L 12 AL 3615/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1788/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3615/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.6.2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit ab 28.8.2003 hat.

Der 1970 geborene Kläger bezog bis 27.8.2002 Arbeitslosengeld. Dabei hatte er in einem Fragebogen zu seiner Vermögenslage (Blatt 107 der Verwaltungsakten) angegeben, er habe zwei Sparbücher bei der Volksbank K. mit jeweils 5112,92 EUR. In seinem Alhi-Antrag vom August 2002 gab der Kläger diese Sparbücher nicht (mehr) an, sein Bevollmächtigter erläuterte hierzu im September 2002, die Sparbücher seien inzwischen zur Rückführung eines Darlehens an die Mutter des Klägers abgetreten worden. Die Beklagte bewilligte daraufhin Alhi bis 27.8.2003.

In seinem Weiterbewilligungsantrag vom 31.7.2003 gab der Kläger als Vermögen eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 46.000 EUR und mit einem Rückkaufswert von 843,92 EUR an, ferner Guthaben auf Girokonten von 306 EUR und Sparbüchern von 93 EUR an. Auf Rückfragen zu den Sparbüchern bzw. dem Darlehen teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 1.9.2003 mit, das Darlehen sei nicht in notariell beglaubigter Form vereinbart worden, Nachweise könnten nicht vorgelegt werden. Der Kläger sei bereits vor Beginn der Arbeitslosengeldbewilligung in einer persönlich und finanziell prekären Situation gewesen. Die Eltern hätten immer wieder das Girokonto des Klägers ausgeglichen. Sie hätten ihrem Sohn damals deutlich gemacht, dass sie die entsprechenden Geldbeträge nur darlehensweise zur Verfügung stellten. Dies sei der Grund dafür gewesen, dass die Sparguthaben dann an die Eltern zurückübertragen worden seien. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 17.9.2003 ab. Der Kläger verfüge über ein Vermögen in Höhe von 11.960,41 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 6.800 EUR verbleibe ein die Bedürftigkeit ausschließender Betrag.

Den Widerspruch dagegen begründete der Kläger damit, seine Kapitallebensversicherung habe lediglich einen Rückkaufswert von insgesamt 1253 EUR. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid 12.5.2004 mit der Begründung zurück, die beiden Sparbücher mit einem Guthaben von je 5483,20 EUR seien im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Dagegen hat der Kläger am 26.5.2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Diese ist im wesentlichen damit begründet worden, die Sparbücher seien zur Rückführung der darlehensweise von den Eltern überlassenen Geldbeträge auf die Mutter zurückübertragen worden.

Das SG hat in einem Termin vom 31.8.2004 den Vater Robert M. und die Mutter Hedwig M. als Zeugen gehört, wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift Blatt 23/29 der SG-Akten verwiesen. In einem weiteren Termin vom 21.12.2004 hat das SG den Kläger ausführlich angehört und die Brüder des Klägers Jürgen und Oliver M. als Zeugen vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift Blatt 50/56 der SG-Akten verwiesen.

Das SG hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 30.6.2006 den Bescheid vom 17.9.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.5.2004 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger dem Grunde nach Alhi auch für die Zeit ab 28.8.2003 zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, im maßgeblichen Zeitpunkt der Bedürftigkeitsprüfung habe der Kläger lediglich über ein Vermögen von 879,65 EUR, nämlich den Rückkaufswert aus einer Lebensversicherung verfügt. Er sei nicht mehr Eigentümer der bei der Volksbank K. angelegten Sparbücher gewesen. Dies sei er bis zum 6.8.2002 gewesen, an diesem Tage habe er das Vermögen rechtswirksam auf seine Mutter Hedwig M. übertragen. Einen Rückforderungs- bzw. Rückübertragungsanspruch nach § 528 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) habe der Kläger nicht gehabt. Voraussetzung dafür wäre, dass der Kläger sein Vermögen am 6.8.2002 schenkungsweise auf seine Mutter übertragen hätte. Davon sei jedoch nicht auszugehen, es spreche in diesem Fall alles dafür, dass es sich um eine Rückführung von zuvor darlehensweise überlassenen Geldbeträgen der Eltern gehandelt habe. Der Kläger und alle gehörten Zeugen hätten bekundet, dass er schon in den Jahren vor seiner Arbeitslosigkeit erhebliche Schulden angehäuft gehabt habe, die von seinen Eltern reguliert worden seien. Dem Kläger könne auch nicht entgegengehalten werden, er habe sich rechtsmissbräuchlich bedürftig gemacht. Weder sei ein rechtsmissbräuchliches Verhalten erkennbar noch sei (generell) fiktives Vermögen zu berücksichtigen.

