L 15 VG 9/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 5/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 9/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. März 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1940 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) auf Grund des Vorfalles vom 22.06.2001.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht München vom 27.09.2005 (Az.: S 30 VG 1/05) ist der Kläger am 22.06.2001 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 Satz 1 OEG geworden. Die Zeugin E. F. hat berichtet, dass sie vom Balkon des ersten Stocks aus über acht bis zehn Meter Entfernung beobachtet habe, dass der Kläger im Gestrüpp auf dem Boden lag und dass der Nachbar J. W. zwei- bis dreimal zugeschlagen habe. Es habe sich um Boxhiebe gegen die obere Körperregion gehandelt. Auf ihr Schreien hin hätten die Kontrahenten aufgehört und seien alsbald von herbeilaufenden Nachbarn getrennt worden. Der weitere Zeuge O. F. hat ausgesagt: "Ganz kurz und präg-nant gesagt hat der Herr W. den Kläger verhauen. Der Kläger lag auf dem Rücken, der auf ihm kniende Herr W. gab ihm Faustschläge in rascher Folge. Auf das Rufen meiner Frau hin endeten die Schläge. Der Kläger hat keinen Widerstand geleistet, weil er auch keine Chance hatte."

Der Vorsitzende der 30. Kammer des Sozialgerichts München hat darauf hingewiesen, dass eine eventuell vorher bestandene Notwehrsituation jedenfalls überschritten worden sei. Die Frage der Billigkeit müsse erneut überprüft werden, weil jedenfalls auch eine abendliche Ruhestörung nicht dazu führe, dass eine solche Handlung als provoziert anzusehen sei. Dementsprechend haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2005 vergleichsweise dahingehend geeinigt, dass der Beklagte dem Kläger unter Beachtung des Prozessergebnisses einen erneuten rechtsbehelfsfähigen Bescheid über seine Ansprüche nach dem OEG auf Grund des Ereignisses vom 22.06.2001 erteilt.

Der Beklagte hat vor allem den Arztbrief von Prof.Dr.B.C. vom 06.08.2001 ausgewertet. Danach hat der Kläger bei Aufnahme in das Kreiskrankenhaus D. berichtet, dass er von einem Grundstücksnachbarn tätlich angegriffen worden sei. Er selbst habe mit der Motorsäge im Garten gearbeitet, was wohl zu Aggressionen des Nachbarn geführt habe. Dieser sei letztendlich auf den Kläger zugegangen und habe ihn mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und mit den Füßen getreten. Der Befund ist im Arztbrief festgehalten: Bei Aufnahme sehen wir einen aufgeregten Patienten. Er klagt über Schmerzen im Gesicht und am linken Bein. Bei der körperlichen Untersuchung finden sich Schürfwunden mit folgenden Lokalisationen: Links über der Augenbraue und über dem linken Jochbogen. Des Weiteren sind mehrere Prellmarken auffällig. Eine befindet sich am linken körpernahen Unterschenkel vorne, eine im Bereich der Wade, eine weitere an der Oberschenkelrückseite, mittig ca. 5 cm Durchmesser. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Doppelbilder werden nicht geklagt. Es erfolgte die Wundreinigung der Schürfwunden im Gesicht. Des Weiteren wurde dem Kläger eine konservative Therapie der Prellungen mit Kühlung sowie Schonung angeraten.

Im Folgenden hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 21.11.2005 ausgesprochen, dass eine Beschädigtenversorgung auf Grund des Vorfalles vom 22.06.2001 nicht gewährt werden könne. Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen seien die erlittenen Gesundheitsstörungen vorübergehender Natur gewesen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei nur zu beurteilen, wenn die Gesundheitsstörungen mindestens sechs Monate bestünden. Für die zwischenzeitlich abgeheilten Gesundheitsstörungen hätte der Kläger Anspruch auf Heilbehandlung gehabt. Da er jedoch den Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt habe, seien die Gesundheitsstörungen zum Antragszeitpunkt 14.05.2004 folgenlos abgeheilt gewesen.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat der Chirurg W. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 13.12.2005 darauf hingewiesen, dass linksseitig eine druckschmerzhafte Varikosis bestehe. Hier könne jedoch von isolierten Kontusionen ausgehend keine Schädigung an der vorbestehenden Varikosis abgeleitet werden. Denn entsprechend dem Krankenhausbericht des Kreiskrankenhauses D. vom 06.08.2001 sei hinsichtlich einer denkbaren Endothelläsion nicht das Geringste mitgeteilt worden. Selbst wenn man eine solche unterstellen würde, werde dadurch keine messbare MdE erreicht. Die erlittenen Prellungen und Abschürfungen seien zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt.

