreit richtig entschieden, namentlich die festgestellten Tatsachen richtig gewürdigt hat, was der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde vor allem in Abrede stellt, ist dagegen im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Die sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Vielmehr soll es gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bei Verfahren mit geringem Streitwert – wie hier – grundsätzlich mit einer gerichtlichen sachlichen Überprüfung des Klagebegehrens sein Bewenden haben.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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