Gegen diesen am 10.7.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 19.7.2006 Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor, im maßgeblichen Zeitpunkt (31.7.2003, Antragstellung auf Alhi) habe der Kläger (auch) über einen Rückforderungsanspruch gem. § 528 BGB gegenüber seiner Mutter in Höhe von 10.966,14 EUR verfügt. Die Eltern des Klägers hätten ihrem Sohn über mehrere Jahre hinweg Geldbeträge in unterschiedlicher Höhe überlassen. Dabei habe es sich nicht um Darlehen, sondern um Schenkungen der Eltern an den Sohn gehandelt. Dies ergebe sich aus den Zeugenaussagen vor allem des Vaters Robert M ... Bei lebensnaher Betrachtung könne es sich bei den Zuwendungen der Geldbeträge nicht um Darlehen, sondern um Schenkungen handeln. Da der Kläger in dem Zeitraum, in dem ihm die Geldbeträge zur Verfügung gestellt worden seien, mit hohen Schulden belastet gewesen sei, hätten die Eltern nicht davon ausgehen können, dass der Kläger in der Lage sein werde, ihnen die Summe zurückzuzahlen. Gegen ein Darlehen spreche auch, dass keine schriftlichen Aufzeichnungen hätten vorgelegt werden können. Es habe sich auch um eine nicht genau bezifferbare Geldsumme, über Jahre hinweg in verschiedenen Teilbeträgen gezahlt, gehandelt. Wären diese Zuwendungen als Darlehen gewährt worden, so hätten sie in schriftlicher Form festgehalten werden müssen, um den Überblick über die Gesamtsumme zu behalten. Da der Kläger in der hier fraglichen Zeit nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinen Lebensunterhalt durch eigene finanzielle Mittel zu sichern, habe er einen Rückforderungsanspruch gegen seine Mutter Hedwig Müller gem. § 528 BGB, dieser Rückforderungsanspruch sei bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.6.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Er bleibt dabei, er habe keinen Rückforderung- oder Rückübertragungsanspruch nach § 528 BGB, weil die Sparguthaben nicht an die Mutter geschenkt, sondern zur Tilgung von Schulden übertragen worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alhi für die Zeit ab 28.8.2003.

Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Alhi in der Zeit vom 28.08.2003 bis 31.12.2004. Nach dem 31.12.2004 sind die Bestimmungen der §§ 190 ff SGB III über die Bewilligung von Alhi durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 aufgehoben worden. Ein Anspruch auf Alhi nach dem 31.12.2004 kann nicht bestehen.

Gemäß § 190 Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alhi, die arbeitslos und u.a. bedürftig sind. Bedürftig ist ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht. Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht andauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist (§ 123 Abs.2 SGB III).

In der streitigen Zeit war der Kläger wegen seines Vermögens nicht bedürftig. Zu berücksichtigen ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder seines Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt (§ 1 Abs.1 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV) in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung). Dem Kläger stand ein Freibetrag in Höhe von 6.800 EUR zu. Auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten zur Höhe des Freibetrags wird verwiesen.

Das SG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die beiden Sparbücher, die der Kläger am 6.8.2003 auf seine Mutter Hedwig Müller übertragen hat, seien bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei um die Rückführung von darlehensweise überlassenen Beträgen gehandelt habe.

Nach der Überzeugung des Senats kann davon nicht mit der für den Nachweis erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Es spricht sogar sehr viel mehr dafür, dass es sich bei der Übertragung der beiden Sparbücher auf die Mutter um Schenkungen gehandelt hat, die kurze Zeit nach der Vollziehung der Schenkungen, weil der Kläger außer Stande war, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten, einen Herausgabeanspruch nach § 528 BGB ausgelöst haben. Nach dieser Rechtsnorm hat der Schenker, der nach Vollziehung der Schenkung außer Stande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten, einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

Dieser Herausgabeanspruch ist nach § 193 Abs. 2 SGB III in der damals geltenden Fassung als Vermögen zu berücksichtigen, denn Vermögen im Sinne dieser Rechtsnorm ist der Bestand von Sachen und Rechten (in Geld oder Geldeswert) in der Hand des jeweiligen Berechtigten (BSG SozR 4100 § 137 Nr. 1). Ein Grund, warum dieser Anspruch nach § 1 der auf Grund der Ermächtigung in § 206 SGB III erlassenen Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV) kein verwertbares Vermögen oder nur in unzumutbarer Weise verwertbares Vermögen darstellen soll, ist nicht ersichtlich.