Dementsprechend ist der Widerspruch vom 28.11.2005 gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 21.11.2005 mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Landesversorgungsamt - vom 23.01.2006 zurückgewiesen worden.

Der Kläger hat mit seiner zum Sozialgericht München erhobenen Klage vom 20.02.2006 ein ärztliches Attest von Dr.M. E. vom 23.03.2004 vorgelegt. Danach bestehe bei dem Kläger eine Varikosis an beiden Unterschenkeln. Die Varikosis am linken Unterschenkel sei druckschmerzhaft verändert. Dieser Zustand sei seit einem tätlichen Angriff in diesem Bereich unverändert geblieben.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr.Th.L. hat mit fachchirurgisch-orthopädischem Gutachten vom 28.11.2006 auf eine deutliche bzw. ausgeprägte Varikosis links stärker als rechts hingewiesen. Außerdem habe sich an der Außenseite des linken Schienbeines der Nachweis einer bogenförmigen, zum Innenknöchel ziehenden 30 cm langen Narbe bei Zustand nach operativer Versorgung einer Unterschenkelfraktur und zwischenzeitlicher Metallentfernung gefunden. Zusammenfassend hat Dr.Th.L. ausgeführt, dass das vom Kläger geltend gemachte Venenleiden als anlagebedingt mit Linksbetonung zu bezeichnen sei.

Der weitere gerichtliche bestellte Sachverständige Dr.F. M. ist mit nervenärztlichem Gutachten vom 26.01.2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass auf neurologischem Fachgebiet kein verwertbarer pathologischer Befund zu erheben gewesen sei. Auf psychiatrischem Fachgebiet handele es sich bei dem Kläger um eine vorbestehende Persönlichkeitsstörung bei einer sehr einfach strukturierten Primärpersönlichkeit. Diese Persönlichkeitsstörung habe in den vergangenen Jahren mit massiven Vorurteilen gegenüber Negern zu wiederholten Auseinandersetzungen geführt, wie der Kläger teilweise einräume. Dabei sei jedoch darauf hinzuweisen, dass die Primärpersönlichkeit des Klägers auch im Rahmen anderer Auseinandersetzungen früher (zum Beispiel Führerscheinentzug etc.) zu Tage getreten sei. Wie weit hier die Angaben des Klägers vollständig seien und nicht noch möglicherweise andere gerichtsbekannte Verfahren vorlägen, sei auf Grund der zögerlichen Angaben nicht sicher zu entscheiden. Sicher sei jedoch, dass die Persönlichkeitsstörung des Klägers weder Folge des tätlichen Angriffs noch der sich daran anschließenden langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung sei, sondern umgekehrt diese Auseinandersetzungen über 20 Jahre nur vor dem Hintergrund der vorbestehenden Persönlichkeitsstörung nachzuvollziehen seien. Schädigungsfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet könnten daher ab Juni 2001 nicht festgestellt werden.

Hierauf gestützt hat das Sozialgericht München mit Gerichtsbescheid vom 14.03.2007 die Klage gegen den Bescheid vom 21.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2006 abgewiesen.

Die Berufung vom 18.04.2007 ging am 19.04.2007 im Bayerischen Landessozialgericht ein. Der Kläger hob zur Begründung hervor, auf Grund des Überfalles (versuchter Totschlag) sei ihm ein Schaden bzw. 8.000,00 EUR Kosten entstanden. Unseriöse staatlich beauftragte Gutachter würden versuchen, die sichtbare Muskelverletzung abzustreiten. Prof.Dr.B.C. habe am 22.06.2001 den beteiligten Ärzten Fotoaufnahmen verweigert.

