L 19 R 594/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 RJ 693/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 594/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.09.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, in welchem Umfang Versicherungszeiten während der Zeit der Mitgliedschaft in einer rumänischen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) bei der Rente zu berücksichtigen sind.

Der 1933 geborene Kläger ist im Jahre 1990 aus Rumänien nach Deutschland übergesiedelt und ist Inhaber des Vertriebenenausweises A. In der Zeit vom 01.01.1966 bis 31.12.1977 arbeitete er in der LPG R./Kreis S. (Rumänien). Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 12.11.1993 Altersrente ab 01.05.1993; die streitige Zeit ist dabei auf 5/6 gekürzt, ebenso im Neufeststellungsbescheid vom 05.10.1994.

Am 18.11.2002 beantragte der Kläger, die Zeit vom 01.01.1966 bis 31.12.1977 zu 6/6 anzuerkennen. Er habe in dieser Zeit in der LPG, deren Mitglied er gewesen sei, als Kutscher und Melker gearbeitet; er habe nach der vorgelegten Adeverinta Nr 359 vom 01.08.1990 jährlich bis zu 600 Normen geleistet.

Die Beklagte vernahm als Zeugen R. A. und B. S. , die beide u.a. bestätigten, dass der Kläger im streitigen Zeitraum Mitglied der LPG gewesen sei.

Mit Bescheid vom 06.08.2003 und Widerspruchsbescheid vom 24.10.2003 lehnte die Beklagte die ungekürzte Anrechnung der Entgeltpunkte ab, da der hier erforderliche Vollbeweis im Sinne des § 22 Abs 3 Fremdrentengesetz (FRG) nicht gegeben sei. Ebenso war der streitige Zeitraum im Neufeststellungsbescheid vom 27.08.2003 und Widerspruchsbescheid vom 26.11.2003 nur gekürzt berücksichtigt.

Die dagegen erhobenen Klagen S 10 RJ 693/03 und S 10 RJ 765/03 hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Urteil vom 16.09.2004 hat das SG die Beklagte verurteilt, die Beitragszeit vom 01.01.1966 bis einschl. 31.12.1977 als nachgewiesen anzuerkennen und die Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu festzustellen. Der Auffassung der Beklagten bezüglich der Kürzung um 1/6 könne nicht zugestimmt werden. Bis 31.12.1977 konnten in Rumänien Rentenanwartschaften auch von solchen Mitgliedern erworben werden, die nur Vermögen in die LPG eingebracht hatten ohne mitzuarbeiten. Bis dahin seien deshalb Beitragszeiten aufgrund der bloßen Mitgliedschaft anzuerkennen. Da es für die soziale Sicherung weder auf eine Mitarbeit in der LPG noch auf die Erfüllung bestimmter Normen ankommen konnte, dürfe eine Kürzung der Entgeltpunkte nicht stattfinden. Die Beitragszeit sei daher als nachgewiesen anzusehen. Dies habe auch der Verwaltungspraxis der Beklagten entsprochen, welche diese nun offensichtlich aufgegeben habe. Eine Begründung für die Änderung dieses Verwaltungshandelns sei nicht angegeben worden.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und im Wesentlichen vorgebracht, im Fall des Klägers sei kein Nachweis über die Mitgliedschaft in der LPG gegeben. Auch seien der zeitliche Arbeitsumfang und die entsprechenden Arbeitsunterbrechungen wegen Krankheit nicht nachgewiesen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts komme es auch für die Anerkennung von Beitragszeiten von 1966 bis 1977 darauf an, dass neben der Mitgliedschaft auch Unterbrechungstatbestände nachgewiesen seien oder eine tagegenaue Aufstellung der Arbeitsleistung vorliege. Nach dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 08.09.2004 (L 2 RJ 1664/02) sei es unzulässig, aus dem bloßen Bestehen eines Mitgliedschaftsverhältnisses zur LPG auf ein ganzjähriges und ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis zu schließen. Die Auffassung des SG widerspreche auch dem Sinn und Zweck des § 15 FRG. Ohne weitere Nachweise gehe die Beklagte nach wie vor davon aus, dass entgegen der erstgerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen für eine wertmäßig ungekürzte Anrechnung der als Mitglied einer rumänischen LPG zurückgelegten Beitragszeit nicht erfüllt seien. Der neueren Rechtsprechung des BSG werde widersprochen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.09.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise beantragt sie, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger stützt seinen Antrag im Wesentlichen auf die bisherige Rechtsprechung des BayLSG, das Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 15.12.1999 und das Urteil des BSG vom 08.09.2005 (B 13 RJ 44/04 R).