Davon, dass es sich bei der Übertragung der Sparbücher am 6.8.2003 auf die Mutter Hedwig M. nicht um die Rückführung von darlehensweise gewährten Geldbeträgen, sondern um Schenkungen gehandelt hat, ist der Senat auf Grund der Gesamtwürdigung der vorliegenden Umstände überzeugt.

Vor allem ist hier zu berücksichtigen, dass bei der Prüfung von Schuldverpflichtungen unter nahen Angehörigen nach der Rechtsprechung des BSG der Grundsatz gilt, dass ein Vertrag und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten einem Fremdvergleich standhalten, also dem zwischen fremden Dritten Üblichen entsprechen muss (u. a. in SozR 4-4220 § 6 Nr. 4). Einem solchen "Fremdvergleich" hält die Annahme, es habe sich um die Rückführung von Darlehen gehandelt, keinesfalls stand. Dass der Kläger nach der Aussage seiner Eltern, vor allem seines Vaters Robert M. in den Jahren 1994 bis 1998 auf die "schiefe Bahn" geraten und dem Glücksspiel verfallen ist und in dieser Zeit erhebliche Schulden angehäuft hat, die von seinen Eltern jeweils ausgeglichen wurden, verkennt der Senat nicht. Es spricht aber nichts dafür, dass es sich bei diesen von den Eltern zugewandten Geldbeträgen um Darlehen gehandelt hat. Weder ist eine schriftliche Fixierung eines Darlehens erfolgt, was zu erwarten gewesen wäre, weil es sich um durchaus erhebliche Geldbeträge gehandelt hatte. Noch ist bis zuletzt eine entsprechende Rückführungs- oder Tilgungsvereinbarung zwischen dem Kläger seinen Eltern nicht ersichtlich geworden. Die Eltern des Klägers konnten bei Überlassung der Geldbeträge nicht davon ausgehen, dass der Kläger in absehbarer Zeit in der Lage sein würde, ihnen die Beträge zurückzuzahlen. Dafür spricht auch die Aussage des Vaters Robert M., die Eltern hätten gewollt, dass "er wieder auf die Beine kommt". Bei lebensnaher Betrachtung spricht dies dafür, dass die Eltern die Beträge dem Kläger schenkungsweise zugewandt haben. Der Senat hat bereits in einem vergleichbaren Fall entschieden (im Urteil vom 31.1.2006 - L 12 AL 3368/05 -), dass die Annahme eines Darlehens lebensfremd wäre, zumal die Zuwendung auch von hohen Beträgen zwischen Eltern und Kindern nicht ungewöhnlich ist.

Die Annahme, dass es sich bei den am 4.1.2001 auf den Namen des Klägers angelegten Sparbüchern über je 10.000 DM um schenkungsweise Zuwendungen seiner Eltern gehandelt habe, wird gestützt durch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2004: "Ich weiß es nicht, wie das zusammen hängt. Vielleicht hat sie mir das Geld geschenkt. Vielleicht hat meine Mutter das Geld gar nicht mehr haben wollen".

Der Senat weist auch darauf hin, dass die Umschreibung der beiden Sparbücher am 6.8.2003 auf die Mutter des Klägers in einem zeitnahen Zusammenhang mit der Antragstellung auf Alhi am 21.8.2002 erfolgte. Für eine Fälligkeit einer Darlehenstilgung gerade zu diesem Zeitpunkt spricht dagegen nichts. Dies vor allem, wenn die oben erwähnte "Tilgungsvereinbarung", wonach der Kläger das Geld zurückzahlen solle, wenn es ihm besser gehe, zugrundelegt. Dass gerade dann, wenn der Kläger arbeitslos ist, zudem wenige Tage vor dem Beginn einer Bedürftigkeitsprüfung, diese Fälligkeit der Darlehenstilgung eingetreten sein soll, ist nicht glaubhaft.

Der Senat ist nach alledem davon überzeugt, dass die Übertragung der Sparbücher am 6.8.2003 auf die Mutter nicht die Rückführung eines fälligen Darlehens darstellte, sondern dass die Übertragung der Sparbücher schenkungsweise erfolgte, was zur Folge hat, dass der Kläger einen Rückübertragungsanspruch nach § 528 BGB hatte, der seinem Vermögen zuzurechnen war.

Selbst wenn insoweit Zweifel bleiben sollten, gingen diese zu Lasten des Klägers. Er hat als Antragsteller die objektive Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, hier auch der Bedürftigkeit, zu tragen. Die Entscheidung der Beklagten, Alhi zu versagen, ist nach alledem nicht zu beanstanden. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist demnach aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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