Von Seiten des Bayerischen Landessozialgerichts wurden die OEG-Akten des Beklagten, die erstinstanzlichen Klageakten sowie die Berufungsakte (L 15 SB 110/06) beigezogen. W. M. führte im Schwerbehindertenberufungsverfahren mit fachinternistischem Gutachten vom 26.02.2006 aus, dass die chronisch venöse Insuffizienz beidseits mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 deutlich zu hoch ausgefallen sei. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" würden für eine ausgeprägte oberflächliche retikuläre Varikosis ohne Zeichen einer tiefen venösen Insuffizienz oder Ödembildung einen GdB von maximal 10 vorsehen.

In der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2007 stellt der Kläger folgende Anträge: 1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14.03.2007 sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2006 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, auf Grund der Folgen der Gewalttat vom 22.06.2001 Leistungen nach dem OEG in rentenberechtigendem Grad zu bewilligen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14.03.2007 - S 30 VG 5/06 - als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 des Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet: Das Sozialgericht München hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14.03.2007 - S 30 VG 5/06 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Oberbayern II vom 21.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Landesversorgungsamt - vom 23.01.2006 ist nicht zu beanstanden.

Der Kläger ist am 22.06.2001 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 Satz 1 OEG geworden. Ausweislich des Berichtes von Prof.Dr.B.C. vom 06.08.2001 hat er hierbei vor allem Schürfwunden mit folgenden Lokalisationen erlitten: Links über der Augenbraue und über dem linken Jochbogen. Des Weiteren sind mehrere Prellmarken auffällig gewesen. Eine hat sich am linken körpernahen Unterschenkel vorne befunden, eine im Bereich der Wade, eine weitere an der Oberschenkelrückseite mittig ca. 5 cm.

Die vorstehend bezeichneten Schädigungsfolgen sind vorübergehender Natur gewesen und längst abgeheilt. Dies ergibt zweifelsfrei aus den erstinstanzlich eingeholten Gutachten von Dr.Th.L. vom 28.11.2006 und Dr.F. M. vom 26.01.2007. Entscheidungserheblich und in sich schlüssig hat bereits der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten mit chirurgischer Stellungnahme von W. vom 13.12.2005 darauf hingewiesen, dass Endothelläsionen zwar denkbar hätten auftreten können, solche jedoch in dem Krankenhausbericht von Prof.Dr.B.C. vom 06.08.2001 nicht beschrieben worden sind.

Die bei dem Kläger bestehende Varikosis an beiden Unterschenkeln links stärker als rechts ist somit anlagebedingt. Wenn Dr.M. E. mit ärztlichem Attest vom 23.03.2004 die Varikosis am linken Unterschenkel als druckschmerzhaft verändert beschreibt, hat er sich hierbei nicht zur Ursache des Druckschmerzes geäußert. Dr.M. E. hat lediglich in zeitlicher Hinsicht bestätigt, dass dieser Zustand seit einem tätlichen Angriff in diesem Bereich unverändert geblieben ist. Ein zeitliches Zusammentreffen kann jedoch mit einer Ursächlichkeit im Sinne von § 1 Abs.1 OEG nicht gleichgesetzt werden.

Unabhängig davon und unabhängig von der Ursache hat W. M. mit fachinternistischem Gutachten vom 26.02.2006 darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem Schwerbehindertenrecht (nunmehr: SGB IX) die ausgeprägte oberflächliche retikuläre Varikosis beidseits ohne Zeichen einer tiefen venösen Insuffizienz oder Ödembildung nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" einen Grad der Behinderung (GdB) von maximal 10 bedingen würde.

Soweit der Kläger Ersatz für die von ihm verauslagten 8.000,00 EUR fordert, sieht das OEG entsprechende Entschädigungsleistungen nicht vor. Vielmehr können laufende Rentenleistungen gemäß § 1 Abs.1 OEG i.V.m. §§ 30 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) unter anderem erst dann eingewiesen werden, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund der Schädigungsfolgen mit mindestens 25 v.H. zu bewerten ist. Letzteres ist zweifelsfrei nicht der Fall, weil die aufgrund des Vorfalles vom 22.06.2001 erlittenen Schädigungsfolgen zwischenzeitlich folgenlos abgeheilt sind.

Im Übrigen sieht das Bayerische Landessozialgericht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung auch aus den Gründen der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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