Wegen der Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und die Streitakten erster und zweiter Instanz. Weiter hat der Senat die Verwaltungsunterlagen der Ehefrau des Klägers, R. E. zum Verfahren beigenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Das Rechtsmittel erweist sich aber als nicht begründet.

Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 16.09.2004 zu Recht entschieden, dass die Zeit vom 01.01.1966 bis 31.12.1977 als nachgewiesene Beitragszeit zu 6/6 der Rentenberechnung zugrundezulegen ist.

Bei dieser Entscheidung ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum Mitglied der LPG R. gewesen ist. Dies hat der Kläger selbst bereits bei seinem Rentenantrag am 05.05.1993 ebenso wie bei dem Antrag vom 18.11.2002 angegeben. Diese Angaben wurden schließlich bestätigt durch die Aussagen der Zeugen A. und S. , die im Anschluss an ihre Einvernahmen von der Beklagten nochmals ausdrücklich nach der Mitgliedschaft des Klägers in der LPG befragt worden sind. Beide Zeugen haben die Mitgliedschaft des Klägers in der LPG im streitigen Zeitraum bejaht. Für den Senat ist daher die Auffassung der Beklagten, die Mitgliedschaft des Klägers in der LPG sei nicht nachgewiesen, nicht haltbar.

Der Senat geht weiter davon aus, dass für den Kläger im streitigen Zeitraum eine ununterbrochene Beitragszahlung durch die LPG erfolgt ist. Nach dem rumänischen Dekret Nr 535/1966 wurde für Mitglieder einer LPG eine gesetzliche Sozialversicherung als Pflichtversicherung eingeführt. Zutreffend hat das SG dazu ausgeführt, dass für den Kläger somit entsprechend dem rumänischen Recht Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wurden, die als Beiträge im Sinne des FRG anzusehen sind. Auch ist das angefochtene Urteil insoweit nicht zu beanstanden, als es davon ausgeht, dass eventuelle Unterbrechungen der Arbeitsleistung für die Beurteilung des Vorliegens einer Beitragszeit keine Rolle spielen.

Dazu hat das Bundessozialgericht (BSG) inzwischen im Urteil vom 08.09.2005 (B 13 RJ 44/04 R) dargelegt, dass die Unterscheidung zwischen glaubhaft gemachten und nachgewiesenen Beitragszeiten und die diesbezügliche Rechtsprechung ihren Grund in der Erfahrung hätten, dass Beschäftigungszeiten im Allgemeinen nur zu 5/6 mit Beiträgen belegt seien, da vor allem Krankheit oder Arbeitslosigkeit zu Beitragslücken führen. Da aber eine ununterbrochene Beitragszahlung durch die LPG festgestellt sei, komme es auf die Frage etwaiger Arbeitsunfähigkeitszeiten oder ausgefallener Arbeitstage nicht an. Dieser Rechtsprechung, der die Rentenversicherungsanstalten überwiegend nicht folgen, ist inzwischen auch das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 06.04.2006 (L 6 R 3053/05) beigetreten (noch nicht rechtskräftig). Die vorgenannte Auffassung vertreten auch der 16., der 19. und der 20. Senat des BayLSG (Urteil vom 24.01.2007 - L 16 R 399/06 -, Urteil vom 17.01.2007 - L 19 R 584/05 - und Urteil vom 21.07.1999 - L 20 RJ 620/93 -). Vorliegend ist die Entscheidung der Beklagten auch deswegen unverständlich, als sie im Fall der Ehefrau des Klägers, R. E. , bei nahezu identischem Sachverhalt eine andere Meinung vertritt. Denn diese Versicherte hatte von 1960 bis 1989 ebenfalls in der LPG R. gearbeitet, sie hat ebenfalls angegeben, sie sei Mitglied der LPG gewesen, auch in ihrem Fall wurden zwei Zeugen einvernommen, die ihre Mitgliedschaft bestätigten. Im Rentenbescheid vom 03.11.1998 ist schließlich die Zeit vom 01.01.1966 bis 31.12.1977 zu 6/6 berücksichtigt. Nach alledem weist der Senat die Berufung der Beklagten auch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).

Die Beklagte hat, da ihre Berufung erfolglos blieb, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten (Kostenentscheidung nach § 193 SGG).

Ein Grund für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG). Im Hinblick auf die vorstehend bezeichneten Entscheidungen der Landessozialgerichte und des BSG kann der Streitsache auch keine "grundsätzliche Bedeutung" mehr beigemessen werden.
Rechtskraft
Aus
